Totenlicht

  • Goldmann
  • Erschienen: April 1992
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Totenlicht
Totenlicht
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Michael Drewniok
80°1001

Phantastik-Couch Rezension vonMär 2022

Eine Geschichte von Nekrophilie und Wahnsinn

Die reiche, zurückgezogen lebende Witwe Mary Lewis ruft ihren Neffen, den Restaurant-Kritiker Paul Wright, zu Hilfe. Seit zwei Monaten hat sie nichts mehr von ihrem Sohn Leonard gehört. Der talentierte, aber psychisch labile Fotograf geht seit einiger Zeit einem eigenartigen Hobby nach: Er lichtet des Nachts Gräber ab und hofft, dabei die Geister der Verstorbenen aufzunehmen. Nur die Mutter weiß, wie weit seine bizarre Faszination für den Tod inzwischen gediehen ist. Ihrem Neffen verschweigt sie jedenfalls vorsichtshalber, dass Leonard den Sarg seines verehrten, lange verstorbenen Großvaters geöffnet und die Leiche fotografiert hat.

Ahnungslos bricht Paul, begleitet von seiner Freundin Lise, zur Parker-Hütte auf, wo Leonard hausen soll. Gerüchte, die sich um das uralte Gemäuer ranken, lockten ihn an den seltsamen Ort - eine kleine Insel inmitten eines durch Hochwasser angeschwollenen Flusses. Es soll hier spuken, und eine ganze Reihe von Menschen kam unter seltsamen Umständen zu Schaden oder gar zu Tode. Als Paul und Lise ihr Ziel erreichen, finden sie die Hütte leer. Leonard ist verschwunden, doch sein Gepäck und seine Kamera ließ er zurück. Paul rechnet mit dem Schlimmsten, aber der Cousin - oder seine Leiche - bleibt unauffindbar. In der Nacht stellen er und Lisa feststellen, dass sie dennoch nicht allein sind. Jemand - oder Etwas - kappt die Stromkabel der Hütte, stiehlt den Wagen und lässt die Brücke einstürzen. Das Paar ist auf der Insel gefangen.

Inzwischen mag Mary Lewis nicht mehr abwarten. Ihr wird bewusst, dass sie ihren Neffen und seine Gefährtin womöglich in eine gefährliche Situation gebracht hat. Deshalb macht sie sich ebenfalls auf den Weg zur Parker-Hütte. Spät in der Nacht erreicht sie ihr Ziel und kommt gerade rechtzeitig, um Paul und Lisa beizustehen: Sie kämpfen mit einem unheimlichen, feindseligen Wesen; die Leiche von Leonards Großvater scheint ihrem Sarg entstiegen zu sein …

Loblied auf vergessene Qualität

„Totenlicht“ ist ein kleiner, aber feiner Horror-Roman. Er ist schon einige Jahrzehnte alt und stammt aus einer „guten, alten Zeit“, an die man sich als Liebhaber des Unheimlichen voller Wehmut erinnert: Praktisch jeder Buchverlag brachte um 1990 monatlich mehrere einschlägige Titel auf den Markt brachte. Heute hätte ein Roman wie „Totenlicht“ wohl kaum eine Chance auf ein Erscheinen. Der Autor hat keinen Namen und bleibt anders als eingeführte ‚Kollegen‘, die von ihrem Bekanntheitsgrad zehren, auf dem Buchmarkt außen vor.

Dabei liefert Michael Cadnum mit seinem Roman-Debut solide Arbeit ab. Er hält den Kreis seiner Figuren klein; auch die Zahl der Schauplätze ist überschaubar, die Handlung im ‚Action‘-Bereich wenig spektakulär. „Totenlicht“ könnte durchaus als Bühnenstück funktionieren. Hauptsächlich spielt sich die Geschichte in einer Hütte im Wald ab (was ja - siehe „Tanz der Teufel“ - durchaus funktionieren kann). Die freiwillige Beschränkung ist beabsichtigt und ein kluger Schachzug, denn der noch unerfahrene Autor kann sich so auf seine Geschichte konzentrieren, die jenseits überzogener und womöglich (noch) nicht realisierbarer Ansprüche gut unter Kontrolle gehalten wird.

Ein Verrückter, der Tod und Verwesung liebt, seine herrschsüchtige Mutter, ein einsames Spukhaus sowie zwei ahnungslose Helden, die als Katalysator den bisher mühsam gebändigten Wahnsinn unfreiwillig zum Ausbruch bringen: Die Elemente dieses Thrillers sind wahrlich nicht neu, aber im selbst gewählten, eng gesteckten Rahmen weiß Cadnum sie wirksam einzusetzen.

Das Grauen im eigenen Schädel

Die Auflösung des Plots bietet zwar keine Überraschungen, doch dies liegt auch daran, dass seit der Veröffentlichung viele weitere (Drehbuch-) Autoren auf Cadnums Plot zurückgegriffen, aber diesen deutlich weniger geschickt entwickelt haben. Cadnum lockt seine Leser auf eine falsche Fährte, aber das ist ein legitimer Trick, dessen sich Schriftsteller seit jeher bedienen. Der heraufbeschworene Horror ist ein menschliches Phänomen, das umso nachhaltiger wirkt, weil sich Cadnum mit der Materie spürbar auskennt. Der nachhaltige Eindruck wird durch den nüchternen, manchmal fast dokumentarischen Tonfall - der in der Übersetzung erhalten blieb - unterstrichen.

Weil es sich um ein Debut-Werk handelt, kann man dem Verfasser diverse Fehler nachsehen. Das Privatleben von Paul und Lise legt Cadnum zu breit an; die Figuren werden dadurch nicht interessanter, und für den Gang der Handlung sind viele Informationen schlicht überflüssig. Die Familiengeschichte der Wrights wird zwar glaubhaft als Quelle potentiellen Wahnsinns dargestellt, aber wieso ausgerechnet Leonards Großvater herumspuken sollte, wird nie wirklich klar. Ungeklärt bleibt auch die Frage, wieso Paul, Lise und Mary ständig derselbe Albtraum - in der Hütte, die sich später (ebenso unerklärlich) als das Parker-Spukhaus erweist, werden die Träumenden von einer unbekannten Macht bedroht - plagt.

Solche (und einige andere) Ungereimtheiten fallen indes wenig ins Gewicht; es überwiegt das Positive dieses Romans, der nichts will als zu unterhalten, ohne dabei mit dem Blick auf die Verkaufszahlen die unheimliche, aber letztlich ‚logisch‘ aufzuklärende Geschichte einer Remmidemmi-Zombie-Plotte zu opfern. „Totenlicht“ kann (und will) sich also keineswegs mit „den besten Werken von Arthur Machen, Algernon Blackwood, ja, sogar Edgar Allan Poe“ vergleichen, wie der wie üblich maß- und schamlos übertreibende „Kirkus Review“ auf der Rückseite des Einbands tönt. Cadnum verspricht nie mehr, als er zu halten vermag. Für die Übertreibungen seiner Verleger sollte man ihn nicht verantwortlich machen.

Fazit:

Gelungene Mischung aus Psychothriller und Horror; der Mensch bzw. sein Hirn bilden die Quelle des eigentlichen Schreckens, was erfreulich überzeugend in Szene gesetzt ist.

Totenlicht

Michael Cadnum, Goldmann

Totenlicht

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