Die unsichtbare Gefahr

  • Pabel
  • Erschienen: November 1954
  • 0
Die unsichtbare Gefahr
Die unsichtbare Gefahr
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Michael Drewniok
35°1001

Phantastik-Couch Rezension vonSep 2021

Die Rache der geknechteten Radiowellen

Die USA des Jahres 1997 haben sich in einen Unterdrückungsstaat verwandelt, über den ein faschistoides Regime gnadenlos herrscht. Rigoros wird die Opposition unterdrückt, über „Menschenrechte“ höchstens gelacht.

Der Erfinder und Chirurg Fedik hat sich um Politik nie gekümmert. Er konzentriert sich auf seine Arbeit und entwickelt medizinische Geräte. Da er auf diesem Gebiet als Kapazität gilt, wird ihm die ‚Ehre‘ zuteil, den an den Augen erkrankten Präsidenten der USA zu behandeln. Der eingesetzte Apparat befindet sich noch im Versuchsstadium. Er explodiert und tötet den Präsidenten, während Fedik auf einem Auge erblindet.

Das Regime verdächtigt Fedik als Attentäter. Er wird gefangengesetzt und gefoltert. Sein Erklärungsversuch gilt als verrückte Ausrede: Fedik kann mit dem nur scheinbar blinden Auge plötzlich Radiowellen ‚sehen‘! Er muss feststellen, dass diese eine Kollektivintelligenz besitzen, die sich gegen die Menschheit richtet. Energie-‚Kugeln‘ ballen sich über männlichen und weiblichen Häuptern zusammen und regen deren Hirne zu aggressivem Handeln an.

Planen die „Kugeln“ einen Krieg gegen die Menschen? Fedik kann flüchten, aber auch die gut organisierte Opposition schenkt ihm keinen Glauben. Vogelfrei gerät er immer wieder in Hinterhalte, wird gefangen, kann sich befreien, schlägt sich schließlich nach England durch - vergebens. Niemand lässt sich von der unsichtbaren Gefahr überzeugen. Als kurz darauf ein Weltkrieg ausbricht, gehört Fedik zu denen, die vor den fallenden Bomben flüchten und irgendwie zu überleben versuchen. Die Hoffnung auf eine Rettung der Erde hat er aufgegeben. Er muss versuchen, nach Amerika zurückzukehren, denn dort hat die Opposition ein Raumschiff gebaut, mit dem man auf den Mars flüchten könnte …

Wird der Irrwitz losgelassen …

Die „Utopia-Großbände“ des Pabel-Verlags sorgten zwar in den 1950er Jahren dafür, dass die Science Fiction auch in Deutschland Fuß fassen konnte. Der dafür von den Lesern gezahlte Preis war hoch: Da sie Geschichten über mögliche Zukünfte zwar schätzten, aber kaum über Hintergrundinformationen verfügte, war es möglich, sie mit dem Bodensatz des Genres abzuspeisen.

Auch „Die unsichtbare Gefahr“ ist alles andere als ein Meisterwerk. Die Story basiert auf einer hanebüchenen Prämisse, die allerdings in den frühen 1950er Jahren tatsächlich diskutiert wurde. Autor Campbell erwähnt Raffaele Bendandi (1893-1979), der allerdings kein „italienischer Astronom“, sondern ein Uhrmacher war, der sich eine Theorie zur Entstehung und eine Methode zur Voraussage von Erdbeben geschnitzt hatte, die von der Forschung zu Recht nie akzeptiert wurde.

Offenbar vertrat Bendandi außerdem die Theorie, dass die elektromagnetische Energie der Sonne verantwortlich für das irdische Verbrechen sein könnte: Je stärker die Sonne eruptiv tobte, desto krimineller ging es demnach auf Erden zu. Campbell erweiterte dies mit der Annahme, dass hier keine reine Naturkraft, sondern eine Intelligenz aktiv war, die körperlos als Energiebündel existierte - eine Möglichkeit, die Campbell so sehr faszinierte, dass er sie mehrfach für SF-Romane und -Erzählungen nutzte und entwickelte. In „Die unsichtbare Gefahr“ sorgen die lebendig gewordenen Funkwellen für den schockierenden Finaleffekt, indem sie für den von Campbell entfesselten Weltuntergang verantwortlich sind.

Schreiben als Mittel zum Zweck

Das Garn wird sparsam gesponnen. Schlecht miteinander verknüpfte Sequenzen wollen sich nicht wirklich zu einer Handlung fügen. Hier dürften allerdings die Kürzungen der deutschen Neuausgabe von 1954 ihren Tribut fordern; die ursprüngliche Übersetzung zählte noch 288 Seiten, die auf knapp ein Drittel zusammengestrichen wurden.

Darüber gingen die leidlichen, aber eben doch vorhandenen Qualitäten des Originals weitgehend verloren. Herbert James Campbell (1925-1983) war kein typischer Schnellschuss-Autor, sondern „Mitglied der Königlich Britischen Akademie der Wissenschaften“, was im deutschen Vorwort selbstverständlich als Gütesiegel vermerkt wurde. Dass Campbells schriftstellerische Karriere sich auf die Jahre 1952-1956 beschränkte und ihm sein Chemie-Studium finanzierte, blieb wohlweislich unerwähnt. Sobald er seinen Doktortitel erhalten hatte, konzentrierte sich Campbell auf seine wissenschaftliche Tätigkeit und ließ die SF hinter sich.

„Die unsichtbare Gefahr“ ist also das Werk eines jungen Mannes, dem das Honorar mindestens so wichtig war wie der Publikumserfolg. Besondere Mühe hat er sich nicht gegeben, denn nicht nur der Plot, sondern die Handlung überhaupt ist kurios, um es freundlich auszudrücken. Campbell hat kein dezidiertes Zukunftsbild anzubieten. Er beschränkt sich auf SF-Accessoires, lässt beispielsweise die ‚Autos‘ des Jahres 1997 durch Düsen antreiben. Gesellschaftlich hat sich nicht geändert; die USA der ‚Zukunft‘ wirken wie eine Parodie, was durch die krude Übersetzung dort ins Lächerliche umschlägt, wo Fedik unter Hinterwäldler gerät, die offenbar noch im Wilden Westen leben.

Die Welt ist schlecht - und so wird sie bleiben

Reinster Trash sind auch die Figurenzeichnungen. Während sich Campbell mit Fedik noch einige Mühe gibt, bleiben die übrigen ‚Charaktere‘ Stereotypen. Die Bösewichte sind theatralisch brutal. Das Frauenbild sorgt für Peinlichkeit. Die hübsche Eily wird dem in ein Sanatorium verbannten Fedik von der Staatsmacht als Gefährtin zur Seite gestellt. Sie geht ihrem Job klaglos nach, woraufhin der bisher von seiner eigentlichen Lebensgefährtin - der Wissenschaft - faszinierte Fedik sich umgehend in sie verliebt.

Angesichts solcher Plattheiten geraten interessante Einfälle in den Hintergrund. Campbell entwirft ein düsteres Menschheitsbild. Als er „Die unsichtbare Gefahr“ schrieb, lag der Zweite Weltkrieg nur sieben Jahre zurück. Campbell hatte ihn und seine Unmenschlichkeiten er- und überlebt, weshalb er bezüglich der Zukunft skeptisch reagierte. Damit lag er im Trend, denn Anfang der 1950er Jahre begann der Kalte Krieg mit der Sowjetunion und China. Die Welt trudelte offenbar auf einen neuen und dieses Mal atomaren Weltkrieg zu.

Campbell lässt ihn ausbrechen, aber seine Verursacher sind nicht die „Roten“ des Ostblocks, sondern die Vertreter einer USA, die sich in eine Diktatur verwandelt haben. Das kommt unerwartet - und wird begleitet durch die Darstellung eines Englands, das zwar demokratisch, aber kraftlos regiert wird und der Attacke aus Nordamerika aber nichts entgegenzusetzen hat. Die Sowjet- oder China-Teufel, die auch in der SF-Literatur dieser Ära dauerpräsent sind, treten bei Campbell überhaupt nicht auf. Sie geraten wie der Rest der Welt in den Strudel eines Krieges, der in der Zerstörung der Erde gipfelt. Campbell blockiert pessimistisch jeden Ausweg. Die Menschheit ist mehrheitlich rettungslos verdammt. Für ein leuchtschwaches Happy-Ende setzt der Autor auf den ‚Wiegen-Effekt‘: Einige geläuterte Menschen - darunter Fedik und Eily - entkommen der Apokalypse an Bord einer Rakete. Auf dem Mars werden sie eine neue und hoffentlich ‚bessere‘ Gesellschaft gründen!

Fazit:

SF der frühen 1950er Jahre, die in der deutschen Übersetzung zusätzlich Schaden nimmt, weil einige interessante, zeitgenössisch ungewöhnliche Ideen, die durchaus für dieses vergessene Werk sprechen, in den Hintergrund gedrängt werden.

Die unsichtbare Gefahr

H. J. Campbell, Pabel

Die unsichtbare Gefahr

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