Die Haarteppichknüpfer

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  • Erschienen: Januar 1995
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Die Haarteppichknüpfer
Die Haarteppichknüpfer
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Peter Kümmel
90°1001

Phantastik-Couch Rezension vonFeb 2006

Lang lebe der Kaiser

Ein gewisser Andreas Eschbach, der am 15. September 1959 in Ulm geboren wurde, begann bereits im Alter von 12 Jahren mit dem Schreiben von Kurzgeschichten. Am 15. Oktober 1985 wurde der damalige Student der Luft- und Raumfahrttechnik Andreas Eschbach, der als Mitglied des Literaturkreises der Universität Stuttgart schon ein paar seiner Kurzgeschichten vorstellen durfte, von einem Redakteur gefragt, ob er denn nicht eine Science-Fiction-Kurzgeschichte für die Zeitschrift Flugasche zur Verfügung hätte.

Und so schwindelte dieser Andreas Eschbach, daß er selbstverständlich eine hätte. Denn diese Chance, zu einer Veröffentlichung zu kommen, wollte er sich natürlich nicht entgehen lassen. Und so kramte er in den Notizen seines Ideenkästchens und fand dabei einige Sätze über Teppiche aus Menschenhaar. Und den folgenden Tag verbrachte er damit, aus ein paar in seinem Kopf vorhandenen Ideen die Kurzgeschichte "Die Haarteppichknüpfer" zu Papier zu bringen.

Traditionen und wie man sie bricht

Auch in einer weit von uns entfernten Welt kennt man die Teppichknüpfkunst. Doch als Material für diese feinsten aller Teppiche wird weder Wolle noch Seide verwandt, sondern menschliche Haare.

Ostvan ist einer dieser Haarteppichknüpfer. Diese Haarteppichknüpfer bilden sozusagen eine gesellschaftliche Kaste mit einer langen Tradition. Sein ganzes Leben lang tut Ostvan nichts anderes, als jeden Tag an seinem Knüpfrahmen zu sitzen und Knoten um Knoten zu knüpfen, um schließlich in hohem Alter sein Lebenswerk, einen einzigen Teppich, aus dem Rahmen schneiden zu können.

Wenn das Werk endlich vollbracht ist, gebietet es die Tradition, daß der alte Knüpfer seinem einzigen Sohn den Teppich schenkt. Dieser bringt das Kunstwerk dann in die Stadt und verkauft es an die kaiserlichen Händler, die die Kunstwerke zum Palast des Herrschers über eine riesige Galaxie bringen, den auf diesem Planeten noch niemand zu Gesicht bekommen hat. Von dem einmal erhaltenen Lohn bestreitet er fortan seinen gesamten Lebensunterhalt, denn auch er wird Haarteppichknüpfer, so wie es seit Jahrhunderten die Tradition gebietet.

Ihre Frauen wählen sich die Knüpfer nach deren Haaren aus. Und Ostvan hat das Glück, daß er außer seinen Frauen auch noch fünf Töchter mit den unterschiedlichsten Haarfarben besitzt, so daß ihm das Färben erspart bleibt.

Garliad, seine Nebenfrau, erwartet schon seit einigen Tagen ein weiteres Kind. Und natürlich hofft Ostvan auf eine weitere Tochter. Denn einen Sohn hat er bereits, einen weiteren darf er nicht haben. Doch sein Sohn Abron macht ihm Kummer. Er ist sehr wißbegierig und treibt sich am liebsten in der Stadt herum, wo es immer Neuigkeiten gibt und wo er mit seinem Lehrer philosophiert. So bringt er Gerüchte von einer Rebellion mit nach Hause. Wenn der Kaiser abdanken müsste, dann könnte keiner mehr die Haarteppiche bezahlen.

Von den alten Traditionen hält Abrod überhaupt nichts. So kann er auch das Gesetz nicht verstehen, daß Teppichknüpfer nur einen einzigen Sohn haben dürfen. An der Wand hängt das fleckige Schwert, mit dem Ostvans Vater dessen zwei Brüder am Tag ihrer Geburt erschlagen musste. Und deshalb hofft Ostvan natürlich, daß er in Kürze die Kunde von einer weiteren Tochter erhält.

Doch da kommt die Weise Frau aus dem Gebärzimmer, auf den Armen das Neugeborene.

Soweit habe ich die Kurzgeschichte in meinen eigenen Worten wiedergegeben. Die restlichen Absätze möchte ich aus dem Original von Andreas Eschbach zitieren.

"Es ist ein Junge", sagte sie gefaßt. "Werdet Ihr ihn töten, Herr?"

Ostvan sah in das rosige, zerknitterte Gesicht des Kindes. "Nein", sagte er. "Er soll leben. Ich will, daß er Ostvan heißt, genau wie ich. Ich werde ihn das Handwerk eines Haarteppichknüpfers lehren, und wenn ich nicht mehr lange genug leben sollte, wird ein anderer seine Ausbildung abschließen. Bring ihn wieder zu seiner Mutter, und sag ihr, was ich Dir gesagt habe."

"Ja, Herr", sagte die Weise Frau und trug das Kind wieder hinaus.

Ostvan aber nahm das Schwert vom Tisch, ging hinauf damit in die Schlafräume und erschlug seinen Sohn Abron.

Von der Kurzgeschichte zum Roman

Diese 7 Seiten lange Kurzgeschichte erschien also im Dezember 1985 in der Literaturzeitschift Flugasche. Wer die Geschichte gerne im Original lesen möchte, den verweise ich an die hervorragende Homepage des Autors, von der auch viele Informationen stammen, die ich hier verarbeite.

Nach seinem Studium arbeitete Eschbach zunächst als Software-Entwickler, doch auch das Schreiben ließ er dabei nicht aus den Augen. Und immer wieder wurde er auf diese Kurzgeschichte angesprochen, die doch wohl in Fachkreisen Eindruck hinterlassen haben musste. So schrieb er nach und nach weitere Geschichten zu dieser fremden Welt und verband diese einzelnen Episoden durch eine Rahmenhandlung.

1994 wurde Eschbach Stipendiat der Arno-Schmidt-Stiftung "für schriftstellerisch hochbegabten Nachwuchs" und ein Jahr später erschien sein erster Roman, der genau wie die Kurzgeschichte, die das erste Kapitel des Romans bildet, den Namen "Die Haarteppichknüpfer" trug.

Die Episoden bekommen Struktur

Allein schon durch diese Entstehungsgeschichte wird klar, daß man "Die Haarteppichknüpfer" nicht als normalen Roman bezeichnen kann. Insgesamt 17 Episoden umfasst das Werk auf insgesamt 324 Seiten.

Eschbach beginnt nach der "Ur-Geschichte" zunächst damit, den Sinn des Teppichknüpfens für die Bewohner des Planeten G-101/2 praktisch als Religion zu vertiefen. Dabei wird jedes Kapitel aus verschiedenen Sichten erzählt, wobei der Autor praktisch ohne Protagonisten auskommt. So nach und nach wird dem Leser dann klar, daß das Kaiserreich, zu dem der Planet der Haarteppichknüpfer gehört, unermeßlich groß ist und erst langsam wird das große Rätsel um die Haarteppiche aufgebaut. Denn diese Teppiche, die angeblich alle zum riesigen Kaiserpalast gebracht werden, sind denjenigen, die den Palast schon mit eigenen Augen gesehen haben, völlig unbekannt. Doch wohin verschwindet diese riesige Menge an Kunstwerken? Und wozu knüpfen diese vielen Menschen überhaupt all diese Teppiche?

Und was hat es nun mit dem Kaiser auf sich? Da kommen plötzlich Leute, die behaupten, von anderen Planeten zu stammen, und verbreiten blasphemische Ansichten über eine bereits vor 20 Jahren stattgefundene Rebellion, bei der der unsterblich geglaubte Kaiser ums Leben gekommen ist.

Der Autor springt in seinen Episoden nicht nur von Planet zu Planet, sondern auch in den Zeiten wild umher. Teilweise erkennt der Leser die Zusammenhänge nur langsam, muß sich von Abschnitt zu Abschnitt erst erarbeiten, ob er sich in einer Rückblende befindet oder auf einem anderen Planeten oder auf dem gleichen Planeten an einem andern Ort. Doch gerade dies macht den Reiz des Buches aus. Denn diese Sprünge sind insgesamt sehr geschickt aufgebaut und bis zur Mitte des Buches kristallisiert sich allmählich eine Struktur heraus. Aus vielen kleinen Fragen bildet sich schließlich die Spannung um das große Rätsel und endlich scheint man mittendrin in der Handlung zu sein.

Dann tauchen in den Rückblenden-Episoden "Der Kaiser und der Rebell" und "Ich sehe dich wieder" auch schon erste völlig verblüffende Erkenntnisse um den allmächtigen Kaiser auf. Doch als die Spannung dem Höhepunkt zustrebt, kommen die Episoden "Der Palast der Tränen" und "Wenn wir die Sterne wiedersehn", mit denen der Leser zu diesem Zeitpunkt absolut nichts anzufangen weiß und wieder vollkommen herausgerissen wird. Nun ja, denkt man sich, da ist die Phantasie mit ihm durchgegangen, haken wir die beiden Episoden einfach als mißratene Ausreißer ab. Doch weit gefehlt: das letzte Kapitel bringt allumfassende Aufklärung, durch die sogar diese beiden sinnlos erscheinenden Episoden Verständis erlangen.

Ironisch und traurig

Zu einem Zeitpunkt, an dem man schon im Zweifel ist, ob denn wirklich noch des Rätsels Lösung kommt oder ob das Buch jetzt sang- und klanglos zu Ende geht, bietet Eschbach wirklich noch die überraschende Auflösung des Rätsels um die Haarteppiche.

Natürlich verlaufen sich auch viele der aufgebauten Handlungsstränge, doch tut das dem Ganzen keinen Abbruch, denn einzelne Schicksale bilden nur Staubkörnchen in diesem unvorstellbar riesigen Universum. Als einzige Schwäche Eschbachs bleibt mir die doch recht farblose Darstellung der Charaktere anzumerken, was aber kaum ins Gewicht fällt, da das globale Geschehen und nicht die einzelnen Personen im Mittelpunkt stehen.

"Die Haarteppichknüpfer" ist ein ironischer, aber gleichzeitig auch sehr trauriger Roman, der zeigt, wie schwer es ist, Veränderungen zu schaffen und jahrhundertelange Traditionen abzuschaffen, aber auch, wie wichtig stetige Veränderungen für ein Fortbestehen von Völkern sind.

Die Haarteppichknüpfer

Andreas Eschbach, -

Die Haarteppichknüpfer

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