Acht Stationen des Grauens

  • Moewig
  • Erschienen: November 1984
  • 0
Acht Stationen des Grauens
Acht Stationen des Grauens
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Michael Drewniok
85°1001

Phantastik-Couch Rezension vonNov 2025

Das Böse in seinen Inkarnationen

Acht Beispiele machen deutlich, dass sich das „klassische“ Grauen problemlos in der Gegenwart behaupten kann:

- Vorwort (Introduction), S. 5-10

- Isaac Bashevis Singer: Der Feind (Der Soyne/The Enemy; 1970), S. 11-21: Der Fremde quält und attackiert ihn, aber er findet nie heraus, was seinen Feind dazu trieb.

- Edward Bryant: Racheengel (Dark Angel; 1980), S. 23-43: Er will dreist eine durch Feigheit und Flucht geprägte ‚Liebe‘ aufleben lassen, doch sie ist nun eine mächtige Hexe.

- Theodore Sturgeon: Mein ist die Rache, sprach der Herr (Vengeance Is; 1980), S. 45-54: Nicht das Gesetz, sondern ein bizarrer Zufall straft das kriminelle Duo, das sich einen bösen Spaß aus dem Überfall auf ein harmloses Ehepaar gemacht hat.

- Ray Bradbury: Vergangene Zukunft (A Touch of Petulance; 1980), S. 55-67: Kann es funktionieren, wenn man seinem jüngeren Ich Lebensratschläge aus der eigenen Zukunft gibt?

- Richard Christian Matheson/Richard Matheson: Wo ein Wille ist ... (Where There’s a Will; 1980), S. 69-76: Er konnte sich aus seinem Sarg befreien, aber seit der Bestattung verging mehr Zeit als gedacht.

- Ramsey Campbell: Die Brut (The Brood; 1980), S. 77-92: Was geht Seltsames in dem verfallenden Haus vor sich? Der neugierige Nachbar schaut leider nach.

- Edward Gorey: Ein dummer Streich (The Stupid Joke; 1980), S. 94-107: Der kleine Fritz muss erleben, dass sein genialer Trick sich unheimlich selbstständig macht.

- Manly Wade Wellman: Das Feuerloch (Owls Hoot in the Daytime; 1980), S. 109-124: Der reisende Sänger besucht eine Höhle, die womöglich direkt mit der Hölle verbunden ist.

Das Ende ist meist fürchterlich

Das Grauen ist ein mehr oder weniger flüchtiges Phänomen. Natürlich kann es sehr körperlich über uns kommen, wobei in der Regel sein Anblick für ein Entsetzen sorgt, die durch sein Handeln bestätigt und gesteigert wird. Dieses Konzept mag simpel klingen, doch es erfüllt durchaus seinen Zweck, wenn es beispielsweise wie in dieser Sammlung vom Vater-Sohn-Gespann Richard Matheson (1926-2013)/Richard Christian Matheson (*1953) aufgegriffen wird. Zwar ist die Auflösung nicht wirklich originell, aber sie sorgt für Schauer, weil sich zuvor ein zwar ähnlich bekannter, dann aber eben nicht umgesetzter Plot abzuzeichnen schien.

Die andere Seite des Spektrums verkörpert Isaac Bashevis Singer (1902-1991), Nobelpreisträger für Literatur des Jahres 1978. Sein Werk speiste sich immer wieder aus seinem jüdischen Leben, wobei die Jahre des Nationalsozialismus’, der Holocaust und die Wurzellosigkeit zwar überlebender, sich aber stets im Exil wähnender Juden im Mittelpunkt standen. In „Der Feind“ nimmt diese Ablehnung buchstäblich Form an. Der letzte Satz fasst es zusammen: „‚Was er gegen mich hatte‘, sagte Chaikin schließlich, ‚werde ich nie erfahren.‘“ So erging es schrecklich vielen Juden, denn für den Hass und die Vernichtung gab es nie eine reale Grundlage.

Dies sind die Pole, zwischen denen sich unsere Autoren bewegen. Wiederum recht konkret und in den Details manchmal graphisch gehen Edward Bryant (1945-2017) und Theodore Sturgeon (1918-1985) zur Sache, wobei beide einen unterschiedlichen Ansatz wählen, um final zu einer ähnlich bösen Auflösung zu kommen: Bryant geht konkret von der Existenz des Übernatürlichen - hier in Gestalt einer aus gutem Grund rachsüchtigen Hexe der modernen Gegenwart - aus, während Sturgeon sein Grauen in der Naturwissenschaft verankert. Für die Opfer, die ihre Schicksale zweifelsohne verdienen, bleibt es im widerlich-Wesentlichen gleich.

Ray Bradbury (1920-2012) variiert einen Plot, der weniger Horror als Science Fiction ist. Das Paradox der Zeitreise, auf die Spitze getrieben in der Begegnung mit dem eigenen, jüngeren oder älteren Ich, hat unzählige Autoren fasziniert. Natürlich gäbe es die Chance, sich über seine Zukunft zu informieren, um Fehler zu vermeiden und (finanzielle) Vorteile aus vorab bekannten Entwicklungen zu schlagen. Doch würde solches Wissen tatsächlich einen Unterschied bewirken? Bradbury hat hier eine andere Meinung.

Sie wollen wissen - das haben sie davon!

Wieder einmal verquickt Ramsey Campbell (*1946) eine unheimliche Handlung mit jenem Unbehagen, das aus einem anonymen, stereotypen Leben in der Großstadt resultiert. In Campbells Städten fühlt sich niemand heimisch. Die Umgebung ist düster, die Atmosphäre trostlos und beklemmend, die Mitmenschen verhalten sich seltsam oder feindselig. Auch dieser Campbell-Protagonist ist so tief verloren in seinem leeren Dasein, dass er sich auf ein Rätsel einlässt, dessen Lösung ihn - so ist uns Lesern bald klar - selbst dieses klägliche bisschen Leben kosten wird.

Edward Gorey (1925-2000) legt keine gedruckte Story, sondern eine Bildergeschichte vor. Nicht nur der Inhalt, sondern auch sein ganz besonderer Zeichenstil schaffen auf wenigen Seiten eine eigene Welt mit Regeln, die der kleine Fritz, der eine verbotene Pforte aufgestoßen hat, zu seinem Unglück nicht kennt. Doch Unwissenheit schützt vor Strafe nicht: So lautet eine der zentralen Regeln im Horror-Genre!

Manly Wade Wellman (1903-1986) schrieb zwischen 1953 und 1986 einige Romane sowie viele Kurzgeschichten um „Silver John“. Er ist ein Wandermusiker, der eine Gitarre mit silbernen Saiten mit sich trägt, aber vor allem ist er ein Sucher, der seine US-Heimat dort bereist, wo die lokale Folklore für heimgesuchte Orte und mysteriöse Kreaturen sorgt. „Das Feuerloch“ sorgt für jene Seufzer, das der Horrorfreund aus Deutschland gut kennt: Diese Story um eine Begegnung mit einem Dämon ist so großartig, dass man gern mehr über Johns ewige Queste erfahren würde!

Die Zeit und das Grauen

In den späten 1970er Jahren kam in einem Gespräch zwischen dem Schriftsteller Kirby McCauley (1941-2014) und dem Verleger Anthony Cheetham der Gedanke auf, eine ganz besondere Sammlung von Horrorgeschichten zusammenzustellen. Anthologien waren und sind zahlreich, und viel zu oft dienen sie dem kostengünstigen Recycling zu oft gelesener Texte. Doch dieses Projekt zielte in eine andere Richtung: McCauley und Cheetham erinnerten sich an die Sammlung „Dangerous Visions“, in der Harlan Ellison 1967 ausdrücklich Science-Fiction-Storys präsentiert hatte, die dem Genre neue Impulse gaben.

McCauley machte sich an die Arbeit. Wie er sich in seinem Vorwort erinnert, kontaktierte er so viele talentierte und bekannte - die Reihenfolge war wichtig - Autorenkollegen wie möglich und bat um Unterstützung in Form gruseliger Manuskripte. Er bekam manchen Korb, aber insgesamt war er überaus erfolgreich; unter denen, die bisher unbekannte Erzählungen einreichten, waren große Namen wie Stephen King, Gene Wolfe oder Robert Bloch.

„Dark Forces“ erschien 1980 und entwickelte sich rasch zu einem modernen Klassiker der Horrorliteratur. (Zu denen, die sich ausdrücklich auf „Dark Forces“ beriefen, gehört Clive Barker, der davon inspiriert sechs „Bücher des Blutes“ verfasste.) Geschickt suchte und fand McCauley eine Brücke zwischen dem klassischen bzw. ‚typischen‘, oft von Stereotypen und Klischees gezeichneten Grusel, den das Genre quasi industriell produzierte. „Dark Forces“ sollte beweisen, dass die alten Schrecken keineswegs ausgedient hatten, sich aber neues Grauen an den modernen Menschen heranschlich.

Anmerkung: Die deutsche Übersetzung von „Dark Forces“ erschien in zwei Taschenbuch-Bänden. Sie beinhalten nur 13 der ursprünglich 23 (!) Novellen und Storys.

Fazit:

Erster Teilband einer genrewichtigen, hierzulande nur sträflich zerrupft erschienenen Sammlung moderner Horrorgeschichten, die klassische Formeln aufgreifen. Die Qualität ist überwiegend hoch, sodass auch die deutsche Übersetzung die Lektüre lohnt.

Acht Stationen des Grauens

Kirby McCauley, Moewig

Acht Stationen des Grauens

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