Poltergeist

  • Franz Schneider Verlag
  • Erschienen: Januar 1982
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Poltergeist
Poltergeist
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Michael Drewniok
80°1001

Phantastik-Couch Rezension vonOkt 2025

Sie sind hier - und sie werden bleiben!

Es dürfte schwer sein eine Familie zu finden, die amerikanischer ist als die Freelings. In diesen frühen 1980er Jahren existiert noch eine solide Mittelschicht, die sich über Job, Einkommen, Familie, Heim und die Einbindung in eine Gemeinschaft möglichst ebenso denkträger Nachbarn definiert.

Man lebt passenderweise in Cuesta Verde, einer Siedlung ohne Geschichte und Identität. Sie wurde vor wenigen Jahren buchstäblich aus dem Boden gestampft. Immer noch ziehen Neubürger in die weiterhin gebauten Eigentumshäuser. Viele wurden von Steve Freeling verkauft, der bei seinem Chef deshalb einen schweren Stein im Brett hat. Mit Gattin Diane und den Kindern Dana (15), Robbie (7) und Carol-Ann (5) bewohnt Steve selbst eines der neuen Häuser.

Aufgrund erst später enthüllter ‚Versäumnisse‘ beim Bau der Siedlung stört man eine zwar unterirdische hausende, aber überirdische Macht auf, die ihren Zorn zunächst auf die Freelings konzentriert. Erst sind die ‚Zwischenfälle‘ eher interessant; vor allem Diane ist entzückt über die Unterbrechung ihres Hausfrauendaseins. Aber die Aktivitäten nehmen an Heftigkeit zu - und bald fließt auch Blut, während sich das Jenseits immer drastischer im Freeling-Haus einnistet.

In dieser auf Wohlstand und Ruhe geeichten Umgebung findet man schwer Hilfe gegen Geisterbefall. Als aufgeklärte Kinder der Gegenwart wenden sich die Freelings an die moderne Wissenschaft, die mit zeitgenössischer Hightech erscheint - und die Flucht ergreift, als der Spuk auch die Forscher attackiert.

Zwar überaus exzentrisch, aber in der Sache kundiger und härter im Nehmen ist das Medium Tangina Barrons. Sie lässt sich nicht vertreiben, sondern stellt sich dem direkten Duell mit den Geistern. Eine wahrlich höllische Nacht erwartet die Freelings, bis das Gute siegt - ein fataler Irrtum, dem sich eine Konfrontation mit dem Bösen anschließt, die in Cuesta Verde keinen Stein auf dem anderen lässt ...

Mainstream trifft Splatter

Der Film „Poltergeist“ ist mehr noch als „Der Exorzist“ oder „Das Omen“ eine Apotheose des (Horror-) Films: Hier kamen Anfang der 1980er Jahre zwei Welten zusammen, die sich wohl nur in dieser Phase der Filmgeschichte treffen und harmonieren konnten. „Poltergeist“ ist das ‚Kind’ von Stephen Spielberg und Tobe Hooper - und das spiegelt sich im Ergebnis tatsächlich wider!

Das mag verwundern, da Hooper (1943-2017) in erster Linie den Freunden des beinharten Splatter-Horrors bekannt ist, während Spielberg zum ewigen Fixstern am Kino-Himmel aufstieg. Zu seinen Werken zählen Blockbuster und Klassiker wie „E. T.“ (1982), vier „Indiana-Jones“- (1981, 1984, 1987, 2008) und zwei „Jurassic-Park“-Streifen (1993, 1997), aber auch das Drama „Schindlers Liste“ (1993).

Wie konnte dieser Regisseur und Produzent, dessen Name für das perfekte Mainstream-Kino steht, mit einem Schmuddelkind wie Hooper zusammenkommen, der Kritiker und Zuschauer mit Schockern wie „Texas Chainsaw Massacre“ (1974) oder „Eaten Alive“ (1977) - die Titel fassen den Inhalt knapp, aber präzise zusammen - in Angst und Ekel versetzt hatte?

Spielberg war um 1980 noch jung und aufnahmefähig, was aktuelle Strömungen des Films betraf. Er wusste um die Präsenz der offiziell verhassten, aber ungeachtet ihres Blutgehalts oft (na gut: manchmal) spannenden, billig, aber kompetent entstandenen Splatter, die den Nerv eines jugendlichen Publikums trafen, das Spielberg gern in eigene Filme gelockt hätte. Warum nicht mit einem Mann wie Hooper, der durchaus bereit war, ins Hollywood-Business einzusteigen, eine Geschichte erzählen, die möglichst allen Zuschauern gerecht wurde?

Wer tat was?

An dieser Stelle soll nicht die seit Jahrzehnten unentschiedene Diskussion darüber aufleben, ob Hooper tatsächlich „Poltergeist“ inszeniert hat. Ein schon damals übermächtiger Produzent wie Spielberg ließ sich ein Projekt dieser Größenordnung sicherlich nicht aus der Hand nehmen. Das Gesetz sorgte dafür, dass Spielberg sich offiziell im Hintergrund halten musste: Ein Regisseur durfte nicht zwei Filmen gleichzeitig inszenieren - und Spielberg drehte gerade „E. T. - Der Außerirdische“!

Am Drehort traf er erstmals den Arzt und aufstrebenden (Drehbuch-) Autor James Kahn. Ihn hatte man aufgrund seiner Fachkenntnisse angeheuert, um jene Szene glaubwürdig wirken zu lassen, in der E. T. für tot erklärt wird und obduziert werden soll; tatsächlich spielt Kahn sogar den Arzt, der diesen Job übernehmen will. Kahn nutzte die Gelegenheit und ließ Spielberg ein eigenes Drehbuch zukommen. Das wurde zwar nicht verfilmt, aber der Regisseur sah das Potenzial und heuerte Kahn an, den Roman zum „Poltergeist“-Film zu schreiben.

Nach Hoopers Tod äußerte sich Spielberg offener zur weiter oben erwähnten Frage und gab mehr oder weniger offen zu, die treibende Kraft hinter „Poltergeist“ zu sein. Auch Hooper hatte sich hin und wieder geäußert bzw. beklagt, dass nur wenige seiner drastischen Einfälle aufgegriffen wurden. Spielberg wusste genau, wie weit er gehen durfte. Er wollte Horror, aber er opferte ihm nicht die Geschichte. Es entstand ein Film, der in seiner ersten Hälfte den „American Way of Life“ der US-Mittelschicht parodiert, um dann in eine Gruselgeschichte der harten, aber nicht empörenden Art umzuschwenken - eine Fähigkeit, die Hooper nie besaß oder erlernen wollte, weshalb er nach wenigen, nach „Poltergeist“ von Flops geprägten Jahren aus der A-Liga zurück in die Obskurität sank. Dort drehte er Filme, mit denen er vom alten Ruf zehrte.

Zuckerguss auf der Grusel-Torte

„Poltergeist“ war nicht nur ein globaler Blockbuster, sondern auch der Start eines Franchises, das allerdings vom Pech verfolgt war: „Poltergeist II - Die andere Seite“ (1986) wurde unter der Regie von Brian Hutton (1944-2004) zu einem Desaster, was nicht unbedingt ihm allein anzulasten war - Hutton konnte inszenieren, wie er u. a. 1993 mit der Tina-Turner-Biografie „Whats Love Got to Do with It?“ bewies -, sondern auch einem niemals stringenten Drehbuch und einer Nachbearbeitung, die offenbar unter Einsatz einer Heckenschere stattfand: Gewaltige Logiklücken klafften im schließlich veröffentlichten Film, sorgten für Irritation und Zuschauerwut, konnten aber echte „Poltergeist“-Fans nicht abschrecken. Es wurde so viel Geld eingespielt, dass es zu „Poltergeist III - Die dunkle Seite des Bösen“ (1988) kam, der das Franchise erst einmal killte. (Das Remake von 2015 sei an dieser Stelle erwähnt, aber ansonsten gnädig verschwiegen.)

Einmal mehr hatte Spielberg einen guten Riecher bewiesen, als er James Kahn mit dem „tie-in“ zum „Poltergeist“-Film beauftragte. Dieser erkannte, dass ein zwar alle filmischen Anforderungen erfüllendes Drehbuch vorlag, welches jedoch nicht 1:1 in einen Roman umgewandelt werden konnte. Film ist ein Medium für Auge und Ohr. Das Hirn wird auf andere Weise gefordert als durch eine gedruckte Geschichte. Auf diesem Level ließ das Drehbuch zu wünschen übrig. Eine Romanfassung musste Fragen berücksichtigen, die über das hinaushielten, was auf der Leinwand zu sehen war.

Kahn investierte viel Mühe in die Aufgabe, solche Lücken zu füllen. Deshalb gibt der Roman Auskunft darüber, wie sich Steve und Diane kennenlernten. Wir erfahren mehr über die Familie Freeling, aber auch über den Schauplatz Cuesta Verde. Darüber hinaus sorgt Kahn für Hintergrundinfos über die (Para-) Psychologin Dr. Lesh, ihre Assistenten Marty und Ryan (die im Film eher komisch wirken) und vor allem über das Medium Tangina. Diese gewinnt als Figur eine Präsenz, auf die sich Kahn später stützen konnte, als er sich auf die schier hoffnungslose Herausforderung stürzte, auch „Poltergeist II“ in Romanform ein Fundament und der Handlung einen Sinn zu verleihen.

Wer spukt nun wirklich in Cuesta Verde?

Mit „Poltergeist II“ wurde es zur Vorgeschichte: Cuesta Verde entstand nicht nur auf einem Friedhof, sondern auch auf den Ruinen einer untergegangenen Kolonie, die einst vom fanatisch-verrückten Reverend Kane gegründet wurde. Er initiierte einen Massenselbstmord und ging mit seinen Schäfchen in den Tod. Für seine Sünden muss Kane als Geist fortexistieren. Er ist nicht nur weiterhin auf der Jagd nach neuen Opfern, sondern hat auch Carol-Ann Freeling als Medium erkannt, durch das er zurück ins Diesseits kommen könnte. Diese „arcline“ überspannt auch „Poltergeist III“

Doch ursprünglich ging das Grauen von einer gänzlich anderen Quelle aus. Kahn schrieb den Roman zum Film zu einem Zeitpunkt, als Reverend Kane im Drehbuch nicht existierte. Sein Unwesen treibt stattdessen eine von Tangina als „Bestie“ bezeichnete Entität, die den Namen gHalâs trägt; so wird sie von Kahn genannt, der auch ihr zumindest in Ansätzen eine ‚Biografie‘ gönnt. (Im Film sehen wir gHalâs mindestens zweimal als Spinne mit Skelettschädel.)

Während „Romane zum Film“ meist minderwertige Auftragsarbeiten sind, schuf James Kahn mit „Poltergeist“ ein Werk, das unabhängig vom Kino-Spektakel für Ansehen und Verkaufserfolg sorgte. Die deutsche Ausgabe erschien zeitgleich mit dem US-Original. Der Verlag Franz Schneider - eher bekannt für Kinderbücher - lancierte eine Reihe namens „german-american bestseller“. Dieses Unternehmen scheiterte, sodass „Poltergeist“ in der Übersetzung eine kuriose Eintagsfliege auf dem deutschen Buchmarkt blieb.

Fazit:

Zum modernen Gruselfilm-Klassiker gibt es auch eine Romanfassung, die nicht nur unabhängig von der Kinofassung für gruselige Unterhaltung sorgt, sondern Handlung und Figurenzeichnungen erweitert bzw. schärft: das seltene Beispiel eines lesetauglichen „tie-ins“.

Poltergeist

James Kahn, Franz Schneider Verlag

Poltergeist

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