Himmelfahrt - Mission in den Tod

  • Ullstein
  • Erschienen: Oktober 2023
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Himmelfahrt - Mission in den Tod
Himmelfahrt - Mission in den Tod
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Michael Drewniok
60°1001

Phantastik-Couch Rezension vonOkt 2025

Zurück auf dem Berg des Wahnsinns

1991 kontaktiert eine geheimnisvolle und vor allem geheime Organisation den Physiker und Entdeckungsreisenden Harold Tunmore. Er schließt sich einem Team von Spezialisten an, die in den Pazifikraum reisen. Dort ist vor einige Monaten aus dem Nichts ein Berg aufgetaucht, der mit seinen zwölf Kilometern Höhe selbst den Mount Everest in den Schatten stellt.

Woher kommt der Berg, welche Rätsel birgt er? Tunmore und seine Gefährten erfahren erst vor Ort, dass sie vor allem deshalb zum Zuge kommen, weil eine erste Expedition beinahe vollständig ausgelöscht wurde: Auf den Hängen treiben sich seltsame Kreaturen herum, die das Camp der Menschen attackieren.

Hinzu kommen seltsame Veränderungen der Zeit, die sich am Berg ‚dehnt‘ oder ‚springt‘, sowie die Bedrohung durch einen fremden, feindseligen Verstand, der die Gehirne der Crewmitglieder infiltriert und Wutanfälle auslöst, die mehrfach in lebensgefährlichen Handgreiflichkeiten gipfeln. Wer immer dahintersteckt, fürchtet und hasst die Menschen, die sich mühsam den Berg emporarbeiten.

Nach und nach können die Forscher das Mysterium lüften. Der Erfolg fordert seinen Preis: Leichen pflastern den Weg zum Gipfel. Hinzu kommen zweistellige Minusgrade, eisglatte Pfade und der zunehmende Sauerstoffmangel. Je weiter die Expedition vordringt, desto erbitterter versuchen die Kreaturen sie vom Gipfel fernzuhalten. Hinzu kommt die Entdeckung, dass nicht alle Teilnehmer diejenigen sind, die zu sein sie vorgeben ...

Weil er da ist!

Je höher und steiler, desto besser: Berge ziehen einen bestimmten Menschenschlag magisch an. Objektiv betrachtet ist dies merkwürdig, denn man klettert mühsam und mit dem Tod im Nacken, bis der Höhepunkt erreicht ist: ein kahles Stück Felsen, von dem aus sich ein grandioser Rundblick bietet - hoffentlich, denn meist ziehen Nebel und Wolken auf, und dann bleibt auch diese Belohnung aus.

Doch der Weg ist das Ziel, und wer es wieder nach unten schafft, darf sich in die überschaubare Gruppe derjenigen einreihen, denen Ähnliches gelang. Wer ganz viel Glück hat, findet womöglich einen Gipfel, auf dem zuvor noch niemand stand. Dann ist der Triumph perfekt, denn diese Tatsache wird in den Geschichtsbüchern vermerkt. Kein Wunder also, dass jener kernige australische Kraxler, der unsere Gruppe auf den Gipfel hieven soll, nicht fragt, woher der Felsklotz kommt, den man besteigen will. Kein Berg ist höher auf dieser Erde, und er will der erste Mensch dort oben sein!

Damit steht er beispielhaft für die Mitglieder einer Expedition, die nicht wirklich bei der Sache - der Erforschung einer Anomalie - sind: Noch schwerer als ihre Rucksäcke drücken die Männer und Frauen mehrheitlich Erinnerungen an begangene Lebensfehler nieder. Vor allem Hauptfigur Harold Tunmore quält sich (und uns Leser) mit einschlägigen Rückblenden, die faktisch eine zwar traurige, aber unwichtige und klischeedurchsetzte Nebengeschichte erzählen. (Dass er auf dem Berg ausgerechnet seine verbitterte Ex-Frau wiedertrifft, sorgt für viele weitere Seiten, auf denen die Vergangenheit aufgearbeitet wird.)

Wieso kommt uns das so bekannt vor?

Offenbar versucht Autor Binge seinem Garn literarische Qualitäten aufzuprägen. Die Erlebnisse einer Expedition, die sich auf einen Phantomberg schleppt, stehen angeblich im Mittelpunkt. Pflichtschuldig sorgt der Verfasser für entsprechende Zwischenfälle - Felsstürze, Eislawinen, Stürme, Bergunfälle auf der einen und unerwartete, übernatürliche Phänomene auf der anderen Seite. Leider nimmt er sich selbst immer wieder den Wind aus den Segeln, wenn er zurückschaltet, um eine weitere Leidensgeschichte zu präsentieren oder quasi-religiöse Diskussionen vom Zaun zu brechen.

Währenddessen verdichtet sich für den kundigen Phantastik-Freund ein anfänglicher Verdacht: Was auf dem Berg geschieht, kommt uns deshalb recht vertraut vor, weil uns diese Geschichte in der Tat schon einmal (und sehr viel besser) erzählt wurde! Binge lässt sich ein wenig zu nachdrücklich von Howard Phillips Lovecraft (1890-1937) und dessen großartigen SF-Horror-Roman „At the Mountains of Madness“ (1936; dt. „Berge des Wahnsinns“) ‚inspirieren‘, der in den eisigen Bergen der Antarktis spielt. Dort entdeckt der Protagonist die Spuren einer Intelligenz, die vor dem Menschen die Erde besiedelt hat, und stellt fest, dass nicht alle Zeitzeugen ausgestorben sind.

Wer dieses Werk kennt, wartet förmlich darauf, dass die Tentakel schwingenden „Leviathane“ sich als „Shoggothen“ outen. Auch sonst lassen sich immer wieder ‚Ähnlichkeiten‘ entdecken. Wie Lovecraft löst Binge das Mysterium als Mischung aus Horror und Science Fiction auf. Allerdings vernachlässigt er diesen Aspekt, indem er die Handlung melodramatisch überfrachtet und erstickt. Anders dagegen Lovecraft: Er konzentrierte sich auf den Plot und bewies eindrucksvoll, wie man eine zeitlos spannende, fesselnde Geschichte erzählt.

Flach-Story mit sechs Dimensionen

Binge scheint beim Schreiben bereits an eine Streaming-Serie gedacht zu haben: Zwischen Szenen mit Spezialeffekten sorgt er ausgiebig für jene Lücken, in denen Darsteller kostendämpfend zusammensitzen und Geschichten von Leid und Seelenpein austauschen. Dazu passt der schon angesprochene Katalog existenzialistisch aufgebohrter Lebenskrisen, die ebenso wie der ‚entliehene‘ Berg kein erzählerisches Neuland bieten.

Eine aufwändige Rahmenhandlung, die im Jahre 2020 spielt, wertet das Geschehen nicht auf. Sie dient der Zündung einer weiteren Nebelkerze, denn womöglich ist die eigentliche Geschichte nur das Wahngespinst eines Mannes, dessen Verstand von Schuld und Selbstvorwürfen aus der Bahn geworfen wurde; eine These, die dem detailreichen Geschehen am Berg nachträglich seinen Sinn raubt, aber immerhin die zahlreichen Logikbrüche erklären könnte, die noch tiefer klaffen als die Gletscherspalten des Berges X. Will man dem Verfasser glauben, dass die Staaten dieser Welt unisono auf jegliche Untersuchung eines offensichtlich außerirdischen Phänomens und die Entsendung einer (US-) Flotte verzichten, um dies einem obskuren Konzern zu überlassen, der mittelalte Wissenschaftler schickt, die es im Eiltempo den genannten Berg hinauf schaffen?

Das ist fatal, zumal der abschließende Höhepunkt, der auch die Erklärung aller Rätsel beinhaltet, erschreckend schwach und generisch ausfällt. Wieder scheint Binge in erster Linie eine Pflicht zu erfüllen, um jene Banausen-Leser zufriedenzustellen, die nicht auf eine erschütternden Odyssee geplagter und geprüfter Menschen anspringen, sondern die Auflösung einer Geschichte verlangen, die der Autor selbst zuvor mit viel Hirnschmalz, Technobabbel und Liebe zum Detail untermauert hatte.

Fazit:

Gut geschrieben und von einer interessanten Prämisse ausgehend, schwankt die daraus hervorgehende Story zwischen Abenteuer und Allegorie, stockt immer wieder in Seelenk(r)ämpfen und bietet insgesamt nicht den von (angeblich) Stephen King auf dem Cover angekündigten „Fünf-Sterne-Horror“.

Himmelfahrt - Mission in den Tod

Nicholas Binge, Ullstein

Himmelfahrt - Mission in den Tod

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