Dämon

  • Bastei-Lübbe
  • Erschienen: Januar 2005
  • 23
Dämon
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Michael Drewniok
45°1001

Phantastik-Couch Rezension vonJun 2006

Kreuzritters Morderbe auf US-Terrortour

Im November des Jahres 1943 erreicht der Pazifikkrieg die kleine Tropeninsel Bougainville. Während der Gefechte geht ein US-Erkundungstrupp im Dschungel verloren. Ein zweites Platoon wird ihm hinterher geschickt. Ständig wird es in Scharmützel mit feindlichen Japanern verwickelt. Schlimmer sind jedoch hinterhältige Mordattacken, die eine fremde, sadistische Macht auf die Männer verübt. Hartnäckig verfolgen diese ihren Auftrag, aber was sie finden und bergen (s. Buchtitel), versinkt nach einem Luftangriff mit dem Truppentransporter ";Galla"; im Meer.

64 Jahre später wird das Wrack gehoben und in das neue Marinemuseum des Finanzmagnaten Joseph Lyerman nach Boston im US-Staat Massachusetts geschleppt. Ein Jahr später fällt dessen ungeratener Sohn einem brutalen Mord zum Opfer. Mit dem Fall werden die Detectives Jefferson und Brogan beauftragt. Sie haben kaum die Ermittlungen aufgenommen, als überall in der Stadt Leichen gefunden werden, die von riesigen Klauen buchstäblich in Stücke gerissen wurden.

Der alte Lyerman weiß mehr als er verraten mag, das finden die erfahrenen Kriminalisten bald heraus. Er war 1943 an Bord der ";Galla"; und wusste, was seine Kameraden auf Bougainville entdeckt hatten. Nun besitzt er es – oder besitzt es ihn? Die Indizien mehren sich, dass kein Mörder von dieser Welt sein Unwesen in Boston treibt. Ein uralter böser Geist oder Dämon, ein Dschinn, einst besiegt und gebannt durch Kreuzritter, ist wieder auferstanden. Wie im Märchen erfüllt er Wünsche, aber sein Preis ist hoch, der Dschinn ein Lügner, der ausschließlich ein Ziel verfolgt: Seine drei Gefährten will er finden, denn mit ihnen gemeinsam kann er die Welt beherrschen, die Menschheit unterdrücken und töten, wie es seine Bestimmung ist.

Jefferson und Brogan, inzwischen verstärkt durch die schöne Polizistin McKenna Watson, enthüllen ein seit mehr als 1400 Jahre währendes satanisches Spiel zwischen Gut & Böse, das über den ganzen Erdball tobt. Sollte es ihnen nicht gelungen, den Dschinn zu stoppen, wird er dieses Mal sein Ziel erreichen. Der Gegner ist übermenschlich stark, praktisch nicht umzubringen; er kann die Gestalt seiner Feinde annehmen – und er führt sie in Versuchung, weil er ihnen die Erfüllung geheimster Wünsche verspricht. So läuft es lange schlecht für die Vertreter des Guten, die vom Dschinn arg dezimiert werden …

Ouvertüre mit Grusel-Pauken und Horror-Trompeten

Es beginnt mit einem Prolog, der dem Werk angemessen ist: Mehr als 100 Seiten umfasst er, aber das verkraftet dieses Buch, das insgesamt 764 recht eng bedruckte Seiten zählt, spielend. Auf diesen 100 Seiten – der Bougainville-Sequenz – zeigt sich ein neuer Stern am Horrorhimmel. Der Höllentrip eines Trüppchens versprengter US-Soldaten ist ebenso realistisch wie surreal. Unerhört spannend beginnt es mit grausigem Kriegsalltag. Es setzt sich fort mit der eindringlichen Schilderung einer fremden, feindlichen Inselwelt. Dann beginnt es zu spuken. Im Stil der ";Blair Witch"; schlägt ein Ungeheuer aus dem Nachtwald zu. Es bleibt unsichtbar, hinterlässt nur Spuren seines seltsamen, scheußlichen Tuns. Immer stärker zieht das Tempo an, die Erwartung des Lesers steigt kontinuierlich (was davon ablenkt, dass diese Passagen recht offensichtlich vom atmosphärischen Terrence-Malick-Filmklassiker ";The Thin Red Line";, 1998, dt. ";Der schmale Grat";, inspiriert wurden, der wiederum auf dem gleichnamigen Roman von James Jones – dt. ";Insel der Verdammten"; – aus dem Jahre 1962 basiert; mehr als ein Hauch von ";Apocalypse Now"; ist natürlich auch dabei).

Plötzlich ist erst einmal Schluss und wir müssen lange warten, bis das Bougainville-Rätsel gelüftet wird; wie sich zeigt, ist das nur gut so. Nach einem zweiten (!) Prolog geht endlich die eigentliche Geschichte los. Sie spielt – wieso auch immer – im Jahre 2008 und verwandelt sich in einen typischen Cop-Krimi. Scheußliche Morde werden begangen, die Tatorte mit viel Liebe zum blutigen Detail beschrieben, Ermittlungen in Gang gesetzt, die zwei Bilderbuch-Detectives – ausgelaugt und angeschlagen, aber unverwüstlich und mit einem unerschöpflichen Vorrat sarkastischer Cop-Sprüche ausgestattet – von einer Sackgasse in die andere führen, bis endlich – der Leser seufzt bereits und rekelt sich unruhig in seinem Sessel – der rote Plotfaden wieder aufgenommen wird. (Er rutscht dem Verfasser noch mehrfach durch die Finger.)

Ein dämonischer Dschinn wurde also aus dem Pazifik importiert. Der will sich seit Jahr und Tag zum Herrn der Welt aufschwingen. Das hat bisher nie geklappt, wird jedoch unverdrossen neu versucht. Ein weiterer laaanger Einschub – die Konzentration aufs Wesentliche ist Delaneys Stärke nicht – verfolgt die Untaten des chaotisch veranlagten Bösewichts in der Vergangenheit. Siehe da, eigentlich sind sogar vier Dschinns am Werk, die u. a. die nordafrikanischen Sarazenen aufmischten, bis ihnen von christlichen Kreuzrittern vorerst das Handwerk gelegt werden konnte. Komplizierte Versuche zur Verhinderung zukünftiger Dämonenheimsuchungen schlossen sich an, die besagte Kreuzritter Jahrhunderte vor Kolumbus bis nach Nordamerika führten. (Korrupte Päpste oder vatikanische Assassinen wirken dieses Mal zwar nicht mit, aber das angestrebte Dan-Brown-Feeling ist trotzdem fast greifbar.)

Vom Schrecken ohne Ende zum schrecklich einfältigen Finale

Die Dämoneneinkerkerung misslang, wie sich im weiteren Verlauf der Geschichte herausschält. Tatsächlich besteht zwischen unseren Helden und den Dschinns sogar eine mysteriöse Verbindung … Spätestens zu diesem Zeitpunkt schalte man den Verstand lieber ab und konzentriere sich auf die nun zunehmend actionbetonte Handlung, der unter dem Gesichtspunkt der Logik nun endgültig die Luft ausgeht. In gut nachempfundener ";Stirb langsam";-Manier jagen sich schließlich Mensch & Monster durch ein Hightech-Hochhaus. (Eine Räuberbande mischt auch noch mit.) Inzwischen haben sich unsere Helden US-typisch auf den Endkampf vorbereitet: Ein zufällig des Wegs daher kommender schwarzer Stadtguerilla öffnet seinen prall gefüllten Waffenkoffer; was er verteilt, wird präzise benannt und plakativ zur Anwendung gebracht.

Das eigentliche Finale zieht sich etwas hin, weil im entscheidenden Moment irgendeine Waffe ausfällt oder die Heldin vom Dschinn als Geisel verwendet wird; das geschieht mehr als einmal, was der Story nicht gerade gut bekommt. Am Ausgang des Ganzen bestehen dennoch niemals Zweifel. Als es gekommen ist wie es kommen musste, ist man als Leser erleichtert – und ein bisschen verärgert. Gut unterhalten wurde man, das steht fest, aber letztlich doch betrogen. Schon am nächsten Tag wird man die Geschichte nicht mehr nacherzählen können. Die einfache Machart, die simple Sprache, die schablonenhafte Figurenzeichnung lassen sie im Brei vergleichbarer Mysterythriller untergehen.

";Originalität"; ist wohl der wahre Horror…

Wenn wir schon über die Figuren sprechen, kommen wir schnell an einen Punkt, wo die Nachsicht mit diesem Buch endet. Während die Profilarmut der jungen Soldaten, die durch den Urwald von Bougainville irren, sehr gut zur traumähnlichen Unwirklichkeit der Kulisse passt, offenbaren Delaneys Handlungsträger der Gegenwart schmerzlich deutlich was sie sind: eindimensionale Klischees ohne Persönlichkeit. Der gute Cop, sein knurriger Kumpel, die schöne Kollegin, der finstere Kapitalist, der Alibi-Schwarze, der für den Helden die Kugeln abfängt – die Reihe der Stereotypen reißt damit keineswegs ab. Vielleicht hat das scheinbare Unvermögen aber auch praktische Gründe: In einer späteren Verfilmung kann sich jeder Schauspieler die ihm oder ihr zugeteilte Rolle zu Eigen machen; der Autor macht niemandem Vorschriften …

Rein gar nichts gemeinsam mit dem Lampengeist aus 1001 Nacht hat Delaneys Dschinn. Er ist hier eher ein urzeitliches Elementarwesen, ein Alien oder eine zweite Intelligenz, die sich neben dem Menschen entwickelt hat. Seine ungewöhnlichen Talente hätten frühere Horrorautoren als ";übernatürlich"; bezeichnet. Heutzutage werden Gestaltwandelei, Unsterblichkeit u. a. Phänomene lieber ";wissenschaftlich"; erklärt. (Daher auch das hübsche ";Biohazard";-Symbol auf dem deutschen Cover.)

Wohl nur der Spielverderber stellt die Frage nach dem Motiv, das den Dschinn eigentlich umtreibt. Er bleibt da seltsam diffus. Weiß er es selbst nicht? Die ";Herrschaft über die Welt"; ist der Herzenswunsch jedes wirklich übergeschnappten Bösewichts. Er geht nie in Erfüllung – glücklicherweise, da die reale Weltherrschaft wahrscheinlich nicht halb so spannend ist wie das Streben danach.

Zumal unser Dschinn der Hellsten ohnehin nicht gerade einer ist. Wirft man einen prüfenden Blick auf sein Handeln (was man in einem Roman wie diesem um des Spaßes willen tunlichst vermeiden sollte), fällt die enorme Umständlichkeit auf, mit der er zudem unverhältnismäßig lautstark zu Werke geht. Kein Wunder, denn er soll uns, die Leser, nicht überzeugen, sondern unterhalten, und das gelingt nach Ansicht des Verfassers am besten durch Spektakel, Kugelregen & Blutspritzerei. Im Finale muss der Dschinn trotzdem eine lange Rede halten und offene Handlungsfragen klären, bevor er seinen Widersacher attackieren darf.

(Nebenbei: Kann mir jemand erklären, was die Kreuzritter-Zombies beseelt, die im Dschungel von Bougainville wüten? Wieso bleiben alle anderen Dschinn-Opfer mausetot? Und wer erklärt dem Übersetzer den Unterschied zwischen ";humanoid"; und ";hominid";?)

Kurzes Fazit: Nach dem verheißungsvollen Beginn ist es doppelt schade um die vielen verschenkten Möglichkeiten. Warten wir also weiter auf den nächsten Michael Crichton, die nächsten Preston & Child. Delaney ist es (noch) nicht.

Dämon

Matthew Delaney, Bastei-Lübbe

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