Der dritte Planet

  • Moewig
  • Erschienen: Januar 1965
  • 0
Der dritte Planet
Der dritte Planet
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Michael Drewniok
80°1001

Phantastik-Couch Rezension vonJun 2022

Eine Spur neben der Realität lauert der Wahnsinn

Zwölfmal sorgt der Verfasser dafür, dass sich im irdischen Leben „Twilight Zones“ öffnen, die den Protagonisten erschreckende und den Lesern unterhaltsame Erlebnisse bescheren:

- Das Ungeheuer (Born of Man and Woman, 1950): Dieses Kind sperren seine entsetzten Eltern im Keller ein, wo es buchstäblich unmenschliche Rachepläne schmiedet.

- Der dritte Planet (Third from the Sun, 1950): Glück im Unglück scheinen die Flüchtlinge aus dem All zu haben, als sie einen Planeten finden, der ihrer verlorenen Heimat zum Verwechseln ähnlich ist.

- Durch Kanäle (Through Channels, 1951): Das Fernsehen bringt uns die Welt ins Haus - und manchmal ungebetene Gäste, die den überraschten Zuschauer zu einer Mahlzeit einladen.

- Das Drei-Monde-Irrenhaus (Lover When You’re Near Me, 1952): Eine liebeskranke Außerirdische bedrängt einen einsamen Erdenmann.

- Einsames Venus-Mädchen (SRL AD, 1952): Todd glaubt an einen Jux, als ihm die Kontaktanzeige einer Venus-Bewohnerin ins Haus flattert, doch Loolie überzeugt ihn rasch vom Gegenteil.

- Das wahnsinnige Haus (Mad House, 1953): Frustrationen und Ängste laden die Wände eines Hauses mit negativen Energien auf, die eines Tages auf seinen Bewohner zurückschlagen.

- Das Verschwinden (Disappearing Act, 1953): Stück für Stück verschwindet die Welt um den fassungslosen Bob, bis er schließlich selbst aus der Realität getilgt wird.

- Der Abergläubische (The Wedding, 1953): Frank irritiert seine Mitmenschen durch einen ausgeprägten Aberglauben, dessen Berechtigung sich leider zu spät herausstellt.

- Der Unanständige (F..., 1952): Den Zeitreisenden aus dem 20. Jahrhundert verschlägt es in eine Zukunft mit eigenwilligen Moralvorschriften.

- Liebes Tagebuch (Dear Diary, 1954): Der Vergleich dreier Tagebucheinträge aus der Gegenwart, der fernen Zukunft und der Steinzeit belegt, dass der unzufriedene Mensch stets ersehnt, was ihn auch nicht glücklicher machen würde.

- Krieg der Hexen (Witch War, 1951): Nicht mit High-Tech, sondern mit Magie werden die Schlachten der Zukunft geschlagen.

- Mamas Zimmer (Dress of White Silk, 1951): Mama ist nicht von dieser Welt, zumal man sie nicht auf den ersten Blick entdeckt, und sie ist schrecklich hungrig.

Meister in Startposition

Diese Kollektion sammelt zwölf frühe, ursprünglich zwischen 1950 und 1954 in diversen Magazinen veröffentlichten Kurzgeschichten. Schon die erste Story zeigt Matheson als erzählerisches Ausnahmetalent, das in den folgenden Jahren und Jahrzehnten das Phantastik-Genre mit außergewöhnlichen Romanen, Geschichten und Drehbücher bereicherte. „Das Ungeheuer“ gilt mit Recht als Klassiker und fesselt noch heute, viele Jahrzehnte nach seiner Entstehung, als spannende Unterhaltung mit einem psychologischen Tiefgang.

Dieses Niveau kann Matheson in „Der dritte Planet“ nicht durchweg halten. Erzählungen wie „Durch Kanäle“, „Der Unanständige“, „Krieg der Hexen“ oder „Liebes Tagebuch“ leben vor allem von skurriler Situationskomik, die wiederum auf jenen Was-wäre-wenn-Fragen basiert, die sich in dieser Konsequenz offenbar nur Science-Fiction-Autoren stellen. Zu ihrer Zeit mögen die genannten Geschichten neu und erstaunlich gewesen sein. Der heutige Leser ist ihnen in zu vielen Varianten begegnet, weshalb sich der Aha-Effekt in Grenzen hält.

„Einsames Venus-Mädchen“, „Der Abergläubische“ und die Titelgeschichte sind sogar mehr als vom Zahn der Zeit angenagt; sie sind ihm völlig zum Opfer gefallen. „Mamas Zimmer“ ist (wohlwollend beurteilt) eine Variation von „Das Ungeheuer“, die aber immer noch erstaunlich gut funktioniert.

Alltag ist trügerisch

So haben sich wie so oft diejenigen Stories am besten gehalten, die zeitgeistfern nicht mit (scheinbar) neuen Plots und verrückten Effekten verblüffen wollen, sondern betont sachlich bleiben und dadurch umso intensiver Sand ins Getriebe der Realität werfen. Matheson versucht erfolgreich deutlich zu machen, wie zerbrechlich ist, was wir „Normalität“ nennen. In „Das Drei-Monde-Irrenhaus“ spielt der Verfasser eindrucksvoll mit dem Uralt-SF-Thema Telepathie. Dazu reichen ihm zwei Figuren, auf vordergründige Action wird völlig verzichtet. Allein die Meisterschaft, mit der Matheson den allmählichen geistigen Verfall seines Protagonisten in Worte fasst, macht die Wirkung dieser Geschichte aus. In diese Qualitätskategorie gehört auch „Das Verschwinden“: Ein Mensch, der nie weiß, wie ihm geschieht, wird aus der Wirklichkeit getilgt. Fällt er einem Zeitparadox zum Opfer? Wir erfahren es nicht, und es ist völlig nebensächlich da nicht die Geschichte, die Matheson erzählen möchte.

Die Idee vom ‚wahnsinnigen‘ Spukhaus als ‚Batterie‘, die durch die negativen Emotionen seiner Bewohner aufgeladen wird und diese Energie noch lange zum Schaden ahnungsloser Nachmieter abgibt, hat Matheson offensichtlich stark beschäftigt. 1958 griff er sie in „A Stir of Echoes“ (dt. „Echoes - Stimmen aus der Zwischenwelt“) ein erstes Mal auf, um sie 1972 in „Hell House“ (dt. „Das Höllenhaus“) weiterzuentwickeln.

Autoren in Nöten lässt Matheson gleich mehrfach in seinen Geschichten auftreten. Er dürfte hier auf eigene Erfahrungen zurückgreifen, denn er musste selbst einige schwierige Anfangsjahre überwinden, bevor ihm der Durchbruch gelang. „Der dritte Planet“ zeigt ihn auf dem Weg dorthin. Ein Markenzeichen wurde und blieb die trügerisch simple Form, in die Matheson Geisterspuk, Zeitreisen, Dimensionsbrüche und ähnliche Ereignisse schilderte. Wo heute eine Idee mindestens zu einer Buchtrilogie wuchert, genügte ihm eine Kurzgeschichte. Dies ist ein Grund dafür, dass Matheson nach seinem Tod nie in Vergessenheit geraten ist. Weiterhin entstehen Kino- und TV-Filme nach seinen Vorlagen, die ihre Wirkung nicht verloren haben, weil sie auf zeitlose Inhalte setzen.

Chaos & Kürzung

Wieder einmal ein Trauerspiel ist die deutsche Publikationsgeschichte dieser Sammlung. Im Impressum wird als Vorlage die Story-Kollektion „The Third Planet“ angegeben. Schon das Erscheinungsjahr - 1954 statt 1955 - weist auf einen Fehler hin. Ein Inhaltsvergleich mit dem genannten Band bestätigt das. Des Rätsels Lösung: „Der dritte Planet“ enthält Erzählungen aus dem bereits 1954 erschienenen Sammelband „Born of Man and Woman“, der nicht 13, sondern 17 Kurzgeschichten enthält.

Um die Sache noch komplizierter zu machen, fehlen in der deutschen Ausgabe fünf dieser 17 Texte („Shipshape Home“; 1952, „Full Circle“; 1953, „Return“; 1951, „To Fit the Crime“; 1952, „The Traveller“; 1954). In Deutschland erschienen SF-Romane bis in die 1980er Jahre seitennormiert: Sie umfassten 128, 144, 160 oder 192 Seiten. Wenn eine Romanvorlage nicht passte, wurde gekürzt, in Kollektionen fielen Storys gänzlich unter den Tisch. Die „Terra“-Taschenbücher des Jahres 1965 hatten 160 Seiten - nie mehr, nie weniger -, weshalb es dieses Mal die genannten fünf Kurzgeschichten traf.

Fazit:

Zwölfmal sorgt der Verfasser dafür, dass sich im irdischen Leben „Twilight Zones“ öffnen, die den Protagonisten erschreckende und den Lesern unterhaltsame Erlebnisse bescheren, die den alltäglichen Wahnsinn extrapolieren, übertreiben oder auf die Spitze treiben: Trotz ihres beträchtlichen Alters lesen sich diese Geschichten weiterhin erstaunlich spannend, da die aufgegriffenen Themen zeitlos sind.

Der dritte Planet

Richard Matheson, Moewig

Der dritte Planet

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