Die grosse Mammuthöhle

  • Pabel
  • Erschienen: Januar 1955
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Die grosse Mammuthöhle
Die grosse Mammuthöhle
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Michael Drewniok
40°1001

Phantastik-Couch Rezension vonJan 2019

Unter Urzeit-Ungeheuern und Unholden

Vor vielen Jahren hatte Hobby-Forscher Anthony Goffrey mit der Erkundung einer unbekannten Höhle begonnen, die sich in Kanada unweit des winzigen Ortes Sault-les-Forȇts schier endlos in die Tiefe erstreckt. Es ist ihm nie gelungen, seine Untersuchung abzuschließen. Oft hat er Sohn Hubbard von seinem Abenteuer erzählt. Nach dem Tod des Vaters fühlt sich dieser verpflichtet, in die „Mammuthöhle“ zurückzukehren, um zu vollenden, was Anthony nicht mehr gelang.

Hubbard wird begleitet von seinem Freund Gomez Delmonte und seiner Braut Ann Morrison. Das Trio heuert als Führer den erfahrenen Trapper Marcel Renouard an, der einst schon Goffrey Senior begleitet hatte. Gemeinsam steigt man in die Höhle, die sich nicht nur als gewaltiges Labyrinth erweist: Plötzlich öffnet sich viele Kilometer unter der Erdoberfläche ein Ausgang. Die Gruppe betritt erstaunt und überwältigt eine tropisch heiße, von seltsamem Zwielicht erleuchtete und dicht bewaldete Unterwelt.

Der Dschungel wird von garstigen Kreaturen bevölkert, die rasch auf die Neuankömmlinge aufmerksam werden. Eine Attacke geifernder Riesenspinnen kann abgewehrt werden, doch dann platzen wilde Ur-Weiber aus dem Unterholz und verschleppen Pechvogel Gomez in ihr Lager. Die Gefährten folgen seiner Spur, müssen sich jedoch immer wieder hungriger Untiere erwehren.

Inzwischen hat sich Gomez befreit. Auf seiner Flucht stößt er auf Tim Withers, den es schon vor langer Zeit unter die Erde verschlagen hat. Er warnt vor weiterem Vordringen, was ungehört verhallt, da nunmehr Ann entführt wird, um der „Ganz Großen Gottheit“ geopfert zu werden ...

Auf der Suche nach vergessenen Winkeln

DAS ist mal ein Garn! Je weiter man sich in die Urzeit der deutschen Phantastik wagt, desto größer ist die Chance, auf Klopfer wie diesen zu stoßen. Nicht der Roman ist das eigentlich Interessante, sondern das (historische) Umfeld, in dem er entstand, denn die Geschichte ist - freundlich ausgedrückt - ein Raubzug, den der Verfasser einerseits dreist beging, während er andererseits seine Spuren kaum verwischte.

Die Reise in ferne bzw. fremde Welten war schon um 1900 ein literarisch recht ausgereiztes Thema. Der neugierige Mensch drang in jeden Winkel ‚seiner‘ Erde vor; die „weißen Flecken“ auf den Landkarten schrumpfen stetig. Schriftsteller wussten sich zu helfen. Sie verlagerten die exotische Fremde dorthin, wo sie weiterhin ihr Dasein fristen konnte, ohne von der Realität belästigt zu werden, was einen zusätzlichen Pluspunkt darstellte.

Dass die Erde womöglich hohl sein könnte, wurde nicht nur von schon damals existierenden Pseudo-Wissenschaftlern diskutiert, sondern lange ernstgenommen. Jules Verne hatte auf der Basis entsprechende Theorien 1864 eine noch heute gern gelesene, vielfach verfilmte „Reise zum Mittelpunkt der Erde“ beschrieben. Arthur Conan Doyle - als Schöpfer von Sherlock Holmes berühmt - schilderte 1912 eine Expedition in „Die vergessene Welt“. 1918 folgte Edgar Rice Burroughs - ‚Vater‘ von Tarzan - mit „Caprona - Das vergessene Land“. Im Kino tobte 1933 „King Kong“.

Wahrlich ganz weit unten

Damit haben wir jene Werke, von denen sich ‚Leslie Hugh Linklater‘ ‚inspirieren‘ ließ, was hier bedeutet, dass er die Vorlagen dort plünderte, wo es ihm in den Kram bzw. in die vorgesehene (Schauer-) Mär passte. Also steigen unsere ‚Forscher‘ - die wie in der Trivialliteratur üblich primär Abenteurer sind - in eine Höhle und gelangen dort in die weiter oben beschriebene Unter- und Höllenwelt.

Daraus entwickelt sich keine echte Geschichte, sondern eine Handlung, die sich aus Zwischenfällen speist. Was immer unsere ‚Forscher‘ entdecken, stürzt sich auf sie und muss mit Waffengewalt niedergerungen werden. ‚Linklater‘ setzt auf reine Action; es gibt keinerlei Subtext oder Substanz. Man irrt durch die Unterwelt, findet endlich den Ausgang wieder und kehrt an die Oberfläche zurück. Selbstverständlich müssen sämtliche Beweise zurückgelassen werden, weshalb das Geheimnis der großen Mammuthöhle gewahrt bleibt. Eine Rückkehr nun besser vorbereiteter Entdecker unterbleibt, weil die geschockte Ann ihren Bräutigam inständig bittet, das Entdeckte zu vergessen, was dieser brav befolgt.

Das passt zu einer in ihrem Flachsinn immerhin konsequent durchgehaltenen Figurenzeichnung. ‚Linklater‘ lässt ausschließlich Klischees agieren. Er verfügte entweder nicht über das entsprechende Talent, oder er hatte - dazu weiter unten - keine Zeit, sich auf eine stringente Handlung mit lebensechten Protagonisten zu konzentrieren. Hinzu kam eine Weltsicht, die nur durch die Entstehungszeit zu verstehen bzw. zu entschuldigen ist. So stellt ‚Linklater‘ die Urmenschen der Unterwelt als grobschlächtige, schmutzige, dumme Troglodyten dar; ein Stamm wird sogar von Frauen regiert, was natürlich gar nicht geht: „Allerdings war eine solche Amazonenwirtschaft noch immer ein Anzeichen bevorstehenden Niedergangs.“ Auch sonst lässt ‚Linklater‘ Ansichten einfließen, die unsere durch politisch korrekte Filter geschwächten Augen tränen lassen!

Nicht denken, sondern schreiben

Warum wird ‚Linklater‘ hier stets in „Als-ob“-Anführungsstriche gesetzt? Es liegt daran, dass es einen Schriftsteller dieses Namens nie gegeben hat. Der eigentliche Autor dieses Machwerks ist sein angeblicher Übersetzer: Fritzheinz van Doornick. Er gehörte zu jenen Schreibern, die ihr karges Auskommen in den Untiefen der zeitgenössischen Unterhaltungsindustrie fristen mussten. Van Doornick - über den zumindest dieser Rezensent nichts in Erfahrung bringen konnte - schrieb nicht nur SF-Romane, sondern auch Krimis, Abenteuergeschichten oder ‚Heiteres‘; eigentlich schrieb er alles, wenn es ihm Geld brachte, und arbeitete zusätzlich als (echter) Übersetzer.

Das Honorar war mickrig, was nur durch ein brutales Arbeitstempo auszugleichen war. Dabei entstand in der Regel kein Meisterwerk, sondern reine Verbrauchsliteratur, die gelesen und vergessen und entsorgt wurde. Van Doornicks Werke erschienen als Hefte oder Leihbibliotheksromane, die eigens und möglichst billig gedruckt wurden, um beispielsweise in Zeitungs- und Tabakläden gegen Gebühr ausgeliehen zu werden. Hier bestimmte das Publikum, weshalb in diesem Milieu „Sex & Crime“ nicht so scheinheilig negiert wurden wie in der ‚richtigen‘ Literatur.

Die Science Fiction galt einer intellektuelloiden Oberschicht als verdächtige ‚Fluchtliteratur‘, die ihre Leser verdarb und brave Bundesbürger in haltlose Phantasten verwandelte. Doch es gab ein kopfstarkes Publikum für Geschichten aus Zeit und Raum. Allerdings hatten die deutschen Leser durchaus bemerkt, dass die ‚besseren‘, unterhaltsameren Storys und Romane aus dem Ausland kamen. Nachkriegsbedingt hatten US-Amerikaner und Briten die Nasen vorn. Seit 1933 waren zahlreiche Titel erschienen, auf die man in Deutschland erst ab 1945 zugreifen konnte. Natürlich schrieben auch die meisten Angelsachsen Schwachsinn, doch der reine Rückstau bisher unveröffentlichter Werke sorgte dafür, dass richtig gute SF übersetzt wurde.

Ganz großer Humbug

Dem konnten die deutschen Autoren nichts entgegensetzen. Die Nazis hatten dafür gesorgt, dass sich eine echte SF-Szene nicht entwickeln konnte. Nach 1945 änderte sich das, aber es dauerte, und der Pool der Autoren war nie so groß wie beispielsweise in den USA. Die Folge war, dass angelsächsische SF besser ‚ging‘. Statt dieses Verlangen ehrlich zu stillen, fanden nicht wenige Verlage einen kostengünstigeren Ausweg: Sie gaben einfach vor, Romane aus dem begehrten Ausland zu veröffentlichen, indem deutschen Autoren entsprechende Pseudonyme und ihren Werken entsprechende ‚Originaltitel‘ übergestülpt wurden. Aus „Die große Mammuthöhle“, fabriziert von Fritzheinz van Doornick, wurde so „A World Beyond“, verfasst von ‚Leslie Hugh Linklater‘.

In einer Ära ohne Internet blieben solche Tricks unbemerkt. Illegal war es offenbar nicht. Die wenigen Autoren, denen es gelang, eine eigenen Stimme zu finden, behielten später ihre Pseudonyme bei, obwohl sämtliche Leser längst Bescheid wussten, dass beispielsweise „Clark Darlton“ eigentlich Walter Ernsting hieß. (Das Wort „Humbug“ in der Kapitelüberschrift wird übrigens in einer freundlichen Bedeutung benutzt: Ist Schwindel charmant und nicht schädlich, lassen wir uns gern täuschen = unterhaltsam aufs Glatteis führen. Deshalb nehmen wir es ‚Linklater‘ nicht krumm, dass er uns das ausgestorbene Riesenfaultier Megatherium - ein erst vor 10000 Jahren ausgestorbenes Säugetier - unbedingt als blutrünstigen Dinosaurier verkaufen will.)

So viel Glück war ‚Leslie Linklater‘ nicht beschieden, und wieso dies so ist, wissen wir jetzt. Immerhin war sein Roman nicht gekürzt. Normalerweise wurde in der Romanheft-Welt passend gemacht, was nicht ins genormte Seitenschema (64 bzw. 100 Seiten) passte. Hier blieben sogar noch Seiten übrig, die der Redakteur der Reihe „Utopia Großband“ - der schon erwähnte Walter Ernsting - nutzte, um Beiträge über Raumfahrt, Filme oder Nachrichten aus der SF-Szene anzufügen, die heute zwar völlig veraltet, aber gerade deshalb interessant sowie oft ungefiltert sind.

Fazit:

Der Plot ist wüst (und dreist) aus Genre-Klassikern zusammengeraubt, die Umsetzung gelinde gesagt schlicht, die Figurenzeichnung eine Sammlung abgestandener Klischees: Diese Kuriosität aus dem Bodensatz deutscher Nachkriegs-Phantastik sagt viel Interessanten über die zeitgenössische SF-Szene aus.

Die grosse Mammuthöhle

Leslie Hugh Linklater, Pabel

Die grosse Mammuthöhle

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