Voyagers

  • Mantikore
  • Erschienen: Januar 2015
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Voyagers
Voyagers
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Michael Drewniok
80°1001

Phantastik-Couch Rezension vonJun 2016

Zum Alteisen geworfene Krieger flüchten gen Zukunft

Der Ewige Krieg der Taurier gegen die Menschen ist endlich Vergangenheit. Er wurde in den Weiten des Alls und weit von der Erde entfernt geführt. Aufgrund der relativistischen Zeitverschiebung alterten die Soldaten an der Front kaum, während in ihrer Heimat Jahrtausende zwischen den Einsätzen verstrichen. Nun sind die überlebenden Veteranen in einer Gegenwart gestrandet, die für sie keine Verwendung mehr hat und sich vor ihnen bzw. ihrer potenziellen Kampfkraft zu fürchten beginnt.

Die "neuen" Menschen sind genmanipulativ ‚vereinheitlicht'. Sie pflanzen sich per Kloning fort und besitzen ein Gruppenbewusstsein: Was der eine weiß, können die anderen bei Bedarf in Erfahrung bringen. Die Veteranen dienen den "neuen" Menschen als genetische Reserve, falls die universell kopierte Genlinie wider Erwarten doch Defekte aufweisen sollte. Ansonsten hält man sie der Erde fern und unter Aufsicht.

Der Planet "Mittelfinger" beherbergt eine große Kolonie von Veteranen. Unter ihnen sind William Mandella und Marygay Potter. Sie fühlen sich auf dem kalten, unwirtlichen Planeten unwohl. Stärker macht ihnen die Kontrolle der "Neuen" zu schaffen. Sie argwöhnen, dass man sich der Veteranen entledigen wird, wenn der "Baum" - das Gruppenbewusstsein der "neuen Menschen" - sie für überflüssig oder gar gefährlich befinden sollte. Deshalb scharen William und Marygay 150 Veteranen um sich, mit denen sie eine gefährliche Reise planen: Mit dem alten Raumschiff "Time Warp" wollen sie 10 (Licht-) Jahre hinaus ins All fliegen und dann nach "Mittelfinger" zurückkehren, wo dann 40000 Jahre vergangen sein werden.

Nach vielen Anfangsschwierigkeiten gelingt der Start. Die Reise nimmt allerdings von Anfang an eine unerwartete Wendung: An Bord ist nicht nur ein "neuer" Mensch, sondern auch ein Taurier! Die sich daraus entwickelnden Probleme werden freilich unwichtig in einer Zukunft, die so niemand erwartet hätte ...

Die Bürde früheren Ruhms

Was macht ein Schriftsteller, der seine Laufbahn mit einem bahnbrechenden, sowohl vom Publikum als auch von der gestrengen Kritikerschar gleichermaßen geliebten Bestseller gestartet hat und bemerken muss, dass er sein hellstes Pulver mit dieser Geschichte offenbar bereits verschossen hat? Soll er sich ungeschlagen in den Ruhestand zurückziehen? Oder versuchen, den Tiger beim Schwanz zu fassen, d. h. weitermachen und das Beste hoffen?

Die Entscheidung fällt erst recht schwer, wenn Buchverlage mit einer hübschen Summe locken, obwohl man nach dem furiosen Debut mehr als zwei Jahrzehnte zwar immer noch Unterhaltsames aber nichts Monumentales mehr zustande brachte. Kann jemand den Titel nur eines Romans nennen, den Joe Haldeman außer Der ewige Krieg geschrieben hat? (Achtung: Man verwechsele ihn nicht mit seinem Bruder Jack, der bis zu seinem Tod 2002 ebenfalls Science Fiction schrieb.)

Dabei ist Haldeman beileibe kein fauler Autor. In Deutschland wurden die meisten seiner Werke leider nicht veröffentlicht. Im angelsächsischen Sprachraum stießen sie oft auf verhaltene Resonanz. Viel Routine ist dabei, sogar zwei "Star Trek"-Abenteuer - Verbrauchsliteratur, die für das Haushaltsgeld sorgt.

Der lange Schatten des Ewigen Krieges

Wie ein Monolith ragt Der ewige Krieg über allem empor - ein moderner Klassiker, der 1976 u. a. die beiden wichtigsten Preise der Science Fiction ("Hugo" und "Nebula Award") gewann. Die Beschreibung eines zukünftigen Krieges, der nicht nur im Weltraum, sondern auch in der Zeit ausgefochten wird, seinen ‚Sinn' längst verloren hat und Freund wie Feind gleichermaßen zeichnet, war dem Verfasser vorzüglich gelungen. Vor allem traf Haldeman einen Nerv seiner Zeit: Der ewige Krieg wurde zu Recht als Parabel auf den gerade beendeten, desaströsen Vietnam-Krieg der USA - an dem der Autor aktiv teilgenommen hatte - aber auch als flammende, nie melodramatische Anklage des Krieges an sich aufgenommen.

So sprengte Haldeman die Grenzen des SF-Ghettos, weckte Erwartungen und setzte Maßstäbe, denen er selbst nie wieder gerecht wurde. Schon "Forever Peace" (dt. Der ewige Friede/Soldier Boy), die mehr als zwei Jahrzehnte später nachgeschobene Quasi-Fortsetzung, konnte mit echten Novitäten nicht mehr aufwarten. (Für eine erneute Doublette "Hugo" plus "Nebula Award" reichte es aber trotzdem.) Als Haldeman zwei Jahre später mit "Forever Free" (dt. Voyagers) nachlegte, war der Sensationseffekt verpufft. Die nüchterne Betrachtung zeigt einen unterhaltsamen, gut geschriebenen SF-Roman, der jedoch inhaltlich keine neuen Maßstäbe setzen konnte.

Liest man Voyagers heute, wird darüber hinaus eine Diskrepanz zu aktuell gerühmten und/oder preisgekrönten SF-Werken deutlich; dies allerdings nicht unbedingt zum Nachteil des Buches, dessen Autor seine Geschichte schlank und auf Kurs hält, statt sie auf 5 x 1000 Seiten aufzublasen oder mit extrapolierter Nano- und Hightech, digital umherspukenden KIs oder ähnlichem Larifari noch den letzten Halbsatz zu spicken. Ohne den Bonus (oder Malus) "Forever War" bietet Voyagers handwerklich saubere Populärliteratur mit einigen politisch unkorrekten Überraschungen, die den Verfasser als Kind einer liberaleren bzw. werteneutraleren Ära zeigen: Heutige SF-Bestseller präsentieren eher selten Helden, die sich zur Entspannung einen Drink auf Heroin-Basis mischen. (Dagegen gehören Lästereien über die sterile, bigotte Disney-Welt inzwischen beinahe zum guten Ton.)

Eine einfache aber gute Idee

Erhalten hat sich das Gedankenspiel eines auch nach seinem ‚offiziellen' Ende schwärenden Krieges und der daraus folgende Gegensatz zwischen "alten" und "neuen" Menschen. Erstere sind in der Welt dieser Zukunft zu Fossilien geworden, die ihren Nachfahren Kopfzerbrechen bereiten: Wie kann man diese "Wilden" unter Kontrolle halten? Die notwendigen Methoden sollen (wie üblich) möglichst "human" umgesetzt werden. Da Zwangssterilisation nunmehr sanktioniert ist, wundert es nicht, dass die Veteranen nach einem Fluchtweg suchen.

Daraus entwickelt Haldeman eine bekannten Bahnen folgende aber unterhaltsam in Szene gesetzte, von Hindernissen und Missverständnissen komplizierte Flucht, die - auch das entspricht den Erwartungen - letztlich gelingt. Die "Time Warp" sticht ins All, und der Leser bereitet sich auf die Schilderung eines Generationsfluges und der daraus resultierenden Schwierigkeiten vor.

Genau jetzt wirft uns der listige Autor aus unserer Erwartungshaltung: Schon nach kurzer Zeit scheitert die Reise. Mit Rettungsbooten kehren die Veteranen zum Planeten "Mittelfinger" zurück. Nur 24 statt 40.000 Jahre sind dort seit ihrem Start verstrichen. Dennoch stellt sich die scheinbare Heimkehr als Illusion dar: Sowohl die "alten" als auch die "neuen" Menschen sind spurlos verschwunden - dies nicht nur auf "Mittelfinger", sondern womöglich im gesamten Universum.

Gelungene Überraschung

Damit nimmt das Geschehen einen gänzlich unerwarteten Verlauf. Neue bzw. dieses Mal echte Spannung stellt sich ein: Wie wird Haldeman das Rätsel lösen? Er findet einen logischen aber aus dem Hut gezauberten Weg; soviel sei an dieser Stelle angedeutet. Das kann durchaus enttäuschen und legt auf jeden Fall offen, dass Haldeman die richtige Entscheidung traf, nach Voyagers den "Ewigen Krieg" ruhenzulassen.

Die Figuren sind gut gezeichnet. Sie wirken nicht besonders fortschrittlich, weil sie es nicht sind: William Mandella ist beispielsweise ein Kind unserer Gegenwart, dem nur der "Ewige Krieg" ein Leben in der Zukunft ermöglichte, auf das er sich nie völlig eingelassen hat. Die Rückkehr zum angeblich ungeliebten aber gerade aufgrund seiner Rückständigkeit heimeligen Planeten "Mittelfinger" ist ein Indiz dafür. Der Leser "versteht" die Mentalität der Männer und Frauen, die es in diese Zukunft eher verschlagen hat.

Während (zu) viele SF-Klassiker vom deutschen Buchmarkt verschwunden sind, kehrte Voyagers nicht nur zurück, sondern wurde sogar neu übersetzt. Die ältere Eindeutschung ist keineswegs schlecht, doch Verena Hackers Version liest sich im Vergleich geschmeidiger; sie passt zu einer Geschichte, die von einem Ex-Soldaten erzählt wird, der mehrfach durchblicken lässt, dass er kein Feingeist ist. Weil Hacker trotz vermeintlich simpler Sprache auf Jargon verzichtet, bleiben die dadurch unvermeidlichen Irritationen aus. Nur eine Frage bleibt offen: Wieso lautet der neue Titel ausgerechnet - und recht sinnfrei - Voyagers?

Voyagers

Joe Haldeman, Mantikore

Voyagers

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