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  • Heyne
  • Erschienen: Januar 2004
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S.B. Tenz
85°1001

Phantastik-Couch Rezension vonSep 2006

Bei Anruf…Gespenster!

Schöne bunte Handy-Welt. Kommunikationsmittel und Statussymbol zugleich. Greg Bear zweckentfremdet unsere geliebten Mobiltelefone zu Werkzeugen, die das sprichwörtliche Grauen zutage führen. Sein Mobilfunknetz verändert nicht nur den Raum, sondern verhindert auch den normalen Zerfall der Dinge nach dem Tod. Hierbei wartet am anderen Ende der Leitung nicht immer nur der gewünschte Gesprächspartner.

Peter Russel, einst ein relativ erfolgreicher und gefeierter Regisseur und Produzent von Softpornos, hat seine besten Jahre längst hinter sich. Mittlerweile etwas in die Jahre gekommenen sind seine Ideen längst überholt und kaum noch gefragt. Finanziell am Ende und psychisch stark angeschlagen flüchtet er sich in alkoholische Exzesse. Der mysteriöse Tod einer seiner beiden Töchter wirft ihn endgültig aus der Bahn. Daraufhin verlässt ihn seine Frau und erhält das alleinige Sorgerecht. Als wäre dies alles noch nicht genug, stirbt auch sein bester Freund Phil. Völlig abgebrannt und von Selbstzweifel geplagt kann er sich nur noch mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten. Doch dann, völlig unerwartet, bietet sich ihm eine neue Chance.  Zufällig lernt er einen Mitarbeiter der Firma TRANS kennen. TRANS macht es sich zur Aufgabe, die gesamte Telekommunikationsbranche zu  revolutionieren. Eine völlig neue Generation von Telefonnetz steht kurz vor der endgültigen Fertigstellung und soll Informationen schneller als das Licht übertragen. Verpackt in schmucke Designer-Handys, wird diese neue Technik schnell unter die Leute gebracht. Peter soll dabei die Produkteinführung übernehmen und eine Werbestrategie entwickeln. Mit Begeisterung stürzt er sich in die neue Arbeit, fest entschlossen sein Leben wieder in den Griff zu bekommen. Alles scheint sich zum Positiven zu wenden, als sich plötzlich merkwürdige und gespenstische Dinge ereignen, die Peter fast um den Verstand bringen. Unheimliche Erscheinungen zeigen sich ihm an den unterschiedlichsten Orten. Einbildung, Visionen oder ein aus Kummer resultierender, schleichender Wahnsinn? Zunächst versucht Peter diese Wahrnehmungen einfach zu ignorieren, doch schon bald stellt sich heraus, dass er nicht der einzige ist, der diese Erscheinungen sieht. Irgendwie scheint TRANS damit in Verbindung zu stehen. Peter stellt Nachforschungen an und kommt schließlich einer schrecklichen und grausamen Wahrheit auf die Spur. Doch da ist es bereits zu spät.

Geduld ist eine Tugend

Es gibt Romane, die einem am Ende Kopfzerbrechen bereiten und einfach nicht zur Ruhe kommen lassen. Man rätselt, grübelt und sucht verzweifelt nach Antworten auf eine Menge Fragen, die sich im Verlauf der Lektüre ergeben haben.  Kann sein, dass man aber auch einfach einige wichtige Details verpasst oder übersehen hat. Da ist es ratsam, sich die letzten Seiten des Romans noch einmal in aller Ruhe zu Gemüte zu führen. Und siehe da, plötzlich ergeben sich völlig neue Erkenntnisse und logische Zusammenhänge. Einigermaßen zufrieden gelangt man schließlich zu der Überzeugung, einen wirklich guten Roman gelesen zu haben. So jedenfalls erging es mir.

Greg Bears ";Stimmen"; ist so ein Roman, auf den die vorangehende Beschreibung zutrifft. Fesselnd, spannend aber auch die Geduld des Lesers auf eine harte Probe stellend. Ein Roman von erzählerischer Kraft, eindringlich und außergewöhnlich. Ein Roman, der jedoch den ungeduldigen Leser überfordern wird. Wer einen packenden, actiongeladenen Thriller oder einen schaudervollen Horroroman erwartet, der kann am Ende nur enttäuscht sein. Eines vorweg, um einen Verschwörungsthriller, wie fälschlicherweise auf dem Buchrücken angegeben, handelt es sich schon einmal überhaupt nicht. Bestenfalls könnte man nach den ersten Seiten auf einen High-Tech-Thriller tippen, dies relativiert sich jedoch ebenfalls nach einiger Zeit. Somit lässt sich ";Stimmen"; nur schwer einem Genre zuordnen. Andererseits lässt der Roman sich jedoch mit zwei Schlagwörtern fast perfekt umschreiben. Unheimlich und Gespenstisch. Um mal ein Klischee zu benutzen; dass Grauen kommt auf leisen Sohlen, und zwar dann, wenn der Leser es am wenigsten erwartet. Ein Hauch von Suspense. Bis es jedoch so weit ist, vergeht viel Zeit. Sehr viel Zeit, um genau zu sein. Der Autor nutzt mehr als die Hälfte seines Romans dazu, dem Leser die Hauptfigur Peter Russel näherzubringen. Dabei verzichtet er auf mehrere, unterschiedliche Handlungsstränge. Man bleibt ständig an der Seite des Hauptcharakters, verliert ihn nicht für eine Sekunde aus den Augen und begleitet ihn an verschiedene Schauplätze in und um Los Angeles. Dabei zeichnet Bear das Psychogramm eines von Selbstzweifeln geplagten und zur Fülle neigenden 58jährigen Junggesellen, der sich auf der verzweifelten Suche nach einem letzten, großen Erfolgserlebnis befindet. Dass alle übrigen Protagonisten dabei lediglich nur noch als Nebenfiguren agieren, wundert da kaum. Zusammengenommen mag dies zunächst den Eindruck eines sehr linearen Handlungsablaufs erwecken, ist aber zu keiner Zeit vorhersehbar. Fließend und glaubwürdig erzählt glänzt die Story durch den hervorragenden Schreibstil Bears. Der Autor scheint über eine enorme Lebenserfahrung zu verfügen, was sich eindeutig in der Figur des Peter Russel widerspiegelt. Ein Antiheld, der nur durch die Liebe zu seiner Tochter über sich selbst hinauswächst. Bears kritische Anmerkungen auf die Vergänglichkeit allen Hollywood-Glamours sind ebenso unverkennbar, wie seine Ablehnung der Todesstrafe gegenüber. Allerdings übertreibt er es mit diesen Aussagen nie, vielmehr liest man all das zwischen den Zeilen oder geschickt verpackt in den hervorragenden Dialogen.

Verwirrendes Finale

Bis zum letzten Drittel des Romans bleibt der Autor seiner gemächlichen Schreibweise treu. Der Leser dürfte sich mit dieser Tatsache bis dahin längst abgefunden und angefreundet haben, als sich die Ereignisse plötzlich überschlagen. Bear erhöht das Tempo und zieht den Leser regelrecht in einen Strudel voller Ungereimtheiten hinein. Ähnlich wie der Hauptfigur Peter Russel ergeht es auch dem Leser. Ein Schock folgt dem nächsten und auf einmal fühlt man sich irgendwie überfordert und alleine gelassen. Es ist, als hätte man sich die ganze Zeit mit langsamen Schritten einem offenen Fenster genähert. Unendlich gespannt, was für ein Ausblick einen erwartet. Und dann, nach dem letzten Schritt, stürzt man kopfüber in die Tiefe und es bleibt keine Zeit, den Ausblick zu genießen. Dabei hatte man so viele Fragen, auf die man sich am Ende Antworten erhoffte. Was bleibt, ist zunächst so etwas wie Resignation.

Hier schließt sich der Kreis und ich komme auf meine eingangs erwähnte Empfehlung zurück, die letzten Seiten noch einmal zu lesen. Das anschließend einige Ungereimtheiten trotz allem bleiben, lag vielleicht auch im Sinne des Autors. Mein subjektiver Eindruck, dass Greg Bear zum Ende hin selbst ein wenig die Geduld verloren hat und einfach nur noch zum Abschluss kommen wollte, hinterlässt bei mir zwar einen etwas bitteren Beigeschmack, entspricht aber, wie schon gesagt, meinem ganz persönlichen Empfinden.

Fazit

Greg Bears ";Stimmen"; ist schon ein etwas merkwürdiger Roman, von dem man am Ende nur begeistert oder völlig enttäuscht sein kann. Dazwischen gibt es nichts. Ich persönlich habe mich sehr gut unterhalten gefühlt und bin, was Bears Schreibstil betrifft, auch begeistert. Buchidee und Umsetzung können überzeugen, auch wenn das Ende ein wenig enttäuschend ausfällt. Es gibt eben Autoren, die glänzen schon alleine wegen ihres hervorragenden Schreibstils, da sieht man gerne mal über die eine oder andere Macke in der Story hinweg.

Wie dem auch sei, lesenswert ist ";Stimmen"; auf jeden Fall, nicht zuletzt Dank der exzellenten Übersetzung von Usch Kiausch.

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Greg Bear, Heyne

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