Film:
Crawl

Film-Kritik von Michael Drewniok / Titel-Motiv: © PARAMOUNT PICTURES

Zuschnappen und nicht mehr loslassen

Beth meldet sich bei ihrer Schwester Haley: Vater Dave Keller ist telefonisch nicht zu erreichen, was die Tochter besonders beunruhigt, da gerade ein Hurrikan der Kategorie 5 auf den US-Staat Florida zusteuert. Haley erklärt sich bereit nach dem Vater zu sehen, obwohl sie mit ihm zerstritten ist, seit die Ehe der Eltern zerbrach.

Da sie Dave nicht in seiner Wohnung findet, vermutet sie ihn im ehemaligen Elternhaus, das der Vater eigentlich verkaufen wollte. Es steht in Coral Lake und ist dem Sturm erst recht ausgesetzt. Haley kommt durch, sucht und findet ihren Vater: Er liegt schwerverletzt und bewusstlos im Kriechkeller unter dem Haus. Vor dem Sturm wollte er dort einige Rohre sichern, als ein gewaltiger Alligator durch die wassergeschädigte Kellerwand brach und ihn attackierte. Schwerverletzt rettete Dave sich in eine Ecke, in die ihm das Tier nicht folgen kann.

Nachdem die Echse auch Haley fast erwischt hat, kann sie Dave zwar wecken. Die Rettung scheitert jedoch, weil ein zweiter Alligator im Keller auftaucht: Vater und Tochter sitzen in der Falle. Der Sturm nimmt an Stärke zu und treibt Meereswasser aufs Land. Rasch füllt sich der Keller, sodass Dave und Haley ihren Schlupfwinkel verlassen müssen, um nicht zu ertrinken.

Doch die beiden Echsen sind wachsam und vereiteln jeden Ausbruchsversuch. Schlimmer noch: Das steigende Wasser sorgt für die Ankunft weiterer Alligatoren, die um und im Haus nach Beute suchen. Vater und Tochter wollen sich den gefräßigen Ungetümen auf keinen Fall ergeben, aber ihr verzweifelter Fluchtplan weist Lücken auf - und in nicht gar zu weiter Ferne droht jener Damm zu brechen, der Coral Lake bisher davor schützte, gänzlich vom Meer verschlungen zu werden …

In der Falle, aber nicht am Ende

Es ist die vielleicht elementarste, auf jeden Fall aber die simpelste Ausgangsidee für eine spannende Geschichte: Auf der einen Seite sitzt der Mensch in der Falle, auf der anderen lauert die Bestie. Sie ist groß und stark, allgegenwärtig und übermächtig, während ihr Opfer nur mit einem Pfund wuchern kann: Der Mensch ist intelligent. Das hat ihn einst aus der Höhle gebracht, und im Bedarfsfall kann er die ursprüngliche Schläue reaktivieren, um wider alle Wahrscheinlichkeit zu obsiegen

Man kann sagen, dass die Spannung, die eine solche Konfrontation schürt, angeboren ist. Deshalb sind einschlägige Geschichten in allen bekannten Medien nicht nur zahlreich, sondern immer wieder interessant. Werden sie so gut erzählt wie von Alexandre Aja, hört man sie erst recht gern.

Dabei waren die Erwartungen gedämpft. Zwar hat Aja mindestens zwei zu modernen Klassikern aufgestiegene Filme inszeniert („High Tension“, 2003, und „The Hills Have Eyes“, 2006), aber er ist auch verantwortlich für den nur unfreiwillig erschreckenden, weil misslungenen „Piranha 3D“ (2010). Da es dort wie hier (= „Crawl“) um Wassertiere geht, die über Menschen herfallen, war das Misstrauen groß. Doch Aja scheint sich Gedanken darüber gemacht zu haben, wie er es besser machen könnte - und „Crawl“ ist das erfreuliche Ergebnis.

Spannung ohne Augenzwinkern

Obwohl Wes Craven das phantastische Kino mit vielen gelungenen Werken bereichert hat, muss man ihn gleichzeitig dafür verantwortlich machen, den Horror allzu erfolgreich mit dem Humor gekreuzt zu haben. Spätestens „Scream“ (1994) sorgte für eine wahre Lawine grusel-komischer Kopf-ab-Filme, die in den meisten Fällen nicht witzig und höchstens gruselig aufgrund ihrer miserablen Machart waren. Mit „Piranha 3D“ hatte Alexandre Aja wie gesagt selbst an der Plump-Klamauk-Schraube gedreht.

Mit „Crawl“ kehrt er auf den klassischen Weg zurück. Zwar gibt es komische Zwischenspiele, die sich jedoch aus dem Zusammenhang ergeben, statt der Handlung ebenso offensichtlich wie logikfrei aufgepfropft zu werden. Natürlich wird „Crawl“ dadurch nicht zu einer Dokumentation. Weiterhin siegt die Spannung über die Plausibilität, doch das ist das Privileg des Spielfilms und wird gern in Kauf genommen, solange es im Rahmen der erzählten Geschichte plausibel wirkt.

Also wundert oder ärgert man sich nicht über Alligatoren, die sämtlich riesig, wieselflink und hinterlistig-schlau sind sowie offenbar in ihren Sümpfen nur auf eine Flut gewartet haben, um kollektiv eine Menschensiedlung zu terrorisieren. Stattdessen freut man sich, dass die künstlich als Modell gestalteten bzw. digital existierenden Echsen so lebensecht geraten sind. Die Zeiten, als brettsteife CGI-Haie nicht für Schrecken, sondern für Gelächter sorgten („Deep Blue Sea“, 1999), sind endgültig und gottseidank vorbei!

Kleine Ursache - große Wirkung

Überhaupt ist „Crawl“ ein Festival der Schauwerte. Wenn man weiß, dass ein Budget von gerade 13,5 Mio. Dollar zur Verfügung stand, wundert dies noch mehr. („Coral Lake“ entstand in Serbien, wo man kostengünstig drehen konnte, ohne Zugeständnisse in Sachen Umsetzungsqualität machen zu müssen.) Nicht nur die Alligatoren, sondern auch die Kulissen und Spezialeffekte beeindrucken. Wasser ist schwer zu kontrollieren, aber richtig eingesetzt ist es mindestens so erschreckend wie hungrige Panzerechsen. Der Kriechkeller, das Haus darüber, eine benachbarte Tankstelle - man denkt nicht darüber nach, wie eingeschränkt das Blickfeld eigentlich ist, weil dies geschickt ins Drehbuch eingearbeitet ist: Dave und Haley können auch nicht weiter sehen!

Die Kulissen werden zu wunderbaren Spielplätzen. Kameramann Maxime Alexandre ist überaus erfindungsreich, wenn es gilt, diese gleichzeitig abzubilden und zu verdecken, um Alligator-Attacken aus jedem Bildwinkel zu ermöglichen. Ähnlich souverän vermeidet Aja (unterstützt durch das Drehbuch-Duo Michael u. Shawn Rasmussen) einen weiteren Stolperdraht, der sich durch viel zu viele grundsätzlich spannende Filme zieht: Er konzentriert sich auf die Story, d. h. auf den Überlebenskampf von Haley und Dave. Der geht über zahlreiche Runden und lässt nur wenige Pausen, in denen - auch Aja ist nicht perfekt - hollywoodtypisch Vater-Tochter-Probleme besprochen und aufgearbeitet werden. Glücklicherweise unterbricht dann eine weitere Katastrophe diese unnötigen Bremstritte.

Mit seinen Darstellern gelang Aja sein Meisterstück. Kaya Scodelario und Barry Pepper sind keine „Stars“, sondern kompetente Schauspieler, die in ihren Rollen aufgehen. In einem Horrorfilm muss man sich oft damit trösten, dass die Effekte faszinieren, während die Darsteller primär anwesend sind. Scodelario und Pepper SIND Haley und Dave, die ebenso erfindungsreich wie stur verhindern wollen, in den Mägen „erbsenhirniger Echsen“ (Dave) zu enden. Vor allem Scodelario zeigt sowohl schauspielerischen als auch körperlichen Höchsteinsatz. Sie muss schwimmen, tauchen, im Dreck kriechen - und kämpfen, ohne dabei vom ‚Mädchen‘ zur Kampfmaschine zu mutieren: Haley ist es gewohnt sich durchzusetzen; Aja hat es uns in einer kurzen, schlüssigen Einleitung gezeigt.

Wo gehobelt wird …

In diesem Kampf wird keinerlei Pardon gegeben. „Crawl“ weist vergleichsweise wenige, aber drastische Gewaltspitzen auf. Sie sind kein Selbstzweck, sondern entwickeln sich schlüssig aus dem Geschehen. Zweimal verlässt die Handlung den Keller und blendet nach draußen um: Dort tauchen Menschen = scheinbare Retter auf, die jedoch zwischen den Kiefern der Alligatoren enden und auf diese Weise deren Präsenz unterstreichen.

Nie gerät in Vergessenheit, dass es um Leben und Tod geht. Haley und Dave werden (buchstäblich) gebeutelt, gebissen oder anderweitig malträtiert. Jeden Schritt zur Rettung müssen sie sich erkämpfen, und immer wieder gibt es Rückschläge, die zumindest uns Zuschauer erfreuen, weil wir Überraschungen lieben, wenn wir selbst das Geschehen gemütlich und außer Gefahr verfolgen können.

Auf diese Weise wird „Crawl“ zum Musterbeispiel eines gelungenen B-Movies: handlungskonzentriert, kompetent besetzt, handwerklich sauber umgesetzt, kaum bedeutungsschwangerer Subtext. Sogar für einen tauglichen Score war noch Geld da. Nach 87 spannenden Minuten ist die Geschichte erzählt. Einen rührseligen Epilog erspart Aja seinen Figuren und uns Zuschauern. Wir sind erfreut über zeitloses Grusel-Futter, das auch eine wiederholte Sichtung eindeutig verdient.

CRAWL

  • Originaltitel: Crawl (USA/Kanada 2019)
  • Regie: Alexandre Aja
  • Drehbuch: Michael u. Shawn Rasmussen
  • Kamera: Maxime Alexandre
  • Schnitt: Elliot Greenberg
  • Musik: Max Aruj u. Steffen Thum
  • Darsteller: Kaya Scodelario (Haley Keller), Barry Pepper (Dave Keller), Ross Anderson (Wayne Taylor), Jose Palma (Pete), Anson Boon (Stan), George Somner (Marv), Ami Metcalf (Lee), Morfydd Clark (Beth), Tina Pribicevic (Haley als Kind) u. a.
  • Label/Vertrieb: Paramount Home Entertainment/Universal Pictures Home Entertainment
  • Erscheinungsdatum: 19.12.2019
  • Bildformat: 16 : 9 (2,35 : 1, anamorph)
  • Audio: Dolby Digital 5.1 (Deutsch, Englisch, Ungarisch, Polnisch, Tschechisch)/DVD bzw. DTS-HD MA 5.1 (Deutsch), DTS-HD MA 7.1 (Englisch), Dolby Digital 5.1 (Französisch, Italienisch, Polnisch, Russisch, Spanisch, Tschechisch, Türkisch, Ungarisch)/Blu-ray Untertitel: Deutsch, Arabisch, Dänisch, Englisch für Hörgeschädigte, Finnisch, Französisch, Griechisch, Isländisch, Italienisch, Niederländisch, Norwegisch, Polnisch, Portugiesisch, Rumänisch, Russisch, Schwedisch, Slowakisch, Spanisch, Tschechisch, Türkisch, Ungarisch (DVD u. Blu-ray) DVD-Typ: 1 x DVD-9 (Regionalcode: 2)
  • Länge: 85 min. (DVD)/87 min. (Blu-ray)
  • FSK: 16

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