The Ceremonies

  • Piper
  • Erschienen: Dezember 2022
  • 2
The Ceremonies
The Ceremonies
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Yannic Niehr
78°1001

Phantastik-Couch Rezension vonJan 2023

Weiße, grüne und scharlachrote Zeremonien

Tief im Herzen der Wälder New Jerseys, nur etwa 50 Meilen von Manhattan entfernt, liegt das verschlafene Dörfchen Gilead. Wenn man es nicht besser wüsste, würde man nie vermuten, dass die kleine, tief religiöse Gemeinde einer der größten Metropolen der zivilisierten Welt so nahe ist. Genau diese Abgeschiedenheit ist es, die den Ort für den aufstrebenden Jungakademiker Jeremy Freirs ideal erscheinen lässt, dort den Sommer zu verbringen, um in Ruhe an seiner Doktorarbeit zu schreiben, die sich mit den Motiven klassischer Schauerliteratur auseinandersetzen soll. Also nimmt er das Angebot des jungen Ehepaars Sarr und Deborah Soroth an, dort zur Untermiete zu wohnen. Gilead begegnet Fremden aus der Stadt nicht unbedingt aufgeschlossen, doch die beiden bewirtschaften ihre Farm erst seit Kurzem und brauchen das Geld.

Noch kurz vor seinem Aufbruch lernt Jeremy bei seinen Recherchen die junge Carol kennen. Die ehemalige Novizin, die in ihrer Freizeit dem Traum vom Tanzen nachgeht, verdingt sich derzeit mehr schlecht als recht als Bibliothekarin und befindet sich auf einer rastlosen Suche, ohne selbst genau zu wissen, wonach. Zu Jeremy fühlt sie sich schnell hingezogen und stattet ihm in Gilead sogar Besuche ab.

Doch nicht der Zufall hat die beiden zusammengeführt, sondern der alte Aloysius Rosebottom (genannt „Rosie“), der sich an jenem Tag auf der Suche nach ähnlichen alten Horrorschinken wie Jeremy in der Bibliothek aufgehalten hat. Er tauscht sich mit Jeremy über dessen Arbeit aus und Carol bietet er sogar einen Job als persönliche Assistentin für obskure private Nachforschungen an. Was niemand ahnen kann: „Rosie“ ist nur noch zum Teil ein Mensch. Er steht im Dienste eines unsagbaren, primitiven Übels, das seit Äonen unter dem Grund und Boden von Gilead schlummert. Für seine Wiedererweckung sind besondere Zeremonien vonnöten, die auszuführen „Rosie“ sich anschickt. Langsam nur, sehr langsam setzen sich die Räder des Grauens in Bewegung. Doch das Ding hat Zeit, Geduld – und einen langen Atem …

„Was, wenn einige Geschichten in den Horrorromanen nicht erfunden sind? Wenn es giftige, todbringende Dinge im Wald gibt? Böses auf der Welt, das sich unerwartet ereignet?“

Der gebürtige New Yorker T.E.D. Klein, Begründer des „Twilight Zone“-Magazins, veröffentlichte im Laufe seines schriftstellerischen Schaffens Drehbücher, Essays, Novellen und Kurzgeschichten, die hochgelobt und mehrfach ausgezeichnet wurden. Nur zwei Romane gehen auf das Konto des notorisch „schreibfaulen“ Autors – u.a. auch deshalb wurde sein Buch The Ceremonies aus dem Jahr 1984 (eine Ausarbeitung einer 1972 veröffentlichten Kurzgeschichte) kultig. Nachdem es im deutschsprachigen Raum lange gar nicht erhältlich war, ist nunmehr im Piper Verlag wohlverdient und lange überfällig die überarbeitete Neuausgabe erschienen – von Klein sogar mit einem kurzen Vorwort versehen.

„Gott ist jetzt der Herr, aber der Andere wartet unten. Und früher oder später ist die Reihe an ihm“

Verglichen z.B. mit einem Stephen King ist Kleins Output äußerst überschaubar. Inhaltlich aber liegt der Vergleich mit gerade dieser Koryphäe des Horrors keineswegs fern, lassen beide doch ihren Schrecken nicht an exotischen, gefährlichen Orten oder in finsteren, alten Schlössern gedeihen, sondern mitten im Herzen des Uramerikanischen – und das sprachlich gekonnt. Dass Hauptfigur Jeremy sich mit unangefochtenen Meilensteinen des Horrorgenres befasst, ist für die Geschichte ein kluger Schachzug, der nicht nur die Leserschaft von Anfang an ins richtige Mindset versetzt, sondern das Buch auch in einen Dialog mit einer über es selbst hinausgehenden Tradition stellt. Mit seiner Vision eines Bösen, das die menschliche Vorstellungskraft übersteigt und unentdeckt direkt hinter der Fassade der für uns wahrnehmbaren Wirklichkeit lauert, weckt Klein eindeutige Anklänge nicht nur an Großmeister H. P. Lovecraft (über den er an der Brown University eine Ehrenarbeit schrieb), sondern auch an den Walisen Arthur Llewelyn Jones (besser bekannt unter seinem Pseudonym Arthur Machen), der um die Jahrhundertwende mit einschlägigen Werken im Bereich übernatürlichen Grusels und Fantasy glänzte und im Roman auch häufiger zitiert wird. Gleichzeitig ordnet sich The Ceremonies aber auch in ganz bestimmte Strömungen des Okkulten und des „folk horror“ ein, deren Melange fast schon einem Ari Aster (Midsommar) vorgreift.

„Die Schlüssel zu den Riten, die die Welt verändern, sind weder selten noch verborgen noch teuer“

Bemerkenswert ist Kleins sprachlicher Stil und seine Fähigkeit, leisen Horror aufzubauen. Oft fragt man sich beim Lesen, aus welcher Richtung denn nun die eigentliche Gefahr droht, und wird so in einem Zustand der Daueranspannung gehalten. Der Autor greift auf viele bewährte Horrortropen zurück (tief verwurzelten (Aber-)Glauben; Besessenheit; Tabubrüche und den Status Quo gefährdende Sexualität; Jahrzehnte zurückliegende, sich in regelmäßigen Abständen wiederholende Gräueltaten; eine hellsichtige alte Frau, die dem Bösen den Kampf ansagt, in Gestalt von Sarrs Mutter usw.), die man mittlerweile zwar in- und auswendig kennt, die unter seiner virtuosen Feder aber nicht zu Klischees verkommen. Die Dichotomie (stets ein dankbares literarisches Mittel) zwischen Zivilisation und Urtümlichkeit zieht sich dabei in verschiedensten Ausprägungen durch den Plot, aber auch Rituale und zeremonielle Handlungen sowie die Frage, welche diversen Bewandnisse und Folgen für den Menschen sie haben können. Besonders auffällig ist dabei die völlige, beinahe schon aggressive Ahnungslosigkeit (um nicht zu sagen: Ignoranz), mit welcher die Charaktere dem Crescendo des Unheils gegenübertreten.

Gerade hierin liegt aber auch die Schwäche des Buches: Die Figuren sind nicht unbedingt ansprechend. Jeremy ist in seiner Simplizität über weite Strecken fast schon nervig, und auch Carol wirkt zu blauäugig, um sie als Handlungstragende ernstnehmen zu können. Sarr und Deborah kommen ein wenig dreidimensionaler weg, doch insgesamt tun sich weder im Haupt- noch im Nebenensemble nennenswerte Akteure wirklich hervor. Dies fügt sich zwar stimmig in die genannten Motive ein, lässt einen beim Lesen jedoch häufiger kalt, als es sollte. So kann (auch aufgrund des etwas gehetzten, überraschend inkonsequenten Schlusses) nicht ganz das Potenzial des tragischen Horrors entfaltet werden, der in den vorhergehenden gut 500 Seiten angelegt war.

Fazit:

The Ceremonies ist ein zu Unrecht vergessener Klassiker, verfasst von einer unverwechselbaren literarischen Stimme des Horrors. Das Böse kommt hier langsam und subtil angeschlichen, doch wenn es sich dann mit geradezu alttestamentarischer Wucht zum Ende hin ganz plötzlich immer mehr zuspitzt, verschlägt es einem fast den Atem. Manche Aspekte des Werkes sind speziell, und nicht alles funktioniert – dennoch dürfte dieses Buch in sämtliche Pflichtlektürelisten für Genrefans eingehen.

The Ceremonies

T. E. D. Klein, Piper

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