Eiskalt ist die Totenhand

  • Pabel
  • Erschienen: Januar 1974
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Michael Drewniok
75°1001

Phantastik-Couch Rezension vonJul 2017

Ein halbes Dutzend handfester Gruselstorys
  • Frank Gruber: Das dreizehnte Stockwerk (The Thirteenth Floor; 1967), S. 7-29: In dieser offiziell gar nicht existierenden Etage eines Kaufhauses trifft der Kunde auf freundliches aber seltsames Personal, das schon vor Jahrzehnten todfallbedingt außer Dienst ist.
  • Richard R. Smith: Das erboste Haus (The Angry House; 1955), S. 30-42: Ein mit künstlicher Intelligenz ausgestattetes Haus setzt seinen ‚Verstand‘ und seine technischen Möglichkeiten im Kampf gegen Einbrecher ein.
  • H. Warner Munn: Der Werwolf von Ponkert (The Werewolf of Ponkert; 1925), S. 43-76: Die Beichte eines vor der Hinrichtung stehenden Mörders enthüllt dessen grausige Taten als Werwolf im Bann eines uralten/untoten Bösewichts.
  • Gans T. Field: Die Geistermühle (The Half-Haunted; 1965), S. 77-97: Der Abriss eines Spukhauses hat dem nächtlichen Terror kein Ende bereitet, und der Versuch einer Austreibung erzürnt den nunmehr im Neubau sein Unwesen treibenden Geist erst recht.
  • Thorp McClusky: Melodie aus dem Jenseits (The Music of Infinity; 1941), S. 98-117: Jedes Klavier stimmt für den trauernden Witwer die Musik seiner tragisch verstorbenen Komponisten-Gattin an, die letztlich einen guten Grund für ihr harmonisches Spuken hat.
  • Denis Plimmer: Die grüne Invasion (The Green Invasion; 1940), S. 118-145: Ein zwar genialer aber verbitterter sowie verrückter Wissenschaftler will den Schurkengeistern vergangener Epochen ein Portal in die ahnungslose Gegenwart öffnen, was entsetzte Widersacher zu verhindern suchen.

Lange verschwunden, irgendwann wieder da

Vor allem zwischen den Weltkriegen hatten die „Pulps“ ihre große Zeit: vielseitige aber kostengünstige und deshalb auf billiges, holzspanhaltiges Papier gedruckte Magazine, die ihren Käufern triviale aber spannende Lektüre boten. Der Markt war hart umkämpft; die meisten Pulps lebten nicht lang, doch sie wurden von neuen Magazinen ersetzt, in denen es ebenso bunt wie aus Kritikersicht ‚gewöhnlich‘ zuging. Tatsächlich herrschte im besten Fall das qualitative Mittelmaß vor, denn die Pulps waren auch Mühlen, die stets mit frischem Korn befüllt werden mussten - dies allerdings so kostenneutral wie möglich.

Unzählige Zitate jener Autoren, die trotzdem versuchten, ihren Lebensunterhalt auf diesem Markt zu verdienen, erinnern (und verfluchen) die gleichzeitig legendären wie gefürchteten Herausgeber, die in der Regel pro Wort zahlten - und das schlecht oder nicht selten gar nicht. Wer hier verdienen wollte, musste Masse liefern. Die Mehrzahl der unter dieser Prämisse entstandenen Storys und (in Fortsetzungen abgedruckten) Romane sind zu Recht vergessen; sie entstanden für den unmittelbaren Konsum und keineswegs für die literarische Ewigkeit.

Nichtsdestotrotz wurden die Pulps zu einem Nährboden für junge, durchaus talentierte Autoren, die hier ihr Handwerk lernten. Auf diese Weise fanden Werke, die mehr boten als elementarsten Trivialspaß, ihren Weg in die Öffentlichkeit. Als nach dem II. Weltkrieg die Pulps allmählich ausstarben, verschwanden viele Garne, die auch spätere Generationen unterhalten konnten, erst einmal in den Archiven. Erst Jahrzehnte später erinnerte man sich an diesen Schatz spannender Storys, der sich durchaus noch einmal heben ließ.

Spuk einfallsreich statt ekelhaft

Kurt Singer gehörte zu denen, der genau das in den 1960er Jahren tat. Er suchte dabei keineswegs nach jenen wenigen Rosinen, die irgendwie den Weg in die Pulps gefunden hatten - richtig gute Storys, die auch den Literaturkritiker zufriedenstellen konnten. Wichtiger waren Singer die echten Garne, d. h. Geschichten, die ungeachtet ihres Alters und des Zeitdrucks, unter dem sie entstanden waren, ihren Unterhaltungswert behalten hatten.

‚Qualität‘ muss keineswegs literaturwissenschaftlich gemessen werden. Sie entsteht auch unabhängig davon, wenn ein Autor eine gute Idee hat oder Bewährtes so variiert, dass es wieder ‚frisch‘ wirkt. Helfen kann auch ein möglichst schräger Ansatz, der in unserem Fall den traditionellen Horror ein wenig auf den Kopf stellt. Hier ist es Gans T. Field - hinter dem seltsamen Pseudonym steht der Pulp-Routinier Manly Wade Wellman (1903-1986) -, der sich die Frage stellt, wie man das gute, alte Spukhaus umgestaltet, ohne ihm seinen Schrecken auszutreiben. Dazu kommt Wellmans immenses Wissen über die Historie und Folklore des US-Südens, in das er seine Erzählung einbettet. In diesem Umfeld ist es zweitrangig, dass die Ausführung der Idee wieder bekannten Spannungsmustern folgt.

Dies gilt auch für Frank Gruber (1904-1969): Der Schauplatz seiner stimmungsvoll-schaurigen Story wird durch die Zeitschleife verstärkt, die den wie üblich ahnungslosen Protagonisten mit einer Vergangenheit verbindet, die für jene, die ihr zum Opfer fielen, nicht abgeschlossen ist und deshalb wieder auflebt. Gruber bemüht im Finale ein wenig zu offenkundig den „deus ex machina“, um seiner Geschichte einen dramatischen Höhepunkt zu verschaffen: Dies war sicherlich auch dem Medium geschuldet, denn Hintergründigkeit ließ den typischen Pulp-Herausgeber misstrauisch werden: Vertrieb sie womöglich jene Kundschaft, die es hassten, beim Lesen nachdenken zu müssen?

Griffe in die Vergangenheit

Harold Warner Munn (1903-1981) gehört zumindest mit der hier vorgestellten Erzählung sichtlich einer anderen Ära an. „Der Werwolf von Ponkert“ entstand bereits 1925 und damit noch in der großen Zeit der klassischen angelsächsischen Geistergeschichte, obwohl Munn durchaus zu den (frühen) Magazin-Autoren gehörte. Man darf die offensichtliche Brutalität, mit welcher der Werwolf des Titels zu Werke geht, als Zugeständnis an das Pulp-Publikum verstehen. „Der Werwolf von Ponkert“ - angeregt von niemand Geringerem als H. P. Lovecraft (1890-1937) - gehört zu Munns „Tales of the Werewolf Clan“, die meist im Magazin „Weird Tales“ erschienen und 1979/80 in zwei Buchbänden gesammelt wurden. Hier tauchte auch der böse „Meister“ wieder auf, um weiteren Werwölfen das Leben schwerzumachen.

Ebenfalls klassisch mutet zumindest die Story von Thorp McClusky (1906-1975) an. Sie hält sich allerdings allzu eng an bekannte Vorbilder: Auf welche Auflösung diese Geschichte zusteuert, dürfte auch dem Publikum von 1941 bekannt gewesen sein. Immerhin wird die Idee routiniert umgesetzt und kann ihre Wirkung bis auf den aus heutiger Sicht zu melodramatischen Finalakkord entfalten. Das ist mehr, als Denis Plimmer (1914-1981) für sich beanspruchen darf. Er liefert ein pulp-tyisches, d. h. wüstes und rein auf Tempo und Wirkung getrimmtes Garn, das an das Skript für einen Comic erinnert.

Ein ‚Ausreißer‘ ist Richard Rein Smith (1930-?), der eine auf den Schlussgag ausgerichtete Story scheinbar mit Science Fiction verquickt - scheinbar deshalb, weil es in „Das erboste Haus“ an keiner Stelle um „science“ geht. Smith scheut vor keinem abgedroschenen Effekt zurück und lässt u. a. die Protagonistin ihre Kleider verlieren: „Das erboste Haus“ wurde 1956 veröffentlicht und gehört damit in die Spätphase der Pulps, die im Überlebenskampf druckten, was das Publikum (hoffentlich) wünschte und die Zensur gestattete.

Die reißerisch „Eiskalt ist die Totenhand“ betitelte Sammlung ist übrigens in gewisser Weise eine Ergänzung zu den Kollektionen „Horror“ (Bd. 1-5), die zeitlich ein wenig früher im Heyne-Verlag veröffentlicht wurden und ebenfalls aus den Sammelbänden von Kurt Singer schöpften.

Eiskalt ist die Totenhand

Kurt Singer, Pabel

Eiskalt ist die Totenhand

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