Smith und die Pharaonen

  • Edition Dornbrunnen
  • Erschienen: September 2017
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Michael Drewniok
80°1001

Phantastik-Couch Rezension vonSep 2024

Die Liebe rührt selbst wütende Geister

Eine Novelle und eine Erzählung von Henry Rider Haggard, den britischen Meister des klassischen Abenteuerromans:

- Smith und die Pharaonen (Smith and the Pharaohs; 1912/13): Mr. James E. Smith, ein kleiner Bankangestellter, hat sich zu Einfluss und Reichtum emporgearbeitet und kann deshalb seinem Bedürfnis nachgeben, sich in Ägypten niederzulassen, um dort als Amateur-Archäologe antike Gräber auszuheben.

Es ist weniger der Forscherdrang als ein tief in seiner Seele wurzelnder Zwang, der ihn antreibt. Als er das Grabmal einer bisher unbekannten Königin namens Ma-Mee entdeckt, spürt er eine seltsame Verbundenheit zu dieser seit Jahrtausenden toten Frau. Dahinter steckt eine Geschichte, die auch Smith beinhaltet. Dass er schon einmal gelebt hat, wird ihm in einer Nacht bewusst, als er im Museum in Kairo einnickt und versehentlich eingeschlossen wird. Die Nacht muss Smith zwischen Mumien und Artefakten verbringen.

Plötzlich tauchen die Geister sämtlicher Pharaonen und Königinnen auf, die einst das alte Ägypten regierten. Einmal jährlich kehren sie auf die Erde zurück und tauschen sich aus. Das aktuelle Thema ist wieder einmal die Dreistigkeit jener Archäologen, die ihre Mumien und Gebeine ausgraben und in Museen ausstellen. Pech für Smith, dass die Geister ihn entdecken und die Gelegenheit nutzen, einen dieser Frechlinge zur Rechenschaft zu ziehen ...

- Das Hochzeitsgeschenk (The Wedding Gift; 1905/Only a Dream ...; 1920): In der Nacht vor seiner zweiten Hochzeit erscheint dem Witwer das Gespenst seiner tragisch verstorbenen Gattin, um ihm ein ‚Geschenk‘ zu überreichen, das ihn an sie und die Umstände ihres Todes erinnern soll.

Auch Altmeister sind für Überraschungen gut

Henry Rider Haggard (1856-1925) gehört zu den Klassikern des trivialen Abenteuerromans. Der Durchbruch als Schriftsteller gelang ihm 1885 mit dem in einem mystisch aufgeladenen Afrika spielenden „Lost-Race“-Garn „King Solomon’s Mines“ (dt. „König Salomons Schatzkammern“). Mit „She - A History of Adventure“ (1886, dt. „Sie“) und „Allan Quatermain“ (1887), in dem er den Helden aus „King Solomon’s Mines“ zurückkehren ließ, konnte er seinen Triumph nicht nur wiederholen, sondern sogar übertreffen.

Bis zu seinem Tod veröffentlichte Haggard mindestens einen (meist ungemein seitenstarken) Roman jährlich. Schon früh wurden seine Werke auch in Deutschland übersetzt. Während die Romane mehrfach aufgelegt wurden, gerieten Haggards Kurzgeschichten hierzulande in Vergessenheit - ein blinder Fleck zu Ungunsten von Lesern, die zwar alte, aber gut erzählte Garne durchaus zu schätzen wissen.

Der Dornbrunnen-Verlag entreißt hier immerhin zwei der kürzeren Haggard-Werke diesem Schicksal. Beide erschienen 1920 zusammen mit vier anderen Storys (die man übrigens ebenfalls gern lesen würde) in der Sammlung „Smith and the Pharaohs and Other Tales“.

Der Tod, die Liebe & die Ewigkeit

Altägypten als Wiege einer Zivilisation, die in drei vorchristlichen Jahrtausenden politisch, aber vor allem religiös und kulturell Maßstäbe setzte, wurde im 19. Jahrhundert zum Faszinosum eines europäischen und (nord-) amerikanischen Publikums, das von den Zeugnissen dieser fernen, seltsamen, sowohl erschreckenden als auch auch wunderschönen Vergangenheit in den Bann gezogen wurde. Nicht nur grandiose Kunstwerke barg man aus dem ägyptischen Sand, sondern auch unzählige Mumien, die von einem detaillierten, bizarren und deshalb umso interessanteren Totenkult kündeten.

Dies rührte zusätzlich an Saiten, die der modernen Gesellschaft keineswegs fremd waren. Auch im 19. Jahrhundert blieb das Leben oft kurz, der Tod alltäglich und allgegenwärtig. Wie die alten Ägypter fragten sich die Bewohner eines nun industrialisierten und technisierten, aber in diesem Punkt weiterhin ratlosen Englands, ob und was nach dem Tod kommen mochte. Die Ewigkeit der Seele war ein zentrales Thema, und die Antworten der Kirche blieben vage.

So entwickelte sich der Spiritismus, eine krude Mischung aus esoterischem ‚Geheimwissen‘ und moderner Wissenschaft, der die Existenz eines Jenseits’ erklärte, mit dessen Bewohnern man sogar in Kontakt treten konnte. Nach dem Tod wechselte die „Seele“ demnach in eine übernatürliche Sphäre über, wo sie verharren oder in einen anderen Körper fahren sowie durch Raum und Zeit ‚wandern‘ konnte; eine Prämisse, die Haggard in „Smith und die Pharaonen“ aufgreift. Wie die unsterbliche Ayesha aus „She“, die seit Äonen wiedergeboren wird, ist auch Ma-Mee nie wirklich gestorben. Der der Totenkult der Altägypter erfüllt seinen Zweck, auch wenn diese derzeit ein wenig zwischen Hölle und Himmel hängen: „Smith und die Pharaonen“ ist auch Haggards Kommentar zu einer Archäologie, die ihr Maß verloren hat.

Böse Überraschung für erboste Vorfahren

Bis weit ins 20. Jahrhundert gab es nicht nur in Ägypten zwischen Archäologie und Grabraub kaum einen Unterschied: Was ‚Wissenschaftler‘, aber auch betuchte Amateure wie Smith aus dem Sand gruben, wurde großzügig in deren Heimatländer verschifft, um dort in Museen ausgestellt zu werden oder die Privathäuser der Ausgräber (und ihrer Mäzene) zu schmücken. So fand sich so mancher Pharao, der in dieser Erzählung seinem Unmut Luft macht, plötzlich in der Fremde und in einer Vitrine wieder, um von neugierigen Fremdlingen begafft zu werden: So stellte man sich das Leben nach dem Tod nicht vor!

Haggard übt Kritik an diesem zeitgenössischen Raubbau und dessen Auswüchsen, zu denen u. a. das ‚Auswickeln‘ von Mumien als unterhaltsamer Höhepunkt einer adelig/neureichen Zusammenkunft gehörte. In die Tiefe geht er nicht, sondern wechselt bald zu seinen eigentlichen Thema: die Wiedergeburt vor dem Hintergrund einer buchstäblich unsterblichen Liebe, denn nicht nur Ma-Mee, sondern auch (und ausgerechnet) der von Haggard sorgfältig als farbloser Zeitgenosse mit dem Allerweltsnamen Smith gezeichnete ‚Held‘ besitzt eine übernatürliche Vorgeschichte. Sie wird in dieser Erzählung enthüllt und rührt sogar die vertrockneten Herzen der Pharaonen-Geister an.

„Smith und die Pharaonen“ ist ein Produkt seiner Epoche; dies inhaltlich wie formal, denn die Liebe wird mit einer Inbrunst in Worte gefasst (oder gepresst), die heute eher peinlich wirkt. Außerdem kommt Haggard erst spät auf den Punkt und verliert sich erzählerisch in Seitenästen, die der zentralen Story nicht helfen. Nichtsdestotrotz gelingen ihm atmosphärisch-gruselige Stimmungsbilder. Für Fachleute zusätzlich von geschichtlichem Interesse sind jene Szenen, die im (heute noch existierenden) Museum in Kairo spielen.

Die Liebe und die nüchterne Realität

„Das Hochzeitsgeschenk“ ist eine für Haggard vergleichsweise kurze Horrorstory. Den Verfasser treibt offensichtlich ein Anliegen an, das über eine unheimliche Geschichte hinausgeht. Dem namenlosen Erzähler erscheint ein Gespenst, das sämtliche Vorgaben einer gruseligen Spukgestalt erfüllt. Doch der eigentliche Schrecken speist sich aus einer anderen Quelle.

Die erste Ehe des Erzählers kam aus Liebe zustande, was mit sicherlich einst schockierender Sachlichkeit als Fehler bezeichnet wird: Diese Frau stammte aus einer armen Familie ohne sozialen Status. Gattin Nr. 2 ist reich und angesehen, was ihrem Gatten jenen finanziellen und gesellschaftlichen Auftrieb geben wird, nach dem er sich sehnt.

Immerhin plagt ihn sein Gewissen. (Zudem deutet Haggard zumindest an, dass es beim Tod der ersten Gattin nicht ganz mit rechten Dingen zuging.) Die Vorbehalte des Bräutigams nehmen in dieser Nacht vor der neuen Hochzeit quasi Gestalt an, und diese ruft ihm in Erinnerung, was er lieber verdrängt hat - ein Horror, der ihn bis ins Mark trifft, und eine Story abschließt, die auch heute Schauder und Mitgefühl hervorruft.

Fazit:

Eine längere Erzählung und eine Story präsentieren einen H. Rider Haggard, der sich auch in seinen kürzeren Werken mit Themen - Unsterblichkeit, Wiedergeburt, ewige Liebe - beschäftigt, die er in seinen klassischen Abenteuerromanen aufgreift, aber auch deutlich unbehaglicher stimmende Töne beherrscht.

Smith und die Pharaonen

Henry Rider Haggard, Edition Dornbrunnen

Smith und die Pharaonen

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