Violet

  • Heyne
  • Erschienen: Juni 2021
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Violet
Violet
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Michael Drewniok
50°1001

Phantastik-Couch Rezension vonAug 2021

Obwohl‘s lange währt, wird’s doch nicht gut

Nach dem Unfalltod ihres Gatten bemüht sich Tierärztin Kris Barlow um einen Neuanfang und verlässt mit der achtjährigen, durch den Verlust des Vaters traumatisierten Tochter Sadie ihre Heimatstadt. Kris erinnert sich an die glücklichen Kindheitstage, die sie im Ferienhaus der Eltern verbracht hat, das im Städtchen Pacington am Ufer des Lost Lake liegt.

Seit dem Tod der Eltern ist Kris nicht mehr in Pacington gewesen. Die erhoffte Ablenkung bleibt freilich aus; das Städtchen ist längst kein glücklicher Ort mehr, die Feriengäste bleiben aus, die Wirtschaft liegt am Boden. Außerdem treibt womöglich ein Serienkiller sein Unwesen; in den letzten Jahren sind vier Mädchen verschwunden bzw. auf bizarre Weisen umgekommen.

Das Ferienhaus findet Kris verlassen und völlig heruntergekommen vor. Laut Auskunft des Verwalters war es der ausdrückliche Wunsch ihres Vaters, das Gebäude verfallen zu lassen. Eine Erklärung gab er nicht, aber Kris, die hartnäckig auf Einzug und Sanierung besteht, findet bald heraus, was den Vater diesbezüglich motiviert haben könnte: Im Haus und am Ufer des Lost Lake geht es um!

Der Geist eines kleinen Mädchens zeigt sich und wird immer zudringlicher. Das Phantom hat es offenbar auf Sadie abgesehen. Zunehmend panisch versucht Kris ihre Tochter zu schützen und gleichzeitig das Geheimnis des Spuks zu lüften. Letztlich ist es der Geist selbst, der ihre verdrängte Erinnerung weckt: Kris selbst hat „Violet“ einst zum ‚Leben‘ erweckt - und Violet nimmt es ihr sehr übel, dass sie später im Stich gelassen wurde …

„Langsam“ ist nicht zwangsläufig „stimmungsvoll“

… sondern stattdessen allzu oft nur lahm. Damit ist das grundsätzliche Problem dieses Romans zur Sprache gebracht. Scott Thomas soll vom deutschen Verlag offenbar zu einem jener ‚neuen‘ Stephen Kings aufgebaut werden, die den alternden Großmeister einst hoffentlich ersetzen können. Mit „Kill Creek“ ist Thomas recht verheißungsvoll gestartet. Umso drastischer geht ihm bereits mit „Violet“ die Luft aus.

Allerdings ist dies die persönliche - allerdings weiter unter begründete - Ansicht dieses Rezensenten, während andere Kritiker abermals voll des Lobes sind und dabei die offensichtlichen Mängel dieses Werkes entweder ignorieren oder ins Positive umdeuten, wobei das Wort „Atmosphäre“ die zentrale Wertschätzung überschreibt.

Gemeint ist damit eine Sparte der Phantastik, die den drastischen Horror durch die Andeutung ersetzt. Umherspukende Geister lassen sich quasi nur aus den Augenwinkeln erkennen; meist vergehen viele Buchseiten über der Frage, ob sich die Heimgesuchten den Besuch von Drüben nicht einbilden. ‚Echter‘ Spuk und Hirngespinst vermischen sich, und zumindest die konservative Kritik überschlägt sich dort vor Begeisterung, wo die Grenze endgültig verschwimmt.

Nicht der Fährte gefolgt, sondern im Kreis gelaufen

Obwohl Hauptfigur Kris sich im Gipfelbereich der Wirrkopf-Skala bewegt, beschreibt Autor Thomas Pacington bzw. den Lost Lake als Art ‚Portal‘, an dem sich Diesseits und Jenseits treffen. Was den Barlow-Frauen im Nacken sitzt, ist demnach real und lauert schon seit Äonen in den dichten Wäldern der Gypsum Hills.

Wie ein Chamäleon passt sich dieses Böse seinen Opfern an und orientiert sich dabei an deren Problemen. Gewalt in der Familie, Mobbing, Ausgrenzung oder Kris‘ Erinnerung an den langsamen, hässlichen Tod der Mutter bilden ideale Nährböden, auf denen die (nie näher definierte) Kreatur blüht und gedeiht.

Solche Schreckgespenster sind nicht neu im Genre. Das ist nicht erforderlich, wenn ihre Geschichten spannend erzählt werden. In diesem Punkt ist Thomas leider wenig erfolgreich. Es dauert ewig, bis es sich unheimlich zu rühren beginnt. Bis es endlich soweit ist, vergehen mehrere hundert Seiten mit der nur behauptet interessanten Lebensgeschichte einer überforderten Frau. Immer wieder betont Thomas dabei die Schrecken einer Kindheit, die objektiv übertrieben dargestellt werden.

Teddybär-Tochter und Löwenmutter

„Violet“ ist ein Roman ohne originelle Idee. Nicht einmal die Positiv-Kritiker streiten dies ab. Sie loben die angeblich komplexen Figuren von Mutter und Tochter, die jedoch aus Stereotypen zusammengerührt wurden. Sadie ist eine Nervensäge als passives Töchterlein, das dem Bösen entweder schafsdumm in die Fänge springt oder schreckerfüllt kreischt, um ihre wieder einmal wein- und tablettenbenebelte Mutter in panische Kurzschluss-Action zu treiben.

Von Trauer, Wut und Angst soll Kris Barlow nach Thomas‘ Willen geplagt werden. Um daran keinen Zweifel zu lassen, straft sie der Autor mit einer inneren Stimme, die ihr Dummheit und Wertlosigkeit vorwirft; zumindest Vorwurf Nr. 1 ist nicht von der Hand zu weisen, wenn Kris sich vom Bösen wieder und wieder in die Pfanne hauen lässt wie ein Spiegelei. Erinnerungen, Visionen und Träume werden durch Ignoranz, Verdrängung und Hysterie wirkungsverstärkt, bis Kris buchstäblich durch eine Handlung taumelt, die nur auf diese Weise Grusel-Schwung gewinnt.

Als sich der Spuk schließlich offenbart, ist er von erschütternder Eindimensionalität. Unzählige Seiten hat man als Leser durchgehalten, wurde mit Andeutungen einer urgewaltigen, in der Natur selbst wurzelnden Entität konfrontiert. Die düstere Historie des Lost Lake, die Erwähnung von Untaten, welche über Jahrhunderte zurückreichen, die Belege für übernatürliches Wirken in und um Pacington: Nie nutzt Thomas, was er geschaffen hat. Violet ist ein vergleichsweise kümmerlicher Geist, der mit einem Simpel-Trick ausgeschaltet werden kann. Das ist vor allem deshalb schade, weil die ‚Schöpfungsgeschichte‘ dieses Geistes einen der wenigen Einfälle des Verfassers widerspiegelt.

Schreibend aus der Kurve getragen

Erstaunlicherweise ignoriert die erwähnte Positiv-Kritik auch die zahlreichen ins Leere laufenden Seitentriebe der Handlung. Wer killt das Pferd der Azuaras und warum? Das hochgepushte Drama gerät einfach in Vergessenheit. Was der absonderliche Buchhändler Phillip Hitchens über die ‚parallele‘ Historie von Pacington ausgegraben hat, bleibt ebenso ohne Belang wie die verdächtige Entstehungsgeschichte des Lost Lake oder die vom Wasser überschwemmten Siedlung, in der sich angeblich Gruseliges zugetragen hat.

Überall platziert Thomas Anzeichen für lauerndes Grauen, die er einfach unter den Tisch fallen lässt. Es ersteht keine geschlossene bzw. schlüssige Hintergrundgeschichte, weshalb die Plagen von Kris und Sadie nur bedingt bedrohlich wirken. Hinzu kommt das zeitlupengleiche Erzähltempo, das sich gern in Natur- und Landschaftsbeschreibungen verliert, die ebenfalls Selbstzweck bleiben. Es reicht nicht zu behaupten, dass Ort und Situation beklemmend sind; es muss glaubhaft in Szene gesetzt werden, und daran hapert es hier.

Fazit:

Die angeblich „stimmungsvolle“ Geistergeschichte leidet unter Ideenarmut und Klischeelastigkeit. Der Schrecken wird nicht subtil geschürt, sondern schleppt sich entweder träge heran oder wird grell aufgebauscht; als solcher teilt er sich nur den Figuren, nicht aber den Lesern mit.

Violet

Scott Thomas, Heyne

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