Wenn das Grauen kommt

  • Balowa
  • Erschienen: Januar 1963
  • 0
Wenn das Grauen kommt
Wenn das Grauen kommt
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Michael Drewniok
70°1001

Phantastik-Couch Rezension vonJul 2019

Wer jagt wen? - ein SF-Agenten-Thriller

Seltsames geht vor in dieser ‚zukünftigen‘ Welt des frühen 21. Jahrhunderts: Wissenschaftler werden entführt und tauchen später geistig verwirrt wieder auf.  Unbekannte haben sie intensiv über ihre Fachgebiete und generell über ihr Alltagsleben ausgefragt. Da weiterhin ein Eiserner Vorhang existiert, hinter dem tückische Kommunisten lauern, sorgt sich der ‚freie‘ Westen und will solche Attacken verhindern.

Dies wird vor allem in den USA mit Nachdruck versucht, denn diese Nation hat den Ballast einst verfassungsgeschützter Menschenrechte abgeworfen. Eine quasi-faschistische Regierung sorgt dafür, dass es ihren Bürgern gutgeht, solange diese ‚auf Linie‘ bleiben. Diverse Geheimdienste und ein dichtes Netz aus Ordnungshütern und Spitzeln sind dabei behilflich. Abweichlern wird notfalls unter der Folter ihr Fehlverhalten entlockt. Sippenhaft ist alltäglich, und im Zweifel wird vorsichtshalber gegen die oder den Angeklagte/n entschieden.

Als in einem Atomkraftwerk Uran verschwindet, treffen sich zwei alte Konkurrenten wieder: Major Harvey Alexander von der Sicherheitspolizei hätte den Diebstahl - offenbar begangen von Außerirdischen - verhindern müssen. Er ist sich sicher, alles Notwendige veranlasst zu haben, doch sein Gegner ist ausgerechnet Julian Bahr, ein ehemaliger Soldatenkamerad, der aufgrund psychischer Probleme gefeuert wurde. Dem US-Geheimdienst AMSICH sind solche Schwächen gleichgültig, weshalb Bahr dort inzwischen bis zum stellvertretenden Direktor aufgestiegen ist. Man fürchtet und hasst ihn als unerbittlichen Fahnder, aber er ist erfolgreich, weshalb John McEwen, sein Chef, Bahr deckt. Die ihm vorschriftsmäßig zugewiesene Psychologin Libby Allison hat Bahr ebenfalls unter Kontrolle. Zwar ist sie nicht mehr seine Geliebte, aber Mutter seines Kindes, das er ihr zu nehmen droht, sollte sie sich weigern, weiterhin wider besseres Wissen seine geistige Gesundheit zu bestätigen.

Als McEwen an einem Herzanfall stirbt, reißt Bahr die Macht an sich. AMSICH ist nur die erste Station auf einem Weg, der ihn ganz an die Herrschaftsspitze bringen soll. Um die Außerirdischen auszuräuchern, die sich offenbar auf dem Mond verschanzt haben, startet Bahr ein aufwändiges Raumfahrtprogramm. Doch wie ‚echt‘ sind eigentlich diese Außerirdischen? Der geschasste und verfolgte Alexander stellt Ermittlungen an, die zu Ergebnissen führen, die Bahr der Öffentlichkeit unbedingt vorenthalten will …

Eine Welt voller Feinde

Wenn (bis in die frühen 1970er Jahre) hierzulande ein Roman als „Leihbuch“ erschien, war dies bestenfalls der Hinweis auf schnelle, klischeestarke Abenteuerliteratur - und schlimmstenfalls = in der Regel die Warnung vor einem hastig in die Schreibmaschine gehackten Machwerk, dessen kirchenmausgleich ‚entlohnter‘ Verfasser im Wettlauf mit dem Gerichtsvollzieher schrieb. Der Text wurde auf billiges, dickes, holzhaltiges Papier gedruckt, fest zwischen abwaschbare Deckel gebunden und das entstandene Buch in speziellen Leihbüchereien - oft einem Zigarettenladen oder einem Kiosk angeschlossen - gegen Gebühr entliehen. Das Publikum fand hier jene Unterhaltung, die in ‚guten‘ Bibliotheken und Buchhandlungen nicht zu finden war, weil sie nicht nur das besagte Abenteuer bot, sondern auch die sog. „niederen Instinkte“ bediente.

Allerdings gab es Ausnahmen. Nicht alle (sondern nur die meisten) deutschen Original-Romane waren schlecht - und es gab Übersetzungen interessanter Werke, die anders als die späteren Taschenbuch- und Heftromanausgabe sogar ungekürzt erschienen. „Wenn das Grauen kommt“ stellt ganz sicher kein übersehenes Meisterwerk dar, ist aber als SF-Roman und (unfreiwilliges) Zeitzeugnis lesenswert.

„The Invaders Are Coming!“ erschien 1959 und damit in einer historisch heikle Phase. Zwischen den Großmächten USA und UdSSR und ihren Verbündeten tobte ein nie offen erklärter, sondern „kalter“ Krieg. Er konnte jederzeit ‚heiß‘ werden, d. h. in einem dritten, dieses Mal atomar geführten Weltkrieg gipfeln. Zwar scheuten die Parteien davor zurück, doch ansonsten nutzten sie jede Gelegenheit, dem „Feind“ zu schaden. Dazu gehörte die Sicherung der ‚Heimatfront‘, denn nichts fürchtete man auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs mehr als eine „Fünfte Kolonne“, die unbemerkt ins Land einsickerte, um unbemerkt destabilisierend und sabotierend ihr Unwesen zu treiben.

Zukunftsabenteuer mit Gruselgarantie

„Wenn das Grauen kommt“ ist in gewisser Weise eine logische Folge solcher Ängste, die durchaus trivialpopulär nutzbar waren. Gern tarnte man den (roten) Feind als „Außerirdische“, die emotionsfrei und gnadenlos die freie Menschheit niedermachen und beherrschen wollten und deshalb ‚rechtmäßig‘ bekämpft und ausgerottet werden durften. Alan E. Nourse und Joseph A. Meyer scheinen ein solches Garn zu spinnen. Schon früh merken wir, dass es um etwas Anderes geht. So postulieren die Autoren eine USA, deren Regierung ausschließlich auf Geheimhaltung, Überwachung und Angriff zielt.

Die Angst vor „dem Feind“ ist so groß, dass die Menschenrechte praktisch abgeschafft wurden. Ohne die im ‚guten‘ Roman übliche Zurückhaltung oder verschleiernde Gutheißungen beschreibt das Autorenduo einen Überwachungsstaat, der den roten Teufeln im Osten in keiner Hinsicht nachsteht. (Übrigens sieht es im Rest des ‚freien‘ Westens keineswegs besser aus; so sorgt in Großbritannien der Geheimdienst ENGNACH für Angst und Schrecken.)

Dies wird verschärft durch jene, die sich in der Regierung, beim Militär oder in einem der Geheimdienste nach oben gearbeitet haben und ihre Positionen ausnutzen, um sich Privilegien zu sichern. Sobald sie dies ihren Lesern klargemacht haben, schlagen Nourse & Meyer einen unerwarteten Weg ein. Bald geht es nur noch vorgeblich um invasionslüsterne „Außerirdische“, sondern um Julian Bahr, einen ursprünglich durchaus ehrenwerten, aber psychisch instabilen Mann, der in seinem krankhaften Ehrgeiz buchstäblich über Leichen geht.

Die (zeitweilige) Ohnmacht der Gerechtigkeit

Dem gerissenen, scheinbar allgegenwärtigen und übermächtigen Bahr stellt das Autorenduo den typischen US-amerikanischen Einzelkämpfer gegenüber. Harvey Alexander durchschaut Bahr - und umgekehrt, was genretypisch eine erbitterte Feindschaft generiert. Selbstverständlich gerät Alexander in die Gewalt seines Gegners, kann ordentlich verbeult entkommen und ungeachtet seiner Unterlegenheit Beweise sammeln und Verbündete rekrutieren.

Freilich ist dieser Harvey Alexander kein Held: Womöglich unbeabsichtigt stellen uns Nourse & Meyer einen Mann vor, der nicht das oben skizzierte System attackiert, sondern nur den Irrläufer Julian Bahr. Dass man ihn systemkonform gefangen setzt, foltert und als Kriminellen verfolgt, kann Alexander nicht beirren. Das unterstreicht die verstörende, irritierende Wirkung, die dieser Roman auf heutige Leser ausübt. Niemand ‚lernt‘ hier etwas; es geht allein darum, eine Verschwörung aufzudecken. Dabei wird auf beiden Seiten nie Rücksicht genommen oder erwartet. Bahr hat kein Problem damit, den eigenen Sohn als Geisel einzusetzen, wenn das die (vom Regime verordnete) Psychologin von seinem Hirn fernhält. Dabei ist Bahr kein Monster; Nourse & Meyer zeigen ihn immer wieder nachdenklich und selbstkritisch, bevor Cäsarenwahn und Rachsucht ihn erneut übermannen.

Das Finale ist zwar nicht genial, nimmt aber eine überraschende Wendung. Es klammert die „Außerirdischen“ aus und konzentriert sich auf das Dreieck Bahr, Alexander und Libby Allison, die sich einen monumentalen Endkampf liefern, den nicht alle überleben werden. Der Ausgang wirkt theatralisch, doch er passt zu einer erschreckenden, kompromisslosen und (deshalb) unerwartet interessanten Schauergeschichte!

Fazit:

Eine scheinbare „Kalter-Krieg“-Allegorie auf den allzeit bereiten Todfeind, der hinter der Grenze lauert, um die freie Welt zu unterwandern und zu unterjochen, verwandelt sich in ein Machtspiel, das zwei Männer und eine Frau in einer erschreckend menschenrechtsfreien US-Welt um Wahrheit und Leben kämpfen lässt: kein Meisterwerk, aber als unfreiwilliges Zeitdokument ein bemerkenswert düsterer Roman.

Wenn das Grauen kommt

Alan E. Nourse, Joseph A. Meyer, Balowa

Wenn das Grauen kommt

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