Das Spukhaus in Film und Fernsehen

von Dr. Michael Drewniok

(Noch) stumme Kunst der bewegten Täuschung

Erwartungsgemäß blieb das Spukhaus nicht auf die Literatur beschränkt. Jede weitere Möglichkeit eine Geschichte zu erzählen, wertete es als Handlungsort neu auf. Deshalb spukte es schon früh im Kino, und nach dem Zweiten Weltkrieg griffen übernatürliche Kräfte auf das Fernsehen über. (Selbstverständlich ging es auch im Radio, auf der Theaterbühne, im Comic oder - viel später - im Internet um, aber dieses Treiben bleibt hier unberücksichtigt. Überhaupt kann dieser Beitrag nur einen Überblick auf cineastische und televisionale Geistereien bieten, der sich zudem auf den US-amerikanischen und englischen Raum konzentriert.)

Als erster Film, der in einem Geisterhaus spielt, gilt der 1896 vom französischen Filmpionier Georges Méliès (1861-1938) inszenierte „Le Manoir du Diable“. In nur drei Minuten präsentierte er bereits (vor allem im Bühnenbild) eine Auswahl genrerepräsentativer Elemente. Sobald sich das Kino zur „vierten Macht“ entwickelte, begann es weltweit zu spuken. Beispielhaft werden drei Werke aus Deutschland genannt, das bis 1933 für qualitativ und quantitativ hochwertiges Genre-Kino bekannt war: Robert Wiene ließ für „Das Cabinet des Dr. Caligari“ eine schiefe, verwinkelte und durch gemalte Licht- und Schatteneffekte zusätzlich verfremdete Albtraum-Stadt entstehen. Friedrich Wilhelm Murnau (1888-1931) bzw. der Filmarchitekt Albin Grau (1884-1971) sorgten 1922 in „Nosferatu - Eine Symphonie des Grauens“ dafür, dass Orova, das Schloss des Vampir-Grafen Orlok - ein das Copyright umgehender ‚Doppelgänger‘ des Grafen Dracula -, sämtliche Erfordernisse eines untot bewohnten Ortes erfüllte. 1927 setzte Fritz Lang (1890-1976)  im ansonsten Hightech-orientierten „Metropolis“ den verrückten Erfinder/‚Magier‘ Rotwang kontraststark in ein uraltes, düsteres Haus mit geheimgangerweitertem Keller und alchimistischem ‚Labor‘.

In den USA sorgte der Aufstieg von Hollywood für eine Evolution des Geisterhauses - und bald für seine Schablonisierung, wobei die entwickelte Formelsprache die  einschlägigen Filme bis heute prägt. 1922 hatte das Theaterstück „The Cat and the Canary“ großen Erfolg am Broadway gefeiert. Das Kino nutzte gern Stoffe, die ihre (lukrative) Publikumswirksamkeit bereits unter Beweis gestellt hatten. 1927 entstand unter der Regie von Paul Leni (1885-1929) der gleichnamige Film. Zwar stellt sich letztlich heraus, dass der ‚Spuk‘ von Clifton Castle vorgetäuscht ist, doch es wurden praktisch sämtliche Register gezogen, die das Genre bereits vorgab.

„Graf Orlok … wünscht ein recht schönes, ödes Haus.“ (Nosferatu, 1922)
Roger Crosby: „You must have been lonely here these twenty years, Mammy Pleasant.“
Mammy Pleasant: „I don't need the living ones.“ (The Cat and the Canary, 1927)

Sichtbarer Schrecken wird zusätzlich hörbar

Der Tonfilm fügte den (noch schwarzweißen) Bildern den Ton hinzu, der den Schrecken perfekt um eine weitere Dimension erweiterte. Nun konnte man die Zuschauer auch über das Ohr täuschen und in Furcht versetzen, indem Worte, Musik oder Klänge eine Bedrohung ankündigten, verbargen und verstärkten. Bereits sehr professionell setzte James Whale (1889-1957) - der im Vorjahr „Frankenstein“ inszeniert hatte - dies 1932 „The Old Dark House“ („Das Haus des Grauens“/„Das Haus des Schreckens“) ein.

Die frühen Geisterhaus-Filme setzten mehrheitlich auf die Kolportage: Schöne Frauen werden von Geistern gejagt, denen wiederum wackere Mannsbilder rettend im Nacken sitzen. Es wird gerannt, gekreischt, das Licht fällt aus, draußen blitzt und donnert es. Natürlich dauerte es nicht lange, bis dies zum Klischee gerann und karikiert wurde. So wie zur Furcht der Humor = das befreiende Lachen gehört, gesellte sich zum Geisterhaus-Grusel die Geisterhaus-Komödie. 1921 verirrte sich Buster Keaton in ein vorgebliches Spukhaus, in dem allerdings nur Geldfälscher umgehen („The Haunted House“/„Buster Keatons Nacht des Inferno“ bzw. „Das verwunschene Haus“). 1930 gerieten Stan Laurel und Oliver Hardy in Onkel Ebeneezers Villa, wo sie mit humoristisch verfremdeten Schrecken konfrontiert werden („The Laurel & Hardy Murder Case“/„Ohne Furcht und Tadel“). Das eher grobklamaukige, aber ebenso erfolgreiche Duo (Bud) Abbott & (Lou) Costello zog 1941 mit „Hold That Ghost!“ („Vorsicht Gespenster!“) nach.

Ungeachtet solcher Trivialisierungen und Ironisierungen entwickelte das Genre sich weiter. Die Geister wurden ‚ätherischer‘, ihr Wirken erhielt einen (mehr oder weniger) psychologischen Hintergrund. Schon 1944 belegte Lewis Allan (1905-2000) mit dem zwar in Hollywood gedrehten, aber in einem ‚typischen‘ englischen Landhaus (nahe einer Steilküste) spielenden Thriller „The Uninvited“ („Der unheimliche Gast“) die Möglichkeiten, die dieser Weg bot: Die Ingredienzien wurden verfeinert, während das bewährte Rezept unverändert blieb.

„We make our own electric light here, and we are not very good at it. Pray, don't be alarmed if they go out altogether.“ (The Old Dark House, 1932)
„Oh a bed, that's just what I need, a nice big bed to hide under!“ (Hold That Ghost!, 1941)
„If you listen to it long enough, all your senses are sharpened. You come by strange instincts. You get to recognize a peculiar cold that is the first warning. A cold which is no mere matter of degrees Farenheit, but a draining of warmth from the vital centers of the living.“ (The Uninvited, 1944)

Neue Zeit und neue Geister

Zwar blieb der klassische Grusel dem Genre stets als Nische erhalten. Nichtsdestotrotz sorgte der Zweite Weltkrieg für eine Zäsur. Die Welt lernte reales, ausschließlich durch Menschen verursachtes Grauen kennen, gegen das jeder ‚jenseitige‘ Schrecken verblasste. Dies konnte nicht ohne Einfluss auf die (Populär-) Kultur bleiben. Der Horror wurde ‚realistisch‘ und gleichzeitig drastischer. Das Spukhaus war nicht ausgespart. Mit dabei war das sich schnell und immer weiter ausbreitende Fernsehen. Rod Serling (1924-1975), Pionier des ‚fantastischen‘ TVs, vergaß das heimgesuchte Haus nicht, als er Anthologie-Serien wie „The Outer Limits“ (1963–1965) oder „Night Gallery“ (1969, 1970-1973) schuf. Unvergesslich blieben die wunderlichen ‚Heimstätten‘, in denen „The Addams Family“ (1964-1966), „The Munsters“ (1964-1966) oder die Vampire von „Dark Shadows“ (1966-1971) hausten, obwohl dieser ‚Horror‘ wieder komödiantisch angelegt war. Die Nostalgie sorgte aber dafür, dass die Klassik immer wieder lupenrein und publikumswirksam altmodisch ihrer Mottenkiste entwich. So wurde in England M. R. James (1862-1936), der Großmeister des boshaften Spuks, gleich fünffach als Autor für die zu Weihnachten ausgestrahlte Serie „A Ghost Story for Christmas“ (1971-1978) bemüht.

Wie man den ‚neuen‘ Spuk glaubhaft und erschreckend darstellen konnte, demonstrierten drei Meister der Filmkunst in kurzer Folge. Alfred Hitchcock (1899-1980) verzichtete in „Psycho“ 1960 zwar auf Geister, schuf aber mit dem Bates-Haus das unsterbliche Sinnbild eines unheimlichen Hauses. Ein Jahr später verfilmte Jack Clayton (1921-1995) kongenial Henry James‘ „The Turning of the Screw“ („Das Durchdrehen der Schraube“) als „The Innocents“ („Schloss des Schreckens“). Den bisher selten bzw. nie wieder erreichten Gipfel des Geisterhaus-Grusels markierte 1963 Robert Wise (1914-2005) mit „The Haunting“ („Bis das Blut gefriert“). Ohne jemals den Spuk zu zeigen, erzählt er mit grandiosen Andeutungen und einer Tonspur, die das Hirn des Zuschauers genau dort trifft, wo die Gänsehaut entsteht, eine Geschichte, die uns genial im Ungewissen lässt: Geht es in Hill House wirklich um, oder ist die labile, anscheinend ‚übersinnlich‘ begabte Nell Auslöser und Motor des immer brachialer werdenden Spuks?

Das Geisterhaus-Grauen lief zweigleisig weiter, wobei gegenseitige ‚Anleihen‘ zwischen drastischem Horror und psychologischem Symbolismus möglich waren (aber selten gelangen). Der Horror profitierte von einem technischen Fortschritt, der Spezialeffekte ermöglichte, die bald als Prüfung für die Brechreiz-Resistenz des Publikums taugten. Gleichzeitig schwand die Macht einer Zensur, die bisher scharf darauf geachtet hatte, dass es nicht gar zu gewalttätig wurde und vor allem Blut und Busen sich nicht mischten. Damit war es Ende der 1960er Jahre vorbei. Selbst die großen Studios waren sich dies- und jenseits des Atlantiks nicht mehr zu fein für Häuser, in denen es nicht nur unheimlich, sondern auch nackt und unzüchtig („The Sentinel“/„Hexensabbat“, 1977; „Ghost Story“/„Zurück bleibt die Angst“ bzw. „Rache aus dem Reich der Toten“, 1981) oder wenigstens widerwärtig zuging („The Legend of Hell House“/„Tanz der Totenköpfe“, 1973; „Poltergeist“/„Poltergeist“, 1982).

„Hill House itself, not sane, stood against its hills, holding darkness within; ... and whatever walked there, walked alone.” (The Haunting, 1963)
„I will take you places you've never been. I will show you things that you have never seen and I will see the life run out of you.“ (Ghost Story, 1981)
„They’re heee-re!“ (Poltergeist, 1982)         

Der Spuk verlässt die Deckung

Es blieb ihnen auch nichts übrig, denn die Konkurrenz legte keine Hemmungen an den Tag. Das Fernsehen band mehr und mehr Zuschauer und strahlte zwar hausbacken inszenierten, aber durchaus spannenden Grusel aus („The House That Would Not Die“/„Das Spukhaus“, 1970; „Something Evil“/„Haus des Bösen“, 1972 - ein Frühwerk von Stephen Spielberg). Erfolgreiches, rabiates Kino konnten auch kleine, unabhängige Filmemacher produzieren - dies beispielsweise in Europa, wo u. a. italienische Regisseure wie Dario Argento („Suspiria“/„Suspiria - In den Krallen des Bösen“, 1977), Lucio Fulci (1927-1996) („Quella villa accanto al cimitero“/„Das Haus an der Friedhofsmauer“, 1981) oder Umberto Lenzi (1931-2017) („La casa 3“/„Ghosthouse“) die Grenzen des (gesetzlich) Möglichen austesteten und (gerade deshalb) ihr Publikum fanden.

Mit dem Aufstieg der Videokassette in den 1980er Jahren entstanden kostengünstig B-Movies und Trash-Thriller, die gern auf das gute, alte Geisterhaus zurückgriffen. Mit Filmen wie „Evil Dead“ („Tanz der Teufel“, 1981) bzw. „Evil Dead II“ („Tanz der Teufel II“, 1987) legte Sam Raimi die Messlatte zumindest in Sachen Splatter-Horror auf eine zuvor nie gekannte Höhe. Andere ‚junge Wilde‘ zogen mehr oder weniger drastisch nach: Don Coscarelli („Phantasm“/„Das Böse“, 1979), Tobe Hooper („The Funhouse“/„Das Kabinett des Schreckens“), Steve Miner („House“/„House - Das Horrorhaus“, 1986) oder Tibor Takacs („The Gate“/„Gate - Die Unterirdischen“, 1987).

Ihnen stemmten sich wacker Vertreter eines in der Darstellung weiterhin eher zurückhaltenden Grauens entgegen: Stuart Rosenberg (1927-2007) („The Amityville Horror“/„Amityville Horror“, 1979), Peter Medak („The Changeling“/„Das Grauen“, 1980), Stanley Kubrik (1928-1999) („The Shining“/„Shining“, 1980) oder Bernard Rose („Paperhouse“/„Paperhouse - Albträume werden wahr“, 1988) belegten, dass sie ebenfalls Spannung und Schrecken garantieren konnten, indem sie die Psyche als Quelle des Schreckens offenlegten. Im Fernsehen sorgte Stephen Spielberg als Produzent mit „Amazing Stories“ (1985-1987) für familientauglichen Geister-Grusel, während es in „Tales from the Crypt“ (1989-1996) härter zur Sache ging (und der „Cryptkeeper“ die Zuschauer stilecht im Kellertief eines Spukhauses empfing.) Auch „The Outer Limits“ (1995-2002) kehrte zurück.

„What did he do to make this house so evil, Mr. Fischer?“
„Drug addiction, alcoholism, sadism, beastiality, mutilation, murder, vampirism, necrophilia, cannibalism, not to mention a gamut of sexual goodies.
Shall I go on?“ (The Legend of Hell House, 1973)
„He heard voices in the house and the voices told him to do it! Now, I was in the house and I heard the voices, too! And I also felt their presence in the house! I'm telling you, there was a presence in that house!“ (The Amityville Horror, 1979)
„That house is not fit to live in. No one's been able to live in it. It doesn't want people.“ (The Changeling, 1980)

Millennium: Fortsetzung folgt bzw. noch einmal ohne Gefühl

Nach dem Millennium spukte es weiterhin heftig in allen möglichen Häusern, wobei nunmehr Drastik und Humor eine engere Beziehung eingingen. Billig produzierte, inhaltlich flaue Grusel-‚Komödien‘ hatte es immer gegeben („Monsters Crash the Pajama Party“, 1965; „Hillbillys in a Haunted House“ 1967), erfreuliche Ausnahmen kamen vor („Beetlejuice“, 1988). Nun nahm zumindest die Qualität der Spezialeffekte und der daraus resultierende ‚Humor‘ zu: Dem einfallsreichem Abschlachten wohnt ein eigener Reiz inne. Filme wie „Haunted Hill“ (1999) und „13 Ghosts“ („Das Haus der 13 Geister“, 2001) waren unter den ersten einer Reihe entsprechender Filme, unter denen sich hin und wieder echte Perlen fanden, die das Genre geschickt ironisierten und dabei (sachte) hinterfragten („The Cabin in the Woods“, 2012).

Die 2000er Jahre waren eine Ära der Remakes und Relaunches. Was sich in der Vergangenheit publikumswirksam bewährt hatte, wurde aufgegriffen, abgestaubt und neu verfilmt - mit manchmal unfreiwillig schauerlichem Ergebnis: „The Haunting“ („Das Geisterschloss“, 1999) ist das vielleicht beste/traurigste Beispiel. Auch die bereits erwähnten „Haunted Hill“ und „13 Ghosts“ waren Remakes; hinzu kamen Neufassungen nicht wirklich alter Erfolge wie „Amityville Horror“ (2005), „Evil Dead“ (2013) und „Poltergeist“ (2015). In Hollywood griff man gern auf ausländische Vorlagen zurück, die mehr oder weniger gelungen ‚amerikanisiert‘ wurden wie „Suspiria“ (2018) oder „The Grudge“ (2004 und wieder 2020). Auch im Fernsehen wurde ‚adaptiert‘: Aus dem genialen „Riget“/„Hospital der Geister“, 1994-1997 in Dänemark entstanden, wurde in den USA das biedere „Kingdom Hospital“ (2004), obwohl Stephen King am Drehbuch mitarbeitete (der bereits 1997 bzw. 2002 als Autor der dreiteiligen Mini-Serien „The Shining“ und „Rose Red“/„Haus der Verdammnis“ dem Genre keinen Gefallen getan hatte).

Nicht wenige dieser Filme waren erfolgreich genug für mehr als eine Fortsetzung. Das „Franchise“ breitete sich aus: Ein Film wird nicht nur zur Serie, sondern die Idee generell multimedial gemolken, bis die Kuh letztlich tot umfällt (und nach einiger Zeit wiederbelebt wird). So folgten auf „Paranormal Activity“ (2007) bis 2015 nicht nur vier ‚direkte‘ Fortsetzungen, sondern der einen ‚Seitenstrang‘ der Hauptstory aufgreifende „Paranormal Activity: The Marked One“ („Paranormal Activity: Die Gezeichneten“, 2014) sowie der in Japan spielende „Paranormal Activity: Tokyo Night“ (2010). Ähnlich einträglich waren „Insidious“ (vier Teile zwischen 2011 und 2018), „The Conjuring (drei Teile zwischen 2013 und 2020) oder „Annabelle“ (drei Teile zwischen 2014 und 2019), wobei zwischen manchen Serien Querverbindungen bestehen sowie weitere Fortsetzungen bevorstehen.

„Basically, they’re these malevolent evil spirits that only exist to cause pain and commit evil for their own amusement.“ (Paranormal Activity, 2007)
„You've seen horrible things: an army of nightmare creatures. And they are real. But they are nothing compared to what lies beneath us. There is a greater good, and for that you must be sacrificed. Forgive us... and let us end it quickly.“ (The Cabin in the Woods)
„You have a lot of spirits in here, but there is one I'm most worried about because it is so hateful.“ (The Conjuring, 2013)

Früchte des Grauens

Glücklicherweise gibt es erfreuliche Schatten dort, wo faule oder unfähige Filmemacher viel zu viel Licht verbreiten. Anders ausgedrückt: Weiterhin vermögen Könner dem alten Spukhaus neues ‚Leben‘ einzuhauchen. So wurde es 2000 kurzerhand in ein Raumschiff verwandelt; das Konzept funktionierte auch hier („Supernova“). In „The Others” wechselte Regisseur und Drehbuchautor Alejandro Amenábar 2001 quasi die Seiten und präsentierte ein Haus, in dem die Geister unter dem Zuzug lebendiger Neumieter leiden. Sehr klassisch inszenierte Juan Antonio Bayona den Mystery- und Psycho-Thriller „The Orphanage“ (Das Waisenhaus, 2007), in dem sich alte und neue Schuld mischen - ein Thema, das auch Robert Zemeckis 2000 routiniert à la Hollywood (mit Harrison Ford und Michelle Pfeiffer in den Hauptrollen) aufgriff („What Lies Beneath“/„Schatten der Wahrheit“). Eher kammerspielartig und deutlich eindringlicher beschäftigten sich Nick Murphy in „The Awakening" („The Awakening - Geister der Vergangenheit“, 2011) oder Rodrigo Gudiño („The Last Will and Testament of Rosalind Leigh“, 2012) mit diesem Thema.

Die Begegnung zwischen den Welten nimmt in der Regel weiterhin kein gutes Ende. Exemplarisch seien drei Filme genannt, die dies vor Kulissen durchspielen, in denen die Ausstattung die Handlung entscheidend mitprägt. „The Woman in Black“ („Die Frau in Schwarz, 2012, fortgesetzt 2014) zeigt die Rache einer unversöhnlichen Geisterfrau, die eher ein Amoklauf ist. In einem schwelgerisch mit „Gothic“-Symbolik überladenen Geisterhaus entfesselte ‎Guillermo del Toro 2015 ein Drama um Leben und Tod, wobei die Übergänge fließend sind („Crimson Peak“, 2015). Um einen Fluch und den gefährlichen Versuch einer Erlösung ging es in „The Lodgers” („The Lodgers - Zum Leben verdammt“, 2017). Diese Filme spielen in der Vergangenheit, was durch die Abwesenheit moderner Technik, zeitgenössische Kostüme u. a. Merkmale einer versunkenen Realität den Raum zwischen Diesseits und Geisterwelt zusätzlich schmal wirken lässt.

Modern kommt das Grauen über die Bewohner anderer Geisterhäuser. In „Mirrors“ (2008) will sich ein Dämon in einem niedergebrannten Warenhaus (!) - das einst eine zwielichtige psychiatrische Anstalt war - in die Realität zurückkämpfen. Dabei geht es wie so oft im modernen Hollywood außerordentlich effektlastig zu. Deutlich zurückhaltender bleibt der Schrecken in „The Resident“ (2011), wobei die Anwesenheit eines heimlichen ‚Untermieters‘ das Geisterhaus in ein Labyrinth und ‚Anti-Heim‘ verwandelt; dieses ‚Spiel‘ zwischen allgegenwärtigem Jäger und ahnungslosem Opfer wurde ähnlich spannend 2012 in „The Pact“ dargeboten. ‚Nur‘ altmodisch - ein verrufenes Haus soll auf eventuellen Geisterbefall untersucht werden - wirkt inhaltlich wie formal „Winchester“ („Winchester - Das Haus der Verdammten“, 2018). Hier steht das Gebäude - sein verdächtig-unheimliches Äußeres, seine bizarre ‚Einrichtung‘ - im Vordergrund; ein Stilmittel das in „The Abattoir“ (Abattoir - Er erwartet dich!“, 2016) oder „Blair Witch“ (2016) selbstzweckhaft auf die Spitze getrieben wird.

„Sometimes the world of the living gets mixed up with the world of the dead.“ (The Others, 2001)
„I believe the most rational mind can play tricks in the dark.“ (The Woman in Black, 2012)
„Ghosts are real, this much I know. There are things that tied them to a place, very much like they do to us. Some remained tied to a bunch of land, a time and date, a spilling of blood, a terrible crime ... There are others, others that hold on to an emotion, a grief, a lost, revenge, or love. Those, they never go away.“ (Crimson Peak, 2015)

Der Spuk wird weitergehen

Das digitale Zeitalter wird dem Geisterhaus kein Ende bereiten. Neben Kino und Fernsehen haben sich Streaming-Dienste als dritte Unterhaltungsmacht etabliert. Längst lassen sie nicht mehr für sich produzieren, sondern übernehmen dies selbst. Im Trend liegen weniger Serien mit bis zu 26 Staffelfolgen, sondern Mini-Serien, die den veränderten Sehgewohnheiten moderner Zuschauer Rechnung tragen: Man will nicht mehr auf eine Fortsetzung in der kommenden Woche warten, sondern womöglich die Gesamtserie am Stück sehen. Die Übertragungstechnik macht es möglich. Abseits des ‚öffentlichen‘ Fernsehens und an der Seite der Bezahl-Sender des Satelliten- bzw. Kabelfernsehens hat die Zensur weniger Macht, weshalb es auf Bildschirm und Monitor mindestens ebenso blutig wie und nicht selten nackter zugeht als im aktuellen Mainstream-Kino.

Dem sinnlos im Special-Effects-Spektakel versackten Remake von 1999 folgte 2018 erfolgreich die Netflix-Serie „The Haunting of Hill House“/„Spuk in Hill House“, die in ihrer zweiten Staffel Shirley Jacksons Vorlage hinter sich lassen und Henry James‘ „Das Durchdrehen der Schraube“ aufgreifen (oder verwursten?) wird. (Ein Kinofilm mit dem Titel „The Turning“/„Die Besessenen“ scheiterte 2020 krachend.) Mehrfach standen in „American Horror Story“ Geisterhäuser im Zentrum des Geschehens: Staffel 1 („Murder House“, 2011), Staffel 2 („Asylum“, 2012), Staffel 3 („Coven“, 2013), Staffel 5 („Hotel“, 2015). Das Network HBO produziert 2020 „Lovecraft Country“. Hier trifft „Southern Gothic” auf die Rassendiskriminierung im Süden der USA in den 1950er Jahren: Fiktiver und realhistorischer Horror gehen eine bemerkenswerte Verbindung ein. Die Handlung spielt u. a. in mehreren Spukhäusern. (HBO ist übrigens seit 2017 die neue Heimat des Cryptkeepers bzw. der „Tales from the Crypt“.)

Im Zeitalter mehr oder weniger inszenierter ‚Dokumentar-Sendungen“ darf das Geisterhaus nicht fehlen. Es ist verlockend kostengünstig, talentfreie Freizeit-Mimen in ein verfallenes Gebäude zu schicken, sie dort durch Nachtsichtgeräte spähen und regelmäßig „Was war das?“ schreien zu lassen. Nie wird wirklich etwas aufgeklärt, die ‚Beweise‘ sind an dünnen Haaren herbeigezogen, angeblich ‚echtes‘ Grauen ist vorgetäuscht. Trotzdem sind stets nach denselben Bauernfänger-Regeln gezimmerte Serien wie „Haunted Hotels“ (2001-2005)“, „Ghost Hunters“ (2004-2016, neu ab 2019), „A Haunting“ (2005-2019) oder „The Haunted“ (2009-2011) ungemein beliebt; es gibt viele, viele andere, und wer noch immer nicht genug hat von geballter Unlogik, dreister Täuschung und trickbillig nachgeäfftem ‚Spuk‘, findet mehr als genug einschlägigen Stoff im Internet. Aber das ist eine andere Geschichte, die vielleicht irgendwann ebenfalls erzählt werden sollte …

„No matter how gruesome or horrible the murder, you can always find someone who’ll buy the house.“ (American Horror Story - Murder House)
Shirley: „Where's Mom?“
Steven: „I thought I saw her upstairs.“
Hugh: „That's not Mom.
(The Haunting of Hill House, 2018)
„I keep hearing like a small gasp ... [Später:] ... It's you, you stupid cat; your nose whistles! Get out of here!“ (Ghost Hunters, 2004-2016)

Nachtrag: Obwohl ich für diesen Artikel primär mein eigenes Hirn bemüht habe, sind mir die dort abgespeicherten Fakten nicht zugeflogen. Ich verdanke sie der seit vielen Jahren eifrig studierten Sekundärliteratur, aber auch Filmrezensionen, Filmkommentaren (die ich mir tatsächlich stundenlang voller Wissbegier und notfalls mit Untertiteln anhöre) und sämtlichen Informationsträgern, derer ich habhaft werden konnte und kann. Anders gesagt: Ich stehe als Zwerg auf den Schultern von Riesen.

Da ich mir Fuß- oder Endnoten verkneifen soll, kann ich nur darauf hinweisen, dass die Sichtung älterer sowie (mir) neuer Quellen half, oft schon überlagertes Wissen durchzulüften und zu aktualisieren. (Gerade recht kam mir beispielsweise Paul Meehan: The Haunted House on Film: An Historical Analysis, Jefferson/North Carolina : McFarland & Company 2020.) Was das Ergebnis angeht, galt es Mut zur Lücke beweisen; alternativ müsste/könnte ich natürlich ein Buch über Geisterhäuser schreiben, doch davon gibt es mehr als genug! Schließlich sei darauf hingewiesen, dass sämtliche Fehler auf meine Kappe gehen.

Titel-Motiv "Spukhaus": iStock.com/ISO3000
Foto "Geisterfrau": iStock.com/chainatp

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