Das Haus der geheimnisvollen Uhren

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 2018
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Das Haus der geheimnisvollen Uhren
Das Haus der geheimnisvollen Uhren
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Michael Drewniok
90°1001

Phantastik-Couch Rezension vonSep 2018

Magischer Kampf gegen die Apokalypse

Lewis Barnavelt, in diesem Jahre 1948 gerade 10 Jahre alt wurde, hat seine Eltern bei einem Autounfall verloren. Onkel Jonathan van Olden Barnavelt nimmt den Waisenknaben zu sich ins kleine Städtchen New Zebeedee im idyllisch-verschlafenen Capharnaum County, US-Staat Michigan. Dort bewohnt er an der High Street Nr. 100 ein altes Herrenhaus, in dem sich Lewis heimisch fühlt, obwohl es einige Besonderheiten aufweist; Spiegel, die fremde Länder in fernen Zeiten zeigen, sind nur eine davon.

Beunruhigender findet Lewis das seltsame Verhalten seines Onkels, den er beobachtet, wie er des Nachts durch das dunkle Haus schleicht, an den Wänden horcht und diese mit Hammer und Meißel aufstemmt. Ganz offensichtlich sucht er etwas, und was es ist, erfährt Lewis, als Jonathan seinen Neffen ertappt: High Street Nr. 100 wurde einst von Isaac Izard erbaut, der in New Zebeedee als Zauberer verschrien war - dies wohl zu Recht. Aus Gründen, die Jonathan und seiner Nachbarin und Freundin, der freundlichen Hexe Florence Zimmermann, unerfindlich bleiben, hat Izard irgendwo in den Mauern seines Hauses eine Uhr versteckt, deren beständiges Ticken die Bewohner zur Weißglut treibt. Sie lässt sich einfach nicht orten, obwohl Jonathan und Mrs. Zimmermann schon seit Jahren nach ihr suchen.

Die Lösung dieses Rätsels muss unbedingt gefunden werden, nachdem Lewis beim Versuch, einen Freund zu beeindrucken, versehentlich den Geist der bösen Selena Izard aus ihrem Grab befreit. Diese ist noch wesentlich unangenehmer als ihr Gatte, der die Uhr - so viel steht bald fest - mit einer schwarzmagischen Weltuntergangs-Maschine gekoppelt hat, weil er wissen wollte, was anschließend geschieht. Isaac starb, bevor er sein böses Werk vollenden konnte, aber nun setzt Selena es fort. Sollte es ihr gelingen, die Uhr zu finden und den Mechanismus korrekt zu justieren, wird der Tag des Jüngsten Gerichts anbrechen. Genau dies ist ihr Plan, und dabei geht sie nicht zimperlich vor, wobei sie sich selbst als Zauberin erweist sowie auf unangenehme Verbündeten zurückgreifen kann...

Ein früher Meister der ‚jugendlichen‘ Phantastik

John Bellairs gehört in den USA auch viele Jahre nach seinem frühen Tod zu den bekannten und viel gelesenen Kinder- und Jugendbuch-Autoren. Was hierzulande lange als Abqualifizierung galt, belegt tatsächlich die echte und schwierige Kunst, Geschichten zu erzählen, die Kinder und Jugendliche - jene seltsame Mischung aus Mensch und Alien - als zwar noch im Wachstum begriffene, aber bereits existente Persönlichkeiten ernstnehmen sowie vor allem nicht der fixen Idee unterliegen, dieses Publikum um jeden Preis ‚belehren‘ zu wollen.

Wozu Bellairs in der Lage ist, stellt er mit „Das Haus der geheimnisvollen Uhren“ eindrucksvoll unter Beweis, einem Buch, das auch erwachsene Leser zu fesseln vermag. Der Autor erzählt nicht ‚nur‘ für die die lieben Kleinen, sondern legt ein veritables „Urban-Fantasy"-Abenteuer vor, das geschickt Elemente milden Horrors in eine ansonsten realistische, nur leicht verfremdete Alltagswelt transportiert. Auf einer eigenen Ebene liegen zahlreiche Anspielungen - u. a. auf die christliche Mythologie -, die nicht erkannt und verstanden werden ‚müssen‘, was den Unterhaltungswert der Erzählung keineswegs beeinträchtigt.

Unterschwellig, aber deutlich werden (Kinder) Ängste, die sich beileibe nicht ausschließlich ums Übernatürliche drehen, sondern auch die Furcht vor dem Allein- und Fremdsein in einer aus den Fugen geratenen Welt einschließen, beschworen, bewältigt und damit gebannt - und das wie schon erwähnt ohne den berühmt-berüchtigten erhobenen Zeigefinger.

Figuren nehmen Gestalt an

Die Figuren sind schlicht, aber kraftvoll gezeichnet, wobei angenehm auffällt, dass die Erwachsenen weder zu Respektspersonen, vor denen Kinder stramm zu stehen haben, erhöht noch zu Trottel herabgewürdigt werden, die rein gar nichts von dem kapieren, was um sie herum vorgeht. Obwohl New Zebeedee eine archetypische US-amerikanische Kleinstadt ist, sind die Kinder - allen voran Lewis Barnavelt - keine tumben Disney-Zombies oder altkluge Spielberg-Goonies. Sie stehen mit beiden Beinen fest im Leben, wobei dieses auch seine unangenehmen Seiten hat, die ebenso wie gewisse charakterliche Schwächen der Protagonisten nicht harmoniesüchtig ausgeblendet werden (wenn auch vielleicht ein wenig zu viel heißer Kakao serviert wird).

Die Story ist spannend, und Bellairs spart nicht mit Mystery-Elementen, denen erfreulicherweise nicht „zum Wohle der jungen Leser“ jeglicher Grusel ausgetrieben wurde. Dass dies vom Verfasser gewollt ist, zeigt seine Entscheidung, „Das Haus der geheimnisvollen Uhren“ ausgerechnet von Edward Gorey (1925-2000) illustrieren zu lassen. Dessen schraffierten, schwarz-weiß ausgeführten Zeichnungen wirken stets so, als verberge sich in den Schatten etwas, das man lieber nicht sehen möchte. Zudem liebte Gorey das Morbide, obwohl er dies hier ein wenig milderte - freilich nicht so sehr, wie es gutmenschlichen Moralisten heute lieber sehen, weshalb Goreys Illustrationen nur in der deutschen Erstausgabe dieses Buches zu finden sind, das nicht als Kinderbuch vermarktet wurde.

In Harrys Fußstapfen

Bellairs wurde 1973 vom Erfolg seines Werkes überrascht. Die Kritiker erhoben sich quasi von ihren Plätzen, um ihm zu applaudieren. Der Autor erkannte, auf welche Goldader er gestoßen war, und baute „Das Haus der geheimnisvollen Uhren“ zu einer Serie aus. Lewis Barnavelt erlebte weitere fantastische Abenteuer in New Zebeedee. Auch die Fortsetzungen wurden gern gelesen, konnten den Triumph des Erstlings jedoch nicht wiederholen.

Zwar erschien der erste Barnavelt-Band bereits 1977 in Deutschland, blieb jedoch ein Geheimtipp, der immerhin diverse Neuauflagen erfuhr. Die Gesamtserie wurde erst mit beachtlicher Verspätung ab 2000 veröffentlicht. Der Blick auf die Titelbilder der insgesamt sechs Bände macht deutlich, wem wir dies ‚verdankten‘: Man sieht eine Jungengestalt mit wirren Zackenfrisur, aber immerhin ohne Brille und Nimbus 2000, was vom durchsichtigen, aber verständlichen Wunsch des Verlags zeugte, auch ein paar Krümel vom Harry-Potter-Kuchen abzubekommen. (Damit noch der Dümmste hörte, was die Glocke geschlagen hat, wurde der Satz „Ein Muss für jeden Harry-Potter-Fan!“ auf die hinteren Umschlagdeckel gedruckt.) In diesem Fall durften die Leser das Gebrüll der Werbe-Ochsen überhören und sich über die Gelegenheit freuen, endlich diese Klassiker kennenlernen zu können. Dem kann sich eine weitere Generation anschließen, obwohl die Neuausgabe als „Buch zum Film“ von 2018 ohne Überarbeitung auf den Markt geworfen wurde. Zumindest die Übersetzung - immer noch von 1977 - sollte überarbeitet werden.

Es tickt auch im Kino

Es dauerte lange, bis „Das Haus der geheimen Uhren“ als Filmvorlage erkannt bzw. aufgegriffen wurde. Erfolgreiche Streifen wie „Miss Peregrine’s Home for Peculiar Children“ (2016; dt. „Die Insel der besonderen Kinder“) oder „Fantastic Beasts and Where to Find Them“ (2016; dt. „Phantastische Tierwesen und wo sie zu finden sind“) haben den Weg geebnet. Hinzu kommt das Vorhandensein ebenfalls adaptierbarer Fortsetzungsromane, was nützlich ist, wenn sich Erfolg an der Kinokasse einstellt: Die Welt von Lewis Barnavelt ist prädestiniert für ein Franchise à la „Harry Potter“ - die Wunschvorstellung jedes Filmstudios!

2018 kam „Das Haus der geheimen Uhren“ in die Kinos. Der Name des Regisseurs sorgte für Stirnrunzeln: Eli Roth ist ganz sicher niemand, den man mit der Verfilmung eines Kinderbuches in Verbindung bringt. Bisher drehte er Filme wie „Cabin Feaver“ (2002), „Hostel“ und Hostel II“ (2005 bzw. 2007) oder „Death Wish“ (2018), d. h. eisenharte Horrorfilme oder Thriller, die mit plakativer Gewalt nie geizten. Doch Roth hat offenbar genug davon, auf solche Filme festgelegt zu werden. Er drängt aus seiner Nische und sucht den Erfolg im Hollywood-Mainstream, dem ein Blockbuster ein solides Fundament verschaffen würde.

Das Budget ist üppig, die Besetzung lässt zumindest aufhorchen: Den exzentrischen Onkel Jonathan spielt Jack Black („School of Rock“, 2003; „King Kong“, 2005; „Gullivers Reisen“, 2010), der exzentrischen Hexe im Nachbarhaus verleiht Cate Blanchett ihr markantes Gesicht, und den bösen Zauberer Isaac Izard gibt Kyle MacLachlan („Twin Peaks“).

Anmerkung

Für das ‚tickende Haus‘ gibt es ein reales Vorbild. Bellairs fand es in Marshall, jener Stadt, in der er aufwuchs. 1898 im ‚italienischen‘ Stil erbaut, steht Cronin House noch heute an der Madison Street, und im Ort hofft man, dass der Film von 2018 Touristen locken wird, die man gebührenpflichtig durch Haus und Garten führen kann.

Das Haus der geheimnisvollen Uhren

John Bellairs, Heyne

Das Haus der geheimnisvollen Uhren

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