Love and Monsters

Film-Kritik von Michael Drewniok / Titel-Motiv: © Paramount Players, a Division of Paramount Pictures

Junge Liebe im Reich der Ungeziefer-Monster

Vor sieben Jahren drohte ein gewaltiger Meteorit die Erde zu treffen. Durch den Abschuss zahlreicher Atomraketen konnte er zerstört werden, doch diesem Erfolg folgte ein radioaktives Nachspiel: Der Fallout der Bomben gelangte in die Erdatmosphäre. Weltweit wurde die DNA von Insekten, Würmern, Schnecken, Krebstieren, Spinnen und Amphibien so verändert, dass diese Kleintiere zu gigantischen, kaum umzubringenden Ungeheuern mutierten. Inzwischen sind 95% der Menschheit ausgelöscht, die wenigen Überlebenden verkriechen sich in Bunkern, wo sie sich weiterhin gegen die Attacken der oft unterirdisch hausenden Kreaturen zur Wehr setzen müssen.

Vor sieben Jahren waren Joel und Aimee frisch und schwer verliebt. Die Katastrophe hat sie getrennt, aber der romantische Joel hoffte stets auf ein Wiedersehen. Tatsächlich konnte auch Aimee überleben. Vor einigen Wochen kam per Funk der Kontakt mit ‚ihrer‘ Kolonie zustande, was Joel in höchste Aufregung versetzt: Er will Aimee unbedingt wiedersehen!

Die lebt allerdings 140 Kilometer entfernt - eine Strecke, die Joel oberirdisch zurücklegen müsste. Seit sieben Jahren hat er den Bunker nicht mehr verlassen. Mit Waffen kann er nicht umgehen, und in der Krise erstarrt er zur Salzsäule. Trotzdem treibt ihn die Liebe an die Oberfläche. Notdürftig mit einer Armbrust ‚bewaffnet‘ macht er sich auf den Weg.

Nur seine flinken Beine und viel Glück helfen dem naiven Jüngling über erste Begegnungen mit der grotesken Fauna dieser neuen Welt hinweg. Er stößt auf den Hund Boy, der sich ihm anschließt. Aus einer beinahe tödlichen Falle retten ihn Clyde und Minnow, die sich in die weit entfernten Berge des Nordens aufgemacht haben: Dort soll die Kälte die meisten Monster fernhalten. Das Duo erteilt Joel einen Crashkurs in Sachen Überleben, und dieses Wissen hilft ihm auf seiner Tour.

Das schreckliche, herrliche, witzige Ende der Welt

„Liebe“ und „Monster“ und eine Film-Freigabe für Zuschauer ab 12 Jahre? Diese Kombination weist darauf hin, dass wir es hier mit einem Spektakel „für die Jugend“ zu tun haben. In der Tat finden sich sämtliche diesbezüglichen Merkmale, die man durchaus als „Klischees“ bezeichnen darf - dies ganz besonders, wenn sie trotz freundlich-ironischer Verpackung so ungebrochen daherkommen wie in diesem Film.

Folgerichtig ist Joel Dawson nicht nur die Hauptfigur, sondern dient auch - bzw. vor allem - als Kristallisationspunkt bestimmter Werte, die sich in seiner Person bündeln sollen. Die Reise zu Aimees Kolonie wird in diesem Rahmen zu einer „Coming-of-Age“-Story. Der anfangs betont naive, ungeschickte, ängstliche Joel, dem seine Bunker-Genossen zu Recht nicht zutrauen, sich den Monstern der Oberwelt zu stellen, lernt und reift und wächst schließlich über sich selbst hinaus - dies mit jener stakkatohaften Eile, die ein Film mit beschränkter Länge nun einmal erzwingt. Ein paar Zielübungen mit der Armbrust, dazu einige Tipps des altklugen Katastrophen-Kids Minnow, weise Ratschläge (und eine Handgranate) vom knorrigen Clyde, dazu ein ulkiger Hund, der oft deutlich klüger wirkt als sein Herrchen: Joel ist nach einigen Bewährungsproben bereit für die wirklich gefährlichen Herausforderungen, die sich ihm selbstverständlich erst stellen, nachdem er sich zu wehren weiß.

Die simple Struktur dieses Entwicklungsprozesses sollte man ignorieren. Übung darin hat der erfahrene (= geplagte) Filmfreund allemal, und mit Dylan O’Brien fand sich ein Schauspieler, der Stereotypen erfreulich unaufdringlich präsentiert. (Es stellt sich jedenfalls zuschauerseitig nicht der Wunsch ein, ihn möge endlich eines der Monster erwischen.) Zum (über-) eifrigen Rühren im „Social-Values“-Topf gesellen sich Bocksprünge und Lücken dort, wo die Logik dem Effekt das Feld überlassen muss.

Monster mit Grusel-Charme

Der sorgt immerhin für eine lange Kette staunend anzusehender Ereignisse, die meist aus dem Kampf gegen ein Untier bestehen. In dieser Hinsicht bedingt der Weichspül-Faktor des niedrigen Freigabealters keine einschneidenden Konzessionen. Zwar wird stets blutfrei und/oder im Off gestorben, aber die Monster sind großartige Kreationen! Mit buchstäblich ungeheurer Liebe zum Detail wurden digitale Wesen geschaffen, die mehr sind als ins Gigantische aufgepumpte Krabbeltiere. Was normalerweise winzig ist und gern unter Steinen haust, weist Fangarme, Krallententakel oder zusätzliche Mäuler auf, in denen fürchterliche Zähne auf Beute warten. Die radioaktiv gereizte Natur hat sich noch weitere Überraschungen ausgedacht, die sich von Joel auf die Zuschauer übertragen.

Hinzu kommt eine Tricktechnik, die endlich einmal das Gleichgewicht zwischen Anspruch und Umsetzung halten kann. Die Kreaturen bewegen sich ‚lebensecht‘ (von einer Riesenkrabbe mit allzu zierlichen Füßchen einmal abgesehen), und die Interaktionen mit den menschlichen Darstellern (oder Hund Boy) sind gelungen. In einer beinahe zu großartig gefilmten Landschaft fallen unzählige Veränderungen auf, die auf den globalen Mutationsschub zurückgehen. Man muss die Augen anstrengen, um sie zu entdecken: In solchen Momenten wird deutlich, dass „Love and Monsters“ ein Film für die große Leinwand ist.

Ohne Penetranz entwickelt der Film eine seiner erfreulichen Botschaften: Die Welt ist zwar ‚anders‘ und gefährlich geworden, doch ihre Schönheit hat sie behalten. Der Mensch ist nicht mehr die Krone der Schöpfung und steht nicht mehr am Ende der Nahrungskette, aber er kann durchaus seinen Platz finden, wenn er bereit ist, sich auf die veränderten Verhältnisse einzulassen. Nicht jedes Monster ist ‚böse‘; die Mutation hat auch faszinierende Geschöpfe entstehen lassen, die friedlich und harmlos sind (wenn man sie nicht reizt). Die finale Botschaft - Hinaus aus dem Bunker und an die frische Luft! - ist wieder platt, weil sie die Folgen bewusst ausspart: Der lange Weg ins angepriesene Bergidyll wird den fröhlich aufbrechenden Gruppe wohl einen hohen Blutzoll bescheren.

Liebe in den Zeiten des Untergangs

Doch Realismus ist eine Knetmasse, die für die Story in jede gewünschte Form gebracht wird; dafür wurde das Kino schließlich erfunden. (Wie haben Cap und nur zwei Mit-Schurken es eigentlich geschafft, die Riesenkrabbe an die Kette zu legen? Woher kommt der Starkstrom, mit dem die Kreatur kontrolliert wird? Warum bohrt die Krabbe die Yacht nicht von unten an, wenn ihre Peiniger nachts schlafen?) Deshalb stellt man den absurden Plot nicht in Frage, weil er ohnehin nur die Handlung auslöst. Irgendwie muss im zaghaften Joel das Bedürfnis geweckt werden, Punkt A zu verlassen, um sich nach Punkt B durchzuschlagen. Junge Liebe ist dafür ein bewährter Trigger, zumal das angepeilte Zielpublikum sich mehrheitlich mit diesem Thema beschäftigt.

Selbstverständlich bleibt besagte Liebe ‚romantisch‘. (Als es zwischen Joel und Aimee einmal ‚ernst‘ zu werden droht, schlagen umgehend Kampfraketen ein.) ‚Kompliziert‘ ist sie auch; „bittersüß“ nannten es die Alten … Aber noch ist nicht aller Tage Abend.

Faktisch steht ohnehin die Freundschaft im Mittelpunkt. „Love and Monsters“ klammert den Glauben an mitmenschliche Solidarität ausdrücklich nicht aus, was ungewöhnlich ist im Apokalypse-Genre, wo mit dem Tag X normalerweise sämtliche Regeln vergessen sind und auf Raubmord, Vergewaltigung und Sklaverei umgeschaltet wird. Der weitgehende Verzicht auf solche Verhaltensdüsternis gehört zu den positiven Aspekten des Geschehens: Was spricht dagegen, dass Joel trotz seiner Kampfuntauglichkeit von seinen Bunker-Gefährten geschätzt wird oder Aimee ihre Kolonie offenbar als Seniorenheim betreibt? (Siehe da, Bruce Spence aus „Mad Max“ II und III gehört zu den Insassen!)

Auf Nummer Sicher gegangen

Es klang schon mehrfach an, dass „Love and Monsters“ das Kino nie neu erfindet, sondern es in seiner reinen Form zelebriert, was stets die Variation des Bekannten bzw. Bewährten ist. Dieser Film war ursprünglich für den Kino-Einsatz gedacht; die Corona-Krise führte zu mehrfachen Verschiebungen, bis das produzierende Studio die Nerven verlor und „Love and Monsters“ an den Streaming-Dienst Netflix weitergab. (Dort freut man sich über einen Film, der von der Kundschaft geschätzt wird.) Das Budget war stattlich, was (nicht nur) in Hollywood dazu führt, dass die Geldgeber jegliches Risiko minimieren oder ausschalten wollen. Also beinhaltet „Love and Monsters“ vieles von dem, was Kino und Fernsehen heute prägt.

Dazu gehört der Verzicht auf ‚große Namen‘; stattdessen tummeln sich kostengünstige Jung-Darsteller und Nebenrollen-Profis vor der Kamera, die durchweg dann solide Schauspielarbeit leisten, wenn das Drehbuch es ihnen gestattet; Glück für Joel und Aimee, Pech für Cap und seine Co-Lumpen oder die ebenso überzeichneten wie gesichtslosen Bunker-Genossen. Ein bekanntes Gesicht taucht immerhin auf, obwohl man zweimal hinschauen muss, um festzustellen, dass der raue, aber herzliche Überlebenskünstler, der Joel unter seine Fittiche nimmt, nicht Woody Harrelson („Zombieland“), sondern Michael Rooker („The Walking Dead“) ist. Ein Überraschungsauftritt von Michael Gross alias Burt Grummer („Tremors“) würde nicht wundern, und über allem schwebt ein Nostalgie-Faktor à la „Stranger Things“, der sich u. a. im ungelenken Schwanken zwischen Komik (oder Klamauk) und buchstäblichem Todernst widerspiegelt.

Das ‚Ende‘ ist faktisch keines, sondern bereitet bereits eine Fortsetzung vor. Es könnte ein Film folgen, aber irgendwie glaubt man eher an eine (Mini-) Serie, denn „Love and Monsters“ bietet sich förmlich als Basis für diese üblich gewordene, eher auswalzende Variante an.

Fotos: © Paramount Players, a Division of Paramount Pictures

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