Menschen und andere Ungeheuer

  • Heyne
  • Erschienen: Februar 1974
  • 0
Menschen und andere Ungeheuer
Menschen und andere Ungeheuer
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Michael Drewniok
75°1001

Phantastik-Couch Rezension vonOkt 2025

Sie sind seltsam, faszinierend - und anders

Sieben Mal begegnen Menschen Tieren aus anderen Welten, was nie ohne spektakuläre Folgen bleibt:

- Robert Silverberg: Einleitung (Introduction), S. 7/8

- Theodore Sturgeon: Hurkls sind fröhliche Geschöpfe (The Hurkle Is a Happy Beast; 1949), S. 9-19: Zufällig gerät ein Hurkl auf die Erde, wo es durch seinen Spieltrieb erst für Durcheinander sorgt und dann die Menschheit von ihrem Planeten vertreibt.

- L. Sprague de Camp: Die blaue Giraffe (The Blue Giraffe; 1939), S. 20-49: Irgendwo in Afrika sorgt freigesetzte Radioaktivität für einen bizarren Mutationsschub, der nicht nur Pflanzen und Tiere, sondern auch Menschen erfasst.

- Philip K. Dick: Die Partiturwesen (The Preserving Machine; 1953), S. 50-61: Wie sähe Musik aus, wenn es gelänge, ihr lebende Körper zu geben?

- Poul Anderson u. Gordon R. Dickson: Der Sheriff von Canyon Gulch (The Sheriff of Canyon Gulch; 1951), S. 62-87: Die teddybärähnlichen Hokas haben auf ihrem Planeten eine Zivilisation geformt, die (nicht ganz) kompromisslos den Vorbildern des irdischen Wilden Westens folgt.

- Clifford D. Simak: Die Mehrzweck-Tiere (Drop Dead; 1956), S. 88-123: Die Ökologie dieses Planeten hat eine Methode gefunden, sämtliche Feinde nicht zu eliminieren, sondern zu vereinnahmen.

- Reginald Bretnor: Die Geheimwaffe (The Gnurrs Come from the Voodvork Out; 1950), S. 124-140: Papa Schimmelhorn ist verrückt, aber auch ein Genie, das die Gnurrs „aus dem Holz locken“ und textilfressend gegen Landesfeinde schicken kann.

- Robert Silverberg: Der Zoo (Collecting Team; 1956), S. 141-157: Sie kamen auf den fremden Planeten, um von dort Tiere auf die Erde zu bringen, und finden sich selbst als Ausstellungsobjekte wieder.

Die Angst vor der Leere

Einst war unsere Erde nur übersichtlich bevölkert. Gewaltige Landstriche und ganze Ozeane harrten ihrer Entdeckung. Die junge Kartografie musste damit leben, dass höchstens die Küstenlinien ‚neuer‘ Länder und Kontinente bekannt waren. Wie es im Inneren aussah, war unbekannt; diese Flächen mussten auf den Karten weiß bleiben.

Was spielte sich hier ab? Die Fantasie sprang ein, wo die Wirklichkeit auf Entdecker warten musste. Der Vorteil war auf der Seite derer, die behaupteten, vor Ort gewesen zu sein und Unglaubliches entdeckt zu haben. Da man ihnen das Gegenteil nicht immer beweisen konnte, war es ihnen möglich, von himmelhohen Bergen, ungeheuren Schätzen und grotesken Kreaturen zu ‚berichten‘.

Auf alten Karten kann man diese sehen, wo sie Zeichner als Dekor, aber auch als Warnung dort eingezeichnet haben, wo man sich als Reisender zu Fuß oder zu Schiff vorsehen musste: Seeschlangen, Riesenkraken, inselgroße Wale, menschenfressende Bäume, Drachen, Einhörner ... Die Liste war lang, und viele dieser Wesen schafften es in die zeitgenössischen „Bestiarien“, in denen ‚Wissenschaftler‘ die (ihnen und überhaupt) nur vom Hörensagen bekannten Ungeheuer beschrieben und zumindest im Holzschnitt Gestalt verliehen.

Andere Welten, andere Bestien

Robert Silverberg, Herausgeber dieser Sammlung (und als Autor mit einer eigenen Geschichte vertreten), spinnt den Gedanken weiter und stellt ein Bestiarium zusammen, das obskure Kreaturen in den Weiten des Weltalls verortet. Meist werden sie dort von Raumfahrern entdeckt, die auf fremden Planeten landen, um sie auf Wissen (und Bodenschätze) zu untersuchen. Dass man dabei vor Überraschungen nicht sicher ist, belegt Clifford D. Simak (1904-1988). „Die Mehrzweck-Tiere“ sehen grotesk aus, wirken aber harmlos, was natürlich ein Trugschluss ist. Der Moment der Erkenntnis sorgt dank Simak für eine Überraschung, der ein zwiespältiges Finale folgt, das die Schrecken und Möglichkeiten einer außerordentlichen Verwandlung in einem einzigen Satz zusammenfasst.

Den fantastisch belebten Planeten als echte Falle intelligenter Außerirdischer (die nie selbst auftreten) konstruiert Herausgeber Silverberg in „Der Zoo“. In seiner Story steckt zudem eine Botschaft oder sogar Moral. Der Mensch und das ausgestellte Tier wechseln die Rollen, denn besagter Mensch ist offensichtlich nicht die Krone der Schöpfung; jedenfalls nicht im Universum. Nun müssen die zuvor so stolzen (und überheblichen) Tierfänger eben jenen Schock verwinden, den sie sonst den von ihnen eingefangenen Fremdwesen verschaffen.

Poul Anderson (1926-2001) und Gordon Rupert Dickson (1923-2001) setzen auf die humorvolle Seite der Zukunft. Science Fiction ist „Der Sheriff von Canyon Gulch“ insofern, dass dieses Garn auf einem ET-Planeten spielt. Ansonsten verzichtet das Autorenduo auf jeglichen Realitätsanspruch, indem sie uns ein intelligentes, aber verspieltes Volk vorstellen, das seine Existenz nach irdischen Vorbildern ausrichtet. Hier ist es der „Wilde Westen“, dem sich die Hokas - als lebende Teddybären ohnehin nicht (allzu) ernstzunehmend - mit Leib und Seele hingeben. Der (klamaukige) Spaß steigert sich, weil die Hokas den Westen nur aus Hollywood-Filmen ‚kennen‘ und außerdem darauf angewiesen sind, die lokalen Eigenheiten ihres Planeten - so haben Hoka-„Longhorns“ nur ein Horn, und das auf der Nase - irgendwie in diese Kulisse zu integrieren. Der Erfolg blieb nicht nur für die Hokas aus: Bis 1957 folgten zehn weitere Storys, in denen diese u. a. das römische Imperium, die Piraten der Karibik oder die Welt von Sherlock Holmes aufleben ließen. (1975 und 1983 folgten zwei späte Nachträge.)

Das Fremde auf dem eigenen Planeten

Man kann die Konstellation wie folgt umkehren: Fremde Wesen kommen auf die Erde - nicht als böswillige Invasoren, sondern unfreiwillig und reinen Herzens. Manchmal entwickeln sie sich auf der Erde selbst, wobei der erfindungsreiche, aber mögliche Konsequenzen verdrängende Mensch oft nicht unschuldig ist. Der Konflikt entzündet sich an der Tatsache, dass diese Kreaturen über Superkräfte verfügen, die sie ohne bösen Willen, aber wirkungsvoll einsetzen; eine Situation, die wie geschaffen für Komik ist, wie Lyon Sprague de Camp (1907-2000) beweist. „Die blaue Giraffe“ ist ein einfallsreiches, turbulentes Durcheinander, das an Hollywoods „screwball comedies“ der Jahre vor dem Zweiten Weltkrieg erinnert, in denen die Handlung dem Wahnwitz den Platz räumte.

Nicht unbedingt feinsinniger, aber elegant und unter Einsatz eines Vokabulars, das Substantive, Adjektive und Verben ‚unübersetzt‘ aus der außerirdischen Heimat übernimmt, schildert Theodore Sturgeon (1918-1985) in „Hurkls sind fröhliche Geschöpfe“ eine Episode, die auf ein witziges Missverständnis hinauszulaufen scheint, bis er im Finale dem Geschehen unvermittelt eine ironisch-ernste Wendung gibt.

Philip Kindred Dick (1928-1982) und Alfred Reginald Bretnor (1911-1992) präsentieren Fremdwesen, die der Mensch auf seinem Heimatplaneten erschafft. Erwartungsgemäß stellen sich Nebenwirkungen ein. Während Dick relativ dezent bleibt und eine krude Handlung betont ‚realistisch‘ angeht (um sie dann mysteriös ausklingen zu lassen), nimmt Bretnor keinerlei Rücksicht auf Sinn oder logische Abläufe. Er beginnt skurril und steigert sich zum Delirium - ein Konzept, das Bretnor bis 1987 in 19 weiteren Schimmelhorn-Erzählungen beibehielt. Man könnte ihn mit Lewis Carroll (Autor von „Alice im Wunderland“) vergleichen, dessen stilistische Raffinesse er allerdings weder anstrebte noch erreichte. Der gemeinsame Nenner ist das im Rahmen seines Irrsinns völlig plausible Geschehen, das bei Bretnor allerdings deutlich bodenständiger ist.

Anmerkung: Aufgrund der hierzulande zeittypischen Seitennormierung von Taschenbüchern entfielen gegenüber der Originalausgabe die Storys „Grandpa“ (von James A. Schmitz) und „A Martian Odyssey“ (von Stanley G. Weinbaum).

Fazit:

Sieben längere und kürzere Erzählungen kreisen um die Begegnung von Mensch und (außerirdischem/mutierten) Tier. Diese verläuft hier vorwiegend friedlich, aber nie ohne Zwischenfälle, die auf primär menschlichen Missverständnissen basieren: keine SF mit „literarischem“ Anspruch, sondern Unterhaltung, reich an unerwarteten Einfällen.

Menschen und andere Ungeheuer

Robert Silverberg, Heyne

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