Grauer Teufel

  • Festa
  • Erschienen: Januar 2015
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Grauer Teufel
Grauer Teufel
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Michael Drewniok
75°1001

Phantastik-Couch Rezension vonJun 2016

Der US-Süden erhebt sich blutig neu

Seit Freundin Cathy vor zwei Jahren einem grausamen und nie geklärten Mord zum Opfer fiel, ist Decker Martin, Lieutenant im Police Department der Stadt Richmond, US-Staat Virginia, zum notorischen Schürzenjäger geworden. Seinen Dienst versieht der an sich fähige Ermittler leidlich, sodass er einen brisanten Fall übertragen bekommt: Eine Frau wurde mit einem uralten Bajonett beinahe geköpft. Ihr ebenfalls verletzter Gatte gilt als Hauptverdächtiger, zumal er behauptet, eine unsichtbare Kraft habe auf sie und ihn eingestochen.

Der Fall scheint klar zu sein, bis wenig später ein ehemaliger Soldat buchstäblich ausgeweidet wird. Wieder gibt es weder Spuren und dieses Mal auch keinen Verdächtigen. Martin greift nach jedem Strohhalm und gerät an ein Mädchen, das nach Auskunft ihrer Mutter über das "zweite Gesicht" verfügt und einen unheimlichen, in altertümliches Grau gekleideten Mann den ersten Tatort verlassen sah. Sie kann die Gestalt zeichnen, und der anfänglich eher amüsierte Martin zeigt sie einem Spezialisten für historische Waffen.

Dieser kann den "Unsichtbaren" identifizieren: Es handelt sich um ein Mitglied der "Teufelsbrigade". 1864 wurde diese Terror-Truppe im amerikanischen Bürgerkrieg von den Konföderierten aufgestellt. 13 Männer sollten hinter den feindlichen Linien Angst und Schrecken säen. Dabei gingen sie so erfolgreich und bestialisch vor, dass ihre Auftraggeber sie angewidert fallenließen. Von der "Teufelsbrigade" hat niemand seither gehört.

Nun kehrt einer dieser Meuchelmörder zurück. Er will sich an den Nachfahrer derer rächen, von denen er sich verraten fühlt. Offensichtlich hat er sich schwarzmagische Unterstützung verschafft: Ein Fachmann für Santeria-Zauber erkennt das Wirken dämonischer Kräfte, die dem Rächer buchstäblich Schutz und Schirm bieten. Martin ist bereit, sich mit ihnen anzulegen. Dabei stellt sich heraus, dass der Santeria-Teufel Changó aus unerfindlichen Gründen eine Rechnung mit ihm offen hat. Während der Polizist tief in das Reich dunkler Magie eindringt, rücken ihm dessen Bewohner immer dichter auf den Hals ...

Guter, alter, Schmuddel-Horror

Seit 1976 beliefert Graham Masterton seine Leser mit Gruselgeschichten. So muss man es wohl beschreiben, denn dem Verfasser ging und geht Quantität fast immer vor Qualität. Tiefschürfende, psychologische oder gar auf Andeutungen setzende Phantastik darf man von Masterton nicht erwarten. Er bedient weniger den Kopf als den Bauch und bezieht ausdrücklich ein, was unterhalb dessen sitzt oder baumelt: Masterton hat seine Anfänge im Softsex-"Sachbuch"-Genre nicht vergessen und ergänzt seinen Horror deshalb gern mit Beischlaf-Episoden, die formal und inhaltlich nostalgisch (oder lächerlich) den Geist der 1970er-Jahre atmen und angestaubt an eine damals noch verbotene Pornografie erinnern.

Auch Grauer Teufel bietet entsprechende Szenen. Sie lassen sich zum Nutzen der Story problemlos überspringen bzw. dort ertragen, wo sich dämonische Bosheit ins zwischenmenschliche Treiben mischt. Ein wirklich "moderner" Autor dürfte Masterton nicht mehr werden - hoffentlich, denn er hat trotz seiner formalen Schwächen nie vergessen, dass einem unterhaltsamen Garn ein nicht unbedingt neuer oder origineller aber solider Plot zugrunde liegen sollte.

Südstaaten-Voodoo - hier in seiner Santeria-Version - stellt ein Fundament dar, das ungeachtet aller ausgereizten bis ärgerlichen Klischees weiterhin eine Gruselstory stützen kann. Masterton hat durchaus recherchiert; sein Wissen lässt er - manchmal ein wenig zu offensichtlich - in die Handlung einfließen. Auch er bedient sich dabei gern einschlägiger Bilder, lässt Hähne vor unheimlichen "Altären" köpfen, "magische" Sprüche murmeln und eine ebenso böse wie scharfe Santeria-Zauberfrau ihr Unwesen treiben.

Vergangenheit ohne Frieden

Gleichzeitig vermeidet Masterton meist (aber nicht immer) peinliche Versuche, sich in der "schwarzen" i. S. einer folkloristisch verallgemeinerten Welt oder einer nur den Eingeweihten wirklich verständlichen Religion zu tummeln. Er wählt einen anderen Ansatzpunkt und greift als Profi zum Bewährten. Der Sezessionskrieg liegt inzwischen solange zurück, dass die Bitterkeit, die er in einem 1865 nur oberflächlich befriedeten und weiterhin gespaltenen Land hinterließ, sich gemildert hat, ohne jemals gänzlich zu verschwinden. Inzwischen dient dieser Krieg als strapazierfähige Folie für Geschichten aller Art.

Es gibt keine Überlebenden mehr, die durch Augenzeugenberichte authentischer Gräuel den damit verbundenen Spaß verderben können. Also darf Masterton reale Historie und wüste Kolportage zu einem Grusel-Thriller mischen. Klug geht er dabei nicht allzu sehr in nachprüfbare Details. Die "zitierten" Auszüge aus einer zeitgenössischen Chronik wirken dennoch überzeugend und belegen: Masterton weiß, wie man schnell und trotzdem spannend schreibt! Da Grauer Teufel nicht in seiner englischen Heimat, sondern in den USA erstveröffentlicht wurde, war die Wahl des Plots überhaupt ein geschickter und sicherlich nicht zufälliger Schachzug.

Die "Grauen" - das sind die in mausgraue Uniformen gekleideten Soldaten der "rebellischen" Südstaaten, die für den Versuch, ihre Welt, die u. a. auf der Ausbeutung farbiger Sklaven basierte, durch eine Trennung von den "blauen" Nordstaaten zu bewahren, mit der vollständigen Niederlage bezahlten. Vor allem in der Endphase des Bürgerkrieges haben die "Grauen" in ihrer Verzweiflung absurde Projekte gefördert. Auch die Hoffnung auf eine Wendung des Kriegsgeschicks durch "Wunderwaffen" gab es bereits; im Februar 1864 war die "Hunley" das erste Unterseeboot, das im Dienst der Südstaaten-Marine ein feindliches Schiff versenkte. Vermutlich wäre auch schwarze Magie zum Einsatz gekommen, hätte sie den ersehnten Erfolg versprochen.

Gegenwart voller Probleme

Mit Decker Martin stellt uns Autor Masterton eine erstaunlich unsympathische und dadurch paradoxerweise glaubwürdige Hauptfigur vor, die sonst aufgrund ihrer generellen Flachzeichnung dem Leser kaum im Gedächtnis haften würde. Martin ist der "typische" US-Cop, wie ihn sich vor allem durch das US-Fernsehen "geschulte" Ausländer wie Masterton vorstellen. Selbstverständlich fehlen nicht die obligatorischen privaten Probleme; Martin ist ein Chaot, seit ihm die Freundin durch Mord abhandenkam. Vor allem in den ersten Kapiteln können wir ihn deshalb dabei beobachten, wie er sich in einem Geflecht notdürftig geheim gehaltener Beziehungen zu verheddern beginnt. Selbst mit der Gattin seines Vorgesetzten treibt es Martin hinter dessen Rücken; eine abgeschobene Geliebte droht sogar mit Schwangerschaft: Als-ob-Konflikte, die irgendwann aus der Handlung verschwinden und nie mehr eine Rolle spielen.

Da bietet der Auftritt des ‚unsichtbaren' Serienkillers eine willkommene Ablenkung. Allerdings bleibt Martin das Pech treu: Zu denen, die den Zorn der untoten "Grauen Teufel" heraufbeschworen waren, gehört auch einer seiner Vorfahren. Wieso der saure Dämon den unschuldigen und ahnungslosen Nachgeborenen derer, die ihn einst linkten, voller Zorn im Nacken sitzt, wird zwar final diskutiert aber nicht zufriedenstellend geklärt. Aber wer weiß schon, wie Dämonen ticken?

Während die teuflische Heimsuchung recht drastisch ausgestaltet wird und die erwünschte Horror-Wirkung entfaltet, kann Masterton dort nicht punkten, wo Subtilität gefragt ist. Ein gutes bzw. negatives Beispiel ist die für das Geschehen ohnehin unerhebliche Einmischung der toten Cathy. Sie taucht allzu ätherisch als Geist der Liebe auf, was u. a. in einer schmalzkräftigen Abschiedsszene zwischen ihr und Martin gipfelt, bevor auch sie sang- und klanglos und dieses Mal endgültig ins Nirwana entschwindet.

Jäger oder Gejagter?

Routiniert aber gelungen lässt Masterton die anfängliche Ermittlung in die Suche nach einer übernatürlichen (und so nicht im Polizei-Handbuch vorgesehenen) Bedrohung übergehen, was für diverse Verwirrungen und Verwicklungen sorgt, mit denen das Geschehen munter vorangetrieben werden kann. Dabei dämmert dem eifrigen Martin langsam, dass er einer Macht auf die Schliche kommt, die parallel ihn jagt.

Für Verzögerungen sorgen die Auftritte diverser Fachleute, die Martin im Guten wie im Bösen über die Santeria-Religion aufklären. Mit der schon erwähnten wunderschönen, lasziven aber lebensgefährlichen Zauberfrau und einem bemerkenswert dümmlichen Cop-Buddy geht es dann in ein zweitteiliges Finale (Teil 1: Scheitern, Teil 2: Erfolg), das Masterton einmal mehr zum literarischen Erzsünder stempelt: Was er sich da ausdenkt, soll (und sollte) an dieser Stelle verschwiegen werden. Man muss es ohnehin lesen, um es zu ‚glauben' - und dabei nicht zu hastig vorgehen, denn plötzlich scheint der Autor die Lust gänzlich zu verlassen (oder drängte der Abgabetermin?), weshalb der ohnehin recht planlos wogende Endkampf zwischen Mann und Grau-Teufel sehr abrupt abgeschlossen ist. Nach einer Leerzeile folgt ein hastig angeklebter Epilog, dann ist Schluss.

Obwohl man quasi vom Verfasser im Grusel-Regen stehengelassen wurde, mildert dies höchstens den positiven Gesamteindruck, ohne das Lektürevergnügen gänzlich zu zerstören. Masterton ist ein Vielschreiber, dessen Werke die schlechten aber auch die guten Eigenschaften eines rasant arbeitenden Schriftstellers verkörpern. Er hat deutlich schlechtere Romane als diesen verfasst, der im Rahmen seiner Beschränkungen leistet, was er leisten soll, d. h. unterhaltsam Angst & Schrecken verbreitet.

Grauer Teufel

Graham Masterton, Festa

Grauer Teufel

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