Der Ozean am Ende der Straße

  • Eichborn
  • Erschienen: Januar 2014
  • 3
Der Ozean am Ende der Straße
Der Ozean am Ende der Straße
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Carsten Kuhr
90°1001

Phantastik-Couch Rezension vonNov 2014

Reise in die märchenhafte Vergangenheit

Eine Beerdigung bringt Familien, Freunde und Bekannte des Verblichenen zusammen. Gemeinsam soll getrauert, sich erinnert und Abschied genommen werden. Doch so manches Mal ist es auch eine Reise in die eigene Vergangenheit, die auf die Trauernden wartet. So begegnen wir einem Mann, der nach der Beerdigung zunächst ein wenig orientierungslos umherfährt.

Vor Jahrzehnten lebte er zusammen mit der älteren Schwester und seinen Eltern hier, doch das alte Haus ist längst abgerissen, musste für eine Reihenhaus-Neubausiedlung weichen. Sein Weg führt ihn an das Ende der Straße. Hier scheint sich in den vergangenen Jahrzehnten nichts verändert zu haben. Einst lebte seine Freundin Lettie zusammen mit ihrer Mutter und Oma hier und auch jetzt öffnet ihm eine Frau die die typischen Gesichtszüge der Hempstocks trägt und überlässt ihn am Ententeich hinter dem Haus seinen langsam wiederkehrenden Erinnerungen.

Er war sieben Jahre alt, als der Untermieter im elterlichen Haus verstarb. Kurz darauf lernte er die 11-jährige Lettie kennen, deren besondere Kräfte, Einsichten und Talente der Junge in der Folge mehr als nötig hat. Statt des verstorbenen Opalschürfers zieht ein Kindermädchen, Ursula Monkton ein, und das Unheil nimmt seinen Lauf.

Zunächst werden Träume von Reichtum im wahrsten Sinne des Wortes wahr. Denn Mrs Monkton ist weit mehr als eine Frau, und sie bringt nicht nur den Vater unseres Erzählers dazu Undenkbares zu tun, ihre Anwesenheit bringt das Leben unseres introvertierten Knirpses in Gefahr, ja die Existenz der Welt selbst ist bedroht.

Auftritt für die Familie Hempstock die den mutigen Jungen in seinem Kampf gegen die Gefahr nicht nur unterstützen, sondern auch bereit sind, Opfer zu bringen – mehr soll hier nicht verraten werden ...

Gaiman regt an – zum Nachdenken, Mitdenken, Weiterdenken

Von Neil Gaiman erwartet man als Leser immer etwas Besonderes. Uniforme Fantasy seien es Zauberer, Elfen Zwerge oder Vampire überlässt der Mann mit der scheinbar unerschöpflichen Phantasie Anderen, er wandelt auf ganz eigenen Pfaden. Auffällig zunächst, dass wir weder der Namen unseres Erzählers, seiner Familie noch ihrer Untermieter erfahren. Erst mit dem Einzug von Ursula Monkton und dem Auftritt der Hampstocks werden einige, nein die wichtigsten Figuren namentlich benannt.

Was als emotional ergreifende Reminiszenz an die eigene Kindheit beginnt, das entwickelt in der Folgezeit märchenhafte Züge. Und Märchen sind brutal, erschreckend und verstören – da hält sich Gaiman ganz an die Vorbilder.

Unmerklich zunächst wandelt sich der Ton des Kurzromans, zieht das Magische in die Handlung ein. Die zunächst heile Welt bekommt erste Risse, mysteriöse Bemerkungen Letties und Erlebnisse weisen den Weg – obwohl Gaiman hier Vieles nur andeutet und der Phantasie des Lesers überlässt. Dieser darf die Hinweise des Autors aufnehmen und in seinem Geist die vielen offenen Stellen ausschmücken, darf seine Phantasie spielen lassen und kreativ mitarbeiten.

Stilistisch unauffällig erwartet einmal mehr ein viel zu kurzes Leseerlebnis den Leser, ein Buch das mit liebevoll gezeichneten Figuren verwöhnt, das viele Rätsel aufwirft, wenige davon löst und Vieles offen lässt – typisch Gaiman eben. Die unglaublichsten Dinge scheinen real und überzeugend, alles wirkt ein wenig wie ein Tag-Traum und doch seltsam real, das Ende bleibt dabei bewusst offen.

Wie bei den klassischen Märchen warten verstörende, brutale und angsteinflößende Geschehnisse auf den Leser, das Gänsehautfeeling ist hoch, insbesondere, weil der Leser gezwungen ist, sich auf die Handlung einzustellen und in seinem eigenen Geist die verstörenden Bilder zu kreieren. Dabei nutzt der Autor geschickt klassische Elemente, Hexen, Bannsprüche, Hexenringe, magische Katzen und nicht zuletzt der Ozean in einem Eimer. Daneben weckt die Lektüre immer wieder Erinnerungen an die eigene Kindheit, gilt es Reminiszenzen an die eigene Jugend einzubringen.

Das wirkt nostalgisch, melancholisch und ergreifend, fordert aber auch den Rezipienten. Nicht unterschlagen werden sollen hier die tollen Innenillustrationen die den Text kongenial umsetzen.

Der Ozean am Ende der Straße

Neil Gaiman, Eichborn

Der Ozean am Ende der Straße

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