Superdeep

Film-Kritik von Michael Drewniok / Titel-Motiv: © Koch Films

Ganz tief unten und auf dem Grund deiner Seele

Anna Fedorova ist auch deshalb eine in ihrem Job aufstrebende Virologin, weil sie sich in den Dienst des sowjetischen Militär-Geheimdienstes gestellt hat, der in diesem Jahr 1984 noch rücksichtsloser als sonst um den Fortbestand der wankenden UdSSR kämpft. Als es in einer geheimen Tiefbohranlage auf der abgelegenen Halbinsel Kola zu einem Zwischenfall kommt, ruft Oberst Morozov deshalb Anna in sein Team, denn es stehen Aktionen an, die der Öffentlichkeit sowie der außersowjetischen Welt verborgen bleiben sollen.

Angeblich wird auf Kola das tiefste Bohrloch der Welt gebohrt. Tatsächlich wurden in sechs und zwölf Kilometer Tiefe Labore eingerichtet. Seit einiger Zeit meldet sich von dort unten niemand mehr. Aus noch funktionierenden Lautsprechern hört man nur seltsame Schreie und Geplapper.

Mit einer kleinen Spezialeinheit sollen Morozov und Anna vor Ort feststellen, ob in der Tiefe womöglich eine Seuche ausgebrochen ist. Mit dem Fahrstuhl soll es hinabgehen, als plötzlich Dr. Grigoriev, der verschollene Leiter der Station, auftaucht. Er fordert die Schließung der Anlage, weil man unter der Erdoberfläche auf einen fremden Organismus gestoßen ist, der seine Opfer buchstäblich auflöst und in seinen Kollektivkörper einschmilzt.

Morozov sieht eine Superwaffe in Sichtweite und drängt nach unten. Grigoriev sabotiert den Fahrstuhl. Die Gruppe sitzt daraufhin in sechs Kilometer Tiefe in einem der Kola-Labore fest. Der Organismus haust weiter unten am Ende des Bohrlochs. Als er ‚merkt‘, dass Neuankömmlinge eingetroffen sind, macht sich ein monströser ‚Ableger‘ auf den Weg nach oben und verschafft sich Einlass in das Labor.

Dort fallen der Kreatur immer mehr Mitglieder der Gruppe zum Opfer. Die Überlebenden müssen Grigoriev finden und ihm den Codeschlüssel zum Fahrstuhl abnehmen. Allerdings keimt in Anna die Frage auf, ob man es überhaupt riskieren darf, zurück zur Oberfläche zu flüchten. Womöglich ist man bereits infiziert und ermöglicht dem Organismus eine Vermehrung, die auf die gesamte Erde übergreift …

Faszination des (gefährlichen) Unbekannten

Der Mensch liebt es, sich Angst einjagen zu lassen, wenn er dabei nicht selbst Leib und Leben riskieren muss. Stellvertretend wagen sich seit jeher Schauspieler dorthin, wo es dunkel, unheimlich und gefährlich ist. Wenn sie ihren Job leisten und das Team hinter der Kamera sein Handwerk ebenfalls versteht, generieren sie einen Schrecken, der primär Unterhaltung darstellt.

Um ihn zu erwecken, ist jedes Mittel recht und willkommen. In unserem Fall greift Regisseur und Drehbuch-Mitautor Arseny Syuhin u. a. auf eine „Geschichte nach wahrer Vorlage“ zurück. Das Bohrloch auf der Halbinsel Kola gibt es tatsächlich, aber dort wurde zu Sowjetzeiten tatsächlich ‚nur‘ versucht, einen Schacht so tief wie möglich in die Erdkruste zu treiben. Technische Probleme aufgrund des gewaltigen Tiefendrucks, die Hitze und die Unmöglichkeit, das Bohrgestänge über ein gewisses Maß hinaus zu verlängern, machten dem Projekt den Garaus.

Das streng geheime Vorhaben sorgte nicht nur für Gerüchte, sondern auch für moderne Legenden. Aus der Tiefe drangen angeblich seltsame Geräusche, die man als Dämonengebrüll oder das Jammern verdammter Seelen deutete: Zwar gab es im Sowjetkommunismus nur jene Hölle, für die man selbst auf Erden sorgte, aber die Erinnerung an vergangene Zeiten und religiöse Angstvorstellungen war noch präsent. Hatte man das Heim des Teufels angebohrt?

Warum nicht daran anknüpfen?

Unfug kann nützlich sein, wenn genug Menschen daran glauben. Sie bilden eine Gruppe, die man manipulieren und finanziell anzapfen kann. In unserem Fall ist das Motiv harmlos: Es gilt, so viele Leute wie möglich in zahlendes Publikum zu verwandeln!

Kola als ‚realer‘ Schauplatz - der in den frühen, noch über der Oberfläche spielenden Szenen als Kulisse genutzt wird - markiert nur den ersten Haken, der ins Zuschauerhirn getrieben wird. Die Story selbst ist (ungeachtet einer überwiegend ungnädigen Kritik) ein klassischer Selbstläufer. Syuhin ließ sich außerdem durch erfolgreiche Vorgänger ‚inspirieren‘, weshalb „Superdeep“ in vielen Szenen auf Filme wie „Alien“ (1979), „Aliens“ (1986) und „Das Ding aus einer anderen Welt“ (1982) zurückgreift; hinzu kommen Game-Klassiker wie „Doom“ und „Resident Evil“.

Warum wird Syuhin dies  vorgeworfen? Selbst und gerade die ungleich kostspieligeren Hollywood-Blockbuster käuen Bekanntes wider. Offensichtlich gab es eine Erwartungshaltung, die „Superdeep“ (wie übrigens auch der thematisch ähnliche „Underwater“) nicht erfüllen konnte. Liegt es daran, dass dies ein russischer Film ist und das von x-fach repetierten Dumm-Dumm-Streifen ans Ende seiner Nervenkraft getriebene Publikum darauf gehofft hatte, dass man es an anderer Stelle dieser Welt besser machte?

Geliefert wird, was zu erwarten war

Syuhin mag solchen Erwartungen nicht widersprochen haben, doch versprochen hat er auch nichts. „Superdeep“ ist sein Spielfilmdebüt, was ihn in seiner Doppel-Eigenschaft als Regisseur und Autor mehr als genug gefordert haben dürfte. Er ist kein Naturtalent, und er ist noch nicht so weit, einen Film wie „Superdeep“ über die Gesamtdistanz so zu drehen, dass er sich von der Masse ähnlicher Horrorstreifen abhebt.

Gleichzeitig muss sich Syuhin nicht verstecken. Für ein Budget, das in Hollywood nicht einmal das Catering abdecken würde, präsentiert er einen Film, dem man höchst selten ansieht, dass es finanziell ständig klemmte. Mancher CGI-Effekt ist zwar als solcher zu erkennen, und das den Darstellern hinterherhumpelnde Misch-Monster tritt nicht grundlos ausschließlich dort auf, wo die Kulissen möglichst dunkel bleiben. An anderer Stelle wird dagegen Blockbuster-Niveau erreicht; so ist das pilzähnliche Wuchern an und in unglücklichen Männern und Frauen mit würgereizweckendem Realismus in Szene gesetzt.

Kritik richtet sich korrekt gegen den oft ungeschickten Schnitt, der offensichtlich Szenen kürzt, die für das Verständnis des Folgenden wichtig wären. Hier muss man wissen, dass Syuhin zumindest für die international vertriebene Version nicht das letzte Wort hatte. Seine Geldgeber befanden die von ihm vorgelegte Fassung für zu lang und für einen Actionfilm zu langsam. Fünfzehn Minuten (!) wurden deshalb geschnitten; dies leider recht ruppig, was zumindest diejenigen Zuschauer nachprüfen können, die nicht zur ‚normalen‘ DVD oder Blu-ray, sondern zum (hochpreisigen) Mediabook greifen, das den Film als Ultra-HD sowie in der von Syuhin vorgesehenen Länge präsentiert. Allerdings werden dabei tatsächliche Redundanzen sichtbar, für die definitiv Syuhin verantwortlich ist. Wirklich zufrieden kann man mit keiner der beiden Versionen sein.

Sie sind da, um zu rennen (und zu sterben)

Schauspielerisch hat „Superdeep“ wenig zu bieten. Was in einem auf Horror und Action setzenden Film nicht unbedingt ein Nachteil sein muss, wird hier unfreiwillig betont, wenn Syuhin beispielsweise versucht, seiner Hauptfigur eine ‚tragische‘ Vorgeschichte zu geben: Anna Fedorova hat moralisch „gefehlt“ und muss/will für ihre Sünden „büßen“. Mehrfach erscheint ihr der Geist eines Ex-Kollegen, der ihren allzu ehrgeizigen Menschenversuchen zum Opfer fiel. Unter der Erde ringt sie mit sich, wobei Oberst Morozov die Schlange/den Teufel gibt, der sie überredet auf Kurs zu bleiben (bis er später dramaturgisch misslungen umschwenkt und in eine Opferrolle schlüpft).

Milena Radulovic ist schön, aber ihr Gesicht bleibt ausdruckslos. Dummerweise zwingt sie das Drehbuch in den direkten Vergleich mit Sigourney Weaver, den sie nur verlieren kann bzw. nur in einem Punkt besteht: Als sie sich dem Monster direkt stellen muss, ist es irgendwie notwendig, dass sich Anna ihres Overalls entledigt und in Unterwäsche weiterkämpft - ein Trick, der heutzutage aus der Handlung heraus gut begründet sein sollte.

Die übrigen Darsteller sind Klischees (reumütiger Wissenschaftler, ruhmsüchtiger „mad scientist“, menschenfreundlicher Elite-Killer, Haudrauf-Krieger, glatzköpfiger KGB-Apparatschik etc.), die man nicht bedauert, wenn die Kreatur über sie kommt - auch dies eine Schnittstelle mit dem ‚normalen‘ Horror vor allem, aber nicht nur aus den USA. Am besten goutiert man „Superdeep“ als Grusel-Spektakel und ignoriert die angestrengten Bemühungen um bedeutungsschwangeren Subtext. Dann vergehen anderthalb oder eben zwei Stunden längst nicht so zäh, wie einem die Kritik mehrheitlich weismachen möchte.

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Fotos: © Koch Films

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