Das Kastell

  • Goldmann
  • Erschienen: Januar 1990
  • 4
Das Kastell
Das Kastell
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Michael Drewniok
75°1001

Phantastik-Couch Rezension vonSep 2006

Dracula gegen die Nazis

Im April des Jahres 1941 neigen sich die Schalen des Kriegsglücks für das ";Dritte Reich” scheinbar unaufhaltsam in Richtung ";Endsieg”. Während die deutsche Wehrmacht besonders an der Ostfront in spektakulärem Tempo vorrückt, beginnt hinter den Linien der blutige Wahnsinn des organisierten Völkermords. Dabei legt sich besonders der ";Reichsführer SS” Heinrich Himmler ins Zeug. Seine Schergen richten Konzentrationslager ein, in denen die den Nazis verhassten Juden fabrikmäßig vernichtet werden. So ein Lager ";erfolgreich” zu führen, kann für einen jungen SS-Mann einen beachtlichen Karrieresprung bedeuten.

Sturmbannführer Erich Kämpffer ist ein vom Ehrgeiz zerfressener Emporkömmling, dem gerade die Chance seines Lebens geboten wird. Weil er sich im KZ Auschwitz als Verwalter des Todes gut bewährt hat, soll er in Rumänien ein neues Lager errichten und leiten. Zuvor muss er allerdings einen Abstecher in die Karpaten unternehmen, wo in einer namenlosen alten Bergfestung auf dem Dinu-Pass eine kleine Abteilung der Wehrmacht einen strategisch eigentlich unwichtigen Kontrollposten eingerichtet hat. Major Klaus Wörmann, der Kommandant, wurde praktisch hierher strafversetzt, weil er – Soldat der alten Schule – sich nicht nur geweigert hatte, der SS beizutreten, sondern sogar Manns genug gewesen war, deren Gräueltaten in den besetzten Ostgebieten anzuprangern.

Die Festung genießt einen schlechten Ruf in der rumänischen Bevölkerung. Seit Jahrhunderten wird sie sorgfältig instand gehalten, ohne dass jemand wüsste, wer diese Arbeiten bezahlt. Zwar spukt es nicht in dem alten Gemäuer, aber es wird dennoch gemieden. Wörmann gibt nichts auf das Gerede und nistet sich mit seinen Kameraden in der Festung ein. Zwei Soldaten auf heimlicher Schatzsuche wecken dort versehentlich ein unheimliches Wesen, das nun des Nachts die deutschen Besatzer abzuschlachten beginnt. In seiner Not ruft Wörmann Hilfe herbei. Man schickt ihm Kämpffer, den er nur zu gut kennt und verachtet – zu Recht, wie sich herausstellt, denn der in der Festung angekommene Sturmbannführer beginnt sogleich die Einheimischen zu terrorisieren, die er für die Morde verantwortlich macht. Wörmann findet heraus, dass es einen Historiker gibt, der mehr über die Festung wissen könnte. Professor Theodor Cuza ist ein todkranker Mann – und er ist Jude, was ihn und seine Assistentin und Tochter Magda der Willkür Kämpffers aussetzt, als beide von den Nazis in die Karpaten verschleppt werden. Ein gefährliches Doppelspiel beginnt, denn Cuza verbirgt sein Wissen, das allein ihn und Magda am Leben erhält – und er nimmt Kontakt auf mit dem Geist der Festung, dem uralten Dämonen Rasalom, der vor mehr als einem halben Jahrtausend angeblich an der Seite des Fürsten Vlad Tepes, genannt Dracula, für die Walachei kämpfte, bis er besiegt und in der Festung gebannt wurde. Nun gaukelt er Cuza vor, Tod und Verderben über die Nazis bringen zu wollen, um mit des Professors Hilfe den Bann zu brechen, der ihn in der Festung hält. Aber auch sein Bezwinger, der Magier und Krieger Glaeken, hat die Jahrhunderte überdauert. Aus der Ferne hielt er Wache. Rasaloms Rückkehr konnte Glaeken nicht verhindern, doch er macht sich sogleich auf den Weg nach Rumänien. In der alten Festung treffen sie alle aufeinander, und es entbrennt ein mörderischer Kampf zwischen den Mächten des Guten und des Bösen, den womöglich niemand überleben wird…

Bauchschmerz-Bestseller für deutsche Gutmenschen

";Das Kastell” ist das unerhört erfolgreiche Hauptwerk des US-amerikanischen Unterhaltungs-Profis Francis Paul Wilson (geb. 1946). Es ist sogar noch bekannter als Wilsons ebenfalls politisch unkorrekte, weil ungehemmt ";liberale";, ungemein lesbaren Romane um den unkonventionellen Schutzengel ";Repairman Jack”.

Gerade dem ";Kastell” dürfte in Deutschland das heikle Thema den Weg zum Bestseller-Ruhm verstellt haben. Der Band wurde erst spät und dann mehr als anderthalb Jahrzehnte nicht neu aufgelegt, obwohl wir hier einen modernen Gruselroman lesen dürfen, der in dieser Güteklasse nicht gerade häufig zu finden ist. Aber da ist halt Wilsons schräger Einfall, den Kampf gegen den dämonischen Rasalom vor der Kulisse des Nazi-Terrors spielen zu lassen. Zumindest bei selbst ernannten Weltverbesserern schließt sich da im Hohlkopf sogleich ein Stromkreis, der sie in lautes Wutgeheul über den gar leichtfertigen Umgang mit einem ernsten Thema ausbrechen lässt, über das sie allein das Monopol zu besitzen glauben. Aber wir wollen uns dem Diktat der Selbstgerechten hier nicht beugen, sondern nüchtern betrachten, womit wir es hier wirklich zu tun haben.

Wieso sollte es denn ";verboten"; sein, Nazis in einem Gruselroman auftreten zu lassen? Diese Kombination liegt sogar recht nahe, muss es doch für einen Schriftsteller verlockend sein, das fiktive mit dem realen und ultimativen Bösen in Beziehung zu setzen. Wilson hat sich zudem viel Mühe gegeben, seine deutschen Anti-Helden nicht zu sehr in Richtung Hollywood-Karikatur abrutschen zu lassen. Sicherlich ist SS-Recke Kämpffer ein grell überzeichneter Lumpenhund, aber Wilson lässt wenigstens ansatzweise durchblicken, was den wahren NS-Horror ausmachte: die wahnhafte, aber nüchterne, geradezu geschäftsmäßig und in nie gekannter Dimension betriebene Ausrottung angeblicher ";Untermenschen”. Dagegen bleibt der untote Rasalom freilich ziemlich blass in seiner theatralischen Behauptung angeblicher Bösartigkeit, die ihn im Vergleich mit dem Nazi-Terror wie einen Anfänger dastehen lässt.

Diese Diskrepanz kann Wilson nicht ausgleichen. Er scheint dies schließlich selbst erkannt zu haben, denn es fällt auf, dass er Kämpffer und Wörmann, die doch die Handlung als echte Hauptpersonen bisher getragen haben, vor dem großen Finale recht abrupt aus dem Verkehr zieht, so dass Rasalom und Glaeken routiniert ihre seit der Urzeit tobende Schlacht zu Ende bringen können.

";Gute Deutsche"; und ";böse Nazis";?

Wörmann und Kämpffer symbolisieren zugleich die grundsätzliche Schwäche des ";Kastells”. Wo das alte mit dem jungen Bösen gegen das Gute antritt, ist ein ";guter Nazi” schlicht überflüssig. Aber hier verließ Wilson der Mut. Einen durch und durch bösen deutschen Anti-Helden in einer Hauptrolle glaubt er seinem Publikum nicht zumuten zu dürfen. Lieber verwässert er das Konzept, indem er die Nazi-Rolle splittet und dabei arg plump vorgeht. Die Mär vom ehrenhaften Wehrmacht-Soldaten, der im ";Dritten Reich” nur seine Pflicht tat, von einer kleinen Clique ";richtiger” Nazis missbraucht wurde und daher beinahe selbst als deren Opfer zu betrachten ist, finden wir im angelsächsischen Sprachraum in vielen Büchern und Filmen vor allem der 60er und 70er Jahre. Man darf diese seltsame Anwandlung als krampfhaften Versuch deuten, dem einstigen Gegner Deutschland, der zum wertvollen Verbündeten im Kalten Krieg gegen die roten Teufel aus der UdSSR geworden war, sacht zu signalisieren, dass man gewillt war, gewisse historische Realitäten nunmehr neu und neutraler zu bewerten. (Wer meint, dass Ihr Rezensent da ziemlichen Unsinn schreibt, der stelle sich die Frage, wieso denn im Kinofilm ";The Keep” – siehe dazu unten mehr – nur der ";gute Deutsche” tatsächlich von einem Deutschen gespielt wurde, während für den schuftigen Nazi ein Amerikaner einspringen musste – die Deutschen sind in dieser Beziehung durchaus empfindlich…) In den USA selbst musste Wilson berücksichtigen, dass der geistig eher schlicht gestrickte Durchschnitts-Bürger ebensolche Figuren favorisiert, wenn er unterhalten zu werden wünscht. Ein Nazi mit menschlichen Zügen dürfte ihn daher erst recht überfordern.

Ungeachtet dessen überwiegt das Positive. Wilson ist wie gesagt ein alter Hase, der sein Handwerk versteht. Geschickt baut er die Kulissen auf und bevölkert sie mit überzeugenden Figuren. Ökonomisch gestaltet er die Handlung, die ihm nur im Finale leicht aus den Händen gleitet; wenn Rasalom prahlt, wie er nach Berlin ziehen und Hitler den Kopf abreißen wird, kann sich der Leser nur mühsam das Grinsen verbeißen. Dass ein Mann wie Professor Cuza ihm dabei auf den Leim geht, mag man trotz Krankheit und Verzweiflung ebenfalls nicht recht glauben.

Die Schlacht zwischen Gut und Böse – die ";Andersheit” wird sie der Verfasser später nennen – tobt übrigens weiter: F. Paul Wilson ist geradezu besessen davon, seinen sämtlichen Romanen einen gemeinsamen Kosmos zu Grunde zu legen. ";The Grand Unification” nennt dies Wilsons Website www.repairmanjack.com, die das Wilsonversum mit einem Schaubild übersichtlich ordnet. So wissen wir also, dass vor ";The Keep” ein Roman namens ";Demon Song” den Dämonen-Reigen eröffnete, während ";Reborn” ihn fortsetzt. (Beide Titel wurden nicht ins Deutsche übersetzt.)

Gruseln oder lachen – der Film zum Buch

";The Keep” wurde 1983 unter der Regie von Michael Mann (";Roter Drache”, ";Heat”) recht aufwändig verfilmt. Auch die Besetzung lässt aufhorchen, finden wir doch u. a. Jürgen Prochnow als Klaus Wörmann, Gabriel Byrne als SS-Mann Kämpffer und Ian ";Gandalf” McKellen als Professor Cuza. Heraus kam allerdings ein formal wie inhaltlich missglückter Streifen, der zu den großen Flops der Filmgeschichte zählt – ein Debakel, das von der Kritik in seltener Einmütigkeit verrissen, vom Publikum tunlichst gemieden & nicht einmal von verschrobenen Fans zum Kult erhoben wurde.

Das Kastell

F. Paul Wilson, Goldmann

Das Kastell

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