Fall

Film-Kritik von Michael Drewniok

Schrecklich weiter Weg nach unten

Becky, Ehemann Dan und die gemeinsame Busenfreundin Shiloh haben als Trio wagemutig möglichst steile und hohe Felswände erklommen, bis Dan vor einem Jahr vor den Augen der beiden Frauen abstürzte. Seither vergräbt sich die deprimierte Becky daheim, säuft und bewahrt die Asche des Gatten wie eine Reliquie auf. Vater James dringt nicht durch zur Tochter, die im Elend gefangen ist, und alarmiert Shiloh, die seit und trotz des Unfalls das riskante Klettern nicht aufgegeben, sondern den Einsatz weiter erhöht hat: Shiloh plant die (natürlich illegale) Besteigung eines längst aufgegebenen Funk- und Fernsehturms, der sich mehr als 600 Meter über die kalifornische Mojave-Wüste erhebt.

Von der Turmspitze soll Becky Dans Asche verstreuen - ein Plan, der sie aus ihrer Starre reißt. Shiloh wird den Aufstieg für ihren Internet-Blog filmen und freut sich auf viel Aufmerksamkeit, denn vor den beiden Frauen hat noch niemand den Turm bestiegen. Das hat seinen Grund, denn selbst in der Szene der notorisch waghalsigen „Roofer“, die normalerweise alles erklettern, was spektakulär hoch ist, kennt man den maroden Zustand des längst nicht mehr gewarteten, verrosteten Turms. Shiloh ignoriert die Gefahr, Becky will nicht kneifen. Also steigen sie auf, lassen Dans Asche verwehen, sind tief gerührt und wollen dann wieder nach unten.

Doch die morsche Leiter gibt nach. Shiloh kann die angeseilte Becky zwar retten, aber nun sitzen die beiden Frauen auf der Spitze des Turms fest. Niemand weiß von ihrem Vorhaben, kann sie sehen oder hören. Es gibt keinen Handy-Empfang, das Duo ist auf Eigeninitiative angewiesen. Die Wüstenhitze macht ihnen zu schaffen, Geier und Bussarde attackieren sie. Becky ist verletzt; die Wunde entzündet sich und schwächt sie zusätzlich. Da die Turmplattform winzig ist, will jede Bewegung gut durchdacht sein. Man ist im Kampf ums Überleben aufeinander angewiesen, doch gerade jetzt erfährt Becky von einem Geheimnis, das sie keineswegs zur Kooperation inspiriert …

Hoch hinaus, dann tiefe Reue

Eine winzige Plattform, darauf zwei junge Frauen, ansonsten nur ein Fernglas und eine Leuchtpistole: Das klingt erst einmal nicht nach einer Kulisse, in der mehr als anderthalb Film-Stunden spannend verstreichen können. Aber nur ein Detail muss geändert werden, um das Beobachtungsinteresse augenblicklich aufwallen zu lassen: Besagte Plattform befindet sich auf einer Höhe von mehr als 600 Metern. Außerdem ist die ohnehin rostbröckelige Leiter verschwunden.

Wie kommen Becky und Shiloh wieder hinab auf die sichere Erdoberfläche, ohne den kürzesten Weg im freien Fall nehmen zu müssen? Aussitzen können sie das Problem nicht, wie bald feststeht: Es ist heiß, Windböen drohen die Frauen von ihrer Plattform zu reißen, Wasser haben sie nicht dabei, und hungrige Bussarde und Geier umkreisen sie zusehends dichter. Becky ist zudem verletzt. Man muss sich also etwas einfallen lassen, wobei feststeht, dass jede Entscheidung lebensgefährliche Aktionen nach sich ziehen wird.

Sobald Becky und Shiloh ihre luftige Klippe erreicht haben, wird und bleibt es spannend. Bis es soweit ist, müssen wir Zuschauer freilich allerlei Anlaufzeit überbrücken. Aus Hollywood-Sicht ist es unmöglich um Darsteller zu bangen, die dem Publikum nicht ausführlich vorgestellt wurden. Also gibt es eine ‚dramatische‘ Vorgeschichte, der zusätzlich ein brisantes Element beigemischt wurde, das sich nicht zwangsläufig auf dem wackligen Turm entfalten müsste, aber dort eine ‚erregende‘ Aussprache provoziert, die beide Frauen hormon- (und klischee-) ihre Situation vergessen lässt.

Kampf um Aufmerksamkeit und Leben

Solche Szenen kennen erfahrene Zuschauer: Action ist teuer, Reden füllt deutlich kostengünstiger Film-Zeit. Dabei ist es faktisch uninteressant, wieso unsere beiden Hauptdarstellerinnen in den Himmel kraxeln. Wirklich interessant wird es wie gesagt, sobald sie dort angekommen sind und festhängen. Nach und nach geraten die ungelösten Probleme aus dem ‚normalen Leben‘ ohnehin (und endlich) in den Hintergrund, während Durst und Sonnenbrand eine Kette immer ernsthafterer Lebensgefahren begleiten.

Nicht jede Turm-Szene ist inhaltlich gelungen, aber eines ist dank der Mischung aus traditioneller und moderner Tricktechnik gewährleistet: Die enorme Höhe bleibt keineswegs Illusion, sondern verursacht zumindest dem nicht schwindelfreien Teil des Publikums echtes Unbehagen. Schon in den 1920er Jahren war jener Trick bekannt, der für den Eindruck von Abgründigkeit sorgt, wenn man die von Schauspielern belebte Kulisse auf eine sowieso existierende Höhe setzt - ein Hochhaus (wie im Harold-Lloyd-Klassiker „Safety Last!“/„Ausgerechnet Wolkenkratzer“ von 1923), oder eben ein Hügel in der Mojave-Wüste. Scott Mann krönte ihn mit einer 10-Meter-Konstruktion. Sie stellt das Oberteil des Turms dar, auf dem Grace Caroline Currey und Virginia Gardner kauern konnten, ohne ständig in Extrem-Höhenängsten zu schweben.

Wenn die Kamera die untere Kante des tarnenden Fundaments ignoriert, stellt sich also der gewünschte Effekt ein, ohne die Darsteller tatsächlich in die Höhe zu treiben. Es funktioniert auch hier, zumal sich Kameramann MacGregor auch sonst Mühe gibt dem Filmtitel visuell gerecht zu werden und nur selten auf (bedingt überzeugende) CGI-Technik zurückgreift. Seine Arbeit ist deutlich hochwertiger anzusetzen als die des Drehbuch-Duos Mann & Frank, die besser beraten gewesen wären, die erwähnte Vorgeschichte zugunsten der Turm-Sequenzen zu kürzen. Schwerer wiegt freilich die Entscheidung, den wichtigsten Twist aus dem Unterwasser-Abenteuer „47 Meters Down“ (2016) zu ‚übernehmen‘; auch sonst bedienen sich Mann & Frank ein wenig zu dreist des Drehbuchs dieses Films. (Der Prolog erinnert dagegen verdächtig an „Vertical Limit“ von 2000.)

Die Allgegenwart der meist ignorierten Schwerkraft

„Fall“ gehört nicht zu jenen Filmen, die intensives Schauspiel benötigen. Der Abgrund sorgt zuverlässig für Aufmerksamkeit, was sich bestätigt, sobald sie nachlässt, weil wieder einmal die bereits erwähnte Aufarbeitung emotionaler Probleme einsetzt. Bis dies erledigt ist, hält sich der Turm mit weiteren Zusammenbrüchen zurück. Grace Caroline Currey und Virginia Gardner stellen körperliche Fitness zur Schau, während sie auf dem Rosteisenspargel herumturnen, der zwar einem echten Funkturm nachempfunden, aber ‚umgerüstet‘ wurde, um diverse Spannungsszenen zu ermöglichen; so ist es absolut lächerlich, dass Turm B67 nur mit kümmerlichen drei Drahtseilen am Boden verankert ist, wodurch sich aber die Umsturztendenz unterstreichen lässt. Ebenfalls der Dramaturgie geschuldet ist ein letztes Turmstück, dessen Leiterteil möglichst exponiert ist, statt von einem Käfiggitter ummantelt zu werden.

Auch sonst gibt das Drehbuch dem Effekt stets einen Vorsprung vor der Logik. Geier sind keine Killer-Vögel, bei Sturm würden die Schwankungen des 600-Meter-Stahlrohrs die beiden Frauen buchstäblich von der Plattform schütteln, und ein Handy bleibt ganz sicher nicht ausgerechnet auf der Spitze eines Turms ohne Empfang! Ebenfalls sinnfrei ist der Kurzauftritt des Schauspielers Jeffrey Dean Morgen, der Beckys gramzerfurchten Vater mimt - eine Nullprofil-Rolle, die an den derzeit prominenten Schauspieler („Negan“ aus „The Walking Dead“) ging, mit dessen Namen man auf dem Filmplakat Eindruck schinden will.

So ist es einmal mehr die Beschwörung einer menschlichen Urangst, die eine weder stringent spannende noch logiklückenfreie Story über die Runden bringt und manche Holzhammer-Symbolik (Stichwort dreivierteltote Ziege) verzeiht - dies immerhin phasenweise so eindringlich, dass einem der Atem stockt!

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Bilder: © EuroVideo Medien GmbH

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