Das Motel

  • Festa
  • Erschienen: Januar 2012
  • 2
Das Motel
Das Motel
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Jochen König
65°1001

Phantastik-Couch Rezension vonDez 2011

Unser monatliches M(H)otel gib' uns heute

H(M)otels sind ein beliebter multimedialer Topos. Ein Ort, an dem man wildfremde Menschen zusammenführen kann, wo sich (Lebens)geschichten mischen, zentrieren, entscheiden oder enden. Hotels bieten sich als wegweisende Einheit von Zeit und Raum an wie sonst nur Gaststätten, Flughäfen oder Bahnhöfe. Es finden sich gesellschaftskritische Romane wie Vicki Baums Menschen im Hotel oder Joseph Roths exzellentes Hotel Savoy; die Boulevard-Variante in Arthur Haileys Hotel, folgerichtig fortgesetzt in der gleichnamigen 114-teiligen Fernsehserie. Dann die musikalischen Varianten wie Leonard Cohens "Chelsea Hotel No. 2", Elvis Presleys "Heartbreak Hotel" oder Chris Isaaks "Blue Hotel", in denen allerdings vorzugsweise einsam der Liebestod gestorben wird, anstatt sich in der Gruppe bis auf´s Blut zu bekämpfen. Die bekanntest Bleibe ist wohl das "Hotel California" der Eagles. Das eher einen mentalen Zustand als einen realen Ort darstellt - an den man sich begibt, um nie wieder zurückzukehren. Ein Fakt, den das Kino explizit und eindeutig betonte. Ob in Kevin Connors "Motel Hell", jener sarkastischen "Texas Chainsaw Massacre"-Paraphrase, in James Mangolds "Identity", in dem das sturmumtobte Motel zum Schauplatz des mörderischen Kampfes einer multiplen Persönlichkeit wird, und natürlich wenn die Psycho-Mutter aller lebensgefährdenden Motels am abseitigen Wegesrand ihr blutiges Tagwerk vollbringt.

"Bates-Motel" kennt selbstverständlich auch das Cleverle Brett McBean, weswegen er seine Protagonisten in der entscheidenden Nacht ihres Lebens gerne darüber parlieren lässt. Ohne dass sie ahnen, was der Leser längst weiß: Der kleine Norman war ein Muttersöhnchen, es gibt weit Schlimmeres. In der Unterkunft direkt nebenan.

McBean lässt sich Zeit seine Figuren einzuführen, er gönnt jedem mindestens eine Rückblende, die erklären soll, was ihn (oder sie) in der Halloween-Nacht des Jahres 1980 in jenen aus Einzelhütten bestehenden Motelkomplex ins Kiefern bewachsene, australische "High Country" getrieben hat. Als da wären die 64-jährige Polizistenwitwe und jetzige Herbergsmutter Madge Fraiser, das Ehepaar Judy und Morrie, auf der Flucht vor der Polizei, da Morrie in Panik einen Jugendlichen tödliche Bekanntschaft mit seiner Schrotflinte machen ließ; die beiden juvenilen Autodiebe Al und Eddy, in deren geklautem Gefährt sich dummerweise eine Leiche befindet, die natürlich entsorgt werden muss. Sowie der dickliche, unscheinbare Wayne samt Sohn Simon. Doch dessen gemütsmenschelnde Fassade unter dunkler Perücke und hinter angeklebtem Schnurrbart trügt. Denn der Teenager Simon ist keineswegs Waynes Sprössling, sondern sein Gefangener. Wayne ist jener Serienkiller, von dem die australischen Medien im Roman vereinzelt berichten, der seine Opfer erst foltert und vergewaltigt, bevor er sie tötet. Diesmal ziemlich plump und offensichtlich in Hütte Nummer Vier.

Abseits des Motelgeländes stromert noch ein betrunkener Polizist durch die Vorstadt, seine vermutlich untreue, verheiratete Geliebte ausspionierend. Seine Rolle entschlüsselt sich erst im schlappen Finale des Romans.

Mr. McBean baut langsam aber stetig und durchaus geschickt Spannung auf, setzt auf kleinere Überraschungsmomente und unerwartete Aktivitäten, die die Verlorenheit aller Personen betonen sowie die Sehnsucht, der individuellen Hölle zu entkommen, in der sie sich gerade befinden. Die einzige Ausnahme: Wayne, der sich genau dort äußerst wohl fühlt.

Dann, nach 65 Seiten der erste grelle Schock, rund 25 Seiten später der nächste. Leider kein dramaturgisches Mittel, das die Düsternis der Geschichte betonen sollen, keine analytischer Einblick in die gestörte Psyche der Hauptfigur, sondern schlicht ein höchst überflüssiges Anbiedern an jenen Hype, der sich "Torture Porn" nennt. Den McBean zwar selten, dann allerdings konsequent, wörtlich nimmt. An anderer Stelle macht er das ähnlich ohne "Torture", zelebriert die feuchten Träume eines Biedermanns, der seine XXX-Stereotypen auswendig kennt: Wow, drei geile Schlampen, eine hochglänzender als die andere, besorgen es sich gegenseitig. Biedermann darf spannen und später träumend seine Hose einnässen, um wieder in die Handlung zurück zu finden.

Spätestens an diesem Punkt hat das Buch einen Albernheitsfaktor erreicht, der der ansonsten durchaus vorhandenen und erzeugten Spannung gänzlich zuwiderläuft. Doch das reicht McBean noch nicht.

Hat man anfangs den Eindruck, der Autor nähme seine Geschichte und seine Protagonisten ernst, verflüchtigt sich das stetig, je weiter die Handlung in rabenschwarzer und blitzdurchzuckter Nacht voranschreitet. Es fängt damit an, dass nie erklärt wird, warum Morrie derart panisch auf den Jugendlichen in Blues Brothers-Outfit reagiert, dass er ihm die Gedärme aus dem Leib schießen muss. Wayne wird als "dicker, etwa 30 Jahre alter Mann" beschrieben. Hat aber einen "Sohn" im ausgehenden Teenager-Alter, jenseits der 18, im Schlepptau, den er lautstark foltert, während das Radio in Zimmerlautstärke läuft. Man will ja niemand stören - was beim ersten Schrei schon geschehen ist, nachher aber niemand mehr interessiert. Unauffällig wie der Wolf in Omas Nachthemd. Ganz zu schweigen von unseren beiden dümmlichen Autodieben Al und Eddy. Warum lassen sie den gestohlenen Wagen nicht einfach am Straßenrand stehen, nachdem sie entdeckt haben, dass sich eine Leiche im Kofferraum befindet? Beseitigen ihre Spuren, 1980 sogar noch ohne großartige Angst vor DNA-Tests, und klauen sich die nächste Karre. Die beiden nicht allzu hellen Köpfe behaupten zwar im Text, genau dies sei nicht möglich, doch einen Grund dafür liefert der Autor nicht.

So schleppen sie den Toten lieber zu Fuß und auffällig durch die Nacht und unwegsames Gelände; vertrauen sich dabei grundlos einem höchst seltsamen Fremden an. Nur, damit die Geschichte irgendwann, irgendwie, irgendwo enden kann. Natürlich müssen die meisten Anwesenden ihr Leben lassen. Was McBean so beiläufig - meist im Off - geschehen lässt, dass man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, er habe sich zum Ende hin schrecklich gelangweilt und müsse sein Werk jetzt irgendwie finalisieren. Ohne zu viel zu spoilern: Einen wirklich finsteren Abschluss traut er sich auch nicht zu. Stattdessen der gelangweilte Schlussgag einer durchschnittlichen TV-Serie. Abspann.

Höchst bedauerlich. Denn die Verzahnungen der Einzelschicksale, deren Höhepunkt das nahezu unvermeidliche Aufeinandertreffen im Kiefernwald-Motel darstellt, sind kleine Preziosen voller düsterem Witz. Insbesondere Madge ist eine vielschichtige Persönlichkeit, die mehr verdient hätte als das Schicksal, welches der Autor ihr einräumt. Damit ist sie leider nicht allein.

Das Motel ist ein Gangsterroman ohne jedes phantastische Moment. Seine Affinität zum Filmischen wurde ja bereits angedeutet, doch liegt McBeans Roman näher beim oben nicht erwähnten "Gangster in Key Largo", in dem sich Humphrey Bogart der Avancen des psychopathischen Gangsterbosses Edward G. Robinson erwehren muss, als bei Norman "Bates-Motel", der Folter-Sause "Hostel" oder gar "Identity". Doch statt einer konsequenten Studie über den Menschen als sein ärgster Feind, über psychische und soziale Deformationen, geht McBean lieber den leichten Weg oberflächlich spannenden Grusels, an dessen Rand sich explizite Folterszenen, blutiger Slapstick, verschwitzte 08/15 Pornographie von der geile-Dreier-der-Woche-Stange sowie eklatante Interesselosigkeit am Schicksal der eigenen fiktiven Lebens- und Todesentwürfe tummeln. Währenddessen rauschen die Baumkronen nachdrücklich und der Donnergott grollt.

Brett McBean ist wie ein kleines Kind, das einen architektonisch anspruchsvollen Turm aus bunten Holzklötzchen baut, ihn dann aus einer Laune heraus mit einem kurzen Round-Kick zerstört. Und weil er kein Maß kennt, schleudert er die Klötzchen blindwütig ins prasselnde Kaminfeuer. Leider stinkt die billige Industriefarbe beim Verbrennen und alle müssen husten. Beim nächsten Mal bitte Naturholz. Und stehen lassen. Oder dem Leser das Weiterbauen ermöglichen. Damit das "Kopfkino" endlich mal etwas zu tun bekommt, anstatt als leere Projektionsfläche für so fantasieloses wie grafisch explizites Zerschnippeln von menschlichem Gewebe missbraucht zu werden.

Das Motel

Brett McBean, Festa

Das Motel

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