Science Fiction Stories 56

  • Ullstein
  • Erschienen: Januar 1976
  • 1
Science Fiction Stories 56
Science Fiction Stories 56
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Michael Drewniok
70°1001

Phantastik-Couch Rezension vonMai 2019

Auf den Böden vieler Flaschen

Galloway Gallegher ist ein genialer Erfinder mit einem Handicap: Sein Talent verbirgt sich im Unterbewusstsein. Um es hervorzulocken, bedarf es großer Mengen Alkohols. Wenn Gallegher verkatert erwacht, hat er in der Regel vergessen, was er im Suff kreiert hat, was ihn regelmäßig in Nöte bringt, da keine seiner Schöpfungen ohne unerwartete Nebenwirkungen funktioniert:

- Die Welt gehört mir (The World Is Mine; 1943), S. 5-47: Gallegher hat erfolgreich eine Zeitmaschine und eine Strahlenpistole entwickelt. Erstere trägt ihm nun aus diversen Zukünften tote Gallaghers ins Haus, die mit letzterer ermordet wurden. Gallegher muss die misstrauische Polizei von seiner Unschuld überzeugen, wobei ihm sein ungehobelter Großvater keine Hilfe ist; außerdem bedrängen ihn drei winzige, wuschelige Marsianer aus der Zukunft, die unbedingt die Erde erobern wollen.

- Ex Machina (Ex Machina; 1948), S. 48-91: Als Gallagher nach einer neuen Schaffensphase wieder nüchtern ist, sind sein Großvater und ein reicher Geschäftsmann spurlos verschwunden. Die Polizei erwartet eine Erklärung, die der Erfinder nicht geben kann, weil jeder Tropfen Alkohol, den er trinken will, um sein Erinnerungsvermögen zu wecken, von einer unsichtbaren Kreatur geschluckt wird. Zudem ist Labor-Robot Joe davon überzeugt Gott zu sein.

- Das Versteck (Time Locker; 1943), S. 92-126: Gallaghers neueste Erfindung ermöglicht einem ‚Freund‘, der als Anwalt kriminelle Nebengeschäfte tätigt, heiße Ware = gefährliche Beweismittel in einer Box verschwinden zu lassen, die sich in eine fremde Dimension öffnet. Als Gallagher sich nach einer neuerliche Sitzung an der „Schnapsorgel“ näher mit seiner Schöpfung beschäftigt, erkennt er, was besagter Anwalt zu seinem Unglück längst weiß: Die Box ist ein Fenster, das auf der ‚anderen‘ Seite nicht unbemerkt blieb.

Als Alkohol noch ein Vergnügen war

Natürlich wusste man es 1943, als „Lewis Padgett“ die ersten Gallegher-Storys veröffentlichte, schon besser: Alkohol ist nur in Maßen genossen bekömmlich oder anregend. Führt man ihn sich wie unser Erfinder mit Hilfe einer „Schnapsorgel“ zu, ist das böse Ende vorgezeichnet. Doch diese Tatsache bleibt um des Effekts willen unberücksichtigt. 1943 war noch möglich (und politisch halbwegs korrekt), sich des Suffs als ‚ulkiges‘ Element zu bedienen.

Der Humor entsteht dabei wie so oft aus einem realiter unlösbaren Widerspruch (oder Wunschtraum): Die Wissenschaft wird nicht durch Alkohol beflügelt. Ein betrunkener Erfinder ist kein Erfinder, sondern einfach nur betrunken. Galleghers Alkoholkonsum stimuliert dagegen sein Hirn, in dem sich die Genialität als „wildes Talent“ verbirgt. Dann lösen sich nicht weiter definierte geistige Fesseln, und Gallegher legt los.

Der Widerspruch wird - hier humorvoll - durch die Tatsache verschärft, dass Erfinder in der Regel wissen, wonach sie streben. Die Erkenntnis ist ein aufwändiger, von Rückschlägen geprägter oder anders ausgedrückt: langweiliger Prozess. Dem steht der entweder geniale oder verrückte - auch die Kombination ist möglich - Wissenschaftler gegenüber, der in Windeseile und ohne Vorbereitung Geistesblitze mit durchschlagender Wirkung präsentiert.

Die Wucht der Nebenwirkungen

Auch in der trivialen Unterhaltung glänzt die Moral selten durch völlige Abwesenheit. Es gibt keinen kurzen oder geraden Weg zum Gipfel. Man muss sich den Aufstieg zäh erkämpfen und Rückschläge hinnehmen. Deshalb gleichen Galleghers Erfindungen einem zweischneidigen Schwert, das zusätzlich von Laien geführt wird: Ein Treffer ist möglich, aber unwahrscheinlich.

Galleghers Unterbewusstsein ist kreativ, ohne gleichzeitig diszipliniert zu sein. Das eine mag das andere bedingen; Padgett deutet es an, ohne es explizit auszudrücken. Es spiegelt sich aber in einer Welt, die beinahe anarchistisch wirkt. Padgett schert sich eindeutig nicht um „klassische“ Science Fiction. Überzogen skizziert wird stattdessen eine Zukunft, die sich quasi selbstständig gemacht hat. (Ironie des Schicksals, dass gerade dies heute hellsichtig wirkt!) Nicht nur Gallegher ist mit den Folgen überfordert. Die Welt funktioniert, doch niemand scheint zu wissen wie. Exemplarisch beschreibt Padgett eine Justiz, die sich von der Realität völlig gelöst hat. Hier mag eine milde Gesellschaftskritik mitspielen; schon zu Padgetts Zeiten waren die USA als Heimstatt skrupelfreier Winkeladvokaten berüchtigt. Hier transportiert der Autor den daraus folgenden Irrwitz auf ein neues Niveau.

In diesem Zusammenhang ist es plausibel, dass Gallaghers Wunderwerke nur auf den ersten Blick funktionieren. Dummheit und Gier derer, die sich scheinbar gerissen ihrer bedienen, lassen die volle Bandbreite der Wirkungen erst mit einer verhängnisvollen, aber unterhaltsamen Verzögerung deutlich werden. Oft ist Gallegher selbst der Pechvogel, der darunter zu leiden hat, doch selbst dann schützt ihn die Unschuld des ‚reinen‘ Narren, während wahrhaft kriminelle Nutznießer ein böses, aber ‚gerechtes‘ Ende nehmen.

Das deutsche Gallegher-Puzzle

Als Hauptfigur bleibt Gallegher limitiert. Er trinkt, erfindet, gerät in Schwierigkeiten. Deshalb begleiten ihn sonderliche Zeitgenossen wie der kindlich-genusssüchtige Großvater oder der eitle Roboter Joe, der womöglich den evolutionären Sprung zur Super-Intelligenz geschafft hat, was in dem alltäglichen Wahnsinn, der Galleghers Welt prägt, völlig untergeht: Padgett verfügt durchaus über hintergründigen Humor, der sich jenen Lesern erschließt, die mehr als den Slapstick wünschen, den beispielsweise die ausschließlich tumben Polizisten erzeugen, die regelmäßig Galleghers Labor stürmen.

Leider wurden die insgesamt fünf Gallegher-Storys hierzulande stiefmütterlich behandelt. In den USA gab es 1952 „Robots Have no Tails“, eine hübsche Sammelausgabe, die mehrfach neu aufgelegt wurde. In Deutschland erschienen einzelne Erzählungen, aber nie die Gesamtkollektion. Auch die hier besprochene Zusammenstellung beinhaltet aufgrund der zeit- und reihentypischen Normierung auf 128 Buchseiten nur drei Storys. Absolut kontraproduktiv ist der nichtssagende ‚Titel‘ „Science Fiction Stories 56“: Er belegt, dass die Science Fiction in Deutschland lange als reine Verbrauchsliteratur betrachtet wurde.

Es fehlen „The Proud Robot“ (1943) und „Gallegher Plus“ (1943). Erfreulicherweise sind diese Geschichten in den „Ullstein 2000“-Storybänden 57 (als „Gallegher Plus“) und 66 (als „Der eitle Roboter“) enthalten. Allerdings existiert eine chronologische Reihenfolge, die den deutschen Lesern verlorengeht. So tritt Roboter Joe, der in „Ex Machina“ und „Das Versteck“ mitspielt, erstmals in „Der eitle Roboter“ auf. Als Fan der Phantastik musste man einst über ein dickes Fell verfügen. Die Abwesenheit des Internets, das die Machenschaften deutscher Verlage hätte offengelegen können, half dabei. Heute hilft es dabei, einst zerpflückte Werke wie dieses zu rekonstruieren.

Fazit:

Gallegher ist kein „mad“, sondern ein „drunken scientist“, den seine ebenso genialen wie gefährlichen Nebenbei-Erfindungen ständig in Schwierigkeiten bringen, die der Autor humorvoll ausspielt, wobei elementare Themen der Science Fiction einfallsreich auf den Kopf gestellt werden. Der Witz ist inzwischen ein wenig angestaubt sowie politisch nicht mehr korrekt, aber genau das sorgt für Unterhaltung der nostalgischen Art.

Science Fiction Stories 56

Lewis Padgett, Ullstein

Science Fiction Stories 56

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