Der Monolith

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 2000
  • 0
Der Monolith
Der Monolith
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Michael Drewniok
55°1001

Phantastik-Couch Rezension vonDez 2014

Mit Kelten-Mystik gegen römisches Militär

Britannien an der Schwelle zum 21. Jahrhundert - allerdings ein Britannien in einer parallelen Welt, in der das Römische Reich niemals zusammengebrochen ist, sondern seinen Siegeszug über den gesamten Globus antrat. Om fernen Asien, in Afrika oder auf dem amerikanischen Doppel-Kontinent: Überall ist der Wille Roms Gesetz. Allerdings zeichnen sich dunkle Wolken am Horizont ab: Eine nicht einzudämmende Viehseuche und gewaltige Missernten lassen Hungersnöte ausbrechen. Aufstände breiten sich aus, und in den weit entlegenen Provinzen beginnt sich Widerstand gegen Rom zu regen.

Der Monolith setzt jene Ereignisse fort, die in Eburacum, der Hauptstadt der römischen Provinz Britannien, ihren Anfang genommen haben: Nach ihrer spektakulären Flucht in die Wälder fanden Victor Ulysses, Sohn und Erbe der mächtigsten römischen Familie Britanniens, Angus Macnamara, ein Mechaniker-Lehrling, und Miranda Duff Zuflucht bei den "Waldbewohnern" - den Nachfahren der keltischen Ureinwohner Britanniens. Einem Angriff der römischen Obrigkeit konnte das Trio entkommen und nach Stand Alone Stan fliehen, einem verborgenen Ort, den der abtrünnige römische Gelehrte Roscius ins Leben rief. Er lehrt seine Schüler, was ihnen von Staats wegen vorenthalten wird.

Hier trennen sich die Wege der Gefährten. Miranda schließt sich einer Gruppe von Frauen an, die das "Hospital" leitet - eine Bildungs- und Kultstätte, die primär weiblichen Schülerinnen vorbehalten bleibt. Angus wird Roscius' Schüler, während Victor Ulysses - der sich nun "Coll" nennt - unschlüssig ist, was er mit seinem Leben anfangen soll. Abseits der Gelehrten-Siedlung baut er sich ein kleines Haus und führt ein karges Einsiedler-Leben.

Zeitgleich mischt sich sein Vater, der mächtige Marcus Augustus Ulysses, aktiv in die Reichspolitik ein. In Gallien greift Lucius Prometheus Petronius nach dem Imperatoren-Lorbeer. Der neue, überaus skrupellose Kaiser schreckt vor drastischen Maßnahmen nicht zurück, um der Hungersnöte Herr zu werden: Die Provinz Britannien, die von der Viehseuche verschont blieb, soll in einen gewaltigen Rinder-, Schafs- und Schweinepferch verwandelt werden. Lucius gibt Order, die uralten Wälder der Insel radikal abzuholzen. Um die unpopulären Maßnahmen durchzusetzen, ernennt er Marcus Ulysses zu seinem Stellvertreter, denn mit Widerstand der Briten ist zu rechnen.

Angus verlässt mit einigen Gefährten Stand Alone Stan, um die römische Staatsmacht durch terroristische Aktionen herauszufordern; das erste Ziel der "Drachenkrieger" soll das Straflager Caligula sein. Miranda wurde zur neuen Führerin des "Hospitals" ernannt und reist in den Norden Britanniens. Coll bleibt in Stan Alone Stan, wo er weiter mit den Dämonen der eigenen Vergangenheit ringt ...

Absturz ins Schwurbel-Utopia

Nach dem vielversprechenden Start der Tetralogie Ein Land für Helden beginnt Band 2 zunächst mit einer bitteren Enttäuschung. Der Abfall der Spannungskurve hatte sich bereits im letzten Drittel des Vorgänger-Bandes angekündigt. Nach der Flucht in die Wälder wurde aus Science Fiction rasch Fantasy, die sich in Band 2 von ihrer übelsten Seite zeigt: Sobald unsere drei Flüchtlinge die römische Welt verlassen und sich den Waldbewohnern angeschlossen haben, löst sich die spannende Handlung zunehmend in Ökotümelei und Esoterik-Schwurbel auf. Die Waldbewohner sind rau aber herzlich. Sie erzeugen "grünen" Strom, ehren ihre Vorfahren, Frauen und diverse Naturgottheiten (die Reihenfolge kann wechseln) und füllen ihre Freizeit mit handfesten Vergnügungen wie Raufen, Saufen und dem Absingen kerniger Rauf- und Sauflieder aus.

Manns hausbackene Vision eines silvanen Utopias gipfelt in seiner Darstellung der Stand-Alone-Stan-Akademie für angehende Dissidenten gegen das Römische Imperium. Im sanften Glosen intelligenzfördernder Erdstrahlen (!) ergehen sich Studenten und Lehrer in gelehrten Diskussionen, und die geschmeichelten Gemeinden des Umlandes sorgen gern und großzügig für den Unterhalt dieser klugen Menschen - ganz wie im richtigen Leben also.

Leider wird dieses kitschige Wunschbild ergrauter Idealisten ohne jenen trockenen Humor präsentiert, der erst zurückkehrt, sobald Mann den Schauplatz auf die römische Seite verlagert. Der Autor verheddert sich in selbst gelegten Fallstricken: Die Waldbewohner agieren so gut und nett und politisch korrekt, dass sie schlicht langweilig wirken, während Mann die rücksichtslosen, dekadenten Römer viel interessanter geraten sind.

Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens

Trist fällt auch der schier unendliche Selbstfindungs-Prozess des abtrünnigen Aristokraten-Sprosses Victor Ulysses/Coll aus. Buchseite um Buchseite ringt er in seiner Eremitenklause mit sich und der Welt und durchläuft dabei alle öden Phasen der Erkenntnis, die sich unsereiner in der realen Welt in gruppendynamischen Seminaren mit anschließendem Lauf über glühende Kohlen teuer erkaufen muss; dieser Prozess wird sich wohl noch bis in den dritten Teil der Serie fortsetzen.

Mirandas Aufstieg zur Jüngerin des Mondes kann die Geschichte auch nicht aus ihrem Tief reißen. Mann scheut tatsächlich nicht davor zurück, mit dem "Hospital" eine Art präfeministischen Schwesternorden zu kreieren, in dem es matriarchalisch-gerecht zugeht, man den Schwachen sanft zur Seite steht und die tiefen Geheimnisse der diesseitigen wie der jenseitigen Welt im Einklang mit dem Pulsschlag des Lebens gelüftet werden.

Miranda lehrt ihren Geist, den Körper zu verlassen und durch fremde Dimensionen zu wandern, und siehe! Es offenbaren sich ihr allerlei weise Naturgeister, die diese Welt schon seit Jahrmillionen bewohnen und sich um ihre Zukunft sorgen, da doch die Menschen - wehe Gäa! - den rechten Glauben verloren haben.

Die Abwege der Rationalität

Die Peinlichkeiten enden, als man schon nicht mehr damit rechnet. Als Mann beginnt, Angus' geistiges Erwachen zu schildern, findet er zur alten Form zurück. Das neu erworbene Wissen um die Mechanismen der Macht machen aus Angus keinen ‚geistigen' Revolutionär wie seinen pazifistischen Lehrer, der sich erhofft, die bestehenden Verhältnisse auf friedlichem Weg zu ändern, sondern einen Terroristen, der dieses Ziel mit Gewalt erzwingen will. Diese unerwartete aber plausibel herausgearbeitete Entwicklung weckt (hoffentlich) berechtigte Erwartungen auf eine Belebung der dahindümpelnden Geschichte.

Das Schlusskapitel von Der Monolith schürt diese Hoffnung weiter. Mann weckt sein Publikum mit einem echten Knalleffekt (dessen Lunte bezeichnenderweise in der römischen Welt angezündet wird) aus dem Tiefschlaf. Der neue Imperator wird die beschauliche Inselwelt Britanniens bis in die Grundfesten erschüttern. Der Drache erwacht lautet deshalb der Titel des dritten Teils der "Ein-Land-für-Helden"-Serie, in die man nun wieder einige Erwartung setzen darf.

Der Monolith

Phillip Mann, Heyne

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