Troll

Film-Kritik von Michael Drewniok

Geboren aus Stein, verfilmt von Holzköpfen

Im Norden Norwegens soll eine neue Bahnlinie auch durch den Dovre-Nationalpark führen. Naturschützer laufen Sturm gegen dieses Projekt, das ungeachtet der Proteste vorangetrieben wird. Wo Berge im Weg sind, kommt Sprengstoff zum Einsatz. Die aktuelle Explosion weckt eine Kreatur, die dort seit Jahrhunderten geschlafen hat: einen Troll, der mehr als 50 Meter groß ist und sich umgehend auf den Weg in den dicht bevölkerten Süden des Landes macht.

Regierung und Militär sind ratlos und überfordert. Die Premierministerin ruft eine renommierte Paläontologin in ihren Stab. Professor Nora Tidemann kann die zunächst kargen Indizien sehr wohl zu einem Gesamtbild zusammensetzen, aber sie sträubt sich vor der Wahrheit: Nachdem ihr Vater, der Soziologe Tobias Tidemann, seinem wahnhaften Glauben an Trolle u. a. Fabelwesen erlag, hat sie den Kontakt gelöst. Nun fragt Nora den Vater um Rat, und der erlebt triumphierend, dass er richtig liegt, als der gewaltige Troll von zahlreichen Zeugen (und den Medien) gesichtet wird.

Was will die Kreatur in Oslo, wohin sie offenbar unterwegs ist? Tobias stirbt, bevor er Nora diesbezüglich aufklären kann. Eile tut Not, denn der Verteidigungsminister lässt bereits eine Atomrakete zum Einsatz vorbereiten, nachdem aus Panzern abgeschossene Projektile den Troll nicht stoppen können. Gemeinsam mit dem Nerd Andreas und dem Soldaten Kristoffer versucht Nora die Eskalation zu verhindern. In den Unterlagen ihres Vaters findet sie den entscheidenden Hinweis auf das Ziel des Trolls sowie dessen Achillesferse. Im Wettlauf mit dem Militär versucht das Trio die Kreatur aufzuhalten sowie Oslo vor der Vernichtung zu bewahren …

Godzilla made in Sweden

Ein ‚Monster‘-Film aus Europa, sogar aus Norwegen, weckt Erwartungen. „Trollhunter“ entstand 2010 in diesem Land und konnte vorzüglich unterhalten. Regisseur und Drehbuchautor André Øvredal gelang es damals, viele Klischees des Genres zu vermeiden oder so zu variieren, dass sie das Vergnügen selten beeinträchtigten. Hinzu kam eine schon damals erstaunlich leistungsfähige Tricktechnik, die seither weitere Fortschritte gemacht hat.

So konnte man also gespannt sein auf „Troll“, der es wie so viele aktuelle Filme nicht ins Kino schaffte, sondern von einem der wie Pilze im Wald aufschießenden Streaming-Dienste übernommen wurde. „Netflix“ investierte tüchtig in die Werbung, und der Trailer schien zu anzukündigen, was man sich erhoffte: professionelle Unterhaltung mit jenem ‚europäischen‘ Touch jenseits der etablierten Hollywood-Phantastik, die spektakuläre Schaueffekte mit generischen ‚Storys‘ kreuzt.

Doch dem vielversprechenden Beginn folgt rasch das böse Erwachen. „Troll“ ist ein Klon genau jenes Kaijū-Unfugs, mit dem uns besagtes Hollywood im 21. Jahrhundert zu ärgern pflegt. Dramaturgisches Taubgestein wie „Kong: Skull Island“ (2017), „Rampage - Big Meets Bigger“ (2018) oder „Godzilla - King of the Monsters“ (2019) dient als Vorlage, was bereits daran scheitert, dass die „Troll“-Spezialeffekte trotz ihrer Qualität nicht mit denen der Multimillionen-Blockbuster mithalten können.

Was zeigen wir, wenn unser Monster nicht im Bild ist?

In der nordischen Mythologie gibt es Trolle seit mehr als einem Jahrtausend. Sie entstehen in der Erde, ihr Fleisch besteht aus Felsen. Trolle sind dumm, aber stark. Sie fressen Schafe, aber auch Menschen, hassen Metall und fürchten das Sonnenlicht, weil es sie tötet, indem es sie zu Stein erstarren lässt. Außerdem flüchten Trolle vor dem Kreuz und allen anderen Symbolen des Christentums, das - so beschworen es die Missionare - jede Kreatur der Finsternis in Angst und Schrecken versetzt.

Der Mythos ist wesentlich detailreicher, aber was hier skizziert wird reicht aus, um den vor der Kamera umhertollenden Troll zu charakterisieren. Er ist ‚das Monster‘ und sorgt für Bewegung, die dem Film abhandenkommt, sobald die menschlichen Darsteller ins Bild kommen. Ihre Eindimensionalität passt zu einem Plot, der theoretisch durchaus taugt: Logik ist entbehrlich, wenn ein Troll tornadogleich durch Land und Stadt tobt.

Nichtsdestotrotz benötigt auch die Phantasie ein stabiles Gerüst, auf dem das Unglaubliche ruhen kann. „Troll“ gleicht in diesem Punkt einem Becken voller Treibsand. Die Story wird nicht nur auf dem Niveau einer EKG-Flatline erzählt, sondern irritiert zusätzlich durch Brüche, die eine Lawine nie beantworteter Fragen auslösen. So wird in einer Szene thematisiert, dass Trolle den Klang von Kirchenglocken hassen. Deshalb wollen Captain Kristoffer und seine Pilotenkameraden den Riesen in vier Hubschraubern anfliegen und es dabei kräftig läuten lassen, um ihn in eine bestimmte Richtung zu treiben. Man sollte meinen, dass sie das Läuten aus leistungsfähigen Lautsprechern ertönen lassen. Doch Regisseur Uthaug will die Magie starker Bilder erzwingen, weshalb er echte Glocken unter die Hubschrauber hängt! Wie konnte man die so schnell organisieren? Ohnehin verpufft der Einfall, weil es Uthaug plötzlich einfällt, die Hubschrauber den Troll so knapp umrunden zu lassen, dass der die lästigen Lärmquirle problemlos aus der Luft pflücken kann. Nur den Helikopter mit unseren Hauptfiguren an Bord verschont er, damit der Film weiterlaufen kann.

Troll unter Ausschluss der Öffentlichkeit

Oslo zählt mehr als 630000 Einwohner. Die sollen evakuiert werden, als der Troll sich der Stadt nähert. Schnell geschnittene Kurzszenen sollen entsprechende Hektik widerspiegeln, aber tatsächlich veranschaulichen sie nur den eingeschränkten Produktionsrahmen. „Oslo“ beschränkt sich als Kulisse auf einige menschenleere Straßen, in denen ein Trüppchen Soldaten aufmarschiert, die wacker „die Armee“ darstellen sollen.

Panik beschränkt sich auf das Krisenzentrum, in dem die Vertreter von Regierung und Militär auf die Troll-Bedrohung reagieren sollen. Dies beschränkt sich auf Geschrei und ausnahmslos dämliche Entscheidungen, unter denen der Abschuss einer Atomrakete für wahre Facepalm-Orgien sorgt: Existieren zwischen Panzergeschossen und Atomwaffen keine Zwischenkaliber, damit man nicht eine Großstadt einäschern muss, um einen 50-Meter-Troll zu killen?

„Troll“ ist freigegeben ab 12 Jahren und wirkt auch wie ein Kinderfilm, wenn man die Darsteller - Schauspieler mag man sie nicht nennen - bei ihrem Tun beobachtet. Die Rollen sind überzeichnet, oft wird die Grenze zur Karikatur überschritten. ‚Dramatische‘ Szenen wechseln mit peinlich missratenen Witzchen, was sich in Sachen Unerträglichkeit die Waage hält. Zwischenmenschliche Konflikte sind der Fluch auch dieses Monster-Films: Stets wird geredet, geweint und sich versöhnt, wo das Publikum ungeduldig auf den nächsten Auftritt des Trolls wartet. Niemand interessiert sich für die Entfremdung zwischen Tochter Nora und Vater Tobias, die dennoch endlos ausgewalzt (und nach Schema F aufgelöst) wird.

Kopiert, aber nicht begriffen

Nora ist die starke Frau des modernen Films, die indes nur die Klischees ihrer männlichen Vorgänger übernimmt. Die Rolle des ulkigen Trottels übernimmt Andreas, den schon sein Jackett als Nerd kennzeichnet, der er natürlich nicht ist: In der Krise wächst er über sich hinaus und legt echte Heldentugenden an den Tag. Fürs Grobe taugt Captain Kristoffer, der Dienstvorschriften problemlos ignoriert und dabei u. a. auf seinen woke-Kumpel Amir zählen darf. Vierte im Bunde ist die mausgesichtige Sigrid, deren riesige Kreisrundbrille ihr Genie am Computer symbolisiert, weshalb es ihr binnen Sekunden im Alleingang gelingt, den Abschussmechanismus der weiter oben erwähnten Atomrakete zu hacken. Später verpasst sie dem durchdrehenden Verteidigungsminister einen deftigen K.O.-Hieb; der anwesende General registriert es mit anerkennendem Lächeln.

Regisseur und Drehbuch-Mitautor Roar Uthaug hat ausgezeichnete Filme wie „Cold Prey - Eiskalter Tod“ (2006) und „The Wave - Die Todeswelle“ (2015) gedreht. Auf sein Konto geht aber auch die vergurkte „Tomb-Raider“-Version von 2018. Noch stärker als dort scheint Uthaug sich in „Troll“ darauf zu beschränken, inhaltlichen Leerlauf mit Bildern füllen. Was im Trash-Kino à la „Transformers“ oder im Marvel- und DC-Universum klappt, weil es dort hochprofessionell durchgezogen wird, schlägt hier in unfreiwillige Komik und Zuschauerärger um. Dies ist umso bedauerlicher, als die Kamera ausgezeichnete Arbeit leistet. Vor allem die Gebirgswelt des Dovre-Parks wirkt wie aus einem der „Herr-der-Ringe“-Filme entlehnt.

Auch der Troll sieht toll aus und ist mehr als ein Monster, wobei erneut das Drehbuch verhindert, dass er zum Charakter wird: Mal rettet er ein Menschenkind, um im nächsten Moment einen Helikopter zu zerquetschen, dann klagt er herzzerreißend um seine toten Kinder, um dann unglückliche Soldaten in den Boden zu stampfen. Sein Ende reiht sich in die lange Kette logikfreier Ereignisse ein. „Geh‘ zurück in die Berge; wir tun dir nichts mehr!“, ruft ihm Nora zu, woraufhin schlagartig die Sonne aufgeht und nicht nur der Troll merkt, dass es gar keine Zeit für einen Rückzug gab. (Nein, ein Spoiler ist dies nicht: Es gibt keine überraschenden Wendungen in diesem Film!) Als Andreas Nora die obligatorische Frage stellt, ob es wohl noch mehr Trolle gibt, lässt Uthaug die Kamera während des Abspanns selbstverständlich in die Dovra-Berge zurückspringen, wo in einer Höhle ein riesiger Schatten aus dem Boden bricht: Der Kreis hat sich geschlossen, obwohl dieses Garn nur eine kurze Gerade darstellt.

Bilder: © Netflix

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