Yummy - Uncut
Film-Kritik von Michael Drewniok

(Zombie-) Apokalypse Sparsam - die flämische Version

In Sachen Oberweite wurde Alison von der Natur allzu großzügig ausgestattet. Die Zudringlichkeiten busenfixierter Dummkerle hat sie ebenso satt wie die ständigen Rückenschmerzen, weshalb sie eine Brustverkleinerung plant. Da es in der Geldbörse nur verhalten klingelt, hat sich Alison im Internet eine kostengünstig operierende Klinik in Osteuropa ausgesucht. Der Preis ist so niedrig, dass auch Mutter Sylvia aufhorcht: Bei ihr muss turnusmäßig einiges gestrafft und abgesaugt werden, weshalb sie die Tochter begleitet. Als Fahrer fungiert Alisons Freund Michael, den die Mutter (zu Recht) für ein Weichei hält.

Vor Ort entpuppt sich die ‚Klinik‘ als heruntergekommener Plattenbau, dessen Einrichtung und Personal dem Ex-Medizinstudenten Michael zu denken geben. Während die Frauen sich bereitwillig unters Messer legen, führt Faktotum Daniel Michael herum, um ihn von kritischen Nachfragen abzuhalten. Im eigentlich gesperrten Untergeschoss der Klinik sucht Daniel nach Drogen, während Michael in einen Raum und über eine Frau stolpert, die nackt und maskiert auf einem Bett fixiert ist. Als er die Maske entfernt, kommt darunter eine zerfressene Fratze zum Vorschein. Michael und Daniel flüchten entsetzt, die Frau reißt sich los - und fällt über ahnungslose Pfleger und Ärzte her. Wer von ihr gebissen wird, verwandelt sich in einen Zombie und attackiert umgehend weitere Pechvögel.

In der Klinik bricht Panik aus. Gerade noch rechtzeitig kann Michael seine Alison aus dem OP holen. Sie will allerdings ohne ihre Mutter das Krankenhaus nicht verlassen. Die Suche nach Sylvia wird zu einer grotesken Odyssee, denn überall lauern hungrige Zombies. Tölpel Michael wird (fälschlich) als tot zurückgelassen, Alison und Daniel tun sich mit dem Klinikchef und seiner Assistentin zusammen, die nur zu gut wissen, was in dem Krankenhaus umgeht. Weitere Flüchtlinge schließen sich der Gruppe an, später stößt Michael wieder dazu. Treppauf und treppab, durch Säle, Flure und über das Dach bis hinab in den Keller geht die wilde Jagd. Die Untoten lassen nicht locker, und draußen umstellen Soldaten und Polizisten die Klinik, um eine Ausbreitung der Zombie-Seuche verhindern, indem sie unter Feuer nehmen, was oder wer sich nähert …

Spaß an markerschütternder, knochenkrachender Action

Der (flämisch-) belgische Regisseur und Drehbuchautor Lars Damoiseaux gehört zu jenen stets von Finanznot gebeutelten Filmemachern, die ihr neues Projekt via Crowdfunding zu realisieren versuchten. 2016 drehte er „Patient Zero“, einen knapp vierminütigen Kurzfilm, der den geplanten Film skizzierte und ein Werk versprach, das nicht ironisch, sondern bodenständig grobhumorig und vor allem blutig vom Ausbruch einer Zombie-Seuche in einem Krankenhaus erzählen sollte. Es bissen nicht nur genug Untote zu, sondern auch Interessenten an, sodass Damoiseaux und sein Team zur Tat schreiten konnten. Sie rührten die Werbetrommeln und ließen nie in Vergessenheit geraten, dass hier ein „belgischer“ Zombie-Film entstand, was offenbar ein Qualitätsmerkmal darstellt. (Übrigens ist er nicht der erste seiner untoten Art: „Rabid Grannies“ entstand bereits 1988.)

„Yummy“ wurde hierzulande im Rahmen der „Fantasy Filmfest Nights“ 2020 präsentiert - ein Hinweis, der von der Werbung natürlich aufgegriffen wird, wobei man wohlweislich die Zwiespältigkeit des Publikums ignoriert, das ob des Gute-Laune-Schlachtfests nicht unisono in Begeisterungsstürme ausbrach. Dafür lassen sich - s. u. - jenseits des während der Sichtung herrschenden Promillegehalts Gründe nennen. Nichtsdestotrotz kann sich Damoiseaux mit „Yummy“ buchstäblich sehen lassen, ist es ihm doch gelungen, mit wenig Geld - 600.000 Euro geistern als Angabe durch das Internet - einen professionellen Horrorfilm zu drehen.

Natürlich macht sich das Minimal-Budget bemerkbar. Damoiseaux kaschiert es, indem er die Kulissen überschaubar hält. „Yummy“ spielt im Inneren eines Krankenhauses, weshalb kostspielige Panoramaaufnahmen entfallen. Selbst als es im letzten Drittel ‚ins Freie‘ geht, bleibt Damoiseaux seinem Konzept treu, das funktioniert, weil es Teil der Story ist, dass die Kamera den Protagonisten quasi über die Schultern blickt. Wir sehen nie mehr als sie, flüchten mit ihnen gemeinsam, werden überrascht, wenn aus dem Off Zombies ins Bild springen.

Kein falscher Ehrgeiz

Damoiseaux weiß, was wahre Fans schmerzlich vermissen: Horror, der nicht à la „Shaun of the Dead“ ironisch gebrochen, sondern holzhammerhart präsentiert wird. Humor ist gestattet, wenn er pechschwarz und politisch unkorrekt ist. Ansonsten sollen die guten, alten Zeiten aufleben, als Klassiker wie „Dawn of the Dead“ (1979) oder „Re-Animator“ (1985) durchweg ‚handgemachte‘ Effekte und einem Gore-Faktor boten, der die Zensurbehörden global schäumen ließ.

Die Hommage gilt als Ehrung des Originals, weshalb Damoiseaux mehrfach Szenen aus dem genannten und anderen verehrten Film-Schlachtplatten übernimmt. Natürlich ist jene Szene darunter, in der Untote einen Pechvogel lebendigen Leibes in Stücke reißen, dass die Därme nur so fliegen. Auch sonst wird gemetzelt, dass es eine (sündige) Freude ist, wobei in der Hitze des Gefechts gern auf mordfremde, aber einfallsreich zweckentfremdete Instrumente zurückgegriffen wird.

Demgegenüber ist die Story hauptsächlich Vorwand. Die Protagonisten müssen irgendwo isoliert und eingesperrt werden. Ist das geschehen, wird gerannt, gespalten und gestorben. Dabei zerfällt die Handlung in Episoden, was immer dann bemerkbar ist, wenn das Tempo nachlässt; dies geschieht einerseits erfreulich selten, andererseits aber ausgerechnet im letzten Drittel, das deshalb deutlich abfällt. Dann verlagert sich das Geschehen ins Freie, was die Budgetlimits unvorteilhaft betont.

Das Beste geben

Ungeachtet des Sparbudgets konnte Damoiseaux nicht nur einen einfallsreichen Kameramann und wahrlich engagierte Effektkünstler, sondern auch ‚richtige‘ Schauspieler engagieren. (Erst die deutsche Schmalspur-Synchronisation beeinträchtigt deren Leistungen.) Man wundert sich, wie er Maaike Neuville - deren Arbeitsbiografie eine beachtliche Darstellungsbreite verrät und die selbst Filme inszeniert hat - für die weibliche Hauptrolle gewinnen konnte. Es zahlt sich aus; Alison ist keine hohlköpfige Teenie-Maus (sowie sichtlich nicht mehr ganz jung), und die genretypischen Titten-‚Witze‘ fallen drastisch auf ihre Verursacher zurück.

Ohne Furcht vor der Peinlichkeit stürzt sich Veteran Tom Audenaert als inkognito penisoperierter William in eine brachialklamaukige Szene, die ihn erst das aufgewertete Gemächt und dann das Leben kostet. Eric Godon und Clara Cleymans geben formvollendet den schmierigen Ostblock-Pfuscher und seine überelegante ‚Assistentin‘, die ihn an Skrupellosigkeit weit übertrifft. (Übrigens spielt „Yummy“ in keinem echten Land; selbst die ‚östlich‘ klingende Sprache wurde eigens für diesen Film entwickelt. In diesem Zusammenhang ist auch der krude, mitreißende Musik-Score positiv hervorzuheben.)

Möglicherweise glänzt auch Bart Hollanders als Darsteller. Man kann Michael jedoch einfach nicht leiden bzw. ärgert sich über seine allzu offensichtliche Krisenuntauglichkeit, die ihn dennoch immer wieder dort überleben lässt, wo es selbst humorvoll überspitzt unglaubwürdig ist. Der Rollentausch zwischen „starkem Mann“ und „schwachen Mädchen“ ist längst selbst zum Klischee geronnen. Generell zündet von drei Gags einer ordentlich, einer ist erträglich, der dritte eine Zumutung: Dieses Muster zieht sich durch den gesamten Film. Humor ist freilich eine Frage der Definition, weshalb manche Zuschauer anders denken mögen. Auch Handlungskonsistenz und inhaltlicher Rhythmus könnten in einem Feel-Good-Horrorstreifen nebensächlich sein (aber es gibt sie in anderen Genrefilmen, deren Wertigkeit sie eindeutig erhöhen). So kann man anderthalb Stunden „Yummy“ unterhaltsam finden, ist man bereit, jederzeit Bekanntes neu aufgerührt zu genießen.

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Yummy - Uncut

  • Originaltitel: Yummy (Belgien 2019)
  • Regie: Lars Damoiseaux
  • Drehbuch: Lars Damoiseaux/Eveline Hagenbeek
  • Kamera: Daan Nieuwenhuijs       
  • Schnitt: Pieter Smet
  • Musik: Nico Renson
  • Darsteller: Maaike Neuville (Alison), Bart Hollanders (Michael), Benjamin Ramon (Daniel), Clara Cleymans (Janja), Annick Christiaens (Sylvia), Eric Godon (Dr. K.), Joshua Rubin (Yonah), Taeke Nicolaï (Oksana), Tom Audenaert (William), Noureddine Farihi (Putzkraft), Louise Bergez (Patient Zero) u. a.
  • Label/Vertrieb: Busch Media Group (https://buschmediagroup.de)
  • Erscheinungsdatum: 23.10.2020
  • EAN: 4260080328197 (DVD)/4260080328203 (Blu-ray)/4260080328531 (Mediabook/2-Disc Limited Collector's Edition)
  • Bildformat: 16 : 9 (2,35 : 1, anamorph)
  • Audio: Dolby Digital 5.1 (Deutsch, Flämisch - DVD)/DTS-HD MA 5.1 (Deutsch, Flämisch - Blu-ray)
  • Untertitel: Deutsch
  • DVD-Typ: 1 x DVD-9 (Regionalcode: 2)
  • Länge: 85 min. (DVD)/89 min. (Blu-ray)
  • FSK: 18
  • Der oben erwähnte Kurzfilm „Patient Zero“ wurde als Extra aufgespielt.

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