Hotel Transylvania

  • Festa
  • Erschienen: Januar 2002
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Hotel Transylvania
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Michael Drewniok
85°1001

Phantastik-Couch Rezension vonSep 2006

Vampir- und Teufelsspuk im vorrevolutionären Frankreich

Aus der französischen Provinz reist die junge Madelaine de Montalia ins Paris des Jahres 1743, wo sie unter der Obhut ihrer Tante in die adelige Gesellschaft eingeführt werden und wenn möglich einen standesgemäßen Ehegatten kennen lernen soll.

Doch ihr Vater, der Comte Robert de Montalia, hütet ein düsteres Geheimnis: Vor zwanzig Jahren war er Mitglied eines Zirkels hochadeliger Teufelsanbeter, die ihr Unwesen sogar am Hofe des Sonnenkönigs Louis XIV. trieb! Oberhaupt der Sekte ist der bösartige, gefährliche Clotaire de Saint Sebastian, der Montalia sogar zwang, ihm sein erstgeborenes Kind als Menschenopfer für Satan zu verschreiben. Später floh Montalia aus Paris, während Saint Sebastian in den Untergrund gehen musste, als der Zirkel aufflog. Nun ist seine Stunde der Rache gekommen! Viele Anhänger hat Saint Sebastian inzwischen wieder um sich geschart. Sie drängt es zu böser Macht. Die Opferung der schönen Madelaine wäre der ideale Neuanfang!

Doch in diesem Spiel gibt es einen unbekannten Faktor. Seit einiger Zeit sorgt ein mysteriöser Ausländer in der Pariser Aristokratenszene für Aufsehen. Der Comte de Saint-Germain ist reich, seine Manieren sind perfekt. Er eröffnet das schwelgerisch eingerichtete ";Hotel Transylvania”, das sofort zum Treffpunkt der Hautevolee wird. Aber niemand kennt Saint-Germain, der gute Gründe hat, sich bedeckt zu halten: Er ist ein Vampir!

Seit Jahrtausenden schon wandert er durch die Welt – ein intelligenter, neugieriger, keineswegs blutrünstiger oder gar machtlüsterner Mann. Mit den Satanisten hatte er schon seine Klinge gekreuzt und sie zu hassen gelernt. Nun hält er Saint Sebastian argwöhnisch im Auge. Schon längst hat Saint-Germain gewisse Gegenmaßnahmen eingeleitet, die sogar den Einsatz einiger nervöser Zauberer beinhalten.

Jetzt wird der Vampir gezwungen seine Deckung fallen zu lassen: Er verliebt sich ausgerechnet in Madelaine – und diese Gefühle werden erwidert. Die Situation eskaliert, als auch Saint Sebastian und die Seinen jede Zurückhaltung fahren lassen. Madelaine wird entführt und soll in einer grausamen Zeremonie langsam zu Tode gequält werden. Saint-Germain kann sich nur auf eine kleine Schar eher absonderlicher Verbündeter verlassen, aber das hält ihn nicht ab, sich entschlossen in die Schlacht um Madelaines Leben zu stürzen…

Vom Vampir, der seinen Job nicht mag

Ein Vampir, der weder beißen mag noch mit seinen Opfer(inne)n schlafen kann – sehr originell als Idee, aber ob das in einem Horrorroman funktioniert? Doch, es geht, um es vorweg zu nehmen; und es gibt erstaunlich wenige Schwierigkeiten, ein zunächst mögliches Zuwenig an Blutgespritze & Sex durch romantische Düsternis und (US-amerikanisch gedämpft) knisternde Erotik auszugleichen.

Schließlich spielt unsere Geschichte im Frankreich um die Mitte des 18. Jahrhunderts. Weit entfernt noch ist die Revolution, der Adel darf sich ungestört auf Kosten von Leibeigenen, Dienern und sonstigem lästigen, aber notwendigen Pöbel dem müßigen Highlife hingeben. Sexuelle Dekadenz gehört dabei zum guten Ton, so lange man sich nicht in flagranti erwischen lässt. Satanismus wird allerdings nicht als gesellschaftsfähig erachtet und unsterbliche Blutsauger haben erst recht nichts Gutes zu erwarten, selbst wenn sie sich so formvollendet geben wie der Comte de Saint-Germain.

Gefochten, geritten und die Männer des Feindes geprügelt wie in einem zünftigen Musketierfilm ist also nicht. Das heißt aber keineswegs, dass nichts Spannendes geschieht: In den feinen Kreises des 18. Jahrhunderts wird mit Worten und Intrigen gestritten und sogar gemordet. Das starre und strenge Gesellschaftssystem schließt den Adel keineswegs aus; wer gegen die Spielregeln verstößt, wird erbarmungslos geächtet. Dies gilt es zu vermeiden – um jeden Preis. So erweist sich bei näherer Betrachtung jedes scheinbar harmlose Gespräch als vielfach verschlüsseltes Abtasten, Drohen, Kräftemessen, was ”Hotel Transylvania” über weite Strecken wie eine (geschickt) trivialisierte Fassung von Choderlos de Laclos‘ Klassiker ”Les liaisons dangereuses” (1782; dt. ”Gefährliche Liebschaften”) klingen lässt – sogar die eingeschobenen Briefe fehlen nicht.

Gepflegter Grusel mit Knister-Erotik

Die zurückhaltende Art, den Vampirismus in Szene zu setzen, und die Freude am historischen Detail haben Kritik und Publikum Chelsea Quinn Yarbro oft übel genommen. ”Historische Liebesromane” werden ihre Saint-Germain-Geschichten abschätzig genannt. Auf der anderen Seite gibt es anscheinend genug Leser(innen), die solchen eher gepflegten Grusel zu schätzen wissen; nicht umsonst erlebt Saint-Germain seine Abenteuer in diversen Epochen in bisher mehr als einem Dutzend voluminösen Bänden.

Auch darf man Yarbro sicherlich nicht mit den Gaslicht-Gruseltanten des Groschenromans in einen Hexenkessel werfen. Jawohl, es wirkt kitschig und lächerlich, wenn man zusammenfasst, dass Saint-Germain seine weiblichen ”Opfer” per Kuss in seinen lustvollen Bann zieht: Es zu lesen, es funktionieren zu sehen – das ist der Beweis für Yarbros Talent! Und ganz sicher sind die ausführlich und detailfreudig in Szene gesetzten Foltereien und Sexual-Sadismen kaum der Stoff, aus dem historische Schmachtfetzen gewoben werden.

Auch ein Blutsauger will seine Ruhe

Er ist – es wurde schon angedeutet – ein interessanter Charakter, dieser Comte de Saint-Germain, der sich in anderen Zeitaltern auch Ferenc Ragoczy nennt. Wie alt er eigentlich ist, erfahren wir bei diesem seinem ersten Auftritt nicht; viele Andeutungen werden gemacht, die frühere Existenzen im alten Ägypten oder Rom verraten.

Charismatisch ist Saint-Germain, wie es hohe Intelligenz, außerordentliche Lebenserfahrung und Vorsicht wohl mit sich bringen. Recht nüchtern zeichnet ihn Yarbro im Grunde (sie fügt sogar eine knappe ”Biologie” des Vampirs als Nachwort an) – Saint-Germain ist kein feuriger Liebhaber, verspritzt das Blut seiner Opfer sparsam (und nur zwischen den Zeilen), greift nicht nach der Weltherrschaft oder will irgendein längst vergessenes Unrecht ”rächen”. Er ist ein Wanderer durch die Zeit und ein Realist; ein Lebens- und Überlebenskünstler. Das Sonnenlicht schadet ihm nicht, so lange er nur genug Grabeserde in seine Stiefel schüttet.

Das Böse an sich verkörpert er ganz sicher nicht. Die Menschen sind ihm nicht Blutvieh, er kann durchaus Freundschaften schließen und sich auf die Seite der Schwachen schlagen. Liebe ist ihm nicht fremd und er hat keine Probleme damit sich als Vampir zu ”outen”, wenn er sich sicher fühlt. Man sieht ihn sogar – welcher Frevel! – mit dem Kruzifix in der Hand – Yarbro ist sichtlich eine Verfechterin jener Theorie, nach der Vampire so etwas wie eine zweite Menschenart sind: kein Produkt irgendeiner vorzeitlichen ";Erbsünde”, sondern ein Kunstwerk der Evolution. (Diverse Aspekte der vampirischen Biologie skizziert die Verfasserin in einem eigenen Nachwort.)

Madelaine, seine Gefährtin ist natürlich – soviel Klischee muss schon sein – eine junge, schöne Frau. Klug ist sie außerdem, mutig und begierig, den Konventionen ihrer Zeit zu entrinnen, die einer Frau nur das Abenteuer der Ehe gönnt. Doch Madelaine verlangt mehr vom Leben, will reisen, andere Länder und Menschen sehen. Saint-Germain wird ihr das auf ungewöhnliche Weise ermöglichen. Auch das ist nicht selbstverständlich: Madelaine der Vampir kommt glänzend mit den veränderten Lebensumständen klar und macht das Beste daraus; Yarbro widmete ihr sogar eine eigene Serie.

Die Teufelsanbeter bieten kein besonders überzeugendes Bild. Mit fortschreitender Handlung stellt sich die Frage immer lauter, wieso sie sich eigentlich dem Satan ergeben haben. Der lässt sich nämlich kein einziges Mal blicken. Statt dessen führt sich sein angeblicher Stellvertreter Saint Sebastian wie ein Miniatur-Nero auf – nach Yarbros Ansicht jedenfalls, denn tatsächlich kommt er einem wie ein ausschließlich um die eigene Macht besorgter Sektenchef vor, der über eine traurige Rotte ziemlich unterbelichteter Angsthasen herrscht, die sich für ein bisschen Quälen und Vergewaltigen nach Feierabend von ihrem aufbrausenden Herrn allerlei gefallen lassen müssen.

Ihr Gegenstück stellen die ";Zauberer” dar, die Saint-Germain zur Hand gehen. Sie wirken geradezu kläglich, was von Yarbro so gewollt sein mag: Selbst der Vampir bedient sich lieber der Wissenschaft statt der Magie, die er längst als geistige Krücke der Unwissenden begriffen hat. Saint-Germain ist seiner Zeit geistig weit voraus, was paradox ist, da er ihr körperlich so weit hinterher hinkt. So ist die Herstellung von Diamanten letztlich keine Zauberei, sondern Chemie, wie Saint-Germain sie früher von klügeren Köpfen erlernt hat.

Unterm Strich stellt ";Hotel Transylvania"; für das Subgenre Vampir-Literatur keinen epochaler Meilenstein, aber eine beachtenswerte Fußnote dar. Setzt der Festa-Verlag die Veröffentlichung der Reihe freilich in demselben Tempo wie bisher fort, muss sich der Leser wohl die Lebenskraft eines Saint-Germain wünschen…

Hotel Transylvania

Chelsea Quinn Yarbro, Festa

Hotel Transylvania

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