Draculas Rivalen (Vampir Horror-Stories 70)
Draculas Rivalen (Vampir Horror-Stories 70)
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Michael Drewniok
75°1001

Phantastik-Couch Rezension vonJan 2019

Zehn Blutsauger: nicht berühmt, aber ebenfalls böse

Sammlung von zehn Kurzgeschichten, in denen unterhaltsam und manchmal einfallsreich bewiesen wird, dass der Vampir-Kosmos Platz genug für Blutsauger bietet, deren Name nicht Dracula lautet:

- Ramsey Campbell: Die Bekehrung (Conversion; 1977), S. 7-13: Der Vater fühlt sich nach der versuchten Befreiung der Tochter krank, doch was ihm wirklich fehlt, wird ihm klar, als langsam seine Ereignisse zurückkehrt.

- Frederick Cowles: Der Vampir von Kaldenstein (The Vampire of Kaldenstein; 1938), 14-38: Als Einheimische einen englischen Touristen davor warnen, ein verrufenes Schloss zu besuchen, fühlt der sich natürlich angespornt, erst recht dorthin zu gehen.

- Jean Ray: Der Friedhofswärter (Le gardien du cimetière; 1919), S. 39-50: Der Dienst ist leicht, die Verpflegung gut, doch der Job zeigt eines Nachts seinen tödlichen Haken.

- M. R. James: Graf Magnus (Count Magnus; 1904), S. 51-69: Als der übermütige Tourist seinen Namen ausspricht, kehrt der böse Graf aus dem Jenseits zurück und findet den Pechvogel.

- E. & H. Heron: Die Geschichte von Baelbrow (The Story Of Baelbrow; 1898), S. 70-86: Der Geist eines Vampirs sucht und findet einen ungewöhnlichen Gastkörper: eine altägyptische Mumie!

- E. Everett Evans: Die Todlosen sterben (The Undead Die; 1948), S. 87-107: Ein liebendes Paar gerät in den Bann eines Vampirs, von dem es sich erst nach langer Zeit befreien und Frieden finden kann.

- Manly Wade Wellman: Der todlose Schrecken (The Horror Undying; 1936), 108-119: Im 19. Jahrhundert bot ihm der Dienst als Soldat in den Indianerkriegen die ideale Tarnung, aber auch viele Jahre später weiß er seine Nische in der nahrhaften Menschenwelt zu finden.

- Robert Bloch: Die Fledermaus ist mein Bruder (The Bat Is My Brother; 1944), S. 120-145: Der Alt-Vampir hat sorgfältig nach einem Menschen gesucht, der ihm bei der Welteroberung assistiert, doch der Kandidat hat eigene Pläne.

- Charles Beaumont: Blutsbruder (Blood Brother; 1961), S. 146-152: Der frischgebackene, von seiner ‚Geburt‘ gar nicht erfreute Vampir sucht Hilfe bei einem Psychiater, der seine Probleme nur zu gut versteht.

- David Drake: Es mußte etwas getan werden (Something Had to Be Done; 1975), S. 153-161: Die Front des Vietnamkriegs kann das Paradies für einen Vampir sein, doch auch hier fällt er auf, wenn man seine Blutgier übertreibt.

Als Vampire noch böse waren

„Draculas Rivalen“ stammt aus einer Zeit, die zumindest in einer Beziehung definitiv besser war als das, was sich in den ersten Jahren des Millenniums untot rührte. Meist waren es Autorinnen, die den Horror als Genre entdeckten und ihn als Treibriemen für  Love Storys missbrauchten, den sie deshalb für pubertierende (Jung-) Frauen tüchtig mit Schmalz schmierten. Der quasi vegan blutsaugende „Mr. Right“ wurde als idealer (Traum-) Liebhaber entworfen, der Untod selbst als Lebensstandard entdeckt. So kamen sie über uns - die anti-erotischen „Edwards“, die umständlich ihre „Bellas“ bebalzten, ohne ihnen zu nahe zu kommen, oder die brechreiz-witzigen „Betsys“, die einerseits bis zum Umfallen einkaufen konnten, ohne andererseits an Gewicht zuzunehmen oder Krähenfüße zu entwickeln.

Zwar ist es erfreulich, dass dem Buch ein Publikum (zurück-) gewonnen werden konnte, das dem Lesen gedruckter Worte eher skeptisch gegenüberstand. Andererseits verdrängte höchsten unfreiwillig schrecklicher Humbug den ‚richtigen‘ Horror, denn die genannten Möchtegern-Blutsauger und ihre unzähligen Abziehbilder traten in Endlos-Serien auf, die in Buchläden und Bibliotheken unzählige Regalmeter in Anspruch nahmen.

Die Situation hat sich zu bessern begonnen. Allmählich kommt eine zu Unrecht verdrängte Sicht des Vampirs wieder zu ihrem Recht: Hier fristen Wesen ihr Dasein, indem sie Menschen das Blut aussaugen! Das ist weniger glamourös noch ‚sexy‘, sondern unheimlich, da es gegen den Willen der Betroffenen geschieht, denen zudem ein nur halbwegs jenseitiges Dasein blüht, das keineswegs durch ewige Jugend und Gesundheit, sondern durch einen Blutdurst geprägt wird, der einer Drogensucht gleichkommt. Hinzu kommt der Hass einer Menschenwelt, die irgendwann immer spitzkriegt, dass ein Vampir sein Unwesen treibt, und zur Jagd bläst, die mit dem grausamen und endgültigen ‚Tod‘ des Saugers endet, der weder so schlau noch so mächtig ist wie ein Edward oder eine Betsy.

Sie kommen stets in der Nacht

1979 sammelte Michel Parry ein Dutzend Kurzgeschichten, in denen Vampire ihr Unwesen trieben, die nicht Graf Dracula waren. Der galt (nicht nur) zu diesem Zeitpunkt als Maß aller untot blutsaugenden Dinge, obwohl sich seit Bram Stoker zahlreiche Autoren dem Thema „Vampir“ gewidmet und dabei (mindestens) ebenso viel  Ideenreichtum an den Tag gelegt hatten. Parry wählte Klassiker von Montague Rhodes James (1862-1936) und Jean Ray (= Raymundus Joannes de Kremer, 1887-1964) aus, die in der Tat grimmige „Nachzehrer“ präsentieren, obwohl James‘ Graf Magnus eigentlich kein ‚richtiger‘ Vampir ist und das eigentliche Grauen von seinem dämonischen Diener ausgeht.

Doch die Variation ist wichtiger als das Beharren auf Standards, die schon früh als Einschränkungen begriffen wurden und gern ins Lächerliche gezogen wurden. Charles Beaumont (= Charles Leroy Nutt, 1929-1967) listet in seiner ansonsten wenig originellen Story humorvoll die unschönen Details auf, die dem Vampirdasein jegliche düstere Romantik rauben: Tageslicht und Sonnenlicht sind tabu, man muss auf schmutziger Erde schlafen, fließendes Wasser oder Knoblauch sorgen für Unbehagen, und der Nahrungsaufnahme geht eine schwierige Jagd voraus, weil sich das Opfer wehrt oder Mitmenschen alarmiert, die mit Kruzifix und Holzpflock auf der Szene erscheinen.

Dass ‚alte‘ Vampir-Storys automatisch ‚gute‘ Vampir-Storys darstellen, widerlegt Herausgeber Parry übrigens eindrucksvoll (und unfreiwillig). Er greift großzügig auf jene Autoren zurück, die für die „Pulp“-Magazine schrieben, die vor allem in den Jahren vor dem Zweiten Weltkrieg ihre Leser mit in der Regel eher wüstem als anspruchsvollem Horror konfrontierten, was freilich keineswegs den Unterhaltungswert mindern musste. Allzu einfach macht es sich allerdings Frederick Cowles (1900-1949), der einfach die „Dracula“-Vorlage verkürzt ‚nacherzählt‘ und sich kaum bemüht, seine Plagiatoren-Spur zu verwischen.

Untod mit Hindernissen

Wie M. R. James (aber ungleich trivialer) nutzen E. & H. Heron (= Hesketh Vernon Hesketh-Prichard, 1876-1922, u. Kate O'Brien Ryall Prichard, 1851-1935) die Vampir-Vorgabe für eine vor allem actionreiche Gruselgeschichte, die sich nicht um die von Stoker kanonisierten Regeln für Blutsauger schert. Das Ergebnis ist unterhaltsam irritierend, die Naivität in Form und Inhalt wird durch Entstehungszeit und -umfeld nostalgisch entschuldigt.

Gar zu routiniert geht Manly Wade Wellman (1903-1986) ans gruselige Werk. Er kennt sich in der jüngeren US-amerikanischen Geschichte aus, die er in Rückblenden und in gut erfundenen ‚Quellen‘ handfest aufleben lässt, während er den Erzähler erst fasziniert und dann zunehmend erschrocken den Spuren eines Vampirs durch die Vergangenheit folgen lässt. Dass der Unhold im Finale, das gleichzeitig als Höhepunkt gedacht ist, plötzlich persönlich auftaucht, ist ein plumper Effekt, der die Wirkung dieses Garns verpuffen lässt.

Dass der ‚romantische‘ Vampir keineswegs eine Erfindung der modernen Trivialliteratur darstellt, belegt Edward Everett Evans (1893-1958; mit Ray Bradbury, 1920-2012). Die einst möglicherweise rührende Melodramatik ist ausgesprochen ranzig geworden, woran auch ein die Grenze zur Lächerlichkeit vehement übertretender Bösewicht nichts ändern kann.

Vampire unter uns (Menschen)

Bereits lange vor „Psycho“ (1958) war sich Robert Bloch (1917-1994) der Tatsache bewusst, dass der Horror eine zutiefst ‚menschliche‘ Seite besitzt. Zwar sind die beiden Protagonisten von „Die Fledermaus ist mein Bruder“ untot, doch sie behalten ihre zu Lebzeiten wichtigen Pläne und Moralvorstellungen im Guten wie im Bösen bei: Der Schrecken wurzelt nach Bloch nachdrücklich im Menschenhirn, weshalb der Blutdurst eines Vampirs wesentlich weniger gefährlich ist als der Drang, die Welt mit Untoten zu bevölkern und dadurch zu beherrschen.

Ausgerechnet der sonst sehr zuverlässig Horror der Oberklasse liefernde Ramsey Campbell (*1946) legt eine höchstens durchschnittliche Story ab, deren finaler Aha-Effekt sich in Grenzen hält. Autorenkollege David Drake (*1945) sorgt für den würdigen Abschluss dieser Sammlung: Er stellt unter Beweis, dass Vampire auch in der Jetztzeit ihre Nischen finden können, wobei „Es mußte etwas getan werden“ bereits 1975 und damit noch vor dem Ende des Vietnamkriegs entstand. Die Wirkung entfaltet sich, weil das Wüten des Vampirs an der Front längst beendet ist, als sich scheinbar ein Kamerad aufmacht, um die Eltern persönlich zu informieren: Hier gelingt der Final-Twist.

Wie üblich endet diese Sammlung hierzulande vorzeitig, denn sie erschien in der traurigen Ära der Seitennormierung: Was sich innerhalb der verlagsseitig vorgegebenen 160 Buchseiten nicht unterbringen ließ, fiel ersatzlos unter den Tisch. Immerhin sind es dieses Mal nur zwei Storys (Anonymous: The Mysterious Stranger; Steven Utley: Night Life).

Fazit:

Sammlung von zehn Kurzgeschichten, in denen unterhaltsam und manchmal einfallsreich bewiesen wird, dass der Vampir-Kosmos Platz genug für Blutsauger bietet, deren Name nicht Dracula lautet; klassischer Grusel trifft auf den eher trashigen Horror der „Pulp“-Ära, hinzu kommen einige moderne Storys: keine Meisterwerke, aber sämtliche Storys sind „Edward“- und „Betsy“-frei und schon deshalb die Lektüre wert!

Draculas Rivalen (Vampir Horror-Stories 70)

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