Der Drache von Samarkand

  • Bastei-Lübbe
  • Erschienen: Januar 2001
  • 1
Der Drache von Samarkand
Der Drache von Samarkand
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Frank A. Dudley
88°1001

Phantastik-Couch Rezension vonAug 2006

Space-Bond

Gleich vorab: Der deutsche Titel des Buches verwirrt. Eine Wesenheit namens ";Drache"; spielt zwar eine wichtige Rolle, aber der englische Originaltitel ";Gridlinked"; (etwa: mit dem Raster vernetzt) umreißt die Ausgangsbedingungen in Neal Ashers actionreichem Debütroman wesentlich treffender.

Im Jahr 2432 hat die Menschheit etliche Planeten besiedelt und treibt diese Expansion weiter. Die Lichtjahre zwischen den Planeten überwinden die Menschen mit den ";Runcibles"; genannten, riesigen Geräten zur Teleportation. Raumschiffe erreichen Sub-Lichtgeschwindigkeit, Terraforming gehört zum Pionier-Alltag. Kontrolle und Regierung liegen jedoch nicht in menschlichen Händen: Künstliche Intelligenz hat das Sagen in der Polis, wie die Planetengemeinschaft genannt wird.

Und ";gridlinked"; ist jeder, der über ein Hirnimplantat permanent mit den KIs vernetzt ist, somit also Zugriff auf einen unermesslichen Datenbestand hat. Eine der wenigen Personen, die über diese mentale Verstärkung verfügen, ist Spezialagent Ian Cormac, der für die Earth Central Security (ECS) das gleiche ist wie James Bond für den britischen MI5.

Die Leitung von ECS liegt in den Chips und Händen einer ausgesprochen intelligenten KI und Horace Blegg, einem angeblich unsterblichen Japaner, der den Atombombenangriff auf Hiroshima 1945 überlebt haben soll. Trotz ihrer Intelligenz und Unsterblichkeit ist es dem Duo noch nicht gelungen, die menschlichen Siedlungsgebiete vollständig zu befrieden, geschweige denn Verbrechen zu eliminieren. Mit dem ausgesprochen dynamischen Expansionsdrang, den die KIs für die Menschheit entwickelt, wächst auch der Einflussbereich der ECS.

Ohne KI-Backup

Doch trotz vereinter Unsterblichkeit und Über-Intelligenz hat ECs es nicht geschafft, an den Zivilisationsrändern für Recht und Ordnung zu sorgen – Verbrechen und Kriege gehören zur galaktischen Gegenwart. Auch Separatistengruppen sorgen für Unruhe: Als ein Runcible auf Samarkand in die Luft fliegt und mit Megatonnen von Sprengkraft den Planeten entvölkert, kommt Ian Cormac zum Einsatz.

Der Agent hat es wie Bond bald mit zwei Feinden zu tun: Mit einem zu allem entschlossenen psychopathischen Terroristen, hier Adrian Pelter, und einer scheinbar allmächtigen Organisation, in diesem Fall der Drache, der nichts weniger als Planeten sprengen kann. Im Gegensatz zu 007 bekommt Cormac allerdings nicht diverse Technik-Gimmicks mit auf den Weg, im Gegenteil. Er muss abrüsten, indem er die mentale Verbindung zu ECS kappt. Begründung seines Vorgesetzten: Schleichender Verlust von Menschlichkeit durch jahrzehntelangen Zugriff auf die Wissens-Omnipotenz der ECS.

Cormac und Pelter tragen ihren Kampf mit militärisch professionell bzw. mit Guerilla-Methoden und viel Getöse und Hi-Tech-Waffen aller Art aus. Nebenbei muss der ECS-Agent seine Ermittlungen in Sachen Drache fortführen, dessen weitreichende Winkelzüge bald alle Beteiligten zu spüren bekommen.

Singularität und ordentlich Action

Was für Charles Stross das Eschaton und für Vernor Vinge die ";Mächte";, das ist für Neal Asher die Earth Central Security: Allwissend, allmächtig und allgegenwärtig. Die Menschen seiner fügen sich entweder gern dem wohlmeinenden KI-Boss oder werden ausgeschaltet, mindestens jedoch kaltgestellt.

Der gedankliche Dreh, den Asher in seinem ersten Ian Cormac-Roman vollzieht, spielt mit dem Allmachts-Postulat der seit einigen Jahren aktuellen Singularitäts-Diskussion: Was passiert mit Menschen, die zu lange komplett von Künstlicher Intelligenz abhängig waren? Einfache Antwort: Sie verlieren ihren Bezug zur Menschheit, zu menschlichen Verhaltensweisen, und ihre Fähigkeit zu empathischer Teilnahme.

Um das Problem für Superagent Cormac zu verschärfen, muss er ausgerechnet bei diesem gefährlichen und kniffligen Auftrag seine Standleitung mit ECS kappen und die Ermittlungen wie Altvater Sherlock Holmes auf althergebrachte Weise lösen, mit Köpfchen und nicht mit Kilobytes. Sein Gegenspieler Pelter hingegen rüstet sich mit Intelligenz- und Körperverstärkern auf, während er immer fanatischer sein Ziel verfolgt, Cormac zu killen. So wie letzterer durch Technik-Reduktion ironischerweise immer humaner wird, ist der Terrorist am Ende ein durch Brainbooster entmenschlichtes Wrack.

Neben diesem Konflikt gibt es reichlich Killer- und Kampfandroiden sowie physisch aufgerüstete Soldaten und Söldner, die mit zahlreichen gut choreografierten Kampf- und Actionszenen das Buch zu einem spannenden Pageturner machen. Neal Ashers Prosa ist muskulös, kompakt und ohne überflüssige Beschreibungen. Seine Beschreibungen sind klar und deutlich, die Bilder seiner Welten und stehen klar vor dem inneren Auge des Lesers.

";Der Drache von Samarkand"; hält sich nicht mit langen Charakterisierungen auf, Cormac und Co reüssieren mit ihren Taten, nicht mit ihren Gedanken und schon gar nicht mit ihrer Vergangenheit. Das macht den Text flüssig und dynamisch, eine Stärke Ashers, die besonders am Anfang und Ende des Buches deutlich wird. Hier verflechtet er mehrere Handlungsstränge und springt mühelos zwischen ihnen hin und her, ohne dass der Leser den Faden zu verlieren droht. Im mittleren Teil lässt diese Dynamik nach, denn er verfolgt nur einen Strang. Nicht ganz gelungen sind auch die Nebendarsteller, sie wirken zum Großteil gegeneinander austauschbar.

Dennoch: ";Der Drache von Samarkand"; ist ein ausgesprochen spannendes und actionreiches Debüt von einem Autor, der in angelsächsischen Ländern mittlerweile zu den etablierten Nachwuchsautoren gehört.

Der Drache von Samarkand

Neal Asher, Bastei-Lübbe

Der Drache von Samarkand

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