Die fünf Seelen des Ahnen

  • Atlantis
  • Erschienen: Januar 2006
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Die fünf Seelen des Ahnen
Die fünf Seelen des Ahnen
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Frank A. Dudley
68°1001

Phantastik-Couch Rezension vonJul 2006

Sehr sensibel

Die Lektüre von Ulrike Noltes ";Die fünf Seelen des Ahnen"; macht nervös. Wer ansonsten Berge von Hard SF abträgt und sich an kalter Technologie sowie ihrem konsequenten Einsatz delektiert, beginnt bereits nach den ersten Seiten, leicht verwirrt weiter nach vorn zu blättern: Worum geht es hier, bitte schön? Um Beziehungsprobleme gleichgeschlechtlicher menschlicher Paare, ";Getraute"; genannt? Die Umstellung auf solche Fragen fällt anfangs nicht leicht. Spätestens jedoch nach dem ersten Kontakt mit Aliens sind die Konsumenten von durchkonstruierten Space Operas auf der Seite der Autorin und mitten drin im Buch.

Seelenwanderung

Der Titelgeber des Buches, der Ahne, ist ein Lebewesen, das nur durch regelmäßige DNA-Synthese mit anderen Organismen weiter existieren kann. Als die Handlung einsetzt, hat er mittlerweile die vierte Entwicklungsstufe erreicht, lebt schon ein paar Tausend Jahre auf seinem Erd-ähnlichen Heimatplaneten und steht aus Langeweile kurz vorm Eingehen.

Die Menschheit leidet auch an Langeweile, allerdings in ihrer schlimmsten Form: Überdruss. Seitdem sie die Erde vor langer Zeit mangels brauchbarer Lebensumgebung verlassen mussten, kreuzen die Menschen in zig gigantischen Raumschiffen auf der Suche nach einem neuen Habitat durchs All. Das Schiff, dessen Schicksal dem Leser näher gebracht wird, heißt Arche, und wie das biblische Vorbild versammelt es mit seiner Besatzung den Genpool der Erde an Bord: Menschen lebend, Flora und Fauna im DNA-Archiv.

An die Entdeckung einer neuen Erde glaubt schon keiner mehr so recht, die langen Jahrhunderte der Suche hat man sich deshalb mit der Bildung von Gilden vertrieben. Wer's mag, lebt mit Gesinnungsgenossen in Holodeck-artigen Umgebungen als steinzeitlicher Schamane, als drogenberauschter New-Age-Jünger oder als Bürger des antiken Roms, wo zur Unterhaltung perverse Gewalt- und Sexspiele getrieben werden. Ganz nach dem Prinzip ";Teile und Herrsche"; hat Archen-Kapitänin Randori also ihr Schiff einigermaßen unter Kontrolle. Sie kann den Frieden unter der Besatzung wahren, weil jeder zur Triebabfuhr einer Gilde nach Geschmack beitritt und sich die Gilden gegenseitig weitestgehend respektieren.

Wer allerdings gerne öfter neues ausprobiert, sich nicht festlegen mag und auch ansonsten eher kapriziös veranlagt ist, der springt schon mal von einer Interessensgemeinschaft zur nächsten. So wie Serail. Als der erdähnliche Wasserplanet Archensee auf den Bildschirmen auftaucht, zögert er denn auch nicht, sich gemeinsam mit seinem Getrauten Caravan an einem Erkundungsflug auf die mögliche Heimat teilzunehmen. Leider mit dramatischem Ausgang, denn der Ahne bemächtigt sich der DNA Caravans und nutzt dessen Körper für seine fünfte Inkarnation.

Zurück an Bord, lernt Serail bald, dass sein Getrauter nur noch so aussieht wie sein Getrauter. Sein Bewusstsein, seine Seele sind jetzt die des Ahnen. Doch das vermeintliche Monster ist hochintelligent sowie ausgesprochen lern- und anpassungsfähig: Es entwickelt menschliche Emotionen und einen Gemeinsinn, den seine Art sonst nicht kennt. Diese neuen Seiten, gepaart mit seinen gestaltwandlerischen Fähigkeiten (er kann die Form aller Lebewesen annehmen, deren DNA er abgespeichert hat), retten schließlich die Besatzung der Arche und schaffen die Aussicht auf die Besiedlung des Wasserplaneten.

Angenehm weich

Gleichgeschlechtliche Liebe als Gesellschaftsprinzip, staatlich propagiert zwecks Geburtenkontrolle, und geplante Seelenwanderung samt Inkarnation: Ulrike Nolte spekuliert gleichermaßen mit religiösen Prinzipien wie mit gesellschaftlichen Fragen. Strenggläubigen Christen, Moslems und Buddhisten könnte bei der Lektüre des Buches kurz die Luft wegbleiben, bevor sie es als ketzerisch oder verwirrt abtun. In der Tat bleibt Nolte auch die Antwort darauf schuldig, wie man fast die gesamte Menschheit dazu bekommt, freiwillig homosexuell zu werden. Hundertprozentig sichere Empfängnisverhütung auf einem Raumschiff, dass in der Lage ist, Jahrhunderte lang völlig autark durch den lebensfeindlichen Weltraum zu kreuzen, sollte medizinisch gesehen an sich kein Problem sein.

Doch in die ";Fünf Seelen des Ahnen"; geht es nicht um die detaillierte Darstellung futuristischer Forschung und Entwicklung. Es geht um menschliches Mit- und Gegeneinander sowie die Fähigkeit zur Charakterentwicklung. Nolte zeigt auf, wie leicht sich viele Menschen von einigen wenigen, die nach Macht streben, dirigieren und einlullen lassen. Nur mit ihren partikularen Gilde-Interessen beschäftigt, befinden sich alle in ihrem selbst gewählten Wolkenkuckucksheim. Sie verweichlichen, werden antriebsschwach und benötigen erst einen kräftigen Tritt in den Hintern, bis sie aufwachen. Kein ungewöhnliches Phänomen, allerdings mit viel Fantasie sehr farbig von Nolte interpretiert.

Die fordernd-vitale Seelentranszendenz des Ahnen steht der in Ritualen erstarrten Menschheit gegenüber. Der Ahne, der sich im Laufe seines Lebens vom indifferenten Mollusken über das perfekte Raubtier bis zum hochintelligenten Wasserlebewesen entwickelt hat, bringt den Menschen bei, dass Stillstand gleichbedeutend mit Tod ist. Nolte beschreibt den Ahnen vorurteilsfrei: Er ist, was er ist, weil er so ist. Die Nebenhandlung, in der sich Serail und der neue Caravan aneinander gewöhnen müssen, ist einfühlsam beschrieben und konsequent in ihrer Ausführung. Schließlich ist Partnerschaft ein zentrales Thema des Buches. Es gibt aber auch Intrigen und Kämpfe, feindliche Raumschiffe und Laserkanonen, doch sie spielen eher eine untergeordnete Rolle.

Abseits dramatisch-gewichtiger SF-Tendenzen mit viel Techno-Sprech fühlt sich ";Die fünf Seelen des Ahnen"; irgendwie angenehm weich und sensibel an, mit dem Herzen oder aus dem Bauch heraus geschrieben, eine Science Fiction-Story mit sehr weiblichen Essenzen. Eine ungewöhnliche Geschichte zwischen Utopie und Beziehungstress, die auch in ein Brigitte-Dossier passen würde. Aus denen ja auch Männer etwas lernen können.

Die fünf Seelen des Ahnen

Ulrike Nolte, Atlantis

Die fünf Seelen des Ahnen

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