Der Geist von Maddy Clare

  • Festa
  • Erschienen: Juli 2022
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Der Geist von Maddy Clare
Der Geist von Maddy Clare
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Michael Drewniok
70°1001

Phantastik-Couch Rezension vonSep 2022

Zweifach begraben, doch wach und wütend

Die junge Sarah Piper steht in diesem Jahr 1922 allein in einer Welt ohne soziales Sicherheitsnetz. Ihren kargen Lohn verdient sie als Schreibkraft in London, wo man sie über eine Agentur anheuern kann. Ein neuer Auftrag verschlägt sie an die Seite des Geisterjägers Alistair Gellis, der das Grauen, das er als Soldat im Ersten Weltkrieg knapp und geistig keineswegs unbeschadet überlebte, auf der Suche nach Beweisen für ein Leben nach dem Tod zu bewältigen versucht.

Normalerweise arbeitet Gellis mit einem Kriegskameraden, dem körperlich schwer gezeichneten und verbitterten Matthew Ryder zusammen. Der ist zunächst unabkömmlich, weshalb Sarah Gellis begleitet, als dieser in das Städtchen Waringstoke reist, um dort einen angeblich Spuk-Fall zu untersuchen: Vor Jahren war dort ein verletztes und offenbar geistig gestörtes Mädchen aufgetaucht. Seine Identität konnte nie ermittelt werden; nur den Vornamen konnte es nennen: Maddy. Das Ehepaar Clare nahm das Mädchen auf. Sieben Jahre lebte es mit ihren in Falmouth House, sprach zwar bald wieder, äußerte sich jedoch nie über die Vergangenheit und erhängte sich sieben Jahre später in der Scheune des Clare-Anwesens.

Doch Maddy kehrte als Geist zurück - mächtig und bösartig. Die inzwischen verwitwete Mrs. Clare kann ihre Wutausbrüche nicht mehr ertragen. Gellis soll Maddy ‚austreiben‘. Ebenso begeistert wie ahnungslos sagt er zu - und gerät vor Ort an einen nicht nur echten, sondern vor allem mächtigen Spuk, der den Zorn der untoten Maddy Clark in eine unwiderstehliche Kraft verwandelt hat, die nicht nur Gellis, Ryder und Sarah, sondern auch andere Pechvögel in ihren tödlichen Bann zieht …

Rache, die den Tod überwindet

Die 1920er Jahre brachten in England eine nochmalige Steigerung des ohnehin präsenten Glaubens an eine ‚wissenschaftliche‘ Basis des Okkultismus‘. War bisher der Nachweis eines möglichen Lebens nach dem Tod vor allem akademisch gewesen, spiegelte sich nunmehr eine direkte Sehnsucht in dem Bemühen wider, Kontakt mit den Verstorbenen aufzunehmen. Auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs war die männliche Jugend Englands geradezu fabrikmäßig und in unfassbarer Zahl abgeschlachtet worden.

Kollektive Trauer und die Frage nach einem ‚Sinn‘ bzw. einer ‚Belohnung‘, die im Nachleben nach dem meist wenig glorreich Ende auf dem nur scheinbaren „Feld der Ehre“ treiben auch Alistair Gellis und Matthew Ryder an, denen körperlich wie geistig nur scheinbar gesundet die Rückkehr in ein ‚normales‘ Leben nicht gelang. Wie sie wurden zahlreiche Männer von „Kriegsneurosen“ gequält, die noch nicht als traumatische Belastungsstörung und damit ernste Krankheit er- und anerkannt wurde. Ein „echter Mann“ hatte sich zusammenzureißen. Das Misslingen verschärfte die Scham derer, die nervlich zerbrachen.

Autorin Simone St. James kombiniert diesen Impetus mit einem klassischen Motiv der Geistergeschichte: Zurück aus dem Reich der Toten kehren jene, die im Diesseits etwas unerledigt lassen mussten. In der Regel ist das Motiv erlittenes Unrecht, das dem Opfer ein unverdientes Ende bescherte und der irdischen Justiz entging.

Grenzverletzungen

Ein Geist profitiert von der Tatsache, dass er nicht nur den bekannten Naturgesetzen, sondern auch jenen Regeln enthoben ist, die entsprechende Vergeltungsmaßnahmen üblicherweise verhindern. Dies ist vor allem in der hier gewählten Vergangenheit von Bedeutung. Zu Lebzeiten war Maddy ein quasi rechtloses Dienstmädchen, mit dem skrupellose Mitglieder einer schier unangreifbaren Oberschicht ihr böses Spiel treiben konnten. Das Gesetz und seine Hüter blieben macht- und tatenlos.

Auf ihre Weisen stellen Gellis, Ryder und Piper ‚Rebellen‘ dar. Die Männer wurden durch den Krieg aus einem starren Kastensystem gerissen, in das sie sich nicht mehr einpassen können und wollen. Pipers Weg ist weniger blutig, aber keineswegs einfacher. Als Frau ohne schützende Familie und Vermögen ist sie faktisch zu einem Leben ohne selbstbestimmte Erfüllung verdammt. Dass sie sich ungeachtet ihrer Angst dem Geist von Maddy Clare stellt, liegt an dem Ausweg, der sich ihr dadurch bietet.

Indem sie Maddy trotzt, findet Sarah die Kraft, auch aus ihren Grenzen auszubrechen. Dieser Prozess ist Teil der Handlung, wird aber leider von der Autorin allzu sehr in den Vordergrund gestellt. „Der Geist von Maddy Clare“ ist mit Elementen des Liebesromans verschnitten, wobei St. James die üblichen Klischees einer schwierigen Liebe bedient, jedoch zusätzlich in randpornografischen Details schwelgt, um Sarahs Erwachen zur Frau zu vervollständigen. Das Objekt ihres Begehrens ist selbstverständlich psychisch aus dem Lot sowie kriegsbedingt angekokelt, was Sarahs Liebestrieb umso höher anfacht. Diese Sequenzen sind reiner Dienst an der Kundin = Leserin, die solche Schwulst-Romantik als Lektürewürze schätzt; zum Geschehen tragen sie nicht bei, was auch die Leichtigkeit enthüllt, mit der sie übersprungen werden können, ohne darüber den Handlungsanschluss zu verlieren.

Verständigungsprobleme

Obwohl Maddy Clare drastisch zur Sache geht, bleibt der „Horror“ dieser Geschichte sanft. Viele, viele Seiten bleibt ihr Geist außen vor, während vor allem Sarah und Matthew liebeskrank, aber gehemmt umeinanderkreisen. Generell liegt St. James richtig, wenn sie ihr Phantom sparsam einsetzt und das Erscheinen auf Andeutungen beschränkt. Letztlich ist Maddy Clare eben doch kein Rachegeist, sondern ein durch erlittenes Unrecht geistig derangiertes Wesen, das wie programmiert ihren Wut-Feldzug durchzieht. Leider fehlt der Autorin die schriftstellerische Kraft, diesen Aspekt plausibel zu entwickeln, was uns eine im Finale enttäuschend ‚erlöste‘, weil weiterhin unzufriedene Maddy beschert.

Wie jedes Gespenst bleibt Maddy Clare vor allem deshalb mysteriös, weil sie einfach den ‚Mund‘ nicht öffnet: Obwohl sie durchaus ‚sprechen‘ kann, zwingt sie Sarah und Matthew zur detektivischen Rekonstruktion ihrer Leidensgeschichte. Die ist freilich nicht sehr komplex und bleibt in erster Linie aufgrund der den Hauptfiguren von der Autorin verordneten Begriffsstutzigkeit verborgen. Als Leser weiß man jedenfalls (zu) früh, wer hauptverantwortlich für den Spuk verantwortlich zeichnet.

Hinzu kommt ein weiteres Problem: Sarah Piper soll sowohl die unterdrückte Weiblichkeit des frühen 20. Jahrhunderts als auch das Aufdämmern und den Durchbruch der Emanzipation verkörpern. Das Ergebnis ist ein wenig überzeugender Charakter zwischen Unterwerfung und Umbruch. Die männlichen Figuren bleiben erst recht blass bzw. dienen Sarahs Reifung, was diese Geistergeschichte im Zusammenklang mit Maddy Clares Schicksal allzu sehr in Richtung Seifenoper zwingt. St. James‘ schwelgt gern in Melodramatik und hebelt den Grusel damit aus.

Fazit:

Die klassische und durchaus interessante Geschichte einer verwirrten, aber entschlossenen Geisterrache wird durch Seufz-Erotik auf Seifenoper-Niveau verwässert. Der Geist mutiert zum Katalysator einer Emanzipation, deren Dramatik die Spukattacken deutlich, aber recht platt in den Schatten stellt: Grusel auf „Gaslicht“-Niveau.

Der Geist von Maddy Clare

Simone St. James, Festa

Der Geist von Maddy Clare

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