Traumpfade & weitere unheimliche Geschichten

  • ‎Independently published
  • Erschienen: Januar 2023
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Traumpfade & weitere unheimliche Geschichten
Traumpfade & weitere unheimliche Geschichten
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Michael Drewniok
90°1001

Phantastik-Couch Rezension vonApr 2023

Kraft und Schrecken der lebendigen Natur

Als schon etwas älterer Freund der klassischen Phantastik steht man vor einem Dilemma,  wenn man seinen Lesestoff übersetzt vorzieht: Heutzutage halten sich die Verlage mit entsprechenden Veröffentlichungen zurück, und was einst erschienen (und meist vergriffen) ist, hat man längst in seinen Buchbeständen, hütet und liest es immer wieder.

Gerade das Kapitel Algernon Blackwood schien hierzulande abgeschlossen zu sein, nachdem der Suhrkamp-Verlag im vergangenen Jahrhundert sechs vorzügliche Sammlungen herausgegeben hatte. Kurze Storys sowie Novellen sorgten für einen ausgezeichneten Überblick - und für Begehrlichkeiten, denn schaute man sich die (Literatur-) Geschichte des Verfassers an, musste man feststellen, dass Blackwood ein überaus produktiver Autor war.

Da gab es also noch eine Menge Lektürestoff, der Grusel und Spannung verhieß! Dass man die ‚besten‘ Werke bereits herausgefischt hatte, wollte und sollte man nicht glauben. Wie richtig diese Annahme ist, bestätigt dieser neue Storyband, der Blackwood-Nachschub liefert, der den Vergleich mit den sog. ‚klassischen‘ Geschichten keineswegs scheuen muss. Dies gilt ausdrücklich auch für die Sorgfalt, mit der die Herausgeber (Michael Schmidt und Achim Hildebrand) diese Sammlung einem sicherlich nicht zahlenstarken, aber begeisterten Publikum präsentieren. (Es ist sogar schon der zweite Band!) Die Storys sind von Hildebrand fabelhaft übersetzt, das Cover ist ‚handgemalt‘. So ist dies kein ‚Fan-Buch‘, sondern ungeachtet des etwas klobigen Einbands und der allzu breitrandigen Seiten - was sicherlich der niedrigen Auflage geschuldet ist - ein mit Sachkenntnis und Liebe zum Detail zustande gekommenes Buch, das elf Blackwood-Storys in deutscher Erstausgabe bietet; weitere fünf Erzählungen wurden zuvor nur einmal im deutschen Horror-Magazin „Zwielicht“ veröffentlicht.

Wanderer mit Erfahrung

Algernon Blackwood (1869-1951) war ein Sohn aus gutem Haus und wuchs dementsprechend auf; so umfasste seine Studienzeit auch ein Aufenthalt in Deutschland, wo er nicht nur die wilde Landschaft des Schwarzwalds, sondern auch jene Naturmystik zu schätzen begann, die sein Leben und Werk prägen sollte. Seine Erzählungen verdeutlichten, dass hier jemand schrieb, der die beschriebenen Orte kannte.

Blackwood brach aus dem vorgezeichneten Lebensweg aus und nahm dafür jahrelange finanzielle Unsicherheit in Kauf. Er reiste viel, gern durch Europa, war aber auch mehrfach in Nordamerika, wo er u. a. durch die endlosen kanadischen Urwälder zog. Dabei vertiefte er sich in lokale Mythen und machte nach eigener Auskunft selbst einige ‚übernatürliche‘ Erfahrungen. Von diesen Reisen zehrte Blackwood, als er ab 1899 zu schreiben begann. Er verfasste keineswegs ausschließlich Texte phantastischen Inhalts, doch was er in diesem Genre vorlegte, sorgte für einen Qualitätsschub, der auch vom sonst streng mit den älteren Autoren ins Gericht gehenden H. P. Lovecraft (1890-1937) bemerkt und gerühmt wurde.

Natürlich kann nicht jede Geschichte ein Meisterwerk sein; auch Plot-Wiederholungen (oder Variationen) kommen vor. In dieser Sammlung finden wir deshalb auch inhaltlich recht karge, auf einen Finalgag ausgerichtete Storys („Wem der Hut passt”/„If the Cap Fits”, 1914; „Das weiße Pferd“/„The Tradition“, 1913; „Die Flüsterer“/„The Whisperers“, 1912), die jedoch ungeachtet der Plot-Routinen immer noch Blackwoods Talent für den sorgfältigen Aufbau einer Handlung sowie die Schaffung einer Stimmung verraten, die an buchstäblich unheimlicher Intensität stetig zunimmt. Hinzu kommt ein Wissen um die Verankerung des Schreckens in der menschlichen Psyche; das Grauen muss nicht zwangsläufig aus dem Jenseits stammen: In „Skeleton Lake” („Skeleton Lake: An Episode in Camp”, 1906) überwältigt die rein ‚weltliche‘ Schuld den Mörder, der nur den Mund halten müsste, es aber nicht kann.

Schon einmal auf dieser Welt gewesen

Indische Philosophie/n und vor allem die Theosophie - der Glaube an eine Gegenwart, in der ‚Gott‘ bzw. ‚Götter‘ in unterschiedlichen Inkarnationen die Geschicke der Welt und ihrer Bewohner lenken - begleiteten Blackwood, der entsprechendes Geschehen immer wieder schilderte und dabei Menschen in den Mittelpunkt stellte, die von solchen Begegnungen überwältigt werden. Wer sich auf diese Erfahrung einlässt, kann Trost finden, den Geist weiten und sein Leben bereichern („Inititation“/„Initiation“, 1917; „Die Exzentrizität des Simon Parnacute“/„The Eccentricity of Simon Parnacute“, 1910; „Die goldene Fliege“/„The Golden Fly“, 1912) oder sogar eine als bedrückend eng empfundene Existenz - hier spiegelt sich Blackwoods Erfahrung als ‚Lohnknecht‘ in ungeliebten, unterbezahlten Stellungen wider - endgültig hinter sich lassen und in der ‚göttlichen‘ Natur aufgehen. Der unvermeidliche Tod trifft dann den ohnehin unwichtigen Körper, denn der Geist ist unsterblich („Eine Episode in der Wüste“/„A Desert Episode“, 1917).

Nicht immer sind Blackwoods Protagonisten reif für den Schritt über die Grenze, sondern belassen es bei einem kurzen Blick. In „Traumpfade“ („Dream Trespass“, 1911) glückt in letzter Sekunde die Rückkehr, während „Smiths Untergang“ („The Destruction of Smith“, 1912) in der allzu intensiv gewordenen Verbindung zwischen der Realität und jener Sphäre basiert, in der die Naturgesetze nicht mehr gelten. Der Geist streift dort seine Fesseln ab, wie ein ansonsten eher talentarmer Komponist feststellt, in den dieses eine Mal das fährt, was man den „göttlichen Funken“ nennt, woraufhin er ein Meisterwerk erschafft, um anschließend in seine Mittelmäßigkeit zurückgestoßen zu werden („Der Mann von den 'Göttern'“/„The Man of the 'Gods'“, 1910). Ebenfalls möglich ist der Körpertausch, der den Protagonisten in „Eine ägyptische Romanze“/„Egyptian Sorcery“, 1921) zum unfreiwilligen Lebensretter einer weit entfernt im Sterben liegenden Frau werden lässt. (Eine ähnliche, allerdings auf zwei Zeitebenen spielende Geschichte ist „Reisende“/„Wayfarers“, 1914. Auch in „S.O.S.“/„S.O.S.“, 1918, greift Blackwood das Thema auf.)

Blackwood verschweigt nicht das Risiko solcher ‚Übergänge‘. Die ‚göttlichen‘ Entitäten stehen dem Menschen oft gleichgültig gegenüber. Wer ihnen - und sei es ohne (böse) Absicht - in den Weg gerät oder sie ruft, ohne sich über die Konsequenzen klar zu sein, muss erfahren, dass die Welt hinter dem Filter des Alltäglichen unbarmherzig und gefährlich sein kann („Meeresrausch“/„The Sea Fit“, 1910). In „H.S.H.“ („H.S.H.“, 1917) weicht der Verfasser von seiner typischen Naturmystik ab, besinnt sich auf die christliche Religion und konfrontiert die Hauptfigur mit Luzifer persönlich, der unter Blackwoods Feder eine ebenso schauerliche wie mitleiderregende Figur abgibt, was der Geschichte - die leicht zur Karikatur hätte entgleiten können - eine finstere Wucht verleiht und sich nahtlos in diesen Reigen ungewöhnlicher Geschichten einreiht.

Fazit:

Klassische Phantastik der Meisterklasse meist aus den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts sammelt dieser Band, der auch für die Qualität der Übersetzung und das Titelbild zu loben ist: ein Geschenk für die Freunde des ‚alten‘, aber eben nicht wirkungslos gewordenen Schauders.

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Algernon Blackwood, ‎Independently published

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