The Deep - Spuk auf der Titanic

  • Festa
  • Erschienen: April 2024
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The Deep - Spuk auf der Titanic
The Deep - Spuk auf der Titanic
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Michael Drewniok
50°1001

Phantastik-Couch Rezension vonApr 2024

Zwei Schiffe - ein Grauen - keine Spannung

Vor vier Jahren freute sich Annie Hebbley auf ein neues Leben jenseits des öden Daseins in ihrem irischen Heimatdorf. Sie heuerte an Bord eines nagelneuen, gewaltigen, luxuriösen Passagierdampfers namens „Titanic“ an, um dort die anspruchsvollen Insassen der First-Class-Kabinen zu betreuen. Im April 1912 begann die Jungfernfahrt der „Titanic“, und Annie verlebte aufregende Tage, zumal sie sich in einen schmucken, leider verheirateten Jungmann namens Mark Fletcher verliebte. Die Reise ging in die Geschichtsbücher ein, denn am 15. April rammte die „Titanic“ auf dem Weg nach New York City einen Eisberg, sank binnen weniger Stunden und riss 1500 Menschen in den Tod. Auch Fletcher starb offenbar, während Annie knapp überlebte.

Schwer traumatisiert und mit Gedächtnislücken verbringt sie die nächsten vier Jahre in einer Nervenheilanstalt. 1916 wird sie als ‚geheilt‘ entlassen: Großbritannien kämpft im Ersten Weltkrieg. Hinter den Frontlinien entstehen Lazarette, die sich der Opfer annehmen. Krankenschwestern sind für die Drecksarbeit unentbehrlich, und Annie meldet sich. Da sie „Seebeine“ besitzt, wird sie an Bord des Lazarettschiffes „Britannic“ versetzt.

Die „Britannic“ ist ein Schwesternschiff der „Titanic“, was in Annie verschüttete Erinnerungen freilegt: Vor vier Jahren wurde sie auf hoher See nicht nur von Amors Pfeil getroffen, sondern auch übernatürlich heimgesucht. Dieses Grauen hat den Untergang offenbar ‚überlebt‘. Ebenfalls taucht unter den verwundeten Soldaten ein vom Wiedersehen mit Annie gar nicht erfreuter Mark auf. Während die „Britannic“ sich in kriegsgefährliche Gewässer wagt, beginnt sich (nicht nur für Annie) die Tragödie von 1912 zu wiederholen ...

Idealer Hotspot für Schrecken

Tatsächlich waren es sogar drei Schiffe, die parallel entstanden: Die „Titanic“ wurde im April 1912 von der „White Star Line“ in Dienst gestellt. Erst Ende Dezember 1915 folgte die eigentlich längst hochseetaugliche „Britannic“; nach der Tragödie hatte man sie sicherheitstechnisch überarbeitet und aufgerüstet. Die „Olympic“ befuhr schon Mitte Juni 1911 den Atlantik. Obwohl ähnlich gewaltig und prächtig, stand sie im Schatten ihrer unglücklichen Schwestern; völlig zufriedenstellend versah sie ihren Dienst, wurde im März 1935 außer Dienst gestellt und nüchtern verschrottet.

Der Mensch liebt die unterhaltsame Tragik. Die Geschichte der „Titanic“ ist längst historisches Allgemeingut. Wohl jeder Erdling weiß um das Ende dieses Schiffes, das nicht nur viele Männer, Frauen und Kinder, sondern auch den Glauben an die Allmacht der modernen Technik mit auf den Grund des Ozeans nahm. Die Katastrophe ist gut dokumentiert und bis heute präsent. Sie wurde und wird in Wort und Bild (sowie als PC-Game) aufgegriffen, dabei jedoch weniger dargestellt als instrumentalisiert.

Alma Katsu folgt dieser Fährte und meint eine Möglichkeit zu finden, der Tragödie eine weitere Facette zu bescheren. Es ist natürlich ein bemerkenswerter Zufall, dass mit der „Britannic“ nur vier Jahre nach der „Titanic“ ein quasi baugleicher Zwilling versank. Um dieses Unglück entstand kein Mythos, denn es starben ‚nur‘ wenige Menschen, und es tobte ein Weltkrieg, der dafür sorgte, dass die strikt nach reich und arm differenzierte Vergangenheit in Vergessenheit geraten war. Die „Britannic“ wurde nie als Luxus-Liner genutzt, sondern zu einem schwimmenden Lazarett umgebaut und in der Ägäis eingesetzt. Dort lief sie am 21. November 1916 auf eine deutsche Seemine und sank in weniger als einer Stunde.

Das Grauen liebt die Katastrophe

Die „Titanic“ wurde auch ohne Spuk buchstäblich legendär. An Bord waren Menschen, die exemplarisch eine Gesellschaft repräsentierten, die schon zwei Jahre später ihr Ende fand. Zahllose Geschichten von Heldentum und Aufopferung sorgten und sorgen für ein Weiterleben des Mythos’. Da liegt es nahe, der realen Tragödie zusätzliche Dramatik zu verleihen: Man gebe „Titanic Fiction Books“ ein, und jede Internet-Suchmaschine sorgt für eine Flut einschlägiger Werke (wobei untergangsgewürztes Liebesschmalz eine besonders geräumige Nische verstopft).

Allerdings gibt es ein Problem: Das „Titanic“-Desaster ist geklärt; es war in jedem Detail menschenverursacht und realschrecklich. Deshalb wirkt eine jenseitige Heimsuchung eher lächerlich. Auch Katsu gelingt es nicht wirklich, dem Spuk einen Daseinssinn zu entlocken. Dass er Annie Hebbley auf die „Britannic“ folgt, fordert des Lesers Akzeptanzbereitschaft zusätzlich heraus, und die Auflösung des Geisterrätsels wird an recht dünnen Haaren herbeigezogen. Annie Hebbley wird von Katsu als ebenso verfolgte wie „starke“ Frau dargestellt. Faktisch lässt ihr kapitellang ausgewalztes, mit Hinweisen auf eine geheimnisvolle Vorgeschichte gespicktes Seelenleben/-leiden recht kalt. Annie ist keine interessante Figur, so sehr (oder gerade weil) sich die Autorin für sie ins Zeug legt (und sie möglicherweise nach dem Vorbild der in einer ‚Gastrolle‘ auftretenden Violet Jessop gestaltet, die 1912 als Stewardess mit der „Titanic“ und 1916 als Krankenschwester mit der „Britannic“ sank und überlebte).

Dies gilt auch und sogar erst recht für die übrigen Personen dieses Dramas. Nachdem sich die „starke Frau“ in der gegenwärtigen (Trivial-) Kultur in eine oft unfreiwillig komische Gestalt verwandelt hat, schwelgt auch Katsu in einschlägigen/eingängigen Stereotypen, die für eine ‚gerechte‘ Empörung sorgen sollen, die der Realität des Jahres 1912 bzw. 1916 einfach nicht angemessen ist, sondern eine ‚Bereicherung‘ des 21. Jahrhunderts darstellt. Zudem sind Figuren wie Lady Caroline Duff-Gordon, die schwulen Boxer David Bowen und Leslie Williams oder der Journalist und Hobby-Spiritist W. T. Stead für das eigentliche Geschehen absolut unwichtig. Dennoch füllt Katsu viele Seiten mit ihren Gedanken und Handlungen und erstickt den Plot darunter.

Hallo! - Buh! - Ich bin auch noch da!

Über weite Strecken verliert Katsu den angeblichen Spuk auf der „Titanic“ völlig aus den Augen und verliert sich in den persönlichen Dramen ihrer Figuren. Oben die Reichen, unten die Armen, aber beide eint das Unglück: Auf diesen schmalen Nenner lässt sich dieses Garn im viel zu ausladenden Mittelteil bringen. Wen wundert’s, dass alle so intensiv miteinander beschäftigt sind, dass die „Titanic“ völlig unbemerkt den Eisberg trifft, beinahe nebenbei sinkt und die Hauptpersonen mehrheitlich (bzw. endlich) mitnimmt: Emotionales Tohuwabohu ist kein Ersatz für angekündigten Spuk. Hätte Katsu auf ihren Geist verzichtet, wäre ein plausiblere (aber nicht bessere/unterhaltsamere) Erzählung entstanden.

Die ‚Fortsetzung‘ unseres Dramas vier Jahre später an Bord der „Britannic“ muss auf den preziösen „Titanic“-Hintergrund verzichten. Allerdings ist die inhaltliche Dürftigkeit dieser Kapitel nicht allein darauf zurückzuführen. Katsu muss endlich Farbe bekennen und den Spuk enthüllen = begründen. Das führt wie schon angekündigt zu einer (freilich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr unerwarteten) Enttäuschung, wertet die „Britannic“ zum Sekundärschauplatz einer ‚unheimlichen‘ Tragödie ab, die an Bord der „Titanic“ wesentlich einleuchtender ihren Höhepunkt und Abschluss gefunden hätte, und vollendet einen Roman, der weder Fisch noch Fleisch ist, als Drama langweilt und als Geistergeschichte kaum von Bedeutung ist.

Fazit:

Träge seinem (leider nicht eindrucksvollen) Höhepunkt entgegenmäandrierende Mischung aus Drama und Geistergeschichte, wobei nicht einmal die legendäre Kulisse die Handlung in Schwung bringen kann, die sich in end- und nicht nur deshalb geistlosen Schilderungen von Einzelschicksalen verliert und die Auflösung in den Atlantiksand setzt.

The Deep - Spuk auf der Titanic

Alma Katsu, Festa

The Deep - Spuk auf der Titanic

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