Der strahlende Phönix
- Moewig
- Erschienen: August 1958
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Der Zukunftsmensch bleibt lernresistent
Vor 120 Jahren tobte ein dritter Weltkrieg. Da man ihn mit Atomwaffen ausfochte, wurde die Erde großflächig verwüstet. Die meisten Menschen sind umgekommen, aber inzwischen haben die Überlebenden wieder größere Gemeinschaften gegründet. Man lebt allerdings isoliert, denn das weltweite Kommunikationsnetz wurde vollständig vernichtet. Deshalb kann schon hinter dem Horizont unbekanntes Neuland liegen.
In Nordamerika hat sich der „Menschengeist“-Staat etabliert. Man wollte aus den Fehlern der Vergangenheit lernen und erklärte den Verzicht auf Gewalt zur Doktrin. Um jeden Preis soll der Frieden gewahrt bleiben. Um ihn zu schützen, greift der Staat zum Zwang. Wer sich nicht einordnen will oder kann, wird „rekonditioniert“: Was ihn oder sie aufbegehren und nach Freiheit im Denken und Handeln verlangen ließ, wird operativ aus dem Hirn entfernt. Übrig bleiben willenlose Menschenhülsen, die als Arbeitssklaven eingesetzt werden.
Wie jedes totalitäre Regime hat auch dieses ein Sendungsbewusstsein entwickelt. Der „Menschengeist“ soll über die Welt gebracht werden. Der Blick richtet sich jenseits des Atlantiks auf England. Dank einer wieder starken Technik ist die Insel erreichbar. Großbritannien gibt es nicht mehr, die Bürger haben auf der Basis von Jagd und Landwirtschaft stammesähnliche Verbände gegründet. Quasi im Zuge einer umgekehrten Kolonisation sollen sie nun ‚zivilisiert‘ werden.
John Waterville hat im Vorjahr eine Erkundungsexpedition auf die ferne Insel geführt. Nun wird eine kopfstarke Gruppe aus Kolonisten, Rekonditionierten und natürlich Moralpolizisten sich dort ansiedeln. Watervilles Erfahrungen sind wertvoll, weshalb das Regime darüber hinwegsieht, dass ihn Zweifel über den um sich selbst kreisenden „Menschengeist“ plagen. Dies steigert sich, als Waterville registriert, wie fern der heimatlichen Kontrolle die Pläne einer friedlichen Koexistenz mit den Einheimischen ignoriert werden, obwohl Waterville eindringlich warnt: Die Inselbevölkerung wird sich das nicht bieten lassen ...
Der endlose Kreis menschlichen Unverstandes
Schon der Titel ist bittere Ironie: Wenn sich der Mensch (bzw. „Menschengeist“) nur scheinbar strahlend aufschwingt, um Frieden und Aufschwung in eine zerstörte Welt zu bringen, bedeutet dies tatsächlich den Rückfall in genau jene Denk- und Handelsmuster, die einst zur Apokalypse geführt haben. Eine Diktatur des Friedens ist definitiv keine Lösung, zumal die Probleme, die sie lösen will, nur in der Fantasie der Eindringlinge aus den ehemaligen USA bestehen. Die Briten haben sich in ihrer Nische gut eingelebt. Zwar gibt es auch in ihrer Gesellschaft Zwist, doch generell kommt man zurecht.
Autor Harold Mead (1910-1997) zeichnet in seinem ersten (von überhaupt nur zwei) Romanen das Bild einer düsteren Zukunft, die aus der Vergangenheit rein gar nichts gelernt hat. „Der strahlende Phönix“, in England erstmals 1955 erschienen, entstand ein Jahrzehnt nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, der in den Kalten Krieg zwischen den Supermächten USA und Sowjetunion übergegangen war. Der von Mead postulierte Atomkrieg, der die Menschheit nachweislich in den Untergang führen würde, schien bevorzustehen. Gleich zweifach konnte der Verfasser an die historische bzw. zeitgenössische Realität anknüpfen.
Wie es dem Individuum in der Gewalt eines totalitären Regimes ergehen konnte, hatte Mead buchstäblich am eigenen Leib erfahren: Während des Krieges war er in japanische Gefangenschaft geraten. Erst nach vier harten Jahren kam er frei. Den „Menschengeist“-Staat gestaltete er nach sozialistischem Vorbild so, wie dieses System aus der Sicht seiner Gegner wirkte. Der Verlust der individuellen Freiheit und die Heuchelei eines Regimes, das seine womöglich guten Glaubens verankerten Prinzipien verraten hat und dessen Nutznießer wie Monarchen über ihre permanent kontrollierten Untertanen herrschen, ist für Mead eine Tragödie, die er im Rahmen einer atmosphärisch dunklen und an einschlägig dramatischen Episoden reichen Handlung entwickelt.
Steiniger Weg zur Erkenntnis
Durch die Handlung geleitet werden wir durch die Hauptfigur. Mead legt John Waterville klassisch als Gefolgsmann des Regimes an, der an die Verheißungen des „Menschengeistes“ geglaubt hat und glauben wollte. Doch während einer mehrmonatigen Erkundung der zukünftigen Kolonie war er dessen direkten Einfluss entzogen. Außerhalb des Trommelfeuers der „Menschengeist“-Propaganda und unbeobachtet durch die sonst allgegenwärtige „Moralpolizei“ konnte der aufkeimende Zweifel wachsen und gedeihen: Als Waterville ‚heimkehrt‘, fügt er sich nur widerwillig und aus Gewohnheit wieder in das System ein, bis er dessen Verlogenheiten nicht mehr ignorieren kann.
Mead inszeniert dies als persönliches Drama: Waterville findet die Frau, die er liebte, aber aufgrund seiner Arbeit für den Staat verlassen musste, rekonditioniert und deshalb faktisch hirntot vor, weil sie aus Sicht des Regimes gegen den „Menschengeist“ aufbegehrt hatte. Die Liebe ist für Waterville ohnehin kompliziert; im Laufe der Handlung wird er sich noch mehrfach ‚verlieben‘, was hier in Als-ob-Anführungsstriche gesetzt ist, weil er im Grunde gar nicht (mehr) weiß, was Liebe ist oder sein kann: Auch dieses Grundbedürfnis hat das Regime verboten und pervertiert.
Die Schwäche des „Menschengeistes“ liegt in einer Kurzsichtigkeit, die aus jahrzehntelanger, nie erschütterter Alleinherrschaft basiert. Hinzu kommt die Korruption der Machthaber, die Watervilles Warnungen vor der „Kolonisierung“ Englands, nicht verstehen können und wollen. Er kennt die Menschen der Insel und scheut nicht die Gefahr, die in einer Kontaktaufnahme liegt. Weil er bereit ist zu lernen und die Insulaner zu respektieren, überwinden diese ihre Feindseligkeit, ohne in ihrer Wachsamkeit nachzulassen - ein Blick für die Realität, die auch Waterville in ganzer Konsequenz nicht erfasst. Er ist ein Zweifelnder, Lernender, Irrender und alles andere als der klassische ‚Held‘.
Hochmut wird bestraft
Es kommt, wie es kommen muss: Grimmig und aus der Perspektive des nur scheinbar neutralen Beobachters schildert Mead jenen Untergang des „Menschengeist“-Staates, den die Nachfahren peinlich berührt aus ihrer Historie ausklammern werden; eine ironische Note, die Mead in einem Prolog anklingen lässt. Die vom Regime in seiner ideologischen Blindheit unterschätzten Insulaner leisten professionell Widerstand gegen jene, die Frieden predigen, aber mit sorgfältig gelagerten Waffen aus der Zeit vor der „Großen Katastrophe“ in ihr Land einfallen.
Sie müssen sich nicht zu sehr in die Schusslinie des Gegners begeben, da dort inzwischen ein Bürgerkrieg ausgebrochen ist. Kolonisten, Moralpolizisten und die in der Fremde plötzlich wieder zu Verstand kommenden Rekonditionierten kämpfen um die Herrschaft. Das Ende ist bitter, aber konsequent. Die wenigen Überlebenden haben begriffen, dass man die gescheiterten Gesellschaftsmodelle der Vergangenheit aufgeben muss. Nur wer neu beginnt, wird in der veränderten Welt überdauern. Ein Zuckerschlecken wird es trotzdem nicht werden, aber für die Freiheit muss und sollte man Opfer bringen.
Mead vermittelt seine Botschaft eindringlich, gerade weil er betont sachlich beschreibt, wie und warum sich der „Menschengeist“ auflöst. Im Rahmen der sonst meist auf konventionelle Weltraumabenteuer setzenden Reihe der „Terra-Sonderbände“ (und später „-Taschenbücher“) fällt „Der strahlende Phönix“ aus dem Rahmen. Dazu trägt die ungewöhnlich sorgfältige Übersetzung viel bei. Die Geschichte ist zudem zeitlos. Harold Mead hat das Thema Neubeginn im bzw. trotz Totalitarismus nicht losgelassen. Zwei Jahre später griff er es in „Marys Country“ (1957; dt. „Marys Land“) wieder auf.
Fazit:
Ernste und düstere Geschichte einer postapokalyptischen Menschheit, die an pervertierten Denkmustern festhält und auf diese Weise neues Unglück über einen ohnehin gebeutelten Planeten bringt: einerseits ein typischer Plot für die Entstehungszeit, wobei der Verfasser andererseits die Botschaft über das Abenteuer stellt. Das Ergebnis ist ein noch heute eindringliches Werk.

Harold Mead, Moewig
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