Mickey 7 - Der letzte Klon

  • Heyne
  • Erschienen: August 2022
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Mickey 7 - Der letzte Klon
Mickey 7 - Der letzte Klon
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Michael Drewniok
75°1001

Phantastik-Couch Rezension vonOkt 2022

Ein Wegwerfmensch will leben

In einer fernen Zukunft sendet die Menschheit Raumschiffe aus, die in der „Diaspora“ des Alls Kolonien gründen sollen. Dies sind stets riskante Unternehmen, die oft tödlich enden, weil sich die Informationen über den Zielort als fehlerhaft erweisen. Man reist ohnehin stets am Limit, wobei auf elementare Menschenrechte nur flüchtig Rücksicht genommen wird: Der Zweck heiligt die Mittel, Verluste sind einkalkuliert.

Auf dem Eisplaneten Niflheim steht Mickey Barnes ganz vorn, wenn es ein Opfer zu bringen gilt - dies buchstäblich, denn er ist ein „Expendable“, dessen Einsätze oft tödliche enden. Ist Mickey wieder einmal umgekommen, ‚druckt‘ man seinen Körper neu aus und lädt das Hirn mit den konservierten Erinnerungen des ‚Vorgängers‘. Mickey ist bereits sechs Tode gestorben - und er hängt nach diesen traumatischen Erfahrungen am Leben. Als er in eine Eisspalte stürzt und zurückgelassen wird, gibt er nicht auf und kann zur Kolonie zurückkehren.

Dort wurde allerdings bereits Mickey Nr. 8 ‚fertiggestellt‘. Zwei Klone dürfen nicht gleichzeitig existieren. Einer müsste im Recycler der Kolonie landen, doch Nr. 7 und Nr. 8 wollen beide leben und müssen nun eine Doppelexistenz führen. Niemand darf davon erfahren, was in einer so kleinen Kolonie ein Problem ist. Zudem stellt sich gerade jetzt heraus, dass auf Niflheim eine einheimische Intelligenz existiert - die Creeper, tausendfüßerähnliche Kreaturen, deren Attacken immer mehr Kolonisten zum Opfer fallen. Unfreiwillig wird Mickey 7 zur entscheidenden Figur in diesem Konflikt, der Niflheim zu zerstören droht …

Die Zukunft: wenig verheißungsvoll

In der Science-Fiction war die Welt der Zukunft keineswegs stets das Paradies. Dennoch überwog oft der Eindruck, dass dank wundersamer Entdeckungen und Erfindungen alles besser wird, wenn genug Zeit verstreicht (oder Gras über kapitale Fehler gewachsen ist). Vielleicht liegt es an einer Gegenwart, die mit einem Kater aus ihren Wunschträumen aufzuwachen beginnt: Jedenfalls zeichnet die SF verstärkt ein illusionslos düsteres Zukunftsbild bar hehrer Hoffnungen auf Völkerverständigung, Überwindung von Hunger und Krankheit, Globalhandel oder allgegenwärtige Menschenrechte.

„Mickey 7“ spielt in einer Welt, die man mit der Hauptfigur nicht teilen möchte. Alles ist schiefgegangen; die Erde wurde durch Gier und Dummheit zerstört, in den Kolonien herrscht ein alltäglicher Lebenskampf. Die Kultur ist zum Luxus geworden, kalte, ‚rationale‘ Naturwissenschaften und Techniken beherrschen den Alltag. Der Mensch ist zum kalkulierbaren Faktor geworden, das Individuum zählt wenig, weil die Spezies sich an das ständige Existenzlimit gewöhnen musste.

Vor diesem Hintergrund wirkt der menschliche Klon als billige Alternative zur ressourcenfressenden Drohne gespenstisch logisch. Es herrscht generell wenig Nächstenliebe oder Solidarität in einer Gesellschaft, die stets vom Untergang bedroht wird. Die Kolonisation fremder Welt ist kein spannendes Abenteuer, sondern ein Himmelfahrtskommando, und die Teilnehmer an einem solchen Raumflug können bestenfalls mit einem Leben voller Plackerei und Gefahren rechnen. Wahrscheinlicher ist jedoch ein grässlicher Tod: Mickey Barnes erzählt ausführlich von missglückten Kolonisationsversuchen.

Einer muss der Dumme sein

Edward Ashton erzählt seine Geschichte auf zwei Ebenen. Während sich die Primärhandlung auf den Planeten Niflheim konzentriert, sorgen zahlreiche Rückblenden für Aufschluss über die Welt, die Mickey 7 hervorgebracht hat. Ashton greift weit in die Vergangenheit zurück und scheut nicht vor Abschweifungen zurück; man merkt, dass dieser Roman eine Serie starten soll, die hier ihren Hintergrund erhalten soll.

Die Story selbst ist nicht besonders einfallsreich und ganz sicher nicht komplex, obwohl Ashton dies vorgibt bzw. versucht, Mickeys Erwachen vom Verbrauchsklon zum selbstbestimmten Menschen als Reifeprozess zu schildern. Schon bevor sich Mickey ‚verdoppelt‘, hadert er mit seinem Schicksal als nur scheinbar unsterblicher Klon, der tatsächlich sein Leben nach jedem Tod neu beginnt; seine Biografie stellt die Übernahme einer Aufzeichnung dar. Jeder ‚neue‘ Mickey hat nie selbst erlebt, woran er sich erinnert.

Dass diese Problematik nie zwingend wirkt, liegt an dem von Ashton gewählten Erzählstil. Er ist simpel, oft flapsig, so dass man auch die dramatischen Passagen nicht besonders ernstnehmen kann. Selbst wenn Mickey über dem Todesschacht schwebt, hat er noch einen Scherz auf den Lippen. Deshalb fällt es schwer, in ihm mehr als eine Figur zu sehen, die ein SF-Abenteuer vorantreibt. So ist es auch, wenn der Autor ausführlich Mickeys Leben vor seiner Meldung zum „Expendable“ beschreibt. Empathie will sich beim Leser nicht einstellen; das verhindert der Tenor dieses Werks. Wie man einen derartigen Zwiespalt eindringlich darstellt, belegte bereits 1960 Algis Budrys mit „Projekt Luna“ („Rogue Moon“), dem wahrscheinlich besten der ‚frühen‘ SF-Romane zur Klon-Thematik.

Ein Mann wittert seine Chance

Gemeint ist damit nicht Mickey Barnes, sondern Edward Ashton. Ein angeblich von Stephen Baxter geäußertes Lobhudel-Zitat auf dem rückseitigen Cover bringt es auf den Punkt: „Aufgepasst, Andy Weir! Mickey 7 macht Mark Watney Konkurrenz!“. Gemeint ist der Roman „Der Marsianer“ („The Martian“), der zu den Überraschungserfolgen des SF-Jahres 2011 zählte und vier Jahre später ebenso gelungen verfilmt wurde: Ein Jedermann gerät in eine eigentlich aussichtslose Klemme, weiß sich aber dank eines Einfallsreichtums, der sich nicht an eingefahrene Konventionen hält, aus dem Sumpf zu ziehen.

In Stil und Figurenzeichnung wandelt Ashton in der Tat auf Weirs Spuren. (Auch John Scalzi sollte genannt werden.) Dessen Qualitäten erreicht er jedoch nicht. Mickey ist kein „fountainhead“, der uns mit unerwarteten Einfällen überrascht, die wiederum die Handlung beleben. Stattdessen bestimmen Versatzstücke bekannter SF-Garne das Geschehen. Vieles wird angerissen, aber nicht vertieft. Dass man eine einheimische Intelligenz aufgestört hat, bleibt lange Nebensache und wird im Finale eher knapp abgehandelt. Weir hätte mehr daraus gemacht; er hat es 2021 in „Der Astronaut“ („Project Hail Mary“) unter Beweis gestellt.

Nichtsdestotrotz bereitet die Lektüre Vergnügen. Gerade der Verzicht auf eine durchdigitalisierte, von KIs kontrollierte Zukunft stellt sich als Vorteil heraus. „Mickey 7“ spielt in einem ‚schmutzigen‘ Winkel des Weltalls, der in diesem Rahmen überzeugend beschrieben ist. Hier geht es nicht um das Schicksal des Universums, sondern um die Probleme weder besonders heller noch sympathischer Menschen, die einen unwirtlichen Planeten besiedeln sollen. Das Ende ist offen, einige Weichen für neue Konflikte sind bereits gestellt - und Mickey 7 wird natürlich zurückkehren: 2023 in „Antimatter Blues“.

Fazit:

Ein Klon will nicht (mehr) sterben und gerät in Verhinderung dessen in immer neue (aber aus früheren SF-Geschichten bekannte) Schwierigkeiten; in leichtem Ton erzähltes Zukunftsabenteuer, das durch seine fast zynische Weltsicht und den Verzicht auf Glanz & Gloria einer Zukunft als Dauernotstand besticht:  nährwertbeschränktes, aber schmackhaftes Lesefutter.

Mickey 7 - Der letzte Klon

Edward Ashton, Heyne

Mickey 7 - Der letzte Klon

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