Nemesis - In dunkelster Nacht

  • Ullstein
  • Erschienen: Januar 2004
  • 1
Nemesis - In dunkelster Nacht
Nemesis - In dunkelster Nacht
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Lars Hermanns
80°1001

Phantastik-Couch Rezension vonJul 2006

Bedrohung von düsterem Gemäuer

Die Spannung steigt kontinuierlich an und man möchte wissen, wer hinter diesen Morden steckt und wer letztendlich überleben wird. Klar war mir von Anfang an, dass sich die jungen Leute ab sofort gegenseitig verdächtigen würden. Jeder konnte der Mörder sein. Oder sind sie doch nur Laborratten in einem riesigen Experiment von Naziärzten? Und was hat es mit den Kinderstimmen auf sich? Sind sie nur eine Ausgeburt der Phantasie? Sind sie alle nur nervlich überstrapaziert? Diese Fragen werden nun hoffentlich bald beantwortet werden.

Da es sich bei IN DUNKELSTER NACHT um den vierten Band eines Sechsteilers handelt, war zu erwarten, dass die Handlung nun unmittelbar an den vorherigen Band anschließen würde. Und tatsächlich… übergangslos wird die Handlung fortgeführt. Die Überlebenden sind immer noch geschockt. Stefan und Ed sind tot – beide auf brutalste Art und Weise mit einem Nazidolch ermordet. Maria, das graue Mauerblümchen, ist seither verschwunden und das gegenseitige Misstrauen wächst minutiös an. Frank, Judith, Ellen und Carl sind die vier einzigen Überlebenden, die noch zusammen halten. Mehr oder weniger.

Mit jeder einzelnen Zeile kann man lesen, wie das gegenseitige Misstrauen sich immer mehr steigert. Lediglich Judith und Frank scheinen soweit wieder ein Herz und eine Seele zu sein. Doch was steckt hinter den Fassaden von Maria, Ellen und Carl? Ist einer von ihnen der eiskalte Mörder? Und falls ja: Was ist das Motiv? Geht es allein um die bevorstehende Erbschaft? Sollen die Konkurrenten aus dem Weg geräumt werden? Oder steckt doch die Nazivergangenheit der Burg Crailsfelden hinter all dem Übel?

Auch hier wird wieder alles aus der Perspektive des Protagonisten Frank dargestellt, mit dem wir uns förmlich durch die dunklen Gänge und Katakomben der Burg bewegen. Wir sehen mit seinen Augen, lesen seine Gedanken und wissen, was er weiß. Dies hat den Vorteil, dass man sich mehr auf die Geschehnisse um ihn herum konzentrieren kann – aber eben auch den Nachteil, dass man eben nicht weiß, was um ihn herum verborgen geschieht. Dies unterscheidet diesen Roman vielleicht ein bisschen von der herkömmlichen Romankost. Man erlebt alles mit den Augen des Hauptcharakters mit… spielt also förmlich selbst in dieser Horrorgeschichte mit.

Einige entliehene Ideen

Entgegen der Bände 1 und 2 stimmen die Inhaltsangaben des Buches nun wieder mit dem tatsächlichen Inhalt überein. Allerdings ist mir immer noch nicht ganz klar, weshalb man sich dazu entschlossen hat, zwei unterschiedliche Inhaltsangaben an zwei vollkommen unterschiedlichen Stellen zu platzieren (Buchrücken und die ersten Seiten).

Band 1 handelt in der Zeit unmittelbar vor Mitternacht. Band 2 spielt in der Zeit von Mitternacht bis ein Uhr früh. Band 3 deckt folglich die Zeit zwischen ein Uhr früh und zwei Uhr ab, so dass der nun vorliegende vierte Teil die Zeit zwischen zwei und drei Uhr abdeckt. Wir befinden uns nun also in der Mitte der Nacht, was dem Buch wohl auch seinen Titel eingebracht haben dürfte. Und wie lange eine Stunde sein kann, wird auf diesen nunmehr 168 Seiten überdeutlich. Minutiös nimmt man an dem Horror auf Burg Crailsfelden teil. Immer wieder sieht man durch Franks Augen, hört man mit Franks Ohren und hat man Teil an Franks Gedanken. Und immer mehr wird deutlich, dass jeder jedem misstraut und niemand sagen kann, wer frei ist von aller Schuld. Ellen, die hübsche, arrogante Ärztin versucht einmal mehr, die Kontrolle der Gruppe an sich zu reißen. Aber auch unser Späthippie Carl scheint mehr auf dem Kerbholz zu haben, als bislang auch nur im Entferntesten ans Tageslicht gekommen wäre. Dadurch entsteht eine Stimmung, die kaum noch an Hass und Misstrauen zu überbieten ist. Die Luft ist in dieser Burg dermaßen dick, dass man sie mit einem der Nazidolche zerschneiden könnte. Jeder denkt an sich und hält die anderen für den Mörder. Doch was ist mit Maria? Ist sie noch am Leben? Oder ist sie vielleicht auch schon ein Opfer des unheimlichen Mörders geworden? Was hat es mit diesen unheimlichen Kinderstimmen auf sich? Haben sie etwas mit Franks immer wiederkehrendem Alptraum zu tun? Einem Alptraum, in dem er von Kindern gehetzt wird? Einem Alptraum, in dem blonde Kinder ein dunkelhaariges Mädchen töten wollen, das Frank an seiner Hand führt?

Allein dieser immer wiederkehrende Alptraum erinnert mich inhaltlich ein bisschen an den Horrorfilm ";Kinder des Zorns";. Und überhaupt sind so manchen Ideen offensichtlich anderen Romanen entliehen. So findet man immer wieder Parallelen zu Stephen Kings ";Es"; (auf den sich Wolfgang Hohlbein sogar namentlich bezieht). Eine Mischung aus Horror, Thriller und sogar Erotik, wie sie einen sehr gut in den Bann zu ziehen versteht.

  • ELLEN ist erfolgsverwöhnt und verstand es bislang immer, die Fassung zu bewahren und sich selbst zu inszenieren. Dies wurde bereits im ersten Band überdeutlich, wo sie sich immer als etwas Besonderes präsentieren wollte. Allwissend und sich selbst als Redensführerin der Gruppe fühlend, hat sie sich dabei nicht nur Freunde gemacht. Ihre Überheblichkeit hat den Neid und die Unzufriedenheit der anderen immer wieder angefacht. Nach Stefans Tod scheint sie nun sogar am Rande eines Nervenzusammenbruchs zu stehen. Es fällt ihr sichtlich immer schwerer, die Ruhe zu bewahren und die unnahbare Chirurgin zu mimen, die sie so gern vorgibt. Doch sie ist stets zur Stelle, wenn es darum geht, ein Mitglied der Gruppe zu verarzten. Würde sie dies auch tun, wäre sie Mörderin? Oder will sie mit ihrer Hilfe die anderen lediglich in Sicherheit wiegen, um blitzschnell erneut zuzuschlagen?
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  • JUDITH wurde von Frank bereits im ersten Band gedanklich als ";Pummelchen"; bezeichnet. Eine junge, selbstbewusste Frau, die lediglich vor Fledermäusen Angst zu haben scheint. Nach der Ankunft auf Burg Crailsfelden landet sie schließlich auch mit Frank im Bett, was ihm nicht sehr unangenehm zu sein schien. Überhaupt scheint sie seit dem Beginn der Romanreihe förmlich in ihren Aktivitäten aufzublühen. Sie ergreift nun immer öfter das Wort und übersteht Stresssituationen, denen so mancher Mann kaum gewachsen wäre. Bedingt durch Stefans tragischen Tod, hat sie sich eine Zeit lang immer mehr von Frank angewandt, da sie ihm nicht mehr traute und ihn ebenfalls für den Mörder hielt. Hat sie vielleicht mit den Zwischenfällen zu tun? Schließlich war es ihre Flucht vor der Fledermaus im ersten Band, die Gero von Thun in die Nähe der Grube geführt hat, in die er letztendlich auch reingestürzt ist. Ist ihre Verletzung am Arm wirklich so schlimm, wie sie aussieht? Oder spielt sie allen nur etwas vor? Im vierten Band kommt sie Frank wieder so nahe, wie anfänglich im ersten Band. Es kommt zu leidenschaftlichem Sex. Ist sie eine schwarze Witwe, die für die Erbschaft über Leichen gehen würde?
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  • MARIA war im ersten Band noch das absolute Mauerblümchen, dem niemand wirklich etwas hätte zutrauen wollen. Doch bereits im zweiten Band läuft sie zur Hochform auf und zeigt, was sie alles weiß und welche Informationen sie hat zusammentragen können. Sie scheint ein wandelndes Lexikon zu sein, das Wissen in sich vereinigt, um das sie beinah jeder würde beneiden können. So findet sie schließlich auch die unrühmliche Geschichte über Eds Großvater raus. Und überhaupt scheint sie auf beinah alles eine passende Antwort parat zu haben. Woher weiß sie das alles? Was weiß sie noch? Was hat sie überhaupt Rätselhaftes in ihrem Koffer? Erinnern wir uns: Es war von klappernden, scheppernden Geräuschen die Rede, als sie den riesigen Koffer zur Burg transportiert hat. Führt sie vielleicht eine Kollektion von Napola-Dolchen mit sich rum? Jene Nazi-Dolche, von denen einer in Stefans Rücken steckt? Und wieso ist sie nach dem Mord an Ed, der immerhin eine Liebesnacht mit ihr verbringen durfte, so urplötzlich verschwunden? Ist sie wirklich die graumausige Bibliothekarin? Oder verbirgt sich etwas hinter ihrer Fassade, das man nicht einmal in den kühnsten Träumen vermuten würde?
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  • CARL wurde bereits im ersten Band optisch als Späthippie beschrieben, der immer noch viel zu enge Jeans und langes Haar trägt. Seit dem zweiten Band genießt er das ungeteilte Misstrauen der Gruppe. Er hat lange Zeit verschwiegen, wie gut er sich letztlich in der Burg auskennt. Seit Jahren sucht er hier nach einem verschollenen Nazischatz. Doch ist das wirklich alles, was hinter seinem Kopf vorgeht? Stefan hat ihn einst sehr bösartig bedroht und in schiere Panik versetzt (als er ihm im zweiten Band mit der Amputation von Fingern drohte, sollte er nicht sofort die Wahrheit sagen). Hat ihn dies vielleicht dazu gebracht, den jungen Sportler mit einem Nazidolch zu ermorden? Oder sitzt er auch nur in der Falle, wie beinah alle anderen? Wieso wird er von dem Mörder verschont, als dieser vor Carls Augen Ed aufschlitzt? Hat er Carl einfach nur übersehen? Was führt dieser fette Wirt im Schilde? Was weiß er wirklich?
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  • FRANK ist immer noch unser Protagonist, durch den wir alles erleben dürfen. Durch ihn erfahren wir auch immer wieder, wie die Emotionen in ihm selbst hoch kochen und wie er spürt, wie der Hass der anderen aufeinander stetig steigt. Er war anfänglich ein Außenseiter, da er zuletzt zur Gruppe gestoßen ist. Durch das Techtelmechtel mit Judith schien er dann plötzlich irgendwie dazu zu gehören. Plötzlich fing er an, gedanklich von seiner ";Verwandtschaft"; zu sprechen, wenn er auf die anderen eingehen wollte. Doch seine Gefühle sind unstet wie nie zuvor. Vor allem seine Gefühle gegenüber Judith scheinen ihn sehr zu verwirren. Den Sex mit ihr hat er sehr genossen. Doch liebte er sie deswegen schon? Und was hat es immer wieder mit seinen Aussetzern zu tun? Sind es wirklich Déjà-vus, die ihn immer wieder quälen? Oder spielen ihm seine Gedanken schlichtweg einen Streich? Er ist der einzige, dem man keinen Mord zutrauen würde, da man seine Gedanken eigentlich allgegenwärtig vor sich hat. Doch auch er weiß nicht, wem er trauen kann. Einzig Judith scheint seiner Meinung nach über alle Zweifel erhaben zu sein. Ist er blind vor Liebe, die er lange Zeit nicht eingestehen wollte? Hat der erneute Sex mit Judith ihn blind für die schreckliche Realität werden lassen?

Klaustrophobische Enge auf der Burg

Auch diesmal gibt es am Ende des Bandes eine weitere Leiche. Wer wird es sein? Wird diesmal ans Tageslicht kommen, wer der Mörder ist? Oder sind unsere Überlebenden vielleicht am Ende nur auf dem Weg wahnsinnig zu werden? Was hat es mit den Schritten auf sich, die immer wieder gehört werden? Was ist mit den Kinderstimmen und Franks Alpträumen? Hirngespinste? Was ist mit den Morden? Sind sie real, oder entspringen sie vielleicht nur der überreizten Phantasie der Gruppenmitglieder? Sind sie am Ende vielleicht wirklich nur die Ratten in einem Experiment?

Entgegen des vorherigen Bandes halte ich die Spannung dieses vierten Bandes sehr viel besser umgesetzt. Man sieht zwar erneut zwei Déjà-vus von Frank, doch spielen diese keine so bedeutende Rolle, wie sie ihnen leider im dritten Teil zuteil wurde. Dadurch bleiben die unbeschreibliche Spannung und Furcht, die in diesem Roman vorzufinden sind, im Vordergrund und fast schon greifbar. Erneut gelingt es Wolfgang Hohlbein, die klaustrophobische Enge der Burg mit ihrem unheimlichen Charakter zu beschreiben und vor den Augen des Lesers reell wirken zu lassen. Man kann förmlich spüren, welche Bedrohung von diesem düsteren Gemäuer ausgeht. Die Geräusche, die Gerüche… alles wird so detailliert beschrieben, dass man sich wirklich alles bildhaft vorstellen kann. Und dabei nimmt Wolfgang Hohlbein immer wieder Bezug auf moderne Geschehnisse und Bewandtnisse, ohne jedoch auf die weiteren modernen Möglichkeiten einzugehen. So fallen hier plötzlich Begriffe wie ";Ebay"; (in Bezug auf das Versteigern der Nazidolche), Aldi und Lidl, die einen immer wieder daran erinnern, dass wir uns im Deutschland des 21. Jahrhunderts befinden. Und doch will es den jungen Leuten nicht gelingen, diese eine Burg zu verlassen?

Das Projekt Lebensborn

Bei all den Verwicklungen dieser Geschichte wird ein Aspekt leider immer wieder außer Acht gelassen. Erinnern wir uns: Nemesis war eine Göttin der Rache. Kann man also davon ausgehen, dass es sich hierbei auch um eine Mörderin handeln wird? Sollte dem so sein, bleiben eigentlich nur Ellen, Maria und Judith als potenzielle Mörderinnen übrig. Oder sollte man nun schon davon ausgehen, dass es sich um eine externe Person handelt?

Was hat es vor allem mit den Unterlagen über ";Lebensborn"; zu tun? Hitlers Traum von der Zucht einer arischen Superrasse? Hat dieses Geheimprojekt der SS etwas mit Burg Crailsfelden zu tun? Stammen die in den Katakomben gefundenen Unterlagen (siehe: Alptraumzeit) von diesen Projekten? Wurden Kinder auf dieser Burg zu Ariern transformiert?

Ich beurteile diesen vierten Band mit ";gut";, da endlich wieder etwas mehr auf die Spannung und die unheimliche Atmosphäre Wert gelegt worden ist. Die sexuellen Eskapaden von Judith und Frank stimmen zudem wieder ein bisschen auf andere Begebenheiten ein, die bei Band drei ein bisschen zu kurz gekommen sind. Endlich wird wieder etwas mehr auf die zwischenmenschlichen Bedürfnisse eingegangen. Nur weiß man eben noch nicht, ob es sich tatsächlich um Zuneigung handelt, oder ob vielleicht doch ein böses, falsches Spiel gespielt wird. Zudem hat Wolfgang Hohlbein einmal mehr das Thema ";Drittes Reich"; aufgegriffen und geschickt mit seinem Roman verknüpft. Nachforschungen haben nämlich ergeben, dass es tatsächlich ein Projekt ";Lebensborn"; gab, das erschütternde Tatsachen ans Tageslicht bringt. Über folgende Links kann man sich näher über ";Lebensborn"; und den Lebenstraum von Heinrich Himmler informieren:

Nemesis - In dunkelster Nacht

Wolfgang Hohlbein, Ullstein

Nemesis - In dunkelster Nacht

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