Ich muss schreien und habe keinen Mund

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 2014
  • 2
Ich muss schreien und habe keinen Mund
Ich muss schreien und habe keinen Mund
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Carsten Kuhr
100°1001

Phantastik-Couch Rezension vonAug 2014

Ein Klassiker wird (wieder)entdeckt

Eigentlich sollte der Name Harlan Ellison jedem Freund der Science Fiction ein Begriff sein. Sollte, schon diesem Konjunktiv ist zu entnehmen, dass die Realität so aussieht, dass kaum ein Leser in unseren Landen ihn kennt. Diesem beklagenswerten Umstand hat Herausgeber und Lektor Sascha Mamczak den Kampf angesagt und ist ein verlegerisches Wagnis eingegangen. Er veröffentlich ein Buch mit Kurzgeschichten, noch dazu ein Buch eines Autors, den bei uns kaum jemand kennt.

Mehr noch, statt das Werk als möglichst dünnes, billiges Taschenbuch in der Masse der Veröffentlichungen zu verstecken macht er selbstbewusst und vom Inhalt überzeugt ein dickes Paperback daraus. Wirtschaftlicher Selbstmord, so werden viele unken, ein mutiger Versuch einen Autor, der etwas zu sagen hat, der weiss was und wie er schreibt endlich dem ihn zustehenden Platz zu verschaffen halte ich dagegen.

Ein stilistisch meisterhafter, vor Ideen überquellender Autor

Harlan Ellison ist dafür bekannt, dass er ein Querdenker ist, der seine Meinung auch lautstark vertritt. Er ist ein Mann, der zu seinen Überzeugungen steht, der überpünktlich arbeitet und gerne und viel aneckt. Und er ist ein Autor, der nicht nur über unermessliche Einfallskraft verfügt, sondern auch wie Wenige mit Sprache arbeitet und umgeht. Dass er immer wieder nach Hollywood gerufen wurde, dort erfolgreich gearbeitet hat bis er dann, weil er seine Vorstellungen nicht eins zu eins umsetzen konnte lieber ging, als sich zu prostituieren passt da nur ins Bild. Als Sohn der einzigen jüdischen Familie im Viertel sah er sich schon früh Anfeindungen ausgesetzt. Viel Feind, viel Ehr könnte man treffend formulieren, prägte ihn diese Zeit doch massgebend, bevor er nach New York ging, um seiner Passion, dem Schreiben nachzugehen.

Warum aber hat Sascha Mamczak ausgerechnet eine Sammlung seiner Kurzgeschichten aufgelegt, und keinen – phantastischen – Roman? Ganz einfach, weil Ellison nie auch nur einen SF-Roman geschrieben hat.

Er ist ein Meister der kurzen Prosa, liebt das intelligente Spiel mit der Idee, will diese nicht endlos ausrollen, sondern stringent und auf den Punkt geschrieben überraschen.

Dass er damit, zumindest in seinem Heimatland, erfolgreich ist beweisen mannigfaltige Preise.
Einen von insgesamt acht Hugo-Awards erhielt er für „Jetty is Five" - weitere für Repent, Harlequin! Said the Ticktockman / I Have no Mouth, and I must Scream / The City on the Edge of Forever / The Beast that Shouted Love at the Heart of the World / The Deathbird, Adrift Just Off the Islets of Langerhans / A Boy and his Dog sowie Paladin of the Lost Hour), dazu kamen vier Nebula Awards („Repent Harlequin" Said the Ticktockman /, A Boy and his Dog / Jeffy is Five / How Intersting: A Tiny Man), fünf Bram Stoker Awards (Mephisto in Onyx / Chatting with Anubis / I Have No Mouth, and I must Scream), zwei Edgar Awards (The Whimper of Whipped Dogs / Soft Monkey), zwei World Fantasy Awards (Angry Candy Collection sowie Lifetime Achievement) sowie die unglaubliche Anzahl von achtzehn Locus Awards.

Die allermeisten dieser preisgekrönten Geschichten hat der Herausgeber zwischen den Buchdeckeln vereint, so dass der Leser einen sehr guten, umfassenden Überblick über das Oeuvre des Meisters erhält.

Dass Ellison immer wieder Kollegen protegiert hat, seine beiden Dangerous Visions Storybände, die auch auf deutsch erschienen enthielten unverkäufliche Geschichten abseits des damaligen Mainstreams von bekannten mehr noch aber unbekannten Autoren wie Robert Silverberg, Fred Pohl, Philip José Farmer, Robert Bloch, Brian W. Aldiss, Philip K. Dick, Fritz Leiber, Theodor Sturgeon, John Sladek, R. A. Lafferty, Norman Spinrad, Roger Zelazny, John Brunner, Samuel R. Delany oder J. G. Ballard. So bereitete er den Weg für unzählige Autoren der New Wave, stieß Türen auf und riss Barrieren ein – etwas, das er gerne tut. Durch seine schwere Krankheit in den letzten Jahren gehandicapt, ist sein Werk leider mehr als übersichtlich geblieben.

Inhaltlich bietet uns das Buch in seinen zwanzig Kurzgeschichten und Novellen einen unheimlichen variantenreichen Strauss an Preziosen an. Chronologisch geordnet beginnt der Band mit „Bereue Harlekin!" sagte der Ticktackmann in dem uns der Autor in einen minutiös durchgetakteten Zukunftsstaat mitnimmt – bis ein kleiner Rebell beginnt, Sand in das Getriebe zu streuen ... Die Entführung von Jack the Ripper in die Zukunft, unsere Welt als Hölle, der man durch Selbstmord zu entkommen trachten könnte oder ein Spielsüchtiger, dem das Glück plötzlich hold ist verzücken ebenso, wie die meines Wissens einzige Story Ellisons, die je verfilmt wurde. Ein Junge und sein Hund, damals mit dem jungen Don Johnson in der Hauptrolle, entführt uns in die Welt nach der Katastrophe. Begleitet von seinem intelligenten,. sprechenden Hund sucht ein junger Mann zu überleben. Als er dank der Hilfe seines vierbeinigen Freundes eine Frau findet und dieser ins Erdinnere folgt, wird er gefangen genommen und soll als Zuchthengst für die holden Damen dienen ...

Eine Perle reiht sich an die nächste, jedes Mal verblüfft und verzaubert uns der Autor auf ganz andere, intelligente Weise, so dass jede neue Geschichte mit Spannung und voller Erwartung aufgeschlagen wird.

So ist dies ein Lesebuch, wie intelligent, wie ergreifend, wie lustig und makaber SF sein kann, ein Buch, dem ich nur die besten Noten ausstellen kann und hoffe, dass möglichst viele Leser zugreifen – es lohnt sich!

Ich muss schreien und habe keinen Mund

Harlan Ellison, Heyne

Ich muss schreien und habe keinen Mund

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