Meer der Angst

  • Bastei-Lübbe
  • Erschienen: Januar 1979
  • 0
Meer der Angst
Meer der Angst
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Michael Drewniok
70°1001

Phantastik-Couch Rezension vonAug 2006

Kleines Schiff im Bann der Tangteufel

Die ";Gafelborg";, ein kleiner, schon alter schwedischer Dampfer, der Fracht und einige nicht allzu verwöhnte Passagiere von Johannisburg in Südafrika nach Rio de Janeiro in Südamerika befördern soll, gerät in einen heftigen Sturm. Schwer beschädigt und an Zahl stark dezimiert gerät das halb wracke Gefährt in einen verlassenen, unheimlichen Winkel des Atlantiks, dessen Oberfläche hier von gigantischen Tangwäldern bedeckt ist, in denen es umgeht: Riesenkraken, Monsterkrabben und andere unerfreuliche Seeungetüme gehen den entnervten Überlebenden an den Kragen.

Aber es gibt auch Menschen in dieser seltsamen Welt. Seit Jahrhunderten geraten Schiffe in den Tang. Ihre Besatzungen mussten sich an die exotischen Verhältnisse anpassen. Sie haben überlebt, sind aber zum Teil auf einen urzeitlich anmutenden Stand herabgesunken. Die Insassen eines Sklavenschiffs haben auf einer kleinen Insel ein Schreckensregiment errichtet. Immer wieder überfallen sie ihre Nachbarn, wenn ihnen die Frauen ausgehen. Die Bewohner der zweiten Kolonie sind europäischer oder nordamerikanischer Herkunft. Sie haben sich ein gewisses zivilisatorisches Niveau erhalten können und empfangen die Leute von der ";Gafelborg"; freundlich.

Das Leben im Tang ist rau, gefährlich und kurz. Die Gefangenen der See sollten unter solchen Bedingungen zusammenhalten. Dem ist keineswegs so; Eifersucht wird zur Ursache für heftige Streitigkeiten auf der ";Gafelborg”. Dies führt zum Verrat und schlägt eine Bresche in die Verteidigung, worauf die Wilden und die Monster nur gewartet haben …

Gestrandet auf einem weißen, wässrigen Fleck der Weltkarte

1938 ließ sich der Vielschreiber Dennis Wheatley diese hübsche Schauermär einfallen, die ";lost race";-Abteilung der Unterhaltungsliteratur gehört: Menschen der Gegenwart finden einen bisher ";weißen Flecken"; auf der Landkarte, d. h. einen unentdeckten Ort, an dem die Zeit scheinbar stehen geblieben ist. Stets gibt es gemeingefährliches Getier – gern Dinosaurier -, das hungrig im Gebüsch lauert. Unentbehrlich ist darüber hinaus ein Stamm wild gewordener oder gebliebener Vorzeitmenschen, die einer versunkenen mystischen Kultur (Altägypten, Atlantis, Rom etc.) entstammen und von einem kriegerischen Monarchen im Verbund mit blutrünstigen Hohepriestern streng aber ungerecht regiert werden. Immer gibt es da auch eine wunderschöne Frau, die sich in einen der Neuankömmling verliebt und helfend einspringt, wenn es für die Versprengten eng wird, weil sie gegen ein obskures ";Gesetz"; verstoßen oder den Goldschatz des Stammesgottes geplündert haben.

Wheatley hält sich an die Vorgaben und spinnt daraus ein richtig wüstes Garn voller phantastischer Abenteuer vor unheimlicher Kulisse. Es wird gemetzelt und gemordet, dass es eine Freude ist bzw. dem Leser das Alter dieser politisch absolut unkorrekten Story deutlich vor Augen geführt wird. Der Verfasser ist aus Gründen, die weiter unten näher ausgeführt werden, kein ";guter"; Schriftsteller, aber seinen Job als Geschichtenerzähler beherrscht er eindeutig. Nie steht die Handlung still, ständig gibt es – meist böse – Überraschungen. Skurrile Einfälle sorgen für Abwechslung; im Gedächtnis bleibt das Bild der über den Tangwäldern auf Stelzen und durch Gasballons erleichtert angreifenden ";Wilden";. Da nimmt man es dem Verfasser nicht übel, dass er manchmal gar zu offensichtlich Seiten schindet, d. h. Episoden einflicht, die mit der eigentlichen Handlung nicht zu tun haben.

";Meer der Angst"; profitiert von den Jahren, die seit der Erstveröffentlichung vergangen sind. Schon 1938 muss diese Geschichte antiquiert gewirkt haben, was ihr heute eindeutig gut zu Gesicht steht. Die Jahre relativieren zudem einige zeitgenössische Rassismen und Chauvinismen, die uns heute abstoßen bzw. lächerlich vorkommen.

Vor allem verschwimmt die Tatsache, dass sich Wheatley tüchtig von einem ungleich talentierteren und ideenreicheren Schriftstellerkollegen ";inspirieren"; ließ: William Hope Hodgson (1877-1918) gilt als Meister der Seespukgeschichte. Sein 1907 entstandener Kurzroman ";The Boats of the Glen Carrig"; (dt. ";Die Boote der ‚Glen Carrig’";, in: W. H. Hodgson, ";Stimme in der Nacht”) gibt die monströse Szenerie eines von Ungeheuern bewohnten Tangdschungels, in dem Schiffbrüchige auf eine Menschenkolonie treffen, eindeutig vor. Darüber hinaus orientiert sich Wheatley an großen Vorbildern wie Henry Rider Haggard (1856-1925), Arthur Conan Doyle (1859-1930) oder Abraham Merrit (1884-1943), die das ";lost race";-Genre mit klassischen Werken bereicherten. Wheatley pickt sich heraus, was ihm gefällt, vergröbert und dramatisiert es, wobei die Teile kein wirklich stimmiges Ganzes ergeben.

Liebe, Schuld & Eifersucht – die wahren Ungeheuer

Die ";Gafelborg"; ist ein Schiff der Verdammten. Ob Passagier oder Besatzungsmitglied, sie alle haben gute Gründe, sich über die Vergangenheit auszuschweigen. Gesellschaftliche Schande, Erpressung, Mord – die Kette ihrer Verfehlungen schmiedet die kleine Gruppe auf Gedeih und Verderb aneinander. Hitzige Liebe und Eifersüchteleien – vom Verfasser schmierenkomödienhaft übertrieben und bei der Lektüre am besten zu überspringen – heizen die Stimmung weiter auf. Die Gefahr eint die Gruppe nicht. Dass der fatale Überraschungsangriff der ";Wilden"; aus dem Tang so erfolgreich ist, liegt vor allem daran, dass man sich an Bord der ";Gafelborg"; heftig in den Haaren liegt, während der Feind sich nicht anschleicht, sondern offen angreift.

Ausgesprochen friedlich geht es dagegen auf der Insel der Tangmenschen zu. Hier reichert Wheatley seine Story um eine für seine Zeit vermutlich gewagte Fassette an: Für die Inseljugend besteht Heiratspflicht, aber bevor Männlein & Weiblein den Bund fürs Leben schließen, wird ihnen ausdrücklich eine großzügig bemessene Frist zugestanden, in denen sie ihren natürlichen Trieben ordentlich (bzw. liederlich) frönen sollen …

Die Figurenzeichnung beschränkt sich ansonsten auf dicke, andeutungsvolle Pinselstriche. Klischees sollen Charakterisierungen ergänzen: der blonde, bärenstarke Finne, der mutige Franzose mit Schnurrbart und galanten Manieren, die schöne Frau mit Vergangenheit, der feurige Mann aus Venezuela … Niemand wirkt wirklich sympathisch in dieser Schar, kein Leser trauert um die Pechvögel, denen von Tentakeln, Krebsscheren oder Speeren der Garaus gemacht wird.

Nostalgie mit Spannung, Rassismus gibt's gratis

Deutlich und unangenehm fallen dem heutigen Leser die unverhohlen rassistischen Charakterisierungen des Verfassers auf. Streng wird differenziert zwischen kühnen, unerschrockenen Angelsachsen, denen in der gesellschaftlichen Hierarchie die Bürger anderer europäischer Staaten folgen. Schon tiefer angesetzt werden die heißblütigen, unkontrollierten Südländer und Südamerikaner. Ganz unten vegetieren natürlich ";Neger";, ";Mischlinge"; und andere dunkelhäutige Gesellen, entweder kindlich fröhliche Naturkinder, die der Führung ihrer weißen Herren bedürfen, oder verschlagene, feige, geile Primitivlinge, die wahlweise streng kontrolliert oder gezüchtigt werden müssen; die ganz üblen Wilden von der Satansinsel werden gleich scharenweise abgeknallt.

Ist Dennis Wheatley ein Rassist? Nicht mehr und nicht weniger als viel zu viele seiner imperialistisch erzogenen und überzeugten Zeitgenossen, die von der Vorherrschaft der weißen Rasse ehrlich überzeugt waren. Sie wussten es nicht besser, und der Kampf der Betroffenen um Gleichberechtigung hatte nicht noch eingesetzt. Belegt ist allerdings Wheatleys Bewunderung für den Faschismus, für Hitler und andere Nazi-Größen, deren ";Kampf"; gegen ";niedere Rassen"; lange auch in England durchaus positiv bewertet wurde.

Meer der Angst

Dennis Wheatley, Bastei-Lübbe

Meer der Angst

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