Possessor

Film-Kritik von Marcel Scharrenbroich / Titel-Motiv: © Turbine

Ein pulsierender Neon-Albtraum für Geduldige

Kontrollverlust

Das Privatleben von Tasya Vos (Andrea Riseborough) hat wahrlich schon bessere Tage gesehen. Von ihrem Mann Michael (Rossif Sutherland) und dem gemeinsamen Sohn Ira (Gage Graham-Arbuthnot) hat sie sich auf der emotionalen Ebene meilenweit entfernt. Eine Situation, die sicherlich ihrer reichlich ungewöhnlichen Erwerbstätigkeit geschuldet ist. Tasya Vos ist nämlich eine Auftragskillerin… wovon ihre Familie selbstverständlich nichts ahnt. Jedoch geht sie nicht so aktiv zu Werke, wie man es sich bei dieser Art von Arbeit vielleicht vorstellen könnte. Tasya erledigt ihre Ziele wortwörtlich im Liegen. Aus körperlich sicherer Entfernung, dafür psychisch näher am Geschehen, als so mancher Oldschool-Profi. Mittels einer futuristischen Maschine - bestehend aus diversen Apparaturen und einer Art überdimensionalem VR-Headset - lässt sich Tasya mit ihrer jeweiligen Zielperson verbinden. Diesen wird zuvor ein Port in den Schädel implantiert, damit sich eine Verbindung herstellen lässt. Einmal eingeloggt, übernimmt Tasya vollständig die Kontrolle. Sieht alles, fühlt alles, erledigt alles, was ihre mysteriösen Auftraggeber für einen erfolgreichen Missionsabschluss verlangen. Doch der Einsatz der Maschine fordert einen Preis. Nicht selten kommt es zu Komplikationen oder Spätfolgen, wovon auch die erfahrenste Killerin nicht geschützt ist.

Ihr aktuelles Ziel ist Colin Tate (Christopher Abbott). In dessen Körper soll sie den reichen Unternehmer John Parse (Sean „keiner stirbt öfter“ Bean) und dessen Tochter Ava (Tuppence Middleton) ausschalten. Zumindest 50% des Auftrags sollten leicht zu bewerkstelligen sein, da Ava mit Colin liiert ist… sehr zum Missfallen ihres Vaters. Um nicht sofort aufzufliegen, hatte sich Tasya im Vorfeld mit Colins Gestik, Mimik und Aussprache vertraut gemacht. Das Ausspionieren ist quasi die Vorbereitung auf den eigentlichen Job, für dessen erfolgreichen Ausgang aber unverzichtbar. Jedoch haben weder Tasya noch ihre Auftraggeberin Girder (Jennifer Jason Leigh) mit Colins Widerstandsfähigkeit gerechnet. So wird aus dem Routine-Auftrag ein Psycho-Trip, bei dem es keinen Gewinner geben kann…

Die Sache mit dem Apfel und dem Stamm

Inszeniert wurde dieser fiebrige Höllentrip vom Regisseur Brandon Cronenberg. Zumindest der Nachname sollte Film-affinen eine Bedeutung sein. Gemeint ist natürlich der Kanadier David Cronenberg. David Cronenberg ist als Filmemacher seit den späten 60ern im Geschäft, hatte seine Hochzeit aber unumstritten während der 80er-Jahre. Mit den Horrorfilmen „Parasiten-Mörder“ (auch bekannt unter dem Originaltitel „Shivers“), „Rabid“ und „Die Brut“ feierte er erste Achtungserfolge, bevor ihn die Filme „Scanners“, „Videodrome“, die Stephen King-Adaption „Dead Zone - Das Attentat“ und vor allem das tricktechnisch beeindruckende Remake von „Die Fliege“ - mit Jeff Goldblum in der Titelrolle - zu einem der  wegweisendsten Regisseure seiner Zeit aufsteigen ließen.

Auch wenn Mr. Cronenberg dies nicht gerne hört, ist er der ungekrönte Meister des Body-Horrors. Nur wenige zeigten drastischer den Verfall des menschlichen Körpers. Und nicht selten ging er dabei bis an die Grenzen des Erträglichen. Mit der William S. Burroughs-Adaption „Naked Lunch“ drehte er dann Anfang der 90er einen Film, bei dem ich mich bis heute frage, ob er beim Drehen oder ich beim Schauen mehr LSD intus hatte, bevor es mit „Crash“ und „eXistenZ“ inhaltlich zwar etwas geradliniger zuging, aber deutlich Cronenbergs Handschrift zu erkennen war. Im neuen Jahrtausend überzeugte er dann mit der Graphic Novel-Verfilmung „A History of Violence“ und dem preisgekrönten Thriller-Epos „Tödliche Versprechen - Eastern Promises“.

Sohn Brandon hatte also genügend Material, welches er aufsaugen konnte… und wahrscheinlich wurde der Hang zum Experimentell-Skurrilen sowieso schon genetisch mit auf den Weg gegeben. So erregte Brandon Cronenbergs erster Langfilm „Antiviral“ 2012 einiges an Aufmerksamkeit und erntete nach verschiedenen Aufführungen auf Festivals nicht nur Kritiker-Lob, sondern konnte auch diverse Auszeichnungen einheimsen. Die Idee zu „Antiviral“ kam ihm während eines Fiebertraums, den er bei einer Virusinfektion hatte.

Soll ich mich da noch wundern? Nein… wohl eher nicht. Den Body-Horror-Stempel muss er sich wohl oder übel auch gefallen lassen, denn „Possessor“ schlägt in eine ähnliche Kerbe. In Nahaufnahmen werden diverse Gegenstände - vorzugsweise spitz oder scharfkantig - in Körper hineingestochen oder herausgezogen. Mit Blut, herausbrechenden Zähnen oder Spritzen sollte man keine Probleme haben (auf Letztere scheinen in Deutschland generell rund 23% der lauffreudigen Gesellschaft noch immer allergisch zu reagieren). Falls doch, seid Ihr mit „Possessor“ vielleicht nicht so gut bedient. Auf eine spartanische Erzählweise, die dafür aber nicht mit Komplexität geizt, sollte man ebenfalls stehen, womit der Film absolut nicht im Mainstream zu verorten ist. Lange Einstellungen kommen oft ohne Dialog aus, sind dafür stets mit wummernden Klangteppichen unterlegt.

Qual der Wahl

Direkt springt einem der Schriftzug „UNCUT – UNRATED – UNZENSIERT“ ins Auge, mit dem der Streifen auf dem Cover schmackhaft gemacht wird. So - und nur so - möchte man Filme nämlich genießen. Ein FSK 18-Sticker reicht schon lange nicht mehr aus, um sicherzugehen, dass einem durch übereifrige Prüfer nicht die eine oder andere Szene vorenthalten wird. Und hier bekommt man, was draufsteht. TURBINE hat sich da nicht lumpen lassen und bietet auch die volle Bandbreite, was beliebte Sonderverpackungen angeht. HD- und 4K-UHD-Gucker können sich zwischen Steelbook- und Mediabook-Varianten von „Possessor“ entscheiden. Jeweils eine Mediabook-Variante ist dabei exklusiv bei TURBINE im hauseigenen Shop zu beziehen. Gefällig sind alle Designs, weshalb da der persönliche Geschmack das Zünglein an der Waage sein dürfte.

Ich habe mir die 4K-Fassung angeschaut, und die kann sich echt sehenlassen. Mit HDR10 und Dolby Vision erwartet die Käufer ein glasklares Bild, bei dem zu jeder Zeit die optimale Stimmung transportiert wird. Die (gewollt) grellen Farb-Explosionen mit Trip-Potential verleiten schon fast zum Griff zur Sonnenbrille. Der Sound liegt (sowohl in Deutsch und Englisch) in Dolby Atmos, Auro 13.1 und DTS 2.0 vor. Auro 13.1 ist dabei der UHD vorbehalten. Zur Film-Laufzeit von 104 Minuten gesellen sich noch rund 45 Minuten Bonusmaterial. Hier gibt es neben entfernten Szenen noch reichlich interessante Einblicke in die Produktion von „Possessor“, bei denen unter anderem Regisseur Brandon Cronenberg zu Wort kommt und über den recht eigenwilligen Look des Films geplaudert wird. Der umfangreiche Buchteil, der diesen Namen mit seinen prall gefüllten 68 Seiten auch redlich verdient, hört auf den Namen „Der blutrote Schmetterling“ (ein wichtiges Detail im Film) und wurde vom versierten Publizisten Stefan Jung verfasst. Angereichert ist dieser mit einigen Szenenbildern und Hinter-den-Kulissen-Material vom Dreh.

Fazit

Wie der Vater, so der Sohn. Brandon Cronenberg fährt auf der Schiene seines berühmten Vaters und beweist, dass er viel aus dessen Schule mitgenommen hat. Visuell gehen ihm mit grellen Farbausrastern manchmal die Pferde durch und so manche dialogarme Einstellung ist etwas zu gestreckt, aber ansonsten ist der retro-futuristische Streifen routiniert in Szene gesetzt. Allerdings ist „Possessor“ kein Film, den ich öfter in den Player werfen würde. Aber ich wäre früher gerne mal stiller Gast bei einem Familien-Filmabend im Hause Cronenberg gewesen. Wahrscheinlich wäre ich anschließend auf allen Vieren - und um einige Liter Galle erleichtert - aus dem Haus gekrochen und hätte gurgelnd in den Himmel gebrüllt „ENDLICH MAL NORMALE *rülps* LEUTE!!!“

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Fotos: © Turbine

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