Texas Chainsaw Massacre

Film-Kritik von Yannic Niehr / Titel-Motiv: Yana Blajeva / © Legendary, Courtesy of Netflix

Blutgericht in Texas – Die nächste Runde

Hitze, Staub und nichts als die weite Prärie: Die jungen Unternehmer und Influencer Melody und Dante hat es von San Francisco ins tiefste texanische Hinterland verschlagen. Dort haben sie das heruntergekommene Städtchen Harlow erworben, das sie in einen trendy Geheimtipp für Hipster verwandeln wollen. Mit von der Partie ist Dantes Freundin Ruth; außerdem hat Melody ihre Schwester Lila mitgeschleppt, die an den Folgen eines höchst traumatischen Erlebnisses zu knabbern hat und die Melody deshalb nicht allein zuhause lassen wollte. Bestürzt müssen die vier jedoch feststellen, dass zumindest eines der Gebäude immer noch bewohnt ist: Eine gewisse Mrs. Mc betrieb dort ein Waisenhaus und behauptet steif und fest, nach wie vor die rechtmäßige Besitzerin zu sein. Als der Konflikt eskaliert und Dante die kränkelnde alte Dame von der Polizei abführen lässt, stirbt diese kurz darauf am Schock. Doch was niemand ahnen konnte: Einer ihrer Schützlinge lebte immer noch bei ihr. Das hier ist sein Revier, schon immer gewesen, und ihm schmeckt es so gar nicht, seine Ziehmutter sterben und Harlow von Investoren aus der Stadt überlaufen zu sehen. Die kommende Nacht wird erfüllt sein vom Geheul einer Kettensäge …

Old Man Leatherface

Wollte man die Qualität eines Horrorfilms daran messen, wie stark er unangenehme Gefühle im Publikum erzeugen kann, dürfte Tobe Hoopers Klassiker The Texas Chainsaw Massacre aus dem Jahre 1974 auf sämtlichen Ranglisten ganz weit oben rangieren. Lose inspiriert von Serienmörder Ed Gein, in dessen Wohnung man Teile exhumierter Leichen sowie Kleidungsstücke aus Menschenhaut vorfand  (für die Filmpsychopathen Norman Bates und „Buffalo Bill“ stand er ebenfalls Pate), attackiert der Film von der ersten Einstellung an die Sinne unnachgiebig, ist durchsetzt von Tod und Fäulnis und lässt einen die klebrige, das Hirn zerkochende Hitze jenes höllischen Tages im tiefsten Texas spüren. Damit wurde er nicht nur zu einem der führenden Beispiele für „Daylight Horror“, sondern prägte auch das noch im Entstehen begriffene Slasher-Subgenre maßgeblich – und das obwohl der Film, anders als der Titel suggeriert, verhältnismäßig blutarm daherkommt (abgesehen von dem echten Blut, das aus Marylin Burns‘ Finger quillt, als ihr Gunnar Hansen in einer Szene tatsächlich in diesen schneidet; der berüchtigte Dreh in einem abgedunkelten Haus bei brütender Hitze, mit verwesendem Fleisch auf dem Tisch, war eine Tortur, welche die Darsteller buchstäblich an den Rand des Wahnsinns trieb – was die Effektivität des Films nur verstärkt).

Der Versuch, mit dem Low-Budget-Überraschungserfolg in Serie zu gehen, misslang größtenteils. Die zentrale Kultfigur Leatherface wurde von Produktionsstudio zu Produktionsstudio gereicht, die Inhalte trieben immer verrücktere Blüten, ständig wurde der Stoff wieder auf Anfang zurückgesetzt; nur Micheal Bays Remake von 2003 sticht dank eines engagierten Ensembles, Schauspiellegende R. Lee Ermey und der Unterstützung von Daniel Pearl, Kameramann des Originals, positiv aus dem Einheitsbrei der zu der Zeit allgegenwärtigen Horrorklassiker-Kopien hervor.

Doch wie schon SCREAM (2022) just mit dem üblichen selbstironischen Augenzwinkern treffsicher bemerkte, leben wir nunmehr in der Zeit des „Legacy-Requels“, einem Hybriden aus Fortsetzung, Remake und Reboot, welcher direkt am Ur-Werk anknüpft, sich gleichzeitig als eine Art Neustart positioniert und auf Nostalgie setzt, indem häufig alte Bekannte aus dem Original auftauchen. Im Horrorbereich dürfte Halloween (2018) das derzeit gängigste Beispiel sein, welcher zudem den fragwürdigen Trend mit ins Rollen gebracht hat, denselben Titel wie der Erstling zu tragen (womit es mittlerweile ganze drei verschiedene Halloween-Filme gibt, die einfach nur Halloween heißen – als wäre die Chronologie der Reihe nicht schon verwirrend genug).  So war es wohl nur eine Frage der Zeit, bis ein Studio auch das Requel-Potenzial von The Texas Chainsaw Massacre erkennen und eine Neufassung in Auftrag geben würde, die folgerichtig als Texas Chainsaw Massacre (aus Gründen der Einfachheit halber im Folgenden: TCM ’22) betitelt ist und ganz frisch exklusiv bei Netflix Premiere feiern durfte. Verpflichtet wurde mit Ricardo Diaz an der Kamera, David Blue Garcia auf dem Regiestuhl und Chris Thomas Devlin als Drehbuchautor ein blutjunges Team, insgesamt ein eher unbeschriebenes Blatt (vielleicht konnte Devlin mit einem guten Pitch überzeugen?). Dass Fede Álvarez, der 2013 das recht gelungene Remake von Evil Dead verantwortet hat, und Kim Henkel, der gemeinsam mit Hooper damals das Drehbuch zu The Texas Chainsaw Massacre verfasste, den neuen Film produzieren, weckt einige Erwartungen. Kann TCM ‘22 sie erfüllen?

„Gentri-Fuckers“ vs. „Coal-Rollers”

Wie es sich für ein Requel gehört, wird mit einem direkten Bezug zum Original begonnen, indem uns eine kurze Dokumentation über die schrecklichen Ereignisse, die sich hier vor fast 50 Jahren abgespielt haben, wieder ins Bild setzt. Schnell jedoch wechselt der Fokus zu den jetzigen Hauptfiguren. Waren es seinerzeit unglückselige Hippies, die unverhofft in die Fänge einer degenerierten Sippe ehemaliger Metzger mit einer Vorliebe für Menschenfleisch gerieten, sind es nun vier junge, moderne Millenials aus der Großstadt – die natürlich von Anfang an als hier ebenfalls völlig fehl am Platze inszeniert sind. Den sozialkritischen Subtext des Originals hat man also nicht übersehen: Damals rächte sich eine vergessene und vom Leben abgehängte Generation am ignoranten Nachwuchs, den deren Probleme so gar nicht interessierte, indem sie ihn verschlang – die USA frisst ihre Kinder.

Interessanterweise wird das Thema Kannibalismus in TCM ’22 gänzlich ausgespart. Schnell und deutlich werden dafür Dichotomien zwischen Land und Stadt, alt und jung, konservativ und liberal gezeichnet, die den Nerv des zutiefst gespaltenen, heutigen Amerikas treffen. Mit ihrem oberflächlichen Gutmenschentum geht den jungen Protagonisten jegliches Verständnis für die wahre Historie und den Gemeinschaftssinn des Bodens ab, auf dem sie nun so überheblich wandeln, und ihre Naivität und Unwissenheit gegenüber dem tiefschwarzen Grauen, das unter der Oberfläche des Landes brodelt, wird ihnen zum Verhängnis. Damit setzt der Film gleich zu Anfang thematisch spannende Akzente.

Während das Original sein Narrativ aber vor allem visuell und mithilfe der atmosphärischen mise-en-scène kommunizierte, gerät dies in TCM ’22 etwas dialoglastig und verkopft und will nicht so recht eine Einheit mit den späteren Metzelszenen bilden, wodurch der Film auch etwas behäbig beginnt. Zudem wird die Botschaft durch eine Überfrachtung mit Ideen ein wenig verwässert. So ist Lila (Elsie Fisher: Ich – Einfach unverbesserlich, Castle Rock) Überlebende eines Schul-Amoklaufs, und muss im Laufe des Films im Angesicht des neuerlichen Traumas ihre eigenen Ängste überwinden. Der Grundgedanke hat Potenzial, geht aber trotz Fishers cleverer, zurückhaltender Performance unter. Zum Glück schaltet der Film etwa ab der Hälfte ein paar Gänge hoch. Klarer Favorit für die Rolle des diesmaligen Final Girls ist hier Lilas ältere Schwester Melody (Sarah Yarkin: Happy Deathday 2 U, Single Parents), die zumindest mit einem Gewissen gesegnet ist und den Film (der äußerst vorhersehbar abläuft, aber immerhin die ein oder andere Finte schlägt) über weite Strecken trägt. Dante (Jacob Latimore: Die verborgene Schönheit, Maze Runner) ist unausstehlich und dementsprechend eines der ersten Opfer, während Ruth (Nell Hudson: Outlander) kaum Gelegenheit erhält, bleibenden Eindruck zu hinterlassen.

Moe Dunford (Rosie, Vikings) mimt routiniert den kernigen Mechaniker Richter, Bindeglied zwischen der Welt der Einheimischen und der der Eindringlinge. In der Paraderolle der etwas unheimlichen Mrs. Mc brilliert Alice Krige (Thor: The Dark World, Silent Hill). Ihr Tod geht einem tatsächlich nahe, und dieses Unrecht fungiert als sinnvoller Katalysator für die Handlung. Star des Films ist jedoch Mark Burnham (Snowfall, The F-List) als Leatherface. Da der unvergessene Gunnar Hansen leider bereits 2015 verstorben ist, wurde in Burnham ein Schauspieler mit entsprechender Statur gecastet, der die grobschlächtige Körperlichkeit der Figur virtuos verkörpern kann. Leatherfaces Hintergründe werden zum Glück nur vage angedeutet, um ihm nicht jegliches Mysterium zu rauben. Im Original hatte er einen festen Platz innerhalb der Familie – nun wirkt er isoliert und verloren. Das verleiht ihm fast eine Spur zu viel Pathos, funktioniert im Gesamtkontext der Story aber sehr gut. Als er der toten Mrs. Mc das Gesicht abschneidet, es sich als neue Maske überstreift, die Leiche grotesk in einem Maisfeld zur Schau stellt und unter einem von unheilvollen Gewitterwolken verhangenen Himmel losstapft, um sein blutiges Werk zu verrichten, ist dies ein wahrer Gänsehautmoment. Und auch wenn das erste Mal die rostige Kettensäge angeschmissen wird, jagt es einem wohlige Schauer über den Rücken. Look und Präsenz der ikonischen Figur sind in TCM ’22 ein wahrer Triumph.

Ob es jedoch nötig war, die Figur der Sally Hardesty, einzige Überlebende des Originalfilms zu reaktivieren, bleibt zweifelhaft. Da leider auch ihre Darstellerin Marilyn Burns 2014 verstarb, wurde die Rolle mit der irischstämmigen Olwen Fouéré (Mandy, Phantastische Tierwesen: Grindelwalds Verbrechen) neu besetzt. Ähnlich wie in bereits erwähnten Requelswird Sally hier als knallharte Oma in Szene gesetzt, die jahrzehntelang nur darauf gewartet hat, von der Gejagten zur Jägerin zu werden. Diese Darstellung ist schwer vereinbar mit dem kompletten psychischen Wrack, das Sally am Ende von The Texas Chainsaw Massacre gewesen ist. Es erschließt sich auch nicht, wieso sie sich in Texas ansiedeln und dort Däumchen drehend darauf warten sollte, ob Leatherface sich vielleicht noch einmal zeigt. Ihr Handlungsbogen ergibt wenig Sinn und ihre Sequenzen sind so melodramatisch geraten, dass sie einem ganz anderen Film entsprungen sein könnten. So wie der Film mit der Figur umspringt, könnte man fast meinen, er wolle sie als Meta-Kommentar zu Requel-Klischees nutzen – doch dazu nimmt er sich selbst zu ernst. Immerhin darf Sally eine der besten Dialogzeilen abliefern: „Don’t run! If you run, he’ll never stop haunting you …“

„I wish I knew you’d come. I’d have put my face on”

Im Gegensatz zum Original werden Splatter-Fans bei TCM ’22 auf ihre Kosten kommen: Es spritzt zwar ein bisschen zu viel CGI-Blut, doch sind durchaus originelle Kills dabei. Herzstück des Films ist eine kurze Episode, in welcher Leatherface in den hipsterbefüllten Bus steigt und diese ganz cool ihre Smartphone-Kameras auf ihn richten („Try anything and you’ll get cancelled, Bro“), bevor er sich wie ein wilder Derwisch durch versammelte Mannschaft fräst, dass es eine wahre Freude ist. Da sich die grobkörnige Grindhouse-Qualität und das dokumentarische Flair des Originalfilms sowieso nicht reproduzieren lassen, macht TCM ’22 stilistisch intelligenter- und lobenswerterweise sein eigenes Ding: Er legt den Hauptteil des Plots in verregneter Nacht an und bedient sich einer beißenden Neon/Industrial-Ästhetik, die einige einprägsame Bilder hervorbringt. Dazu passt der (nur leicht überproduzierte) Soundtrack des versierten und vielseitigen kanadischen Musikers Colin Stetson wie die Faust aufs Auge, welcher Geräusche wie das Kreischen der Kettensäge als Ausgangspunkt nimmt und damit gleichzeitig auf das Original rekurriert sowie einen modernen Klangteppich schafft. TCM ’22 kommt also durchaus stylish daher (im Gedächtnis haften bleibt z.B. eine desorientierende Mordszene, welche durch eine auf- und zuschwingende Tür gefilmt wird) und kann vor allem in Sachen Spannung punkten. Die knackige Laufzeit unter 90 Minuten gehört für diese Art Film beinahe zum guten Ton, das Ende kommt so fast etwas zu abrupt – ist aber ein Statement!

Fazit

Ans Original reicht TCM ’22 selbstverständlich nicht heran, und man kommt nicht an der Tatsache vorbei, dass es sich um ein kalkuliertes Studioprodukt handelt. Der Stoff ist jedoch in fähige Hände gefallen, sodass der Film für Fans wie Neulinge einiges parat hält und nicht völlig stumpf ausgefallen ist. Schraubt man seine Erwartungen nicht zu hoch, kann man seinen Spaß damit haben. Ob es sich lohnt, bis nach dem Abspann zu warten, muss dann jeder für sich selbst entscheiden.

Fotos: Yana Blajeva / © Legendary, Courtesy of Netflix

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