Reise in die Unterwelt (Terra-Taschenbuch 285)

  • Pabel
  • Erschienen: Januar 1977
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Reise in die Unterwelt (Terra-Taschenbuch 285)
Reise in die Unterwelt (Terra-Taschenbuch 285)
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Michael Drewniok
75°1001

Phantastik-Couch Rezension vonFeb 2019

Cugel der (nicht so) Schlaue auf neuer Irrfahrt

Lange Zeit herrschte Friede am See von Cutz auf dem Nordkontinent der Sterbenden Erde. An der Nordküste herrschen die Lords von Slaye, an der Südküste hat der Erzzauberer Simbilis das Sagen. Der hat sich jedoch schon seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr gezeigt, weshalb der aktuelle Lord nun die Südküste besetzt.

Mumber Sull, Than der Hafenstadt Icthyll, hat seinem Lehnsherrn Simbilis die Treue gehalten und wurde deshalb abgesetzt und vertrieben. Er begibt sich auf die Suche nach dem Zauberer, um ihn auf das Unrecht hinzuweisen, das der Lord beging. Die Spur führt nach Westen; in der Stadt Crag soll Simbilis zuletzt ansässig gewesen sein.

Lang ist die Reise, und gefährlich ist sie erst recht. Deshalb ist Sull froh, auf einen Gefährten zu stoßen: Cugel der Schlaue hat gegen Iucounu, den Lachenden Magier, den Kürzeren gezogen und sich durch einen ungeschickt formulierten Zauberspruch selbst ins Exil geschickt. Zwischen Almery, seiner Heimat, und dem See von Cutz liegt eine beträchtliche Wegstrecke, die Cugel nun zurücklegen muss.

Wie üblich gedenkt er sich die Reise zu einfach und vor allem einträglich wie möglich zu machen. Cugel ist ein Dieb und dreister Lügenbold, der sich Than Sull vor allem anschließt, um ihn als menschlichen Schutzschild zu missbrauchen und schließlich auszurauben. Bis es soweit ist, schlagen sich die beiden ungleichen ‚Gefährten‘ nach Grag und weiter nach Million Gather durch.

Simbilis bleibt verschwunden. Ist er durch das stadtnahe Portal in die gefürchtete Unterwelt gezogen? Dort hausen heimtückische Kreaturen, die menschliche Besucher zum Fressen gernhaben. Sulls und Cugels Reise durch die Unterwelt wird zu einer Irrfahrt, auf welcher der Tod womöglich nicht das schlimmste Schicksal darstellt …

Unerwartete Rückkehr eines beliebten Schurken

Als wir Cugel den Schlauen das letzte Mal ‚sahen‘ (in „Das Auge der Überwelt“/„Der Lachende Magier“), hatte er sich gerade wieder selbst ein Bein gestellt. Sein Beiname ist der reinste Euphemismus, denn „schlau“ ist oder verhält sich Cugel selten, obwohl er selbst davon überzeugt ist. Cugel ist lernresistent; sein Charakter gestattet offensichtlich keine Einsicht.

Gier, Eitelkeit, Hochmut: Keine negative Eigenschaft ist Cugel fremd. Die Welt unter der nur noch müde glimmenden Sonne ist für ihn ein Selbstbedienungsladen. Was ihm gefällt, das nimmt Cugel sich, wobei ihm die Eigentumsverhältnisse kein Kopfzerbrechen bereiten. Cugel ist außerdem skrupellos. Gefährten sind ihm höchstens Mittel zum Zweck, die er bedenkenlos ans Messer liefert, wenn er in Gefahr gerät oder Reichtum winkt, den Cugel generell nicht zu teilen gedenkt.

Allerdings ist Cugel wie gesagt nicht schlau. Außerdem ist er ein bevorzugtes Opfer für die Tücke des Objekts. Seine ‚Rückkehr‘ an den See von Cutz ist dafür exemplarisch: Den Lachenden Magier Iucounu hatte er längst in seine Gewalt gebracht, wollte ihn aber zusätzlich demütigen und ihn sich endgültig vom Leib schaffen. Ein Zauber sollte das bewirken, aber Cugel hatte sich nicht die Mühe gemacht, diesen korrekt auszusprechen, weshalb sich die magische Kraft gegen ihn richtete und anstelle der Lachenden Magiers dorthin teleportierte, wo Cugel keinen positiven Eindruck hinterlassen hatte.

Reise als Irrfahrt durch eine groteske Welt

Die Sterbende Erde ist eine Schöpfung des Fantasy-Großmeisters Jack Vance. Er nutzte sie als Kulisse für Geschichten, die keineswegs einen inhaltlichen Bezug aufweisen mussten. Allmählich erlischt die Sonne. Auf der Erde gibt es zwar noch Menschen, doch keine Technik mehr. Vielleicht verbirgt sie sich in dem, was „Magie“ genannt wird; Vance interessierte sich nicht für solche Details, sondern konzentrierte sich auf die Möglichkeiten einer Welt, die jederzeit irreal oder verzerrt und doch seltsam vertraut wirkt, weil sie der Gegenwart, wie wir sie kennen, einen Spiegel vorhält.

Cugel irrt durch eine Welt ohne klare Regeln. Gesetze oder Sitten. Auf der Sterbenden Erde gibt es keine logischen Vorgaben. Alles ist übertrieben auf den absurden Effekt zugespitzt. Womöglich muss man in einer Umgebung, die man nie wirklich einschätzen kann, einen Charakter wie Cugel entwickeln, um dauerhaft zu überleben.

Bekanntlich gibt es ‚lustige‘ Fantasy. Humor kennt Ebenen. Das Cugelversum ist kein Ort für Brou-har-har-Lachsack-Leser, die Werke mit Titeln wie „Querulantische Kobolde“ ulkig finden. Jack Vance beherrschte meisterhaft einen hintersinnigen (oder hinterlistigen) Humor, der mit Erwartungen und Konventionen spielte und dabei jederzeit pechschwarz werden konnte. Cugel hat kein Problem damit, dass er links und rechts seines Wegs nicht selten Leichen zurücklässt. Nicht immer haben diese Opfer ihr Schicksal ‚verdient‘. Man muss trotzdem schmunzeln, weil die Darstellung ihrer grausigen Tode so übertrieben ist, dass man sie nicht ernstnehmen kann.

Im Schatten des Meisters

1974 erdachte nicht Jack Vance, sondern Michael Shea neue Abenteuer für Cugel. (Vance war darüber sowohl informiert als auch einverstanden.) „A Quest for Simbilis“ wurde Sheas Romandebüt. Dies sollte man berücksichtigen und anerkennen, denn der Autor leistete gute Arbeit - jedenfalls als Vance-Epigone, denn was Shea eindeutig vermied, war der Versuch eines neuen Ansatzes.

Grundsätzlich ist dies eine Variation der Vorlage, obwohl Cugel eigene Wege einschlägt. Oft wird spürbar, wie intensiv Shea sich bemüht, in Vances Fußstapfen zu wandeln, obwohl seine Schuhe zu klein sind. Die barocke Leichtigkeit, mit der Vance den alltäglichen Wahnwitz der Sterbenden Erde heraufbeschwören (und dabei bitterböse werden) konnte, geht Shea jedenfalls ab, obwohl es ihm an bizarren Einfällen keineswegs mangelt.

Dies liegt auch an einem Plot, der eher vage bleibt. Die „Suche nach Simbilis“ bildet einen roten Faden, der viele Knoten aufweist. Wie Vance in „Das Auge der Überwelt“/„Der Lachende Magier“ hangelt sich auch Shea anhand diverser Episoden durch ein ansonsten simples Geschehen. Tatsächlich bleibt die Suche hauptsächlich Vorwand. Die einzelnen Kapitel gleichen eher Kurzgeschichten, die einer lockeren Rahmenhandlung folgen. Im Vordergrund steht nicht unbedingt die Spannung, sondern der irisierende Grundton einer aus den Fugen geratenen Zukunft. Erneut hat Vance die Nase vorn, denn seine mäandrierende Odyssee wirkt schlüssiger.

Ungeachtet solcher Einwände liest sich dieses Garn ungemein unterhaltsam, wenn man ein Faible für Fantasy abseits dumpfer Tolkien- oder Martin-Kopien hat. Michael Shea hat das Cugelversum würdig fortgesetzt, bevor Jack Vance 1983 mit „Cugel’s Saga“ (dt. „Cugel der Schlaue“) wieder selbst übernahm.

Anmerkung: In Deutschland erschien 1984 der Shea-Roman „Die Reise durch die Unterwelt“. Dabei handelt es sich nicht um eine Neuausgabe von „The Quest of Simbilis“, sondern um ein (hierzulande in zwei Teilen erschienenes) Buch, das den Originaltitel „Nifft the Lean“ trägt (Teil 2: „Fischzug im Dämonenmeer“).

Fazit:

Die Neubelebung des von Jack Vance geschaffenen Anti-Helden Cugel bietet abermals bunte, mit sarkastischen Seitenhieben nicht sparende Abenteuer-Fantasy, kann trotz schräger Einfälle nicht mit dem ‚Original‘ mithalten, ist aber dennoch unterhaltsam und amüsant.

Reise in die Unterwelt (Terra-Taschenbuch 285)

Michael Shea, Pabel

Reise in die Unterwelt (Terra-Taschenbuch 285)

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