Reeker

Film-Kritik von Michael Drewniok / Titel-Motiv: © Mediacs

Überstunden machen den Tod übellaunig

Irgendwo in der Wüste des US-amerikanischen Südwestens findet eine grandiose Rave-Party statt. An der wollen fünf Studenten beiderlei Geschlechts unbedingt teilnehmen. Leider verschweigt der geistig schlicht gestrickte Trip seinen Mitfahrern Gretchen, Cookie, Nelson und dem blinden Jack, dass er sich den Zorn des Drogenpanschers Radford zugezogen hat, als er diesem eine ganze Kiste Ecstasy-Tabletten klaute. Der erboste Pillendreher droht mit handgreiflicher Vergeltung und macht sich an die Verfolgung des Quintetts.

Dieses ist inzwischen in einem heruntergekommenen Motel gestrandet, da das Vehikel den Geist aufgegeben hat. An Hilfe ist nicht zu denken; die Anlage ist völlig verlassen, für die Handys gibt es keinen Empfang. Wohl oder übel richtet man sich auf eine Nacht in der Wüste ein, was verständlicherweise vor allem Trip nervös macht. Tatsächlich glaubt er bald den rachsüchtigen Dealer zu sichten. Zunächst taucht allerdings nur der alte Henry auf, der seine Gattin vermisst, über Herzschmerzen und Gedächtnislücken klagt und sichtlich etwas verbergen möchte.

Doch die wahre Gefahr kommt aus völlig unerwarteter Richtung: Flirrende Luft und ekelhafter Gestank kündigen die Ankunft des skeletthaften „Reekers“ an, der seine Opfer mit einer Kollektion eindrucksvoller Mordmaschinen verfolgt. Das Ungeheuer ist schnell und leider unverwundbar. Die Flucht vor dem Reeker hält die rasch zusammenschmelzende Schar unserer unglücklichen Partygänger in Atem. Zu allem Überfluss beginnen scheußlich verstümmelte Gestalten umzugehen, die kryptische Botschaften verkünden. Was diese bedeuten, wird erst klar, als es zu spät ist und das Wissen keine Rolle mehr spielt ...

Kostengünstig & (trotzdem) gut

Schon wieder ein Schlitzer-Filmchen, das hübsche, triebhafte, dämliche Jugendliche mit einem irren Killer konfrontiert? Genauso sieht es zunächst aus. Bevor der Vorspann einsetzt, gibt es einige wirklich fiese Morde. Doch schon zu diesem frühen Zeitpunkt merkt der Zuschauer auf: Hier hält die Kamera nicht einfach platt aufs Geschehen; hier wird inszeniert, und das mit erfreulichem Geschick: Grusel und Neugier auf das, was noch kommen wird, stellen sich ein.

„Reeker“ schwebt in der Tat über dem Bodensatz des Horrorfilms. Dem insgesamt spannungsreichen Hauptteil folgt ein zwar nicht wirklich neuer, aber sehr geschickt umgesetzter Twist, der die gesamte Handlung in ein völlig neues Licht stellt. Damit wird „Reeker“ zu einem der seltenen Filme, die man sich ein zweites Mal anschauen und dabei eine ‚neue‘ Geschichte erleben kann: Was bisher erschreckend und rätselhaft blieb, fügt sich plötzlich logisch zusammen.

Mit erstaunlichem Einfallsreichtum gelang es das geringe Budget vergessen zu lassen. Die Wahl eines isolierten, wenig aufwändigen Schauplatzes sowie das Engagement weitgehend unbekannter und deshalb kostengünstiger Darsteller sind bekannte Folgen chronischen Geldmangels, der im Horrorfilmgenre jenseits der großen Studios an der Tagesordnung ist. Scheinbare Nachteile können sich jedoch unter den Händen fähiger Drehbuchautoren, Regisseure und Ausstatter durchaus in Vorteile verwandeln. „Reeker“ ist ein Film, der keinen Moment wie ein Kompromiss wirkt, sondern in seiner Kulisse zur idealen Spielwiese für die gewählte Geschichte wird.

Darsteller in gelungenen Rollen

Das positive Urteil schließt die Schauspielerriege ausdrücklich ein; beileibe keine Selbstverständlichkeit, da für Slasher-Filme üblicherweise gut gebaute Jungmänner und knackige Mädels gecastet werden, die für die kurze Zeit ihrer Darstellung notgeilen Jungvolks proper aussehen sollen, bevor sie möglichst einfallsreich gekillt werden. In „Reeker“ könnte dieses Klischees höchstens auf Cookie und Trip zutreffen, die trotz ihres hirnarmen Auftretens jedoch wichtige Rollen im Ensemble übernehmen: Sie bilden die Gegengewichte zum ‚vernünftigen‘ Trio Gretchen, Nelson und Jack.

Gretchen ist eine interessante Figur - dies sogar buchstäblich, denn sie entspricht erst recht nur bedingt den skizzierten Klischee-Anforderungen. Tina Illmans außerordentlich markant geschnittenes Gesicht verleiht ihr eine Individualität, die sich in der gespielten Persönlichkeit widerspiegelt: Gretchen lässt sich schwer aus der Ruhe bringen, ist von ernstem Wesen und verfügt über ausgeprägte ethische Grundsätze. In diesem Punkt entspricht Gretchen klassischen Horrorfilm-Vorgaben und empfiehlt sich damit schon früh als potenzielle Überlebende.

Das gilt auch für Jack. „Reeker“ ist keiner dieser zynischen Neo-Schlitzer, die mit dem ausdrücklichen Willen politisch unkorrekt zu unterhalten die Schwachen und Hilflosen erst recht zu einem grausigen Tod verdammen. Jack ist blind, aber kein Opfer; er hat sich mit trockenem Humor in seine Behinderung gefügt. Deshalb ist er auch in der Krise kein Hindernis, sondern weiß sich und seinen Gefährten zu helfen.

Wie visualisiert man Gestank?

Eine kleine, aber schöne Rolle wird vom B-Movie-Veteranen Michael Ironside gemimt. Er gibt zur Abwechslung nicht den lautstarken Eisenfresser, sondern kommt ganz leise als Teil des Ensembles ins Geschehen. Aus seinem Vergnügen macht er im Interview keinen Hehl: Ironside freut sich, wenn er nicht der böse Mann sein muss. Hier kommt ihm stattdessen eine zentrale Bedeutung bei der Auflösung des Reeker-Rätsels zu. Noch zwiespältiger wirkt in dieser Beziehung der verhinderte ‚Doktor‘ Radford, der dem Reeker scheinbar unfreiwillig zuarbeitet, bis ihm eine völlig unerwartete Rolle zufällt.

Die Spezialeffekte halten sich quantitativ in Grenzen, lassen aber in Sachen Qualität keinen Grund zur Klage aufkommen. Was den Pechvögeln widerfährt, die dem Reeker unter dessen Bohrer, Klingenpropeller oder Elektromesser kommen, wirkt ausgesprochen realistisch, ohne gleichzeitig nur auf den Effekt bedacht zu sein: Wird es blutig, gehört es zur Handlung. Digitale Tricktechnik kommt selten, aber gut überlegt zum Einsatz. Den Reeker umgibt ein flirrender, heißer Schwall stinkender Luft. Dieser ist optisch sehr gut gelungen und lässt die Spannung steigen, wer - oder was - sich hinter dieser Tarnung verbirgt.

Der Reeker zeigt sich erst im Verlauf der Handlung deutlicher. Die Skelettmaske ist ordentlich, kann aber nicht die Unheimlichkeit dieses Unholds ersetzen, der viele Filmminuten nur auftritt, wie es der Originaltitel ankündigt: als durchsichtiger, übelriechender Qualmer. Freilich ist dies auch die letzte der vielen Täuschungen, mit denen wir Zuschauer erfolgreich in die Irre geführt und erfreulich gut unterhalten werden.

Disc-Features

Der positive Eindruck, den die „Reeker“-Scheibe hinterlässt, bleibt beim Anschauen der Extras erhalten. Zwar müssen auch hier Features wie „Behind the Scenes“, „Making of“ und vor allem die Interviews mit Vorsicht genossen werden: Alle Beteiligten loben einander über den grünen Klee und vermitteln den Eindruck einer großen, glücklichen Familie. Das ist die werbetaktische Fortsetzung des Schauspielens im ‚Dokumentarischen‘; eine ‚Kunst‘, die längst global vollendet beherrscht wird.

Über das reale Geschehen am Drehort oder die Stimmung erfährt man wenig. Hier durchbrechen zumindest Regisseur Dave Payne und Darstellerin Tina Illman - die gleichzeitig Produzentin des Films ist - das Schema, indem sie mit sympathischer Offenheit und erkennbarem Vergnügen von besonders fiesen Einfällen schwärmen.

"Reeker" Blu-Ray bei amazon 

Cover: © Mediacs

Lieblingsfilm
und Lieblingsserie

Nicht zuletzt durch den Erfolg der Streamingdienste ist die Anzahl von Filmen und Serien rund um die Phantastik im TV - als Serie oder Film - enorm gestiegen. Und ebenso ist Bandbreite vielfältiger denn je. Habt ihr derzeit einen Lieblingsfilm oder eine Lieblingsserie? Oder gibt es sogar einen "All-Time-Favorit" - einen Film oder eine Serie, die ihr immer wieder schauen könnt?

zum Forum