Flucht in die Zukunft

  • Pabel
  • Erschienen: Januar 1954
  • 0
Flucht in die Zukunft
Flucht in die Zukunft
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Michael Drewniok
30°1001

Phantastik-Couch Rezension vonAug 2021

Vom Atom-Regen in die Kobalt-Traufe

Im Jahre 1991 bricht das Ende der Welt an - jedenfalls für den „Freien Westen“, der von den Armeen der „Vereinigten Reiche Asiens“ überrumpelt und überrollt wird! Bald liegen sogar die USA besiegt am Boden. Vier Männern gelingt eine wahnwitzige Flucht: An Bord eines Raumschiffs versuchen Pilot John Kane, der geniale Wissenschaftler Professor Calton, Sicherheitsoffizier Aug Balt und Senator Todd den überlichtschnellen Flug, um auf diese Weise 200 Jahre in die Zukunft zu reisen! Dort will man sich nach Superwaffen umschauen, in die Vergangenheit (bzw. Gegenwart) zurückkehren und die „Gelbe Gefahr“ mit Stumpf und Stiel ausrotten!

Wider Erwarten gelingt nicht nur der Zeitsprung ins Jahr 2191, sondern auch der ‚Heimflug‘ zur Erde. Allerdings strandet man dort nach einer Bruchlandung und wird von den neuen Herren des Planeten aufgegriffen. Sie sind zwar menschenähnlich und leidlich freundlich, gedenken aber ihre ‚Gäste‘ keineswegs aufzunehmen, nachdem sie vor einem halben Jahrhundert einen Krieg mit den Menschen führen mussten. Unter den Strahlenfolgen der damals geworfenen Kobaltbombe leiden sie noch heute.

Die vertriebenen Menschen haben sich auf dem außerhalb des Sonnensystems gelegenen Planeten Sanic angesiedelt. Dorthin werden die drei Männer aus der Vergangenheit - Professor Calton hat die Notlandung nicht überlebt - ausgewiesen. Über Sanic herrscht der „Overlord“ - ein diktatorischer Alleinherrscher, der seine Untertanen der „Moralischen Organisation“ unterworfen hat. Das Wort des Overlords ist Gesetz, wie auch Kane, Balt und Todd erfahren müssen. Sie haben bald genug von der kalten Grausamkeit des Regimes und versuchen sich abzusetzen, doch die Spitzel des Overlords sind allgegenwärtig …

SF-Aufguss aus Genre-Bodensatz

Die Science Fiction ist heute ein etabliertes Genre, dessen Autorinnen und Autoren regelmäßig literarische Höchstleistungen präsentieren. Allerdings stellen diese Werke nicht den Normalstandard dar. Wie in allen Genres der Populärkultur dominiert die pure Unterhaltung, die im Regelfall nicht subtil heraufbeschworen wird. Dies war in der ‚Sturm-und-Drang‘-Zeit der SF sogar der Normalzustand. Das grobe Spektakel wurde durch Klischees ‚unterstützt‘, was durchaus funktioniert, wenn jemand weiß, wie es schrifthandwerklich umzusetzen ist.

„Lee Elliot“ gehört sicher nicht in diese Kategorie. Wer sich hinter dem Pseudonym verbarg, konnte bisher nicht geklärt werden. Überhaupt gibt es deutlich wichtigere Fragen, denn der Autor und sein Werk sind höchstens Fußnoten der SF-Historie - als Zeugen eines Milieus, in dem Quantität stets über Qualität ging und Autoren eher Zeilenschinder waren, die mit den ‚Herausgebern‘ um ohnehin miserable Honorare ringen mussten.

Unser „Lee Elliot“ geriet an Curtis Warren, ein ‚Verlagshaus‘, das zwischen 1950 und 1954 etwa 100 Billig-Titel auf den Markt brachte - Bodensatz-SF einer ‚Güte‘, die kaum „Pulp“-Niveau erreichte. Es folgte der Bankrott, und die Autoren wanderten zum nächsten windigen Auftraggeber ab. Ihre Klarnamen wurden nicht genannt, stattdessen verwendeten die Herausgeber Verlagspseudonyme, unter denen mehrere Autoren weniger schrieben als produzierten. Tanzte jemand aus der Reihe, konnte er ersetzt werden, ohne dass es den Lesern auffiel.

Die Gegenwart - kein Siegestaumel!

Viele Jahrzehnte später hat sich die Definition von „Schund“ gewandelt. Aus „Flucht in die Zukunft“ wird trotzdem keine ‚gute‘ SF; dafür hat der Verfasser sein Garn allzu heiß sowie mit zu grober Nadel gesponnen. Die Übersetzung ins Deutsche dürfte es noch verschlimmbessern, denn die Vorlage musste der für die „Utopia“-Großbände vorgegebenen Seitenzahl ‚angepasst‘, d. h. gekürzt werden. Immerhin waren es hier nicht die üblichen 64 „Groschenheft“-, sondern 94 Seiten, sodass sich die Kürzungen in Grenzen halten dürften.

Womöglich war das Original-Werk ohnehin zu wüst, um auf diese Weise Schaden zu nehmen. Elliot raffte wild und wahllos zusammen, was ihm SF-typisch und spannend erschien. Unfreiwillig griff er dabei auf Themen zurück, die zeittypisch und heute interessanter sind als die eigentliche Story, die ohne Sinn für Dramaturgie und inhaltliche Gliederung ‚Höhepunkt‘ an ‚Höhepunkt‘ hängt, mit einem gänzlich vergurkten, weil sinnfreien Final-Höhepunkt irritiert und in der Figurenzeichnung völlig versagt.

„Flucht in die Zukunft“ wurde 1953 in London veröffentlicht. Der Zweite Weltkrieg lag gerade acht Jahre zurück. Man hatte ihn zwar gewonnen, doch unter den Folgen litt man immer noch. Die Wirtschaft musste mühsam auf den Frieden umgestellt werden, während der auch in England notwendige Wiederaufbau nur langsam voranschritt. Hinzu kamen Zukunftsängste: England gehörte höchstens noch nominell zu den Großmächten; das Empire war Geschichte. USA, Sowjetunion und China hießen die neuen „global player“ - und die „Kommunisten“ arbeiteten ameisenstur an der Weltherrschaft und nahmen auf dem Weg dorthin offenbar einen weiteren Weltkrieg in Kauf.

Die Zukunft - kein Paradies!

Anno 2191 müssen die Neuankömmlinge erkennen, dass die Menschheit nicht dazugelernt hat. Der atomkriegsgestützten Invasion der „gelben Horden“ folgte der misstrauisch-angstvolle Krieg gegen Außerirdische, die nicht erobern, sondern um Hilfe bitten wollten. Die letztlich siegreichen ‚Invasoren‘ ließen die besiegten Menschen ziehen, statt sie endgültig zu vernichten, doch auf dem Planeten Sanic wurde eine mögliche Neujustierung nicht einmal versucht. Der „Overlord“ herrscht über systematisch gehirngewaschene Untertanen.

Ausgerechnet die nur bedingt demokratieaffinen Besucher von Gestern - ein skrupelarmer Berufspolitiker, ein „Jawohl-Sir!“-Soldat und ein hinterlistiger Geheimdienstler - sollen für frischen Wind in diesem erstarrten System sorgen! Als Herausforderung ist dies interessant, aber Elliot begnügt sich mit eindimensionalen Schockeffekten, die er selbst sabotiert, indem er seine ‚Helden‘ ständig zwischen ‚gut‘ und ‚böse‘ pendeln lässt.

Der „Overlord“ und seine Schergen sind karikaturesk überzeichnete Schurken, deren ‚Charaktere‘ und Auftreten sich aus „Pulp“-Magazinen und B-Movies speisen. Wie es ihnen gelingen konnte, sich zu absoluten Herrschern aufzuschwingen, bleibt schleierhaft. Elliot bemüht sich höchstens ansatzweise um eine plausible Erklärung. Er geht vage von einer Präposition zur Unterdrückung aus, die in der er- bzw. überlebten Vergangenheit wurzelt - immerhin eine These, auch wenn sie in der Butzemann-Hölle dieser Zukunfts-‚Vision‘ verschwindet.

Fazit:

Grobschnitt-SF der ungeschickt-abenteuerlichen Art, d. h. inhaltlich wie formal auf Qualitätsmeereshöhe Null; für ‚historisch‘ interessierte, die Schattenseiten des Genres nicht scheuende Leser als unfreiwilliges Zeugnis einer ansonsten vergessenen Trivial-Ära interessant.

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Lee Elliot, Pabel

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