Zwölfmal schneller als das Licht

  • Bastei-Lübbe
  • Erschienen: Dezember 1987
  • 0
Wertung wird geladen
Michael Drewniok
80°1001

Phantastik-Couch Rezension vonApr 2025

Unmöglich? Wir werden sehen ...

14 Erzählungen und Essays beschäftigen sich mit der Lichtgeschwindigkeit und den Möglichkeiten, sie als Grenze womöglich zu überlisten:

- Jack Dann u. George Zebrowski: Einführung: Neue Träume (Dreaming Again: Introduction), S. 7-16

- Isaac Asimov: Die absolute Höchstgeschwindigkeit (The Ultimate Speed Limit; 1972), S. 17-26

- Arthur C. Clarke: Möglich - das ist alles (Possible, That's All; 1968), S. 27-34

- Keith Laumer: Die orthodoxe Geschwindigkeitsgrenze (The Limiting Velocity of Orthodoxy; 1970), S. 35-42

- Ben Bova: Ein letzter Versuch (But What If We Tried It?; 1976), S. 43/44

- A. A. Jackson IV. u. Howard Waldrop: Sternentod (Sun Up; 1976), S. 45-62: Die scheinbar rettungslos einer Sonnenexplosion ausgelieferte künstliche Intelligenz sucht und findet eine Möglichkeit zu ‚überleben‘.

- Poul Anderson: Dialog (Dialogue; 1976), S. 63-94: Eine unmögliche, weil durch elf unüberbrückbare Lichtjahre getrennte Liebe wird zum Anlass, bisher definierte Grenzen zu überschreiten, um das gesamte Universum bereisen zu können.

- Hal Clement: Longline (Longline; 1976), S. 95-136: Zufällig treffen Menschen auf intelligente Raumfahrer, die in einem Universum jenseits der Lichtgeschwindigkeit existieren. Die Fremdartigkeit sorgt auf beiden Seiten für Rätselraten, bis man einander erkennt.

- Ian Watson: Der Ereignishorizont (The Event Horizon; 1976), S. 137-170: Wie nimmt man Kontakt zu einem Wesen auf, das in einem Schwarzen Loch unter absolut fremden Bedingungen ‚lebt‘ bzw. gefangen ist?

- George R. R. Martin: Auch nicht des Sternenrings vielfarbenes Feuer (Nor the Many-Colored Fires of a Star Ring; 1976), S. 171-200: Ein raumfahrttaugliches „Wurmloch“ öffnet sich in einen völlig ‚leeren‘ Teil der Galaxis und womöglich in ein Paralleluniversum, was den menschlichen Geist vor eine neue Aufgabe stellt.

- Chelsea Quinn Yarbro: Geisterschiff (Dead in Irons; 1976), S. 201-232: Als ein Raumschiff aufgrund eines Defekts die Überlichtgeschwindigkeit nicht mehr drosseln kann, müssen sich Besatzung und Passagiere auf eine endlose Reise und den Tod vorbereiten.

- Gregory Benford: Seewelt (Seascape; 1976), S. 233-270: Aufgrund der überlichtschnellen Raumfahrt haben sich die Erde und ihre weit entfernten Kolonien so unterschiedlich entwickelt, dass man einander nicht mehr versteht.

- George R. R. Martion: Sphären-Tänzer (Fast-Friend; 1976), S. 271-300: Überlichtschnell kann der Mensch nur werden, wenn er mit bizarren Weltall-Bewohnern verschmilzt.

- Poul Anderson: Nachwort: Unsere vielen Wege zu den Sternen (Our Many Roads to the Stars; 1975), S. 301-322

- Die Autoren/Die Herausgeber, S. 323-328

- Quellen und Übersetzer, S. 329-331

Grenze oder Herausforderung

Nichts und niemand kann schneller sein als das Licht, also knapp 300000 Kilometer pro Sekunde. Schon um diese Geschwindigkeit überhaupt zu erreichen, würde man so viel Energie benötigen, wie das Universum insgesamt enthält. Außerdem bliebe die Zeit stehen, sodass eine solche Reise nicht wirklich Sinn ergäbe: Ben Bova (1932-2020) benötigt kaum zwei Seiten, um unter Zusammenfassung der relevanten Gründe die überlichtschnelle Geschwindigkeit als Wunschtraum abzutun - eine in ihrer Deutlichkeit offenbar brutale Feststellung, die sogleich die Herausgeber auf den Plan ruft: Jack Dann (*1945) und George Zebrowski (1945-2024) gesellen sich zu denen, die in diesem Sammelband an Möglichkeiten denken, diese Grenze dennoch zu überwinden, indem man die Naturgesetze nicht aushebelt, sondern notfalls neu definiert sowie sich daran erinnert, dass neue Erkenntnisse auch neue (technische) Errungenschaften nach sich ziehen. Man solle sich nicht von aktuellen Realitäten einschränken lassen: „Mir scheint, der wichtigste wissenschaftliche Inhalt der modernen Science Fiction sind die Unmöglichkeiten.“, zitieren die Herausgeber James Blish (1921-1975), einen weiteren Bruder in diesem Geiste.

Damit gesellen sie sich zu denen, die in diesem Band mehrheitlich genau das tun und die Wissenschaft als bodenloses Füllhorn betrachten, in dem sich irgendwann jedes zunächst unmögliche Instrument finden lassen wird, um eine weitere Grenze zu Fall zu bringen. Als „Zwölfmal schneller als das Licht“ 1976 erstmals erschien, ging gerade wieder ein Ruck durch die Naturwissenschaften, der kaum zeitverzögert auch diejenigen SF-Autoren erfasste, die sich am Wissen ihrer Gegenwart orientierten. Zwar hatte man die Quantenphysik schon vor Jahrzehnten entwickelt, aber nunmehr wuchs eine Generation von Forschern heran, die mit ihrer Hilfe das Gerüst des Universums überprüften, wie vor allem Albert Einstein es beschrieben hatte. Wissenschaftler wie Richard Feynman (1918-1988) stellten fest, dass ihre Theorien - die eben auch die Überlichtgeschwindigkeit beinhalteten - faktisch nicht gegen die von Einstein & Co. fixierten Gleichungen verstießen, auf denen der Kosmos lange friedlich ruhte.

Während die von den Medien entsprechend vorgeglühte Öffentlichkeit schon an die nahe Warp-Geschwindigkeit glaubte, waren die Fachleute vorsichtiger. Sie wiesen auf die eigentliche Schwierigkeit hin, der im Bau von Maschinen und Geräten liegt, mit denen die Verwirklichung der Theorien möglich wäre. Daran hat sich (in dem halben Jahrhundert, das seither verstrichen ist) nichts geändert, was jedoch den wahren Zukunftsgeist nicht davon abschreckt zu träumen. Arthur C. Clarke (1917-2007) und Keith Laumer (1925-1993) hätten dieses Verb abgelehnt, während Isaac Asimov (1920-1992), der die Quanten-Wunderwelt lange skeptisch betrachtet hatte, erst halbwegs auf ihre Seite gebracht werden konnte. (Aus seiner Restskepsis macht er keinen Hehl.) Ein wenig aus der Affäre zieht sich Poul Anderson (1926-2001), der erst die physikalische Unmöglichkeit der Überlichtgeschwindigkeit erläutert, um anschließend über mögliche Aus- und Umwege zu sinnieren.

„Wahrscheinlich“ schlägt „real“

Wenn es um die Lichtgeschwindigkeit geht, schlägt sich die Science Fiction erwartungsgemäß besser dort, wo die „Science“ in die „Fiction“ übergeht. Der menschliche Geist unterliegt nicht der genannten Höchstgeschwindigkeit. Wir können mit unseren Gedanken die ‚Grenze‘ des Universums in nur einem Moment erreichen und sogar durchbrechen. Die von Dann & Zebrowski angesprochenen Autoren ließen und sollten sich keine Zügel anlegen. Deshalb dienen keineswegs nur die in der „harten“ SF sakrosankten Naturwissenschaften als Basis für diese Erzählungen.

Der Mensch als Wesen, dessen Denken und Handeln mit der Technik keineswegs deckungsgleich verlaufen muss, steht für Ian Watson (*1943) im Vordergrund. In unserer politisch korrekt gewordenen Gegenwart würde man ihn für seine Erzählung wahrscheinlich als Perversling verdammen: Die Lichtgeschwindigkeit bzw. hier der Ereignishorizont eines Schwarzen Lochs lässt sich nur im Geiste überwinden. Der muss über seine übliche Spannbreite hinausgepeitscht werden, was nur funktioniert, wenn der Körper des oder der Reisenden während des Trips Sex hat. Watson lässt dieses kuriose Konzept glaubwürdig wirken und erfüllt damit die Primärprämisse der Science Fiction: Sie soll nicht „die Zukunft“ beschreiben, sondern die Gegenwart ausloten, Denk- und Handlungsmodelle entwickeln, die einen Fortschritt kennzeichnen, wobei „Fortschritt“ eben nicht nur den Schritt zum Positiven definieren muss, wie es Gregory Benford (*1941) ausführt. Er beschreibt, wie die Maschen des Netzes, das unser Universum darstellt, dank der Überlichtgeschwindigkeit so weit werden, dass sich die Menschen aus den Augen verlieren und eigenständig entwickeln, wogegen eine auf ihre Autorität pochende Zentralmacht machtlos wäre.

George R. R. Martin (*1948), der heute vor allem als Schöpfer des Fantasy-Epos’ „Game of Thrones“ bekannt ist, war in seinen jüngeren Jahren ein thematisch vielseitiger und einfallsreicher SF-Autor. In diesem Sammelband ist er gleich zweifach vertreten, wobei er das Thema Lichtgeschwindigkeit abseits der Technik eher philosophisch interpretiert: Wie wird der Mensch sich an Herausforderungen und Möglichkeiten anpassen, die bisher in seinem Welt- und Lebensbild nicht existierten? Wunder bergen potenziellen Schrecken, und die Moral hängt dem Fortschritt hinterher.

„Real“ passt sich an

Ungeachtet völlig fremder Welten, die sich jenseits der Lichtgeschwindigkeit auftun mögen, blieben vor allem die schon vor der Quanten-Revolution geborenen SF-Autoren mit mindestens einem Fuß auf dem Boden. Dass scheinbarer Konservatismus den Lesergeist auf eine harte Probe stellen kann, beweist Hal Clement (d. i. Harry Clement Stubbs, 1922-2003). Er schreibt hart an den bekannten Naturwissenschaften und interpoliert diese möglichst lehrbuchgerecht. Nichtsdestotrotz muss der Verstand des nicht so solide in der Forschung verankerten Lesers kräftig mit den Flügeln schlagen, um den Anschluss an eine inhaltlich bekannte Story zu halten: Mensch trifft ET - dies jedoch dort, wo ein ‚Treffen‘ unmöglich ist.

A. A. Jackson IV. u. Howard Waldrop (1946-2024) spinnen ein SF-Garn, das nur locker mit dem Thema verknüpft ist. ‚Ihre‘ Überlichtgeschwindigkeit ist die Begleiterscheinung einer Sonnenexplosion. Kann man dem Untergang trotzdem entrinnen? Das Autorenduo entscheidet sich für eine (SF-) typische Lösung. Die Aktion gelingt, während Chelsea Quinn Yarbro (*1942) düster einen ‚Betriebsunfall‘ postuliert, der vor allem belegt, dass der Mensch vielleicht schneller als das Licht reisen kann, aber moralisch in der Steinzeit steckengeblieben ist; eine dystopische Sicht und typisch für die 1970er Jahre, in denen der Mensch als notorischer Umweltverschmutzer und -zerstörer entlarvt wurde und SF-Autoren daraus folgende, unerfreuliche Zukünfte destillierten.

Demgegenüber wird Poul Anderson im Rahmen eines Plots, der ansonsten an Benford erinnert, ein wenig gefühlsduselig: Die Überlichtgeschwindigkeit erweitert die Entfernung, die man zurücklegen kann, beträchtlich. Auf diese Weise können sich Menschen aus den Augen verlieren, weil sich Mutterplanet und Kolonie langsam entfremden. Anderson setzt anders als Benford auf die Technik als Lösung: Gerade weil man einander vermisst, sucht und findet man eine Möglichkeit, das Licht zu überholen, um den Kontakt wieder zu vertiefen.

Fazit:

Science-Fiction-Autoren widmen sich dem Thema in Erzählungen und Artikeln. Der Tenor ist überwiegend zuversichtlich, eine Überschreitung bzw. Überwindung dieser Grenze wird für möglich gehalten. Ein halbes Jahrhundert folgt der Aufbruchstimmung längst alltagsreale Ernüchterung, doch die Storys haben ihren Unterhaltungswert bewahrt: eine kuriose, aber interessante Lektüre.

Zwölfmal schneller als das Licht

Jack Dann, George Zebrowski, Bastei-Lübbe

Zwölfmal schneller als das Licht

Ähnliche Bücher:

Deine Meinung zu »Zwölfmal schneller als das Licht«

Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!

Letzte Kommentare:
Loading
Loading
Letzte Kommentare:
Loading
Loading

Sci-Fi & Mystery
(MUSIC.FOR.BOOKS)

Du hast das Buch. Wir haben den Soundtrack. Jetzt kannst Du beim Lesen noch mehr eintauchen in die Geschichte. Thematisch abgestimmte Kompositionen bieten Dir die passende Klangkulisse für noch mehr Atmosphäre auf jeder Seite.

Sci-Fi & Mystery