An American Werewolf in London
(Ultimate Edition)

Film-Kritik von Marcel Scharrenbroich

Hütet euch vor dem Mond

„Bleibt auf der Straße… und haltet euch vom Moor fern.“
Die beiden amerikanischen Rucksack-Touristen David Kessler (David Naughton) und Jack Goodman (Griffin Dunne) befinden sich auf einem Trip quer durch Europa. Ein paar Wochen haben die Studenten noch vor sich und aktuell schlagen sie sich durchs englische Moor. Erschöpft und mächtig durchgefroren kommen sie in einem abgelegenen Pub an. „The Slaughtered Lamb“… sehr einladend. Und ebenso werden sie auch empfangen. Gäste von außerhalb scheinen eher die Seltenheit zu sein und die Einheimischen machen auch keinen Hehl daraus, dass sie die zwei Störenfriede am liebsten gleich wieder los wären. Auf die Frage, was dieses seltsame Symbol an der Wand zu bedeuten hat, ein nettes Pentagramm, reagiert die griesgrämige Gesellschaft besonders allergisch. David und Jack machen sich schnell aus dem Staub, bevor die Lage eskaliert. Allerdings nicht, ohne einen weisen Ratschlag der trinkfesten Pub-Besatzung mit auf den Weg zu bekommen. Sie sollen die Straße nicht verlassen und sich unbedingt(!) vom Moor fernhalten. Ach ja, vor dem Mond sollen sich ebenfalls hüten. Pfff… Engländer…

Gesagt, nicht getan. Gerade rekapitulieren die weltoffenen New Yorker noch das unangenehme Zusammentreffen mit der hiesigen Bevölkerung und schon stecken sie mitten im tiefsten Moor. Ups. Als es auch noch anfängt zu regnen und David und Jack fröstelnd durchs nächtliche Nirgendwo marschieren, fragen sie sich, ob es noch schlimmer kommen könnte. Natürlich, denn immerhin sind wir hier in einem Horrorfilm der 80er! Plötzlich durchdringen bedrohliche Laute die ländliche Stille. Die Kojoten-Idee wird schnell verworfen, aber was war es dann? Ein Schäferhund? Lisbeth, die im Dunkeln versehentlich auf einen ihrer Corgis gelatscht ist? Sie wissen es nicht. Was sie aber wissen, ist, dass dieses Etwas, das diese grauenhaften Schreie ausstößt, sie zu umkreisen scheint. Viel Zeit zum Nachdenken bleibt nicht, denn plötzlich stürzt sich ein behaartes Monstrum auf Jack und zerfetzt ihn. David nimmt als ersten Impuls geschockt die Beine in die Hand, ändert kurz darauf aber doch seine Meinung, um dem Freund zur Hilfe zu eilen. Zu spät, denn an Jack hat das Biest sich schon abgearbeitet. Gerade als David auf der Menü-Karte steht, unterbricht ein Schuss die Mischung aus panischen Schreien und wildem Knurren. Die Theken-Mannschaft aus dem „Slaughtered Lamb“ hatte wohl doch ein schlechtes Gewissen, die beiden Backpacker schnurstracks in den Tod zu schicken. Gerade noch einmal mit dem Leben davongekommen, wird es dunkel um David…

Als er im Krankenhaus wieder die Augen aufschlägt, erfährt David, dass er drei Wochen weggetreten war. Und dass sein Freund Jack tot ist. Umsorgt wird er von der attraktiven Krankenschwester Alex Price (Jenny Agutter). Während seiner Genesungsphase freunden die beiden sich an. Tatsächlich springt sogar der Funke über. Allerdings schneit noch jemand rein, um sich nach Davids Befinden zu erkunden. Und zwar niemand geringeres als der UNtote Jack! Reichlich zerfleddert erklärt er seinem Freund, dass dieses Biest im Moor ein Werwolf war. Jack müsse nun, so wie das Viech ihn zugerichtet hat, zwischen Leben und Tot umherwandeln, bis die Linie unterbrochen wird. Linie in dem Sinne, dass das Monster, das für das vermeintliche Ableben seines Opfers verantwortlich ist, endgültig gekillt werden muss. Klar, die Guinness-Jockeys aus dem Pub haben den Wolf über den Jordan – beziehungsweise über die Themse – geballert, jedoch überlebte David die Attacke der Kreatur, was ihn – und jetzt kommt der springende Punkt – zum offiziellen Werwolf-Nachfolger macht. Schöne Scheiße… da hat der weggelederte Jack ja tolle Neuigkeiten im Gepäck! Und um diesen Bann zu brechen, soll der irritierte US-Student sich dann auch noch selbst umbringen… im Idealfall vor dem nächsten Vollmond.

Nicht ganz sicher, ob die überraschende Begegnung mit Jack nur eine Spätfolge des Traumas war, David nicht mehr alle am Sender hat oder doch ein Fünkchen Wahrheit in der abenteuerlichen Story steckt, kommt er nach seiner Entlassung in der Wohnung von Alex unter. Soweit geht es ihm gut, nur die lebhaften Albträume, die ihn seit der schockierenden Nacht im Moor heimsuchen, könnten durchaus auf die dritte Theorie hinweisen. Alex bleibt skeptisch. Und David? Tja, bei dem meldet sich so langsam das Tier im Manne…

Das Jahr(hundert) des Werwolfs

Im Horrorfilm-Bereich gab es schon immer Sub-Genres. Monster-Filme, Vampir-Filme, Tier-Horror, Haunted House-Horror, Slasher, Splatter… und so weiter. So auch das Werwolf-Genre, denn dies ist bei weitem keine Erfindung der 80er, sondern fast so alt, wie das Medium Film selbst. Schon 1913 entstand der längst verschollene Stummfilm „The Werewolf“, gedreht von Henry MacRae, von dem alle Kopien 1924 bei einem Feuer auf dem Universal-Gelände vernichtet wurden. Dieser basierte auf einer Kurzgeschichte aus dem Jahr 1898, obwohl die eigentliche Mythologie noch viel, viel weiter zurückreicht. Schon bei den amerikanischen Ureinwohnern gab es Legenden über Gestaltwandler, die ihre äußere Erscheinungsform vom Menschen zum Tier wechselten. 1923 folgte der französische Stummfilm „Le Loup-garou“, gedreht von den Regisseuren Pierre Bressol und Jacques Roullet. Nur zwei Jahre darauf legten die Amerikaner mit „Wolf Blood“ nach, einem weiteren Stummfilm. Weiteren Einfluss hatte der 1933 veröffentlichte Roman „Der Werwolf von Paris“ von Guy Endore.

1935 drehte der Regisseur Stuart Walker den Horrorfilm „Der Werwolf von London“ (OT: „Werewolf of London“) für Universal, die mit ihren ikonischen Horror-Verfilmungen schon seit 1923 für volle Kinosäle sorgten. Der erste Auftritt des ikonischen Wolfsmenschen, hier noch von Schauspieler Henry Hull (1890 – 1977) verkörpert, innerhalb Universals Monster-Kosmos. Die erfolgreichen Fließband-Produktionen bestanden beispielsweise aus „Der Glöckner von Notre Dame“ (1923; OT: „The Hunchback of Notre Dame“), „Das Phantom der Oper“ (1925; OT: „The Phantom Of The Opera“), „Dracula“ (1931), „Frankenstein“ (1931), „Die Mumie“ (1932; „The Mummy“), „Der Unsichtbare“ (1933; OT: „The Invisible Man“), sowie zahlreichen Fortsetzungen und Crossover-Filmen mit anderen Horror-Größen… und sogar einem Aufeinandertreffen mit dem amerikanischen Komiker-Duo Abbot & Costello. Nicht selten griff man dabei auf ein etabliertes Ensemble von Darstellern zurück. So gruselten sich zum Beispiel Bela Lugosi (1882 – 1956), Boris Karloff (1887 – 1969) und Lon Chaney (1883 – 1930) immer wieder durch die Kinosäle. Letzterer hinterließ nach seinem frühen Tod den Sohn Creighton Tull Chaney (1906 – 1973), der als Lon Chaney Jr. in dessen Fußstapfen trat. Chaney Jr. war es auch, der diese tragische Figur ab 1941 in „Der Wolfsmensch“ (OT: „The Wolf Man“) auf der Leinwand verkörperte und nach dessen Erfolg noch mehrmals ins haarige Kostüm schlüpfte. War „Der Werwolf von London“ noch ein Flop an den Kinokassen, änderte sich dies schlagartig mit dem ersten Auftritt von Lon Chaney Jr. in „Der Wolfsmensch“, der quasi die zweite Universal Monster-Welle einläutete und dort nicht nur zum Wolf, sondern auch zur festen Größe mutierte.

1957 schlüpfte sogar der junge Michael Landon (1936 – 1991), den mal wohl am ehesten als Little Joe in „Bonanza“, aus „Unsere kleine Farm“ oder als „Engel auf Erden“ kennt, in „Der Tod hat schwarze Krallen“ (OT: „I Was a Teenage Werewolf“) ins haarige Kostüm. Dieser Film spielte auch eine nicht unerhebliche Rolle in Stephen Kings Meisterwerk „ES“. 1961 stieg die legendäre britische Filmschmiede HAMMER in den Ring und drehte mit Oliver Reed (1938 – 1999; „Landhaus der toten Seelen“, „Die Brut“, „Gladiator“) „Der Fluch von Siniestro“ (OT: „The Curse of the Werewolf“). Auch in den folgenden Jahren wurde es nicht still um die Lykanthropen. Studios und Regisseure aus aller Welt arbeiteten sich auf unterschiedlichste Weise an dem Stoff ab. Allerdings dauerte es bis 1981, bis das Werwolf-Fieber wieder richtig beim Publikum zündete.

Der US-Regisseur John Landis, der 1973 mit „Schlock - Das Bananenmonster“ (von TURBINE als Mediabook veröffentlicht) sein haariges Debüt gab, konnte sich durch die drei Komödien „Kentucky Fried Movie“ (1977), „Ich glaub‘, mich tritt ein Pferd“ (1978; OT: „National Lampoon’s Animal House“) und „Blues Brothers“ (1980) in Hollywoods Top-Liga katapultieren, was es ihm ermöglichte, eine Idee zu realisieren, mit der er schon seit 1969 schwanger ging. Für rund zehn Millionen Dollar realisierte er einen Horrorfilm, wie ihn wohl niemand erwartet hätte. Erste Testvorführungen bewiesen, dass das dortige Publikum mit einer falschen Erwartungshaltung in den Film ging, da das Studio ihn fälschlicherweise als Komödie anpries. Hat man sich erstmal von dem Gedanken verabschiedet, erwartet den Zuschauer ein blutiges Horror-Drama, welches aber durchaus komödiantische Elemente besitzt. Rabenschwarze Elemente. In der deutschen Synchronisation wurde nochmals einer draufgelegt, was sehr gut in die frühen 80er passte, da schon Jahre vorher Filme allein durch ihre flapsige deutsche Vertonung zu Publikumslieblingen avancierten. Man denke nur an die Streifen des Kult-Duos Spencer/Hill, Hal Needhams „Auf dem Highway ist die Hölle los“ (1981; OT: „The Cannonball Run“) oder die erfolgreichen Komödien des Komiker-Genies Louis de Funès. Da wurde bei „American Werewolf“ - dessen Titel sich im Laufe der Jahre auch bei uns in „An American Werewolf in London“ wandelte - aus dem nackten David, der sich nach einer ereignisreichen Nacht in einem Gebüsch im städtischen Zoo versteckt, aus dem „famous balloon thief“ auch schon mal der „große grüne Steinbeißer“. Humorvolle One-Liner und alberne Sprüche (bei der Szene im Porno-Kino, die extra für den Film gedreht wurde, lag ich schreiend auf dem Boden!) gibt es reichlich, jedoch verfälschen diese überraschenderweise zu keiner Zeit den Kern des Films. Landis ist das Kunststück gelungen, einen zeitlosen Genre-Mix zu erschaffen, der auch nach knapp vierzig Jahren noch auf allen Ebenen funktioniert. Allerdings dürfte ihm gleich mehrmals die Kinnlade aus der Verankerung gesprungen sein, als er hörte, dass andere Studios auf eine ähnliche Idee gekommen sind. Somit entstand 1981 nicht nur „An American Werewolf in London“, sondern es erblickten auch „Wolfen“ mit Albert Finney (1936 – 2019; „Mord im Orient-Express“, „Ein ungleiches Paar“, „Erin Brockovich“), die Horror-Komödie „Ein Werwolf beißt sich durch“ (OT: „Full Moon High“) mit Adam Arkin („Ausgerechnet Alaska“, „Chicago Hope“, „Halloween H20“) und inszeniert von Genre-Regisseur Larry Cohen (1936 – 2019; „Die Wiege des Bösen“, „American Monster“, „Stuff“, „The Ambulance“), sowie Joe Dantes „Das Tier“ (OT: „The Howling“) das Licht des Vollmondes. Letzterer, besetzt mit Dee Wallace-Stone („Hügel der blutigen Augen“, „E.T. - Der Außerirdische“, „Cujo“, „Critters“), John Steed-Darsteller Patrick Macnee (1922 – 2015) aus „Mit Schirm, Charme und Melone“ und Dennis Dugan (Regisseur sämtlicher Adam Sandler-Eskapaden) und lose basierend auf dem ersten Roman einer Trilogie von Gary Brandner (1930 – 2013). John Landis‘ Schockstarre dürfte aber nicht allzu lange angehalten haben, da „An American Werewolf in London“ sich mit einem stolzen Einspielergebnis von rund 62 Millionen US-Dollar der Konkurrenz entledigte.

Monstermäßig abgeräumt

Dabei war „Das Tier“ bei weitem kein schlechter Film (was man von seinen unzähligen Fortsetzungen… doch, kann man zählen: Es waren sieben „Howling“-Ableger + ein Machwerk, dass den „Howling“-Stempel nur zu deutschen Marketing-Zwecken aufgedruckt bekam), sondern ging ganz eigene Wege. Trotzdem gibt es etwas, das beide Filme gemeinsam haben: Rick Baker.

Der gebürtige New Yorker ist in Hollywood bestens für sein Creature-Design und aufwändige Make-up-Effekte bekannt. 1973 arbeitete Baker noch als Assistent an William Friedkins Horror-Meisterwerk „Der Exorzist“ - basierend auf dem gleichnamigen Roman von William Peter Blatty -, bevor Larry Cohen ihn für „Die Wiege des Bösen“ anheuerte. Im 70er-Jahre „King Kong“-Remake mit Jeff Bridges und Jessica Lange war Rick Baker neben seiner kreativen Arbeit hinter den Kulissen auch als Darsteller zu sehen. Und zwar als Kong höchstpersönlich! In der Neuverfilmung des 30er-Jahre-Originals, im Jahr 2005, besetzte „Herr der Ringe“- und „Hobbit“-Regisseur Peter Jackson ihn in einer (nicht unbedeutenden) Nebenrolle. Auch im Anfangskapitel der „Krieg der Sterne“-Saga war der Maskenbildner involviert. Damit konnte er schon mit unter 30 Jahren eine beachtliche Vita vorweisen. Doch mit seinem „Werewolf“-Einsatz ging die Karriere erst richtig los. Unglaublich, dass es fast gar nicht dazu gekommen wäre… Regisseur Landis wollte Rick Baker unbedingt an Bord haben und schon lange bevor die Finanzierung des Projekts überhaupt stand, machte man sich Gedanken über die Umsetzung der Spezialeffekte. Baker überzeugte mit großartigen Ideen, die so bisher noch nie realisiert wurden. Als es jedoch still um „An American Werewolf in London“ wurde und Baker annahm, dass das gewagte Vorhaben im Sande verlaufen würde, sagte er einem anderen Projekt zu… Joe Dantes „Das Tier“. Baker fiel aus allen Wolken, als Landis ihn kontaktierte, dass sein Film nun endlich grünes Licht habe. Und Landis fiel aus viel höheren Wolken, als Baker ihm erklärte, dass er seine großartigen Ideen bereits der Konkurrenz präsentiert hätte… was der Regisseur mit einem „YOU BASTARD!“ kommentierte. Baker hielt aber Wort und so übernahm sein geschätzter Kollege Rob Bottin den „Howling“-Posten. Ebenfalls keine schlechte Wahl, denn Bottin machte sich 1982 mit den praktischen Effekten in John Carpenters „The Thing“ (in mehreren Varianten bei TURBINE erschienen) unsterblich. Weiterhin war Bottin für Paul Verhoevens „RoboCop“ (1987), „Total Recall“ (1990) und „Basic Insinct“ (1992) verantwortlich und schon 1985 für die genialen Make-up-Effekte in Ridley Scotts düsterem Fantasy-Märchen „Legende“, was ihm prompt eine Oscar-Nominierung einbrachte. Nichtsdestotrotz hat der 2015 in den Ruhestand getretene Rick Baker die Nase im Oscar-Rennen klar vorn. Ganze sieben Mal konnte er den Goldjungen nach Hause holen. Zum ersten Mal für „An American Werewolf in London“. Somit ist Baker auch der allererste Preisträger in der Best Makeup-Kategorie, die 1981 erst eingeführt wurde. Damit setzte er sich im Debüt-Jahr verdient gegen Effekt-Urgestein Stan Winston (1946 – 2008; „Terminator“, „Aliens - Die Rückkehr“, „Predator“, „Jurassic Park“, „Iron Man“) durch. Landis und Baker arbeiteten nur wenige Jahre später erneut zusammen. John Landis war Regisseur des bahnbrechenden Musik-Videos von Michael Jacksons „Thriller“. Eher ein Kurzfilm, der zudem mit dem Grammy Award ausgezeichnet wurde. Und wer kreierte die Effekte? Natürlich… Rick Baker. Unverwechselbar, wenn man sich im direkten Vergleich die unterschiedlichen Zerfall-Stadien des verlotterten Jack anschaut.

Insgesamt sechs Monate arbeiteten Baker und sein Team an der aufwändigen Transformations-Sequenz, die David Kessler unter sichtbaren Schmerzen in ein blutrünstiges Tier verwandelte. Im Bonusmaterial der vorliegenden Box gibt es dazu haufenweise Hintergrundinformationen, in Form von Interviews, Behind-the-Scenes-Material und ebenfalls in gedruckter Form, denn der Edition liegt außerdem das 100-seitige Buch „Man or Monster“ bei, welches auch reichlich Bildmaterial enthält. Eine besondere Schwierigkeit beim Dreh war, dass die Verwandlung bei voller Beleuchtung stattfand. Es bestand also keine Möglichkeit, Kabel, Schläuche und sonstige Apparaturen durch Schatten zu verdecken. Und, man kann es nicht anders sagen, die Effekte hauen einem heute noch die Haare vom Rücken! So gab es bei Joe Johnstons „The Wolfman“-Remake von 2010 auch keinen Weg vorbei an Rick Baker. Dem Mann, der die praktischen Effekte auf ein ganz neues Level hob und jede künstliche CGI-Schlacht langweilig und generisch aussehen lässt. Schon fast ein Wink des Schicksals, dass Baker für Benicio del Toros Neuinterpretation des 1941er-Wolfsmenschen erneut den Oscar gewann. Der siebte und letzte vor dem wohlverdienten Hollywood-Abgang.

Der vierte Hauptdarsteller

Während Jenny Agutter („Flucht ins 23. Jahrhundert“, „Chucky 2“), die Darstellerin der Krankenschwester Alex Price, die Rolle schon sehr früh im Sack hatte, da sie mit John Landis und dessen Ehefrau, der Autorin und Kostümbildnerin Deborah Nadoolman, befreundet war, gestaltete sich die Suche nach den männlichen Hauptdarstellern etwas schwieriger. Für die Rolle des Jack Goodman sprachen über 200 Bewerber vor, bevor die Wahl auf den 1955 geborenen Griffin Dunne fiel. Zwar halten sich seine Auftritte im Film in Grenzen und er verbrachte deutlich mehr Zeit in der Maske als am Set, dafür dürfte ihm die Rolle einige Türen geöffnet haben. Für die Hauptrolle in Martin Scorseses „Die Zeit nach Mitternacht“ (1985; OT: „After Hours“) wurde er für den Golden Globe nominiert und ist neben seiner Schauspiel-Tätigkeit noch Drehbuchautor (der Kurzfilm „Duke of Grove“ (1996) wurde für einen Oscar nominiert), Produzent („Ein charmantes Ekel“, „Joes Apartment“) und Regisseur („In Sachen Liebe“, „Zauberhafte Schwestern“).

Für die Hauptrolle des David Kessler wollte John Landis unbedingt jemanden, der den Zuschauern sofort sympathisch ist. Man sollte mit ihm leiden, ähnlich wie es bei Lon Chaney Jr. der Fall war, den sich übrigens auch Benicio del Toro im „The Wolfman“-Remake zum Vorbild nahm. Immerhin ist der Werwolf - bei aller Gewalt - eine tragische Figur, die nichts gegen ihren animalischen Instinkt auszurichten vermag. Hier entschied sich Landis für den damals knapp dreißigjährigen David Naughton, der ihm singend und tanzend in den Werbespots der Zucker-Plörre Dr. Pepper auffiel. Auch im Nachhinein betrachtet eine sehr gute Wahl, denn Naughton stemmt die Rolle mit Charme und lockerem Witz. Nicht selbstverständlich, denn damals war er noch recht frisch im Filmgeschäft. Ein Jahr vor „An American Werewolf in London“ drehte er nur die Disney-Produktion „Midnight Madness: Ein ausgeflippter Haufen“. Dort stand er mit dem blutjungen Michael J. Fox („Zurück in die Zukunft“, „Teen Wolf“, „Das Geheimnis meines Erfolges“) vor der Kamera, der dort dessen kleinen Bruder verkörperte. Die große Hollywood-Karriere blieb ihm im Gegensatz zu Fox allerdings verwehrt. 2017 verirrte sich David Naughton sogar in den fünften Krampf der trashigen „Sharknado“-Reihe. Dann doch lieber Werwölfe…

Eine weitere große Rolle kommt keiner Schauspielerin oder keinem Schauspieler zu… nein, auch nicht dem Wölfchen…, sondern einer ganzen Stadt! London. Die englische Hauptstadt bietet nämlich die perfekte Kulisse. Angefangen von der nächtlichen Hatz durch die schlauchigen Gänge einer verlassenen U-Bahn-Station, bis zum großen Finale am belebten Piccadilly Circus. Es passt einfach perfekt. Dafür musste der öffentliche Platz, der quasi rund um die Uhr ein Knotenpunkt in der Großstadt ist, natürlich gesperrt werden. Dazu brauchte es schon etwas Überredungskunst, um die Behörden zum Einlenken zu bewegen. Es war sicherlich förderlich, dass Regisseur Landis dank „Blues Brothers“ schon Erfahrung mit Drehs in der Öffentlichkeit sammeln konnte. Schließlich ließ er John Belushi und Dan Aykroyd halb Chicago auf Links drehen. Das Produktionsteam bekam zwei Nächte für die geplanten Aufnahmen. Und die Auflage, dass die Straßen schnell wieder befahrbar sein mussten. So wurden die Abläufe im Vorfeld haargenau auf einem abgesperrten Gelände einstudiert. Jeder Handgriff musste sitzen und es wurde mit mehreren Kameras aus allen möglichen Blickwinkeln gedreht. Der Plan ging auf und der Löwenanteil konnte vor Ort fertiggestellt werden. Für den Rest baute man Teile der Straße an anderer Stelle nach, was im Film nicht sichtbar auffällt. Auch hier gibt es im Bonusmaterial reichlich bewegte Bilder vom Dreh zu sehen.

„I see the bad moon arisin‘…“

Es gibt Songs, die verbindet man unweigerlich mit einem Film. Oder umgekehrt. Man denke nur an den Party-Spalter „(I’ve Had) The Time of My Life“, aus dem Soundtrack zur Schunkel-Schmonzette „Dirty Dancing“, bei dem Patrick Swayze seine Partnerin Jennifer Grey quer übers Parkett peitschte. Oder die „Unchained Melody“, zu der sich (schon wieder) Swayze, diesmal allerdings mit Demi Moore, halbnackelig im Töpfern übte. Die rebellische Nachsitz-Hyme „Don’t You (Forget About Me)“. Steppenwolfs Moped-Sonate „Born to Be Wild“. Dann Celine Dion, die in höchsten Tönen im Alleingang die „Titanic“ crashte. Simon & Garfunkel, die musikalisch mit „Mrs. Robinson“ in die Kiste hüpften. Und Whitney Housten. Die sang ihren armen „Bodyguard“ Kevin in den vorzeitigen Ruhestand. Ja, die Liste ist lang… und hier reiht sich auch die kalifornische Rockband Creedence Clearwater Revival ein, bei deren Aussprache sich schon so mancher die Zunge abgebissen hat (nennen wir sie der Einfachheit halber CCR, bevor ich mir die Finger breche…). CCRs Karriere lag zum Kinostart von „An American Werewolf in London“ zwar schon lange auf Eis, da die Band um Sänger John Fogerty sich bereits 1972 auflöste, jedoch gehören ihre größten Hits noch heute zum festen Line-up zahlreicher Radio-Stationen. Neben „Fortunate Son“, „Proud Mary“ und „Down On The Corner“ ist „Bad Moon Rising“ wohl eines der bekanntesten Werke von CCR. Dazu mag auch Landis‘ eigenwilliger Mix aus Horror und Komödie beigetragen haben, denn thematisch passt „Bad Moon Rising“ wie der Reißzahn in die Halsschlagader.

Umso bedauerlicher, dass der Evergreen-Hit nicht auf der Soundtrack-CD enthalten ist, die der ansonsten randvoll gepackten Box von TURBINE beiliegt. Genauer gesagt handelt es sich eigentlich um den Score von Komponist Elmer Bernstein (1922 – 2004; „Die glorreichen Sieben“, „Die Glücksritter“). Dafür ist der Song „Blue Moon“ allerdings gleich dreifach vertreten. Interpretiert von Bobby Vinton, Sam Cooke und The Marcels. Sam Cookes Version untermalt auch die erste Verwandlung von David, womit sich Regisseur John Landis gegen Bernstein durchsetzte. Diesem wurde zwar schon während der Aufnahmen für den Film mitgeteilt, dass man unbedingt „Blue Moon“ für diese tragende Stelle wollte, jedoch war die Rechtslage noch nicht geklärt. Er komponierte trotzdem, obwohl ihm wenig Hoffnung auf Verwendung eingeräumt wurde. So kam es dann auch, dass Sam Cooke während der bahnbrechenden Transformation in Alex‘ Wohnzimmer zur Untermalung lief… und nicht Bernsteins orchestraler Score, der während der Aufnahme zu spontanem Jubel aller Anwesenden führte, da er die Szene perfekt einzufangen schien. Man kann also nur mutmaßen, wie Bild und Ton in Bernsteins Vision dieser Szene harmoniert hätten. Nur ist es nun mal so, dass der Regisseur den Ton angibt. Zumindest war es früher so, bevor die Studios wegen jedem Furz reingrätschten… Aber ganz ehrlich, zwei Versionen von „Blue Moon“ hätten es wohl auch getan.

Für den großen Hunger…

Entgegen aller bisherigen Veröffentlichungen, bügelt mir die „4-Disc-Ultimate-Edition“ alle Falten aus dem Pelz! Nicht nur die 4K-Scheibe (mit HDR) sieht fantastisch aus, sondern auch die Blu-ray-Variante. Diese wurde ebenfalls restauriert, genau so wie der Ton. Für die „legendäre“ Telefonzellen-Szene, die inhaltlich nicht wirklich viel beiträgt, da David nur mit seiner Schwester in den Staaten telefoniert und sich eigentlich von seinen Eltern verabschieden will, die den Rest der Handlung allerdings auch schon durch Abwesenheit glänzten (Euer Sohn ging beinahe drauf und lag drei Wochen im Koma… was ist los mit Euch!?), wurde nochmals Davids Original-Synchronsprecher ins Studio geholt. Lange Zeit wurde dem Heimkino-Publikum diese Szene gänzlich vorenthalten. Nun hat man dieses fehlende Stück erstmalig mit Norbert Langers Stimme wieder homogen hinzugefügt. Langer werden viele noch als deutsche Stimme von Tom „Magnum“ Selleck kennen… oder von den EUROPA-Hörspielen zu „Masters of the Universe“, wo er Prinz Adam/He-Man seine markante Stimme lieh.

Die üppig ausgestattete Box von TURBINE, die sich mit ihren Maßen bei den Veröffentlichungen von „The Thing“ oder neben der „ultimativen WiXX-BoXX“ einreiht, erschien in zwei Varianten. Die erste, limitiert auf 2.626 Exemplare, verfügt über ein Box-Artwork des Künstlers Grzegorz „Gabz“ Domaradzki. Ein geniales Design, dem das zweite jedoch in nichts nachsteht. Die rote Box gestaltete Scott Woolston. Diese ist auf begrenzt auf 1.313 Einheiten. Aktuell dürfte es schon schwer werden, eine dieser Editionen zu ergattern, da die Fans sich regelrecht zähnefletschend auf die begehrte Beute gestürzt haben. Und das aus vollkommen verständlichen Gründen. Es ist allerdings keine große Überraschung, dass TURBINE bald nachlegen möchte. Verpackungsmöglichkeiten gibt es noch genug und ich bin mir sicher, dass kein Werwolf-Freund komplett leer ausgehen wird. Zwar wird man dann bestimmt auf die beigelegten Gimmicks verzichten müssen, was aber nur ein kleiner Wehrmutstropfen sein dürfte. Das eigentliche Highlight bleibt nämlich die hervorragende Qualität, die man bei TURBINE aus einem fast vierzig Jahre altem Film herausgeholt hat.

Neben den vier Discs, die aus dem Hauptfilm (4K-UHD & Blu-ray) sowie einer Bonus-Blu-ray bestehen, gibt es den schon angesprochenen Score auf CD, das ebenfalls angesprochene Buch „Man or Monster“, vier Bierdeckel mit dem „The Slaughtered Lamb“-Logo, einen „Beware the Moon“-Sticker im Design des Londoner U-Bahn-Logos, sieben Artcards, die unter anderem verschiedene Kinoplakate zeigen, und ein doppelseitiges Poster. Die drei Discs zum Film sind dabei in einem DigiPak im Schuber untergebracht. Fan-Herz, was willst du mehr…?

Fazit:

Man kann getrost sagen, dass „An American Werewolf in London“ nie besser aussah. Den bisherigen Veröffentlichungen ist das TURBINE-Release gleich mehrere Wolfslängen voraus. Das 4K-Bild ist perfekt! Nicht totgefiltert, nicht bis zum Erbrechen überschärft, nicht zugrunde gefärbt. Dagegen wirkt die bisherige Blu-ray wie der letzte Fraß und es würde nicht verwundern, wenn sich die dortigen Daten vor Scham selber von der Disc radieren. Auch die englischen Kollegen von ARROW dürften neidlos anerkennen, dass hiermit die wohl weltweit beste Veröffentlichung des Horror-Klassikers vorliegt. Die mehr als umfangreichen Extras, die liebevoll gestalteten Beilagen und die hochwertige Qualität der Box dürften der Konkurrenz dann den Rest geben. Das „Ultimate“ in dieser Edition ist fast schon eine Untertreibung.

Wertung: 10  (Film: 9 |  Edition: 10)

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Technische Daten:

4K-UHD:
Video: 1.85:1 (2160p24 4K Ultra-HD) mit HDR
Audio: Deutsch & Englisch DTS-HD MA 5.1 & 2.0 Mono

Blu-ray:
Video: 1.85:1 (1080p24 Full HD)
Audio: Deutsch & Englisch DTS-HD MA 5.1 & 2.0 Mono

Untertitel: Hauptfilm: Deutsch & Englisch / Bonusmaterial & Audiokommentare mit optionalen deutschen & englischen Untertiteln

Laufzeit: ca. 97 Minuten + ca. 260 Minuten Bonusmaterial
(Das Bonusmaterial ist auf der Bonus-Blu-ray enthalten.)

Ausstattung:
Neue Features & Interviews (HD)

  • Das Vermächtnis der Bestie (ca. 77 Min.)
  • Artefakte des American Werewolf (ca. 8 Min.)
  • Das Geheimnis des Werwolfs (ca. 11 Min.)
  • Soryboard-Filmvergleich der Verwandlung (ca. 3 Min.)
  • American Werewolf in Bobs Keller (ca. 4 Min.)
  • Piccadilly Circus – damals und heute (ca. 7 Min.)
  • Ein amerikanischer Regisseur in London (ca. 12 Min.)
  • Der Ruf des Werwolfs (ca. 12 Min.)

Archiv (SD)

  • Fürchte den Mond (ca. 98 Min.)
  • Fear on Film – Gespräch mit John Landis, John Carpenter & David Cronenberg (ca. 26 Min.)
  • Post Mortem – Talk mit John Landis (HD, ca. 35 Min)
  • Interview mit John Landis (ca. 18 Min.)
  • Interview mit David Naughton (ca. 13 Min.)
  • Rick Baker über die Universal-Monster (ca. 8 Min.)
  • Making an American Werewolf (ca. 5 Min.)
  • Monster Maker Rick Baker (ca. 11 Min.)
  • Trailer-Show (HD, ca. 11 Min.)

2 Audiokommentare mit den Hauptdarstellern und „American Werewolf“-Experte Paul Davis.

 

Fotos: © Turbine Medien GmbH

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